Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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22

Der unternehmende Simonow saß seit einer geraumen Weile in dem geheimnisvollen Wartezimmer im Klub der Globetrotter und rauchte Zigaretten. Nicht um seine Nerven zu beruhigen, wie dies der noch zu wenig abgebrühte Mr. Gardner getan hatte, sondern weil er sich augenblicklich sehr zufrieden fühlte und die Zigaretten gut und umsonst waren.

Der Abend hatte ihm ganz unerwartet eine aufregende und kitzlige Arbeit gebracht, aber nun war sie getan, und er konnte ein wenig verschnaufen. Die Umgebung störte ihn gar nicht. Diesen gruseligen Hokuspokus war er bei seinem Geschäft schon längst gewöhnt, und auch der unsichtbare »Chef« verursachte ihm weder Bangen noch Neugierde. Solch einen Oberbonzen gab es bei all diesen Einrichtungen, und er hatte schon mit einigen zu tun gehabt. Vielleicht war es auch das eine oder das andere Mal der gleiche gewesen. Deshalb hatte es auch gar keinen Zweck, sich viel darum zu kümmern, wie der jeweilige Boß aussah; das einzige Wichtige war, daß er prompt und anständig bezahlte.

Und in dieser Beziehung konnte sich Simonow seit Jahr und Tag wirklich nicht beklagen. Seitdem er in jenem schwierigen Land in einer glücklichen Stunde an die ›Chinesische Nelke‹ geraten war, ließ es sich leben. Mit dem eigentlichen Geschäft hatte er zwar nichts zu tun, denn das Ausspionieren, und was damit zusammenhing, lag ihm nicht, aber rundherum gab es immer wieder einen Auftrag, der einen entschlossenen Mann erforderte, und dann konnte man sich auf ihn verlassen. Das hatte er wiederholt bewiesen, und auch mit seiner Arbeit an diesem Abend mußte man zufrieden sein. Er hatte diesen verdächtigen Windhund mit der Nelke sofort entdeckt und dem Chef Mitteilung gemacht; und dann hatte er so gehandelt, wie man es ihm befohlen hatte, falls der Mann versuchen sollte, sich an das gewisse Mädchen heranzumachen.

Nun war der Bursche wohl erledigt, und Simonow empfand darüber Genugtuung, weil ihm der Fremde keinen geringen Schreck eingejagt hatte. Er schien verdammt viel zu wissen, da er auf den schlitzäugigen Menschenschlächter Hsu-Tien-Yun verfallen war, und so gut unterrichtete Bekannte konnte man weniger denn je brauchen.

Als nach einer langen Zeit des Wartens endlich die Täfelung aufklappte, und Simonow mit fettiger Stimme sofort mit seinem Bericht begann, legte er, ohne deutlicher zu werden, auf diesen Punkt denn auch ganz besonderes Gewicht.

»Weiß der Teufel, welch einem gefährlichen Burschen wir da eben noch rechtzeitig den Mund gestopft haben«, sagte er sehr befriedigt. »Er wird ihn wohl kaum mehr aufmachen. Ich war dabei, wie sie ihn abgeholt haben«, fügte er hinzu, um jedem Zweifel an der Gründlichkeit seiner Arbeit von vornherein zu begegnen.

»Wohin?«

Simonow fand diese so hastig und dringlich klingende Frage aus dem Nebenraum höchst nebensächlich. »Wahrscheinlich in irgendein Hospital«, erwiderte er leichthin. »Oder gleich in die Leichenkammer. Er wird ja kaum noch für ein ordentliches Bett in Frage kommen.«

Der geheimnisvolle Herr nebenan schien heute seine gewohnte Beherrschung eingebüßt zu haben. Man vernahm deutlich, wie er mit lebhaften Schritten auf und ab ging, und einige Male gewahrte Simonow sogar seinen Schatten.

»Sie hätten sich darum kümmern sollen«, klang es plötzlich wieder scharf durch das dichte Drahtnetz. »Ich muß wissen, wohin man den Mann gebracht hat und wie es um ihn steht. Ganz zuverlässig. Noch heute nacht . . .« Die etwas blecherne Stimme machte eine kleine Pause und fuhr dann abgehackt und in nervöser Hast fort: »Auch alles andere über ihn. Es ist möglich, daß er zu dem Burschen aus der Hafenkneipe gehört und zu dem andern, der mich angefallen hat. Diese Gesellschaft muß endlich gründlich erledigt werden. Auch die Frau, die die Nelken gekauft hat, ist wichtig. Vielleicht führt sie uns auf eine Spur . . .«

»Das Frauenzimmer finde ich, und wenn ich eine ganze Woche Tag und Nacht auf den Beinen sein müßte«, fiel Simonow mit giftiger Lebhaftigkeit ein. Er war zu schwer gekränkt, daß er statt des erwarteten Lobes einen Tadel hatte hören müssen, aber die Erwähnung der Frau ließ ihn das gänzlich vergessen. Mit dieser Person hatte er eine Rechnung zu begleichen. So heimtückisch war ihm noch niemand gekommen, und der Schlag auf die Schläfe hatte ihn wahrhaftig wie einen Sack umklappen lassen. Er hatte davon nichts erzählt, denn er hätte sich ja in Grund und Boden schämen müssen; aber um so grimmiger kochte die verhaltene Wut in ihm, und er war wirklich gewillt, sein möglichstes zu tun, um diesen Satan von Weib ausfindig zu machen. »Weit von der Stelle, wo sie mir entschlüpft ist, werde ich sie wohl nicht zu suchen haben«, meinte er zuversichtlich, aber diesmal kam keine Erwiderung, sondern lediglich ein halblauter, ärgerlicher Ausruf, der wohl irgend etwas anderem gelten mochte.

Er galt dem Verband an der linken Hand, der den Chef offenbar drückte oder behinderte, denn er zerrte mit verbissenen Zähnen so heftig daran, daß sich auf der dünnen weißen Mullbinde plötzlich einige dunkle Flecke zeigten.

Erst nach einigen Minuten ließ sich die Stimme wieder vernehmen, und gleichzeitig sprang unterhalb des Drahtfensters eine kleine Holzplatte vor.

»Für Ihre heutigen Auslagen und Bemühungen«, sagte der Unsichtbare kurz. »Wenn die Sache wirklich gut abgelaufen ist, verdopple ich den Betrag. Sie haben also allen Grund, sich mit Ihren Nachrichten zu beeilen.«

Simonow stand bereits bei dem Gitterfenster, aber sein Interesse galt ausschließlich dem Päckchen Banknoten. Die oberste war vollkommen neu und trug eine Zehn als Aufdruck. »Wird geschehen«, versicherte er eifrig, indem er nach den Scheinen griff. »In längstens zwei Stunden ..«

Er unterbrach sich und trat diskret etwas zur Seite, denn nebenan schrillte eine Telefonklingel, und im selben Augenblick wurde auch schon der Hörer abgehoben. Dann folgten einige leise, unverständliche Worte. Aber plötzlich scholl eine Reihe aufgeregter Fragen herüber, die Simonow aufhorchen ließen.

»Bleiben Sie an Ort und Stelle«, gebot jedoch der Chef bereits in den Apparat. »Sie werden von einem Wagen aufgenommen werden.« Die Metallgabel des Telefons klirrte, und die Stimme des Herrn meldete sich dicht neben dem Fenster. »Lassen Sie vorerst alles sein, es gibt eine dringendere Arbeit für Sie. Die Dame mit den Nelken ist eben unterwegs – vielleicht gelingt es Ihnen, sie bei der Heimkehr abzufassen. Was mit ihr zu geschehen hat, darüber werde ich den Chauffeur unterrichten. Und was Sie sonst wissen müssen, erfahren Sie von dem Mann, der an der Ecke von Stephens Square auf Sie wartet. Es muß selbstverständlich ohne jeden Lärm abgehen. Beeilen Sie sich . . .«

»Es wird keinen Lärm geben«, versicherte Simonow, indem er Hut und Mantel aufraffte und in den Aufzug sprang, um zum zweiten Male an diesem bewegten Abend zu zeigen, was er konnte und was er wert war.


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