Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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7

Mr. Gardner mußte warten, weil das sonst auf die Minute eingeteilte Tagesprogramm des Herrn dieser Räume, den man einfach den ›Chef‹ nannte, heute durch einen kleinen Zwischenfall eine Verschiebung erfahren hatte.

Durch diesen Zwischenfall hatte sich zunächst sein Kommen um eine volle Viertelstunde verzögert, und nun war er genötigt, sich auch noch eine geraume Weile mit seiner linken Hand zu beschäftigen.

Diese auffallend kleine, wohlgeformte und gepflegte Hand war garstig zugerichtet. Am Ballen klaffte eine breite, tiefgehende Wunde, die stark blutete und auch äußerst schmerzhaft sein mußte. Aber in dem blassen Gesicht, zu dem weder das glatt zurückgekämmte tiefschwarze Haar noch der buschige dunkle Schnurrbart und die dichten Brauen passen wollten, spiegelte sich nicht die geringste Empfindlichkeit, während der schlanke Mann unter Zuhilfenahme seiner weißen Zähne mit großer Sorgfalt und Kunstfertigkeit einen Verband anlegte.

Als er damit endlich fertig war, warf er zunächst die blutigen Tücher in die Glut des kleinen Füllofens und machte sich daran, im Garderoberaum die Spuren seiner Tätigkeit zu tilgen.

Schließlich war auch das getan, und er betrat das anstoßende Gemach, das ganz in Weiß und Gold gehalten war. Sein erster Blick galt der altertümlichen Standuhr auf dem großen Schreibtisch und sie sagte ihm, daß hinter der nächsten Wand der Rechtsanwalt Mr. Gardner nun bereits volle zweiundzwanzig Minuten wartete. Aber obgleich der Herr dieser Räume die Pünktlichkeit auf die Minute trieb, da für ihn eine einzige Minute Erfolg oder Verderben bedeuten konnte, gab es augenblicklich für ihn noch Wichtigeres zu tun.

Er drückte mit der gesunden Hand gegen die Schreibtischplatte, bis diese zurückwich und eine lange Reihe winziger bunter Tasten mit geheimnisvollen Zeichen freilegte. Dann berührte er einen der Knöpfe und nahm einen Hörer auf. Die Verbindung dauerte etwas lange, aber so dringend die Sache war, der Mann verriet keine Ungeduld; nur die verletzte Linke ballte und streckte sich unruhig. Endlich klang ein kurzes gehauchtes Wort aus dem Hörer, und der Chef begann sofort zu sprechen.

»Sie werden in der nächsten Zeit die Augen besonders offenhalten müssen. Sehen Sie sich von heute ab die Leute im Klub ganz genau an, und wenn Ihnen einer irgendwie nicht ganz geheuer scheint, so will ich sofort davon wissen.«

Bereits mit dem letzten Worte schaltete er die Verbindung wieder aus und setzte die Scheibe des Tischtelefons in Bewegung. Diesmal nannte er zunächst den Namen einer Person, die er zu sprechen wünschte, aber er mußte noch eine zweite und sogar eine dritte Nummer drehen, bevor er endlich Erfolg hatte.

»Ihre verdammte Spielwut macht Sie unzuverlässig«, zischte er gereizt in den Apparat. »Das ist nicht der Ort, an dem Sie um diese Stunde sein wollten. Sie wissen, wieviel davon abhängen kann, daß ich Sie jederzeit sofort erreiche. Das gilt von nun an doppelt, denn ich habe das Gefühl, als ob Gefahr im Verzuge wäre. Vielleicht sogar von mehreren Seiten. Lassen Sie also gefälligst die Karten, und setzen Sie sich sofort in Bewegung. Natürlich muß die Sache in Notting Hill schleunigst zu einem Ende gebracht werden. Ich fürchte, es war ein großer Fehler, daß wir sie nicht schon längst wieder energischer betrieben haben, aber Sie haben mich ja immer wieder beruhigt. Das Weitere hören Sie um zwei Uhr in Walworth. Seien Sie pünktlich.«

Wie vordem machte er auch diesmal Miene abzubrechen, ohne seinem Zuhörer Zeit zu irgendeiner Erwiderung zu lassen, aber plötzlich fiel ihm noch etwas ein. »Ja«, fügte er hastig hinzu, »damit Sie davon wissen: Es wird heute ein grauer Wagen sein. Den andern mußte ich außer Dienst stellen, da ich vor einer Stunde angefallen wurde. Der Bursche kam wohl aus der Dockschenke. Das kommt davon, wenn nicht ganze Arbeit getan wird.«

Mit dieser Bemerkung, die sehr scharf und ärgerlich klang, beendete der Chef nun wirklich das Gespräch und berührte sofort wieder eine der farbigen Tasten.


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