Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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14

Admiral Sheridan speiste mit Sir Frederick Legett, aber die Unterhaltung war sehr einsilbig. Erst nach dem Erscheinen von Mrs. Derham und deren Nichte kam sie für eine kurze Weile einigermaßen in Fluß.

»Man scheint die Ärmste ganz infam zu behandeln«, sagte Sir John, als er sich nach seiner aufsehenerregenden Begrüßung mit großem Nachdruck wieder niedergelassen hatte, und seine von Stürmen und Nebeln aller Meere angerostete Stimme trug diese vertrauliche Bemerkung in einen ziemlichen Umkreis;. »Wenn ich so etwas wie ein Haus führte, würde ich die Geschichte rasch in einen anderen Kurs bringen. Aber ich glaube, das Mädel braucht niemanden. Sie weiß, was sie wert ist, und ist zu gescheit, um sich aus den Leuten etwas zu machen.«

Sir Frederick stocherte zerstreut auf dem Teller herum, und um seinen verkniffenen Mund zeigte sich der Anflug eines dünnen Lächelns. Er war der ausgesprochene Gegensatz von Sheridan. Mittelgroß und beängstigend hager, wirkte seine Persönlichkeit mit dem spitzen Gesicht und den ebenfalls spitzen und fast haarlosen Kopf höchst unbedeutend. Nur in seinen kalten Augen lag etwas Besonderes, aber Legett schien zu wissen, daß sie nicht angenehm wirkten, denn er schlug sie nur selten auf. Der schweigsame Mann von aalglatten Umgangsformen war überall zu sehen, und man sprach sehr viel von ihm, weil seine Beziehungen und sein Einfluß der Öffentlichkeit ein unlösbares Rätsel aufgaben. Er bekleidete keine offizielle Stellung, gehörte nicht zu irgendwelchen maßgebenden Parteikreisen, und doch genügte sein Erscheinen in Downing Street, um ihm den Zugang zu jedem Minister selbst während der wichtigsten Beratungen zu erschließen.

Nach einer kleinen Pause bewegte Sir Frederick kaum merkbar die Lippen, und diesmal bestand für die Nebentische keine Möglichkeit, auch nur ein Wort seiner Erwiderung aufzufangen. Er sprach so leise, daß sogar sein Tischgenosse ihm die hauchartigen Laute förmlich vom Munde ablesen mußte.

»Es ist Schlag auf Schlag über die beiden Frauen hereingebrochen. Erst der jähe Tod Bexters und gleich darauf noch das andere . . .«

»Der arme Bexter, jawohl!« Sheridan ließ ein gefühlvolles Schnauben hören und bemühte sich, diesmal ebenso leise zu sein wie sein Tischgenosse. »Sie wissen nicht, Legett, wie oft ich in der letzten Zeit an unseren lieben Freund denke. Ich habe ihn ja schon immer sehr geschätzt, aber nun wird mir erst richtig klar, was wir an ihm verloren haben. Wäre er noch am Leben, wüßten wir längst, woran wir mit diesem verdammten Spuk sind.«

Der andere hob für den Bruchteil einer Sekunde den Blick, um ihn ebenso rasch wieder zu senken.

»Etwas Neues?«

»Nein«, knurrte der Admiral übellaunig. »Seit der vorgestrigen Nacht ist es völlig still geblieben. Aber heute oder morgen kann der Unfug wieder losgehen, wie es ja schon seit Wochen der Fall ist. Und dabei kommen wir mit unseren Nachforschungen nicht vom Fleck. Bis jetzt konnten wir bloß feststellen, daß es sich um keinen der zugelassenen Kurzwellensender handelt, und daß die Station in nächster Nähe steckt und mit den modernsten und stärksten Apparaten ausgestattet sein muß. Die letzte Funkerei ist von unseren Schiffen in den Heimathäfen, im Atlantik, im Pazifik und in den indischen Gewässern mit gleicher Deutlichkeit aufgenommen worden. Das nützt uns jedoch nichts, denn soviel man die Morsezeichen auch dreht und wendet, sie ergeben nach keinem der gebräuchlichen Codes und in keiner Sprache einen Sinn. Nur Bexter wäre mit der Sache fertig geworden.«

Sheridan fuhr sich mit dem Zeigefinger verzweifelt in den Kragen, der seinen kräftigen Hals zu beengen schien, und dann neigte er den grauen Kopf ganz dicht zu seinem Nachbar.

»Was ich davon halte, habe ich Ihnen ja schon gesagt«, zischte er. »Ich will mir hier auf dem Fleck ganze fünf Gallonen dreckiges Hafenwasser eingießen lassen, wenn ich nicht recht habe. Die Dinge, die wir in Singapur vorbereiten, liegen gewissen Leuten gewaltig im Magen, und deshalb ist seit Monaten der Teufel los. Wir spüren es auf den Werften, in den Arsenalen und in allen Häfen, aber bisher konnten wir noch in keinem einzigen Fall zugreifen. Und diese kleinen Schnüffeleien machen mir auch keine besondere Sorge, denn sie können nicht viel Unheil anrichten. Aber ich fürchte, daß hinter diesen Kleinigkeiten ein wohlorganisiertes System steckt, das nur auf eine günstige Gelegenheit wartet, um aufs Ganze zu gehen. Und ich habe das Gefühl, daß wir etwas mehr darüber wüßten, wenn wir diesen geheimnisvollen Sender verstünden.« Sheridan setzte sich mit hochrotem Gesicht wieder auf und warf einen raschen Blick nach einem der Tische. »Übrigens scheint man auch an anderer Stelle bereits irgend etwas in die Nase bekommen zu haben. Oberst Wilkins ist nämlich gestern plötzlich wegen einer gar nicht so dringlichen Angelegenheit bei mir erschienen und hat dabei einige Bemerkungen eingeflochten, die mich stutzig machten.«

Wieder einmal ließ Sir Frederick kurz die kalten, stechenden Augen sehen. »Sie haben sich mit ihm ausgesprochen?« fragte er.

»Ausgesprochen?« Der Admiral zog die Mundwinkel herab und schüttelte entschieden den Kopf. »Ist mir nicht eingefallen. Ich habe getan, als verstünde ich nicht, und da Wilkins nicht deutlicher wurde, sind wir von der heiklen Sache glatt abgetrieben. Die Herren sollen sich um ihre Angelegenheiten kümmern, meiner Haut wehre ich mich schon selber. Besonders, wenn Sie mir helfen, Legett. Da habe ich die Beruhigung, daß die Geschichte völlig unter uns bleibt, falls etwas los sein sollte.«

»Wir wollen es hoffen«, hauchte Sir Frederick bescheiden, und Sheridan nickte zuversichtlich und erleichtert. Dann aber beugte er sich plötzlich nochmals zu dem Ohr des andern, um eine ganz zusammenhanglose Frage zu tun.


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