Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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10

Mrs. Machennan erschien mit einer Vase voller Blumen und stellte sie auf den Tisch.

»Es ist ein Viertel vor sieben Mr. Ramsay«, sagte sie lächelnd, »und ich dachte mir, daß Sie bereits fertig sein würden. – Wünschen Sie einen Wagen?«

Der Wagen wurde abgelehnt aber dafür bekam Mrs. Machennan so viele schmeichelhafte Dinge zu hören, daß sie völlig außer Fassung geriet.

»O bitte . . .«, wehrte sie ab »Das war doch selbstverständlich. Und es hat mir gar keine Mühe gemacht. Überhaupt . . .«

Hier verlor sie den Faden, aber da fiel ihr hilfloser Blick auf die Vase, und nun war die schreckliche Verlegenheit mit einem Mal überwunden.

»Ja«, fuhr sie fort, und ihre angenehme Stimme geriet wieder einmal in ein melodisches Rieseln, »hier sind die chinesischen Nelken. Ich habe gleich mehrere genommen, weil ich sie ja schon gestern besorgen mußte und nicht wußte, wie sie sich halten würden. Eine Blume fürs Knopfloch muß aber immer besonders frisch sein, wenn sie nach etwas aussehen soll. Ich werde daher auch die übrigen in Papier einschlagen und in Ihren Mantel stecken, für den Fall, daß etwa die eine gedrückt werden sollte. Diese hier« – sie nestelte eine der Blüten aus dem kleinen Büschel – »ist allerdings die schönste, und wenn Sie gestatten, werde ich sie Ihnen anstecken. Selbst kommt man damit nicht so rasch zurecht, und Sie könnten sich auch stechen, was für einen Herrn in Frackhemd und weißer Weste recht unangenehm ist . . .«

»Sie sind die liebenswürdigste und reizendste Hauswirtin, der ich je begegnet bin«, erklärte Ramsay ehrlich und beschwor damit neuerlich einen kritischen Augenblick herauf. Aber Mrs. Machennan hob sich rasch auf die Zehenspitzen, konzentrierte ihre Augen starr auf das Knopfloch, die Blume und die Stecknadel und ließ dann ihre Zunge wieder ebenso flink gehen, wie ihre geschickten Finger.

»Es sind wirklich echte chinesische Nelken – oder doch das, was man so nennt. Eigentlich bilden sie nämlich, wie man mir sagte, keine besondere Art, sondern sind aus der Tibetnelke gezogen. Jedenfalls sind sie aber von unseren sofort zu unterscheiden, denn sie sind größer und voller, und auch ihr Duft ist viel stärker. Ich bin in drei Geschäften gewesen, bis ich sie endlich bekam. Obwohl der Laden sehr voll war, wurde ich mit großer Zuvorkommenheit bedient, und der Verkäufer ließ sich mit mir sogar in ein längeres Gespräch ein. Er dachte, daß die Blumen für Miss Maud Hogarth bestimmt seien, von der ich Ihnen ja erzählte. Sie soll die Hauptabnehmerin dieser Blumen sein. Die ersten wurden von ihrem Oheim, Sir Herbert Bexter, bestellt, der wenige Tage vor seinem Tod in dem gleichen Geschäft danach fragte. Damals mußte man sie aber erst aus einer Züchterei kommen lassen . . .«

Mrs. Machennan schöpfte etwas Atem und trat einen Schritt zurück, um zu begutachten, ob die Blume auch wirklich gut säße. Sie zupfte hier und dort noch ein bißchen herum.

»Natürlich haben die anderen Leute zugehört«, plauderte sie dabei unbefangen weiter, »und als ich wegging, hat sich mir ein Herr angeschlossen. Er war schrecklich neugierig, und obwohl ich ihm sehr deutlich zu verstehen gab, daß ich auf seine Unterhaltung keinen Wert lege, war er nicht abzuschütteln. Er ist mir sogar bis in den Bus gefolgt und dann von der Brücke durch die Straßen hierher. – Und schließlich –«, das hübsche Gesicht erglühte, und die feinen Finger zitterten ein wenig – »ist er unverschämt geworden und wollte sich einhängen . . .«

Die sanfte Mrs. Machennan besah sich neuerlich ihr Werk, und diesmal fand es ihr Wohlgefallen. »So, nun sitzt die Blume, wie sich's gehört«, sagte sie und begann die übrigen Nelken vorsichtig in eine weiche Papierhülle einzuschlagen. »Diese hier werde ich also in die äußere Manteltasche stecken. Ja, und als er hinfiel«, fügte sie plötzlich mit einem gewaltigen Gedankensprung hinzu, »hörte ich etwas klirren und hob es auf, da ich glaubte, daß es vielleicht ein Geldstück wäre. Aber es war nur das hier, und wegen eines so wertlosen Gegenstandes wollte ich mich nicht aufhalten.«

Mrs. Machennan hatte ihre kleine Hand geöffnet, und Ramsay griff neugierig nach der abgescheuerten Messingmarke, die darin lag. Sie wies auf der einen Seite eine Blumengravierung und einige verschnörkelte Schriftzeichen auf und auf der andern mehrere unsymmetrisch angeordnete Kerben.

»Das sieht ja fast so aus wie . . .«, murmelte der Gentleman überrascht, nachdem er das Plättchen unter dem großen Kronleuchter eine Weile betrachtet hatte, und Mrs. Machennan nickte lebhaft.

»Wie Nelken, jawohl«, sagte sie und heftete ihre sanften Augen auf Ramsays verwundertes und nachdenkliches Gesicht.

»Und der Mann?«

Mrs. Machennans Augen flüchteten rasch wieder zu Boden. »Den mußte ich leider liegen lassen«, erklärte sie, und man hörte aus dem Ton, wie schwer dies ihrem guten Herzen geworden war. »Es war ein sehr kräftiger, untersetzter Herr, und eine schwache Frau wie ich konnte da nicht viel machen. Wenn ich aber um Hilfe gerufen hätte, hätte es zu viel Aufsehen gegeben, und man hätte sich vielleicht von mir wer weiß was gedacht. Er wird aber auch so bald zu sich gekommen sein, denn ich habe ihm ja . . .«

Mrs. Machennan konnte nicht weitersprechen, weil sie eben einige Stecknadeln zwischen die Lippen geschoben hatte, und der Herr im Frack mußte auch nichts mehr wissen. Er blickte lange Sekunden mit fast scheuer Bewunderung auf die zarten flinken Hände seiner sanften Hauswirtin, und dann sagte er nur:

»Donnerwetter!«


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