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Epilog

Ueber ein Jahr war vergangen seit dem Fall von Kamieniec. Die Zwistigkeiten der Parteien versiegten allmählich, und endlich raffte sich die Republik wieder auf, um ihre östlichen Grenzen zu verteidigen.

Und sie schritt selbst zum Angriff. Der große Hetman Sobieski rückte mit einunddreißigtausend Mann Reiterei und Fußvolk auf türkisches Gebiet, gegen Chocim vor, um gegen die ungleich stärkere Heeresmacht Hussein Paschas, welcher bei dieser Festung lagerte, einen entscheidenden Schlag zu führen.

Schon war Sobieskis Name dem Feind ein Schrecknis geworden. Nach dem Fall von Kamieniec hatte er während eines Jahres mit wenigen tausend Mann so Großes vollbracht, den zahllosen Heerscharen des Padischah solchen Schaden zugefügt, so viele Horden vernichtet, solch eine Menge Gefangener wieder befreit, daß der alte Hussein, trotz seiner größeren Truppenmacht, trotz seiner auserlesenen Soldaten, trotz der durch Kaplan Pascha gewährten Unterstützung es nicht wagte, dem Hetman in offenem Felde die Stirne zu bieten. Er beschloß, sich in einem verschanzten Lager zu verteidigen. –

Der Hetman umzingelte das Lager mit seinen Truppen und es war bekannt, daß er die Absicht habe, es in einem Sturmangriff zu nehmen. Manche dachten, es sei dies ein in der Kriegsgeschichte unerhörter Fall, einen mächtigeren, hinter Wällen und Gräben verschanzten Gegner mit schwächeren Kräften anzugreifen. Hussein war im Besitz von einhundertundzwanzig Geschützen, und im ganzen polnischen Lager gab es deren nur fünfzig. Das Fußvolk war dreifach an Zahl dem des Hetman überlegen; die im Handgemenge so schrecklichen Janitscharen hielten, über achtzehntausend Mann stark, die Wälle besetzt.

Aber der Hetman vertraute seinem Glücksstern und dem Zauber seines Namens und nicht zuletzt den Truppen, die er befehligte.

Kriegserfahrene, im Feuer erprobte Regimenter standen unter ihm; Leute, die von ihrer Kindheit an im Kriegsgetümmel aufgewachsen waren und eine Unzahl von Märschen, Expeditionen und Belagerungen mitgemacht hatten. Viele hatten noch die schrecklichen Zeiten Chmielnieckis in Erinnerung, wie auch die Tage von Zbaraz und Beresteczko; andere hatten alle Kriege mit den Schweden, den Preußen, den Russen überdauert, alle Bürgerkriege und die Kriege mit den Dänen und den Ungarn. – Und es hatten sich zu seinem Heere die Truppen einzelner Magnaten gefunden, Veteranen, Soldaten aus den Standquartieren, für die der Krieg war, was andern der Friede ist, nämlich der gewohnte Zustand, die gewohnte Lebensweise. – Unter dem russinischen Wojewoden standen fünfzehn Regimenter Husaren, eine Reiterei, die selbst das Ausland als unvergleichlich bezeichnete. An ihrer Spitze hatte der Hetman nach dem Fall von Kamieniec den vereinzelten tatarischen Horden bedeutende Niederlagen beigebracht. Endlich war noch das ländliche Fußvolk da, welches, ohne einen Schuß zu thun, mit Kolbenschlägen über die Janitscharen herfiel.

Der König ernährte diese Leute; er hatte ganze Geschlechter in der Republik großgezogen; bis jetzt aber waren sie entweder über das ganze Land zerstreut gewesen, oder sie hatten im Dienste feindlicher Parteien gestanden. Nun, da der innere Friede sie in einem Lager vereinigte und unter ein Kommando stellte, hoffte der Hetman mit ihnen sowohl den an Macht überlegenen Hussein, als den ebenso starken Kaplan Pascha zu besiegen. –

Diese alten Soldaten wurden von erfahrenen Männern angeführt, deren Namen mehr als einmal in der Geschichte der jüngsten Kriege und in den Berichten über Siege und Niederlagen genannt wurden.

Der Hetman stand an der Spitze sämtlicher Streitkräfte, einer Sonne gleich, und Tausende beherrschte sein Gebot. Wer aber waren die andern Führer, welche in dem Lager bei Chocim unsterblichen Ruhm erlangen sollten? Das waren die beiden litthauischen Hetmans, der große Pac und der Unterfeldherr Michal Kazimierz Radziwill. Diese beiden hatten sich ein paar Tage vor der Schlacht mit den Kerntruppen vereinigt und besetzten nun auf Befehl Sobieskis die Chocim und Zwaniec verbindenden Anhöhen. Zwölftausend Krieger, worunter zweitausend Mann auserlesenes Fußvolk, gehorchten ihren Befehlen. Vom Dniester südwärts standen die verbündeten wallachischen Regimenter; am Vorabend der Schlacht hatten sie das türkische Lager verlassen, um sich mit den Christen zu vereinigen. Den Wallachen zur Seite war Herr Katski mit seiner Artillerie aufgestellt, er, der seinesgleichen suchte beim Erobern fester Plätze, beim Errichten der Feldschanzen und beim Aufstellen der Geschütze. Wohl hatte er sich diese Kunst im Auslande angeeignet, aber bald übertraf er seine Lehrer darin. Hinter Katski stand Koryckis russinisches und masurisches Fußvolk, weiterhin der Feldhauptmann Dymitr Wisniowiecki, der Vetter des kranken Königs, dem die leichte Kavallerie unterstand. Seitwärts von ihm stand mit seinen eigenen Reiterregimentern und mit seinem Fußvolk Herr Andreas Potocki, einst der Gegner, nun der Bewunderer des großen Hetman. Hinter ihm und hinter Korycki waren fünfzehn Regimenter Husaren aufgestellt unter des Herrn Jablonowski, des russinischen Wojewoden Oberbefehl. Sie trugen glänzende Panzerflügel an den Schultern und ihre martialischen Gesichter waren von Helmen beschattet. Ein Wald von Lanzen erhob sich über ihren Häuptern; ruhig standen sie da, der eigenen unbezwinglichen Kraft vertrauend und sicher darüber, daß es ihnen obliege, die Entscheidung und den Sieg herbeizuführen.

Zu den Kriegern, die diesen nicht an Tapferkeit, wohl aber an militärischem Rang nachstanden, gehörte der Podlasier Kastellan, Herr Luzecki, dessen Bruder von den Türken in Bodzanow hingerichtet worden war, wofür er ihnen ewige Rache geschworen hatte, dann der Kron-Intendant Herr Stefan Czarniecki, ein Neffe des großen Stefan. – Zur Zeit der Belagerung von Kamieniec hatte er, an der Spitze des Kleinadels bei Golab auf der Seite des Königs stehend, beinahe den Bürgerkrieg entzündet; jetzt suchte er sich durch seine Mannhaftigkeit auf einem rühmlicheren Felde auszuzeichnen. – Da war auch Herr Gabriel Silnicki, dessen Haare schon das Alter bleichte, der sein ganzes Leben in Kriegen verbracht; da waren noch andere Wojewoden und Kastellane, deren Namen in den früheren Kriegen weniger bekannt geworden waren, die aber umsomehr nach Ruhm dürsteten.

Unter der nicht mit der Senatorwürde bekleideten Ritterschaft zeichnete sich vor andern Herr Skrzetuski aus, der berühmte Zbarazer, das Musterbild eines echten Soldaten, der an allen Kriegen teilgenommen hatte, welche die Republik seit dreißig Jahren geführt. Schneeweißes Haar bedeckte sein Haupt, allein ihn umgaben sechs Söhne, an Kraft sechs jungen Ebern gleich. Die älteren unter ihnen kannten schon den Krieg, die beiden jüngsten aber sollten erst die Feuertaufe empfangen. Sie waren von solcher Leidenschaft für den Kriegskampf erfüllt, daß ihr Vater durch weise Ratschläge ihre Ungeduld zu zügeln suchte.

Mit hoher Achtung schauten die Kriegsgefährten auf diesen Vater und seine Söhne; doch noch größere Bewunderung zollte man Herrn Jarocki, der, trotzdem er auf beiden Augen erblindet, gleich jenem böhmischen König Johann dennoch in die Schlacht gezogen war. Er hatte weder Kinder noch Verwandte; Diener leiteten seine Schritte; ihn erfüllte nur die Hoffnung, im Kampfe zu fallen, dem Vaterland Dienste zu leisten und Ruhm zu erwerben. – Da war auch Herr Rzeczycki, der im Lauf eines Jahres Vater und Bruder durch den Feind verloren. Da war Herr Motowidlo, welcher erst kürzlich der tatarischen Sklaverei entkommen und sofort mit Herrn Mysliszewski zusammen ins Feld gezogen war. Der erstere wollte für seine Gefangenschaft Rache nehmen, der letztere für das Unrecht, das ihm in Kamieniec widerfahren, wo er gegen alle Kapitulationsbedingungen und seiner Edelmannswürde ungeachtet von den Janitscharen mit Stockschlägen mißhandelt worden war. Auch die Ritter der früheren, am Dniester gelegenen Standquartiere hatten sich eingefunden, der wilde Herr Ruszczyc und der unvergleichliche Bogenschütze, Herr Muszalski. Dieser hatte die Rettung seines Lebens zu Kamieniec dem Umstande zu danken, daß ihn der kleine Ritter mit dem Auftrag an sein Weib betraut. Auch die Herren Snitko, Nienaszyniec, Hromyka fehlten nicht, und nicht der unglücklichste von allen, Herr Nowowiejski.

Ihm wünschten selbst seine Freunde und Verwandten den Tod, denn für ihn gab es keinen Trost mehr. Nachdem er seine Gesundheit wieder erlangt, hatte er ein volles Jahr damit zugebracht, Tatarenhorden zu vernichten und insbesondere die Lipker aufs grimmigste zu verfolgen. Nach der Niederlage des Herrn Motowidlo durch Kryczynski jagte er diesen durch ganz Podolien, gönnte ihm weder Rast noch Ruhe und fügte ihm jeden erdenklichen Schaden zu. Bei seinen Auszügen nahm er Adurowicz gefangen und ließ ihm bei lebendigem Leibe die Haut abziehen; er machte alle anderen Gefangenen nieder, aber eine Linderung seines eigenen Leides fand er dadurch nicht. – Einen Monat vor der Schlacht trat er bei den Husaren des russinischen Wojewoden ein.

Dies war die Ritterschaft, mit welcher Herr Sobieski vor Chocim eingetroffen war. Diese Krieger dürsteten darnach, sowohl die der Republik angethane Unbill als eigenes Leid zu rächen. Ein jeder von ihnen hatte in den fortwährenden blutigen Kämpfen mit den Heiden entweder den Verlust eines teuern Hauptes zu beklagen, oder er trug die Erinnerung an irgend ein entsetzliches Unglück mit sich herum.

Der große Hetman wußte, was er that, als er sich mit dem Angriff beeilte; er wußte, daß der Ingrimm in den Herzen seiner Krieger der Wut einer Löwin glich, aus deren Lager unvorsichtige Jäger die Jungen geraubt.

Am 9. November 1674 begann der Kampf mit einzelnen Scharmützeln. Scharen von Türken brachen früh morgens aus den Wällen hervor, und voll Kampfesbegier ritten einige Abteilungen polnischer Ritter auf sie ein. Auf beiden Seiten gab es Tote, größer aber war der Verlust auf seiten der Türken. Nur wenige hervorragende Krieger waren jedoch hier und dort gefallen. Herr May wurde gleich zu Anfang des Scharmützels von dem krummen Säbel eines riesenhaften Spahi durchbohrt, wofür der Jüngste unter den Söhnen des Herrn Skrzetuski dem Türken mit einem Hieb den Kopf fast gänzlich vom Rumpfe trennte. Er erntete dafür das Lob seines weisen Vaters und großen Ruhm.

Bald stießen einzelne Krieger, bald ganze Haufen aufeinander; den Zuschauenden aber wuchs der Mut und ihre Kampfeslust ward immer größer. Mittlerweile hatten die einzelnen Truppenteile, den Weisungen des Hetmans gemäß, rings um das Türkenlager Aufstellung genommen. Er selbst, der seinen Standpunkt hinter dem Fußvolk Koryckis, auf der alten Straße von Jassy gewählt, wo er das ganze ungeheure Lager Husseins überblicken konnte, zeigte in seinem Antlitz jene heitere Ruhe, welche dem Meister in seiner Kunst eigen ist, bevor er an sein Werk geht. Von Zeit zu Zeit sandte er Ordonnanzen mit Befehlen ab, dann schaute er wieder mit sinnendem Blick auf den Verlauf des Gefechtes. Gegen Abend suchte ihn der russinische Wojewode auf.

»Die Schanzen sind so ausgedehnt,« sagte er, »daß es unmöglich ist, sie von allen Seiten zugleich anzugreifen.«

»Morgen sind wir selbst auf diesen Schanzen und übermorgen sind diese Leute in Dreiviertelstunden niedergemacht.«

Die Nacht war mittlerweile angebrochen. Die Plänkler räumten das Feld. Der Hetman befahl sämtlichen Abteilungen, sich in der Dunkelheit den Wällen zu nähern; Hussein suchte dies nach Möglichkeit durch Geschützfeuer zu verhindern, aber ohne Erfolg. – Und gegen Morgen rückten die polnischen Truppen abermals etwas vor. Das Fußvolk ging rasch daran, Brustwehren zu errichten. Einige Regimenter waren schon so weit voran, daß ein guter Musketenschuß sie erreichen konnte, und die Janitscharen eröffneten ein lebhaftes Musketenfeuer. Aber auf den Befehl des Hetmans wurde dies Feuer kaum erwidert. Das Fußvolk rüstete sich zu einem Sturmangriff. Die Mannschaft erwartete nur noch den Befehl, um sich voll Kampfeswut auf den Feind zu stürzen. Ueber ihre weitausgedehnten Reihen hinweg flogen mit Pfeifen und Sausen Kartätschen gleich Schwärmen von Vögeln. Herrn Katskis Geschütze, welche mit dem Grauen des Tages den Kampf eröffnet, hatten bisher auch nicht einen Augenblick ausgesetzt. Erst als die Schlacht vorüber war, konnte man erkennen, welch ungeheure Verwüstung seine Geschosse auf den dicht mit Zelten der Spahis und Janitscharen bedeckten Lagerplätzen angerichtet hatten.

Bis Mittag währte dieser Geschützkampf; man mußte sich der kurzen Novembertage wegen beeilen. Urplötzlich erdröhnten sämtliche Trommeln, Pauken und Krummhörner. Ein furchtbares Hurrageschrei aus fünfzehntausend Kehlen durchschüttelte die Luft, und das Fußvolk, von heraneilender leichter Kavallerie unterstützt, rückte in dichten Massen zum Sturme vor.

»Von fünf Seiten auf einmal hatten Se. Gnaden die Türken angegriffen.« – Johann von Dänemark und Krzyztofor de Rohan, zwei erfahrene Kriegshelden, befehligten die ausländischen Regimenter. Der erste, sehr feurig von Natur, erreichte in grimmigem Sturmlauf die Verschanzungen vor allen andern, war jedoch nahe daran, seinem Regimente, welches er den Salven von über zehntausend Gewehren aussetzte, den Untergang zu bereiten. Er selbst fiel. Seine Truppen begannen zu wanken; doch kam ihnen noch zu rechter Zeit de Rohan zu Hilfe und verhinderte so eine Flucht. In ruhigem Marschtempo, als gehe es zu einer Waffenübung, nach dem Takte der Musik, legte er die ganze Strecke bis zu den türkischen Befestigungen zurück, erwiderte Salve mit Salve, überschritt unter einem Kugelregen als der erste den Schanzgraben, sobald dieser mit Faschinen ausgefüllt war, lüftete seinen Hut vor den Janitscharen und stieß den ersten Fahnenträger mit dem Säbel nieder. Hingerissen durch das Beispiel solch eines Anführers drängten die Soldaten voll Ungestüm vorwärts, und nun entstand ein furchtbarer Kampf, in welchem Mannszucht und Gewandtheit mit der wilden Tapferkeit der Janitscharen rangen.

Von dem Dorfe Tarabanow her führten Tetwin und Doenhoff Dragoner herbei; ein zweites Regiment wurde von Aswer Greben und Haidepol geleitet, alles auserlesene Soldaten, die mit Ausnahme Haidepols sich noch unter Czarniecki in Dänemark unsterblichen Ruhm erworben hatten, großgewachsene, tüchtige Leute, aus den Unterthanen der königlichen Güter erlesen und sowohl für den Kampf zu Fuß als zu Pferde ausgebildet. Das Schanzenthor ihnen gegenüber verteidigten die Jamaks, die irregulären Janitscharen, die ungeachtet ihrer bedeutenden Ueberzahl rasch in Verwirrung gerieten und zu weichen begannen; als es zum Handgemenge kam, verteidigten sie sich nur dann, wenn ihnen zur Flucht kein Raum offen stand. Das Thor, das sie besetzt hatten, wurde zuerst erobert und durch dies Thor konnte die Reiterei zuerst in das Lager eindringen.

An der Spitze des ländlichen polnischen Fußvolkes eröffneten die Herren Kobylecki, Michal Zebrowski, Piotrkowczyk und Galecki den Angriff auf die Wälle von drei anderen Punkten aus. Am schrecklichsten tobte der Kampf an dem Hauptthore, an der Straße von Jassy, wo die Masuren mit den Garden Hussein Paschas zusammenstießen. Der türkische Feldherr hatte die Wichtigkeit dieses Thores, durch welches die polnische Reiterei ins Lager dringen konnte, erkannt und beschlossen, es aufs äußerste zu verteidigen. Immer neue Janitscharen-Abteilungen wurden hier vorgeschoben. Das polnische Land-Fußvolk aber bemächtigte sich des Thores wie auf einen Schlag, und bot dann alle Kräfte auf, um es zu behaupten. Geschützfeuer und Kleingewehrfeuer, ein wahrer Kugelregen sollte es zum Weichen bringen, und überdies brachen aus dem Pulverdampf immer neue, anstürmende Truppen hervor. Ihnen warf sich Herr Kobylecki gleich einem zur Wut gereizten Bären entgegen, noch ehe sie ihr Ziel erreichen konnten. Und nun preßten sich zwei Wälle von lebenden Menschen gegeneinander, mit rasendem Ungestüm vorwärts und rückwärts drängend; Ströme von Blut flossen, und man schritt über Haufen von Leichen. Alle Arten von Waffen wurden gebraucht, Säbel, Dolche, Gewehrkolben, Spaten, Keulen, Messer, ja, man bewarf sich mit Steinen; zuletzt wurde das Gemenge so fürchterlich, daß die Leute einander um den Leib packten und die Fäuste und die Zähne gebrauchten. Hussein versuchte es zweimal, durch die Wucht eines Reiterangriffes die Reihen des Fußvolkes zu durchbrechen, aber jedesmal begegnete dieser Angriff einer so »außerordentlichen Entschlossenheit«, daß die Reiterei in Verwirrung geriet und sich zurückziehen mußte. Dieser Tapferen nahm sich schließlich auch noch Herr Sobieski an und sandte alle Troßknechte des Lagers ihnen zur Hilfe.

Herr Motowidlo führte die Leute. Dieser Pöbelhaufen unter den Soldaten, der sonst für den Kampf nie verwendet wurde, noch Waffen trug, stürzte sich mit solchem Eifer ins Schlachtgewühl, daß selbst des Hetmans Bewunderung dadurch erregt wurde. Möglich, daß Beutegier sie anfeuerte, möglich auch, daß sie von der Begeisterung des ganzen Heeres an jenem Tage miterfaßt wurden – genug, sie griffen die Janitscharen mit solcher Wucht an, und kämpften so ingrimmig, daß diese schon beim ersten Anprall auf Flintenschußweite vom Thor weggedrängt wurden. Wieder warf Hussein neue Regimenter in das Kampfgewühl, und abermals erneuerte sich das Ringen; – und es währte stundenlang. Inzwischen besetzte Herr Korycki mit seinen auserlesenen Regimentern das Thor, und in der Ferne setzten sich die Husaren gleich einem in langsamem Auffliegen begriffenen Riesenvogel in Bewegung und rückten an dasselbe heran.

Um die gleiche Zeit sprengte von der Ostseite des Lagers eine Ordonnanz auf den Hetman zu.

»Der Herr Wojewode von Belzk ist in den Schanzen,« rief er mit atemloser Stimme.

Nach ihm kam eine zweite Ordonnanz:

»Die Herren Hetmans von Litthauen sind in den Schanzen!«

Und wieder kamen andere mit der gleichen Meldung. Es begann allmählich zu dunkeln, aber des Hetmans Antlitz strahlte von Licht. Er wandte sich zu Herrn Bidzinski, welcher in diesem Augenblick neben ihm stand, und sagte:

»Jetzt ist es an der Reiterei, einzugreifen, allein das soll erst morgen geschehen.«

Niemand im polnischen oder im türkischen Heer wußte oder dachte sich, daß der Hetman beabsichtige, den allgemeinen Angriff bis zum nächsten Morgen zu verschieben. Im Gegenteil, die bei den Rittmeistern eingetroffenen Ordonnanzoffiziere brachten den Befehl, sich in steter Kampfbereitschaft zu halten.

Das Fußvolk stand in geschlossenen Reihen da, den Reitern glühten förmlich die Säbel und Lanzen in den Händen. Alles erwartete den Befehl zum Vorrücken mit Ungeduld, denn die Mannschaft war hungrig und durchkältet.

Aber der Befehl kam nicht, und mittlerweile verfloß Stunde auf Stunde. – Die Nacht war schwarz wie ein Trauerflor. Schon um ein Uhr des Tages war Regenwetter eingetreten, gegen Mitternacht erhob sich ein Sturmwind mit eiskaltem Regen und Schnee. Von seinen Stößen gefror das Mark in den Knochen. Mit Mühe nur ließen sich die Pferde auf ihren Standorten halten, und die Menschen waren wie erstarrt. Der stärkste trockene Frost wäre nicht so quälend gewesen, wie dieser schneidende Wind, der Schnee und Regengüsse vor sich herpeitschte. Bei der fortwährenden Erwartung eines Befehles war es unmöglich, an Essen und Trinken oder an Anzünden von Feuer zu denken. Mit jeder Stunde wurde die Lage furchtbarer. Es war dies eine denkwürdige Nacht, »eine Nacht der Qualen und des Zähneklapperns«. Fortwährend hörte man die Stimmen der Rittmeister rufen: »Still stehen! still stehen!« Und die an Mannszucht gewöhnten Soldaten standen still, in völliger Bereitschaft und geduldig. –

Im gegenüberliegenden feindlichen Lager aber standen die vor Kälte erstarrten türkischen Regimenter in Nacht und Regen und Sturm in gleicher Bereitschaft.

Auch bei ihnen war nirgends ein Feuer zu erblicken, niemand aß, niemand trank. Man war jeden Augenblick des Angriffs der gesamten polnischen Reitermacht gewärtig, also legten die Spahis die Säbel nicht aus der Hand, und die Janitscharen standen gleich einer Mauer und hielten ihre Flinten schußbereit. Der abgehärtete polnische Soldat, an einen strengen Winter gewöhnt, vermochte eine derartige Nacht zu überstehen, allein jene Menschen, in Rumeliens mildem Klima oder inmitten der Palmen Kleinasiens auferzogen, litten mehr, als sie auszuhalten vermochten.

Endlich erkannte Hussein, weshalb Sobieski nicht den Befehl zum Angriff gab: dieser eisige Regen war der beste Verbündete der Polen. Es war klar, wenn die Spahis und die Janitscharen zwölf Stunden lang so stehen mußten, so mußte die Kälte sie am nächsten Morgen wie Garben zu Boden werfen; sie würden gar keinen Verteidigungsversuch machen, wenigstens nicht eher, bis das Feuer der Schlacht sie erwärmte.

Sowohl die Polen als die Türken begriffen dies jetzt. – Gegen vier Uhr des Morgens erschienen zwei Paschas bei Hussein, Janisz Pascha und Kiaja, der Anführer der Janitscharen, ein alter, erfahrener und berühmter Kriegsheld. Beider Antlitz war düster und voll Sorge.

»Herr!« nahm Kiaja das Wort, »wenn ›meine Lämmlein‹ bis zum Morgen stehen bleiben müssen, dann bedarf es weder der Kugeln noch des Schwertes mehr gegen sie!«

»Herr!« sprach Janisz Pascha, »meine Spahis erstarren vor Kälte und werden sich am Morgen nicht schlagen können!«

Hussein riß sich am Bart; er sah den Untergang seines Heeres und sein eigenes Verderben voraus, allein, was konnte er thun? Hätte er auch nur für einen Augenblick seinen Leuten gestattet, die Reihen zu brechen, Feuer zu machen und sich an warmen Speisen zu laben, der Angriff wäre sofort erfolgt. Und überdies ließen sich von Zeit zu Zeit in der Nähe der Schanzen Trompeten hören, als ob die Reiterei eben im Begriff sei, vorzugehen.

Kiaja und Janisz Pascha wußten nur einen Rat diesem Mißgeschick gegenüber: nämlich den Angriff nicht abzuwarten, sondern selbst mit aller Macht den Feind anzugreifen. Daß er in Bereitschaft stehe, habe nichts zu sagen, denn weil er selbst anzugreifen gedenke, sei er auf den Angriff nicht gefaßt. Vielleicht gelinge es, ihn aus den Verschanzungen wieder hinauszuwerfen, im schlimmsten Falle aber war bei einem Kampf in der Nacht eine Niederlage nur möglich, bei einem Kampf am nächsten Morgen aber gewiß. Hussein jedoch trug Bedenken, diesem Rat der alten Krieger zu folgen.

»Wie kann dies sein!« sprach er. »Ihr habt das Lager mit Gräben umgeben, weil Ihr darin die einzige Rettung vor dieser höllischen Reiterei sahet, nun aber sollen wir selbst diese Gräben überschreiten und uns dem sicheren Verderben übergeben? Ihr widersprecht jetzt Euren eigenen Vorsichtsmaßregeln und Euren ehemaligen Ratschlägen!«

Und er gab keinen Befehl im Sinn der Paschas. Er ordnete nur an, die Geschütze sollten das feindliche Lager beschießen, worauf Herr Katski sofort eine sehr wirkungsvolle Antwort gab. Immer kälter und einschneidender wurde der Regen, immer furchtbarer heulte und brauste der Sturm, durchdrang die Kleider und Haut und machte das Blut in den Adern gerinnen. So ging diese lange Novembernacht vorüber, während welcher die Kräfte der Verteidiger des Islam mehr und mehr abnahmen und das verzweiflungsvolle Vorgefühl einer Niederlage sich ihrer Herzen bemächtigte.

Bei Tagesanbruch begab sich Janisz Pascha nochmals zu Hussein mit dem Rat, sich in Gefechtsordnung mit dem Heere bis an die Dniesterbrücke zurückzuziehen und dort mit Vorsicht das Kriegsspiel zu beginnen. »Denn,« sagte er, »wenn die Truppen dem Ansturm der Reiterei nicht zu widerstehen vermögen, ist ihnen der Rückzug auf die jenseitige Uferseite durch die Brücke gesichert, und der Fluß gewährt ihnen dann Schutz.« Kiaja, der Anführer der Janitscharen, war dagegen anderer Meinung. Er dachte, für die Befolgung von Janiszs Rat sei es bereits zu spät, und überdies fürchtete er, daß bei einem Rückzugsbefehl das Heer von einer allgemeinen Panik befallen werden würde. Die Spahis, durch die Jamaks unterstützt, sollten den ersten Vorstoß der Reiterei der Ungläubigen aufhalten, und wenn sie dabei alle zu Grunde gehen müßten. Mittlerweile würden ihnen die Janitscharen zu Hilfe kommen, und sei der erste Anprall der Ungläubigen nur einmal gebrochen, so werde Gott weiter Sieg verleihen.

Dies war der Rat Kiajas, und Hussein befolgte ihn.

Die türkische Reiterei wurde also vorgeschoben, die Janitscharen und die Jamaks hinter jenen, nahe den Zelten Husseins aufgestellt. Ihre tiefen Kolonnen gewährten einen gewaltigen und furchteinflößenden Anblick. Der weißbärtige Kiaja, der »Löwe Gottes«, der bisher seine Truppen stets zum Siege geführt, eilte längs ihrer geschlossenen Reihen hin, sie ausrichtend, ihren Mut hebend, indem er sie an frühere Kämpfe und Siege und an ihr noch ungebrochenes Uebergewicht erinnerte. Und ihnen war eine Schlacht lieber als dies unthätige Dastehen und Warten in Unwetter und Regen und Sturm; ihre erstarrten Hände vermochten kaum mehr die Flinten und Speere zu halten, und sie waren froh bei dem Gedanken, sich in der Schlacht erwärmen zu können. Weit weniger war der Angriff dem Wunsch der Spahis gemäß, in erster Reihe darum, weil sie den ersten Stoß aushalten sollten, dann aus dem Grunde, weil in ihren Reihen viele Bewohner Kleinasiens und Aegyptens dienten, welche, für Kälte ungemein empfindlich, nach dieser Nacht halb tot waren. Auch hatten ihre Pferde nicht wenig gelitten, trotzdem sie mit prächtigen Schabraken bedeckt waren; sie standen gesenkten Hauptes da, Dampfwolken aus den Nüstern blasend. Und die Leute selbst mit ihren vor Kälte blauen Gesichtern und dem erloschenen Blick dachten an nichts weniger als an einen Sieg. Sie dachten nur, der Tod sei einer Nacht, wie die verflossene, vorzuziehen, das beste aber wäre es, wenn sie in ihre ferne, von glühend heißer Sonne beschienene Heimat entfliehen könnten.

Im polnischen Heere hatten etwa zwölf Soldaten infolge ungenügender Bekleidung bei Tagesanbruch auf den Wällen den Tod gefunden; im allgemeinen jedoch wurde sowohl das Fußvolk als die Reiterei viel weniger als bei den Türken von der Kälte mitgenommen. Die Hoffnung auf Sieg stählte die Kräfte der polnischen Krieger, und der fast blinde Glaube, wenn der Hetman beschlossen, sie der Unbill des Wetters auszusetzen, so bezwecke das jedenfalls ihr Bestes und zugleich das Verderben der Türken. Aber auch sie begrüßten den ersten Schimmer des anbrechenden Tages mit Freuden.

Um diese Zeit erschien Herr Sobieski an den Schanzen. – Am Himmel zeigte sich an jenem Tage keine Morgenröte, wohl aber auf seinem Antlitz; als er sah, daß der Feind ihn im eigenen Lager angreifen wolle, da wußte er, dieser Tag werde für Mahomed eine furchtbare Niederlage bedeuten. Jetzt ritt er von Regiment zu Regiment und wiederholte die Worte: »Vergeltung für die geschändeten Kirchen! für die Schmähungen gegen die heilige Jungfrau von Kamieniec! für die Schmach, die die Christenheit und die Republik erlitten! für Kamieniec!«

Die Soldaten aber warfen schreckenerregende Blicke auf den Feind, als wollten sie sagen: »Laß uns nur vorgehen, großer Hetman, dann sollst Du sehen!«

Das graue Licht des Morgens wurde heller und heller; immer deutlicher traten aus dem Nebelschleier Reihen von Pferdeköpfen, von menschlichen Gestalten, Lanzen, Standarten hervor; zuletzt wurden auch die Regimenter des Fußvolkes sichtbar. Diese setzten sich zuerst gegen den Feind in Bewegung, und sie schienen zu beiden Seiten der Reiterei wie auf zwei Flüssen durch den Nebel zu schwimmen. Dann folgte leichte Reiterei, die in ihrer Mitte einen Raum freiließ, durch welchen im gegebenen Moment die Husaren zum Angriff vorrücken sollten.

Jeder Führer eines Regimentes, jeder Rittmeister hatte bereits seine Instruktion und kannte seine Aufgabe. Herrn Katskis Geschütze begannen ein gewichtiges Wort zu sprechen und erhielten von türkischer Seite eine entsprechende Antwort. Dann knatterte das Feuer der Musketen, und ein gewaltiger Ruf erscholl durch das ganze Lager. – Der Angriff hatte begonnen.

Die neblige Luft verhinderte den Ausblick, aber der Kampfeslärm drang bis zu der Stelle, wo die Husaren wartend standen. Das Geräusch der Waffen, das Geschrei der Kämpfenden war vernehmbar.

Der Hetman, der bis jetzt bei den Husaren geblieben war und mit dem russinischen Wojewoden gesprochen hatte, verstummte plötzlich und lauschte.

»Das Fußvolk ist bereits mit den Jamaks im Gefecht; in den kleinen Schanzen sind sie schon auseinandergesprengt!« sagte er zu dem Wojewoden.

Nach einiger Zeit wurde das Kleingewehrfeuer schwächer und schwächer; dann krachte plötzlich eine ungeheure Salve, der sehr bald eine zweite folgte. Es war dies ein untrügliches Zeichen, daß die leichte Reiterei die Spahis zurückgedrängt hatte und nun den Janitscharen gegenüberstand.

Der große Hetman gab seinem Roß die Sporen und schoß wie ein Blitz an der Spitze eines Gefolges von etwa zehn Mann nach jener Richtung hin, wo die Schlacht begonnen hatte. Der russinische Wojewode blieb allein zurück an der Spitze von fünfzehn Regimentern Husaren, die, in Schlachtordnung aufgestellt, nur des Zeichens harrten, um vorzusprengen und das Schicksal des Kampfes zu entscheiden.

Sie mußten ziemlich lange warten; mittlerweile aber wurde das Tosen und Dröhnen innerhalb des verschanzten Lagers immer furchtbarer. Das Schwergewicht der Schlacht schien sich bald nach rechts, bald nach links zu wälzen, bald nach der Seite der litthauischen Truppen, bald wieder dorthin, wo der Wojewode von Belzk stand, gerade wie bei einem Gewitter der Donner am Firmamente hin und herrollt. Das Geschützfeuer der Türken wurde unregelmäßig, während Herrn Katskis Batterien mit doppelter Gewalt spielten. Nach Verlauf einer Stunde schien es dem russinischen Wojewoden, als habe sich der Schwerpunkt des Kampfes wieder nach der Mitte gezogen, seinen Husaren gegenüber.

In diesem Augenblick sprengte der große Hetman an der Spitze seines Gefolges herbei. Feuer flammte in seinen Augen. Mit einem Ruck hielt er sein Roß vor dem russinischen Wojewoden an und rief:

»Jetzt vorwärts! Mit Gottes Hilfe!«

»Vorwärts!« schrie der Wojewode.

Und die Rittmeister hinter ihm wiederholten den Befehl. Mit furchtbarem Getöse senkte sich der Wald von Lanzen gegen die Köpfe der Pferde, und fünfzehn Regimenter dieser Reiterei, die gewohnt war, jedes Hindernis auf ihrem Wege niederzuwerfen, setzte sich gleich einer riesigen Wetterwolke in Bewegung.

Seit jener Zeit, da in der dreitägigen Schlacht von Warschau die litthauischen Husaren unter Polubinskis Befehl die gesamte schwedische Armee wie mit einem Keile spaltete und vollständig durchbrach, erinnerte man sich keines ähnlichen, mit solcher Wucht ausgeführten Angriffes. Die Regimenter ritten im Trab vorwärts, aber in einer Entfernung von zweihundert Schritten befahlen die Rittmeister: »Galopp!« und die Mannschaft antwortete auf den Befehl mit dem Rufe: »Hau zu! Nieder mit ihnen!« beugte sich im Sattel vor und jagte davon. Es war in diesen, in geschlossenen Reihen gewittergleich dahinfliegenden Rossen, in diesen stahlgepanzerten Kriegern, in diesen vorgeneigten Lanzen etwas von der Gewalt entfesselter Elemente. Und sie rasten gleich dem Sturme, oder gleich der stürmenden Welle mit Getöse und Brausen dahin.

Unter ihrer Last stöhnte die Erde, und es war offenbar, wenn auch keiner dieser Männer eine Lanze eingelegt, keiner den Säbel gezogen hätte, so würden sie doch durch den wuchtigen Anprall und durch ihr eigenes Schwergewicht alles vor sich her ebenso zerschmettert, niedergeworfen, zusammengebrochen haben, wie die Windhose die Bäume des Waldes zerbricht und zu Boden schleudert.

So stürmten sie denn bis an das blutige, mit Leichen besäte Feld heran, wo die Schlacht tobte. – Auf beiden Flügeln rang die leichte Reiterei mit der türkischen Kavallerie und hatte diese um ein Bedeutendes zurückgedrängt; in der Mitte dagegen standen noch gleich einer unüberwindlichen Mauer Massen von Janitscharen in tiefen Reihen aufgestellt. Schon wiederholt waren die Angriffe einzelner leichter Reiterregimenter an dieser Mauer zerschellt, gleich wie die heranrollende Welle an dem felsigen Ufer zerstiebt. Diese Mauer zu durchbrechen und niederzuwerfen, das war jetzt die Aufgabe der Husaren.

Mehr als zehntausend Janitscharenflinten krachten wie auf einen Schlag, »als ob ein einziger Mann geschossen habe«. Noch einen Augenblick – und die Janitscharen stellen sich fester auf die Füße. Manche schließen die Augen beim Anblick dieses furchtbaren Anmarsches, einigen zittern die Hände, in welchen sie die Lanzen halten, die Herzen aller pochen laut wie Hämmer, sie beißen die Zähne zusammen, atmen mit keuchender Brust. –

Schon sind die Husaren ihnen nahe, man hört das donnerähnliche Schnauben der Rosse – es rast die Vernichtung heran – das Verderben – der Tod!

»Allah! ... Jesus, Maria!« Diese beiden Rufe begegnen sich und vermengen sich in so entsetzlicher Weise, als kämen sie aus keiner menschlichen Brust. Die lebendige Mauer schwankt, giebt nach, bricht. Das scharfe Krachen zerbrechender Lanzen übertönt für einen Augenblick jedes andere Geräusch; dann hört man Eisen knirschen, und es klingt, als ob tausende von Hämmern mit aller Kraft auf Ambose niederfielen, oder tausende von Dreschflegeln auf die Tenne, vereinzelte Aufschreie, Geschrei vieler Stimmen, Stöhnen, Flinten- und Pistolenschüsse, Schreckensgeheul. Angreifer und Angegriffene wirbeln in grausigem, unfaßbarem Toben durcheinander. Ein Gemetzel folgt, und jenem entsetzlichen Chaos entströmt warmes, dampfendes Blut und erfüllt die Luft mit seinem Geruch.

Die ersten, zweiten, dritten, die zehnten Reihen der Janitscharen liegen als Leichen hingestreckt, von Pferdehufen zertreten, von Lanzen zerstochen, von Säbeln zerhauen auf der Erde.

Aber der weißbärtige Kiaja, der »Löwe Gottes«, ruft all seine Leute ins Getümmel der Schlacht. Gleichviel ob sie reihenweise niedersinken wie Aehren im Sturmwind. Sie müssen kämpfen! Wut erfaßt sie, sie atmen den Tod und suchen den Tod. Wenn die geschlossenen Reihen der Pferde sie drängen, beugen, niederwerfen, so stechen sie mit Messern nach den Bäuchen der Tiere. Tausende von Säbeln sausen ohne Unterlaß auf sie ein; blitzgleich leuchten deren Schneiden empor, um auf Häupter, Nacken, Arme niederzufallen; aber Messerhiebe verwunden Beine und Knie der Reiter; die Janitscharen winden sich und beißen wie giftiges Gewürm – sie fallen und rächen sich im Fallen.

Kiaja, der »Löwe Gottes«, wirft immer neue Massen dem Tod in den Rachen, eifert durch seine Rufe immer wieder zum Kampfe an und stürzt sich selbst mit hochgeschwungenem Säbel in das Getümmel. Jetzt stürmt ein riesenhafter, alles um sich her gleich einem Feuer verwüstender Husar auf den weißbärtigen Krieger los, erhebt sich im Bügel, um desto wuchtiger ausfallen zu können und läßt mit furchtbarem Schwunge das Schwert auf das greise Haupt niedersausen. Weder die Parade des Säbels, noch der in Damaskus geschmiedete Ringelpanzer vermochten den Hieb auszuhalten – Kiaja stürzte mit fast bis an die Schultern gespaltenem Kopf zu Boden, wie vom Blitz getroffen.

Herr Nowowiejski, denn er war es, hatte schon zuvor furchtbare Verheerung um sich verbreitet, da niemand seiner Kraft und blinden Wut zu widerstehen vermochte, und jetzt führte er durch die Tötung des alten Helden, welcher bisher allein den erbitterten Kampf aufrecht erhalten hatte, eine entscheidende Wendung in der Schlacht herbei. Die Janitscharen schrien laut auf, als ihr Führer fiel, und gar viele richteten ihre Flintenläufe auf die Brust des jungen Ritters. Er aber wendete ihnen sein finsteres Gesicht zu, und bevor noch andere Ritter sich auf seine Gegner werfen konnten, krachten Schüsse, worauf Nowowiejski sein Pferd anhielt und auf den Sattel zurücksank. Zwei seiner Kameraden faßten den Sinkenden in ihre Arme und sein düsteres Antlitz ward plötzlich von einem Lächeln verklärt, das bisher nicht darauf zu sehen gewesen, die Augen sanken tief in ihre Höhlen, die bleichen Lippen flüsterten Worte, welche in dem Getümmel der Schlacht nicht verständlich waren.

Mittlerweile gerieten auch die letzten Reihen der Janitscharen ins Wanken. Noch einmal versuchte es der tapfere Janisz Pascha, die Schlachtordnung wieder herzustellen, aber ein panischer Schrecken hatte die Leute erfaßt, und alle Bemühungen blieben erfolglos, die mit Ungestüm durchbrochenen, zurückgedrängten, herumgestoßenen, von Schwerthieben hart mitgenommenen Reihen konnten sich nicht wieder ordnen. Schließlich wurden sie vollständig auseinandergesprengt, wie eine übermäßig angespannte Kette plötzlich vollständig zerrissen wird, und den einzelnen Gliedern einer solchen Kette gleich, zerstreuten sich die Leute nach allen Richtungen, indem sie heulten, schrien, die Waffen von sich warfen und mit den Händen den Kopf zu schützen suchten. Von der Reiterei verfolgt, ohne den zur Flucht nötigen freien Raum zu finden, scharten sie sich zeitweise zu einer dichten Masse zusammen, über deren Nacken die Reiter, im Blute watend, dahinstürmten. Dem tapferen Janisz Pascha versetzte der schreckliche Bogenschütze, Herr Muszalski, einen solchen Säbelhieb auf den Nacken, daß ihm das Mark aus dem zerhauenen Rückenwirbel hervorspritzte und sein seidenes Gewand sowie den Schuppenpanzer befleckte.

Die durch das polnische Fußvolk geschlagenen Jamaks und ein Teil der schon zu Beginn der Schlacht zersprengten Reiterei, mit einem Worte, die ganze türkische Schar floh jetzt nach der entgegengesetzten Richtung des Lagers, wo ein schroffer, etwa dreißig Fuß hoher Fels aus einem tiefen Abgrund hervorragte. Dorthin trieb der Schrecken die Rasenden. Viele stürzten sich in den Abgrund, nicht etwa, um dem Tode zu entgehen, sondern um nicht durch die Hand eines Polen zu fallen. Diesen Verzweifelten verlegte der General-Wachtmeister Bidzinski den Weg, aber von der gewaltsam dahinstürmenden Menschenmenge samt seinen Soldaten mit fortgerissen, stürzte er in jenen Abgrund, welcher schon nach kurzer Zeit fast bis zum Rande mit einer Unmasse von Toten, Verwundeten und Erdrückten angefüllt war.

Aus der Tiefe erscholl entsetzliches Stöhnen, die Verunglückten zuckten noch konvulsivisch oder gruben sich während des Todeskampfes die Nägel in das Fleisch. Bis zum Abend ließ sich dieses Stöhnen vernehmen, bis zum Abend währten auch die Zuckungen der Körper, doch immer schwächer, immer unmerklicher wurden sie, und als die Dunkelheit anbrach, hörten sie schließlich ganz auf.

Furchtbar waren die Folgen dieses Husarenangriffes. Achttausend Janitscharen, welche durch das Schwert gefallen waren, lagen an dem die Zelte Hussein Paschas umgebenden Graben, jene ungerechnet, die auf der Flucht geblieben oder in der Tiefe des Abgrundes zu Grunde gegangen waren. Die polnische Reiterei hatte sich der Zelte bemächtigt, Herr Sobieski triumphierte. Schon verkündeten die heiseren Klänge der Hörner und Trompeten den Sieg, als urplötzlich wider Erwarten die Schlacht von neuem entbrannte.

Nach der Niederwerfung der Janitscharen hatte der türkische Feldherr, Hussein Pascha, an der Spitze seiner berittenen Leibwache und des Restes der Reiterei durch das nach Jassy führende Thor entfliehen wollen, aber als ihn daselbst die Schwadronen des Unterfeldherrn Dymitri Wisniowiecki überfielen und ein furchtbares Gemetzel begann, da kehrte er nach dem Lager zurück, um einen anderen Ausgang zu suchen, genau so wie ein im Jagdrevier umzingeltes Tier einen Ausgang sucht, um sich durchzuschleichen. Er führte jedoch diese Wendung mit solcher Wucht aus, daß er im Nu die leichte Reiterei der Semenen zersprengt, das schon zum Teil mit der Plünderung des Lagers beschäftigte Fußvolk in Verwirrung gebracht hatte und bis auf die Länge eines halben Pistolenschusses gegen den Herrn Hetman heransprengen konnte. »Im Lager selbst waren wir schon nahe daran, das Spiel zu verlieren,« schrieb später Herr Sobieski, »und nur der außerordentlichen Entschlossenheit der Husaren ist es zu danken, daß dies verhindert ward.« In der That war auch der Ansturm der Türken ein furchtbarer, da er unter dem Einfluß der größten Verzweiflung erfolgte, – und um so furchtbarer, als er ganz unerwartet kam. Doch die noch von Kampfeseifer entflammten Husaren stürmten mit aller Macht auf den Feind ein. Die Prusinowskische Schwadron rückte zuerst vor und verlegte den Angreifenden auch wirklich den Weg. Dann eilte Skrzetuski mit den Seinen heran. Schließlich kamen Reiter, Fußvolk, Troßknechte, ein jeder wie er ging und stand, alle warfen sich dem Feind mit wahrer Wut entgegen, und es entbrannte eine Schlacht, die wohl ein wenig ungeordnet war, aber der ungestümen Husarenattacke gegen die Janitscharen in keiner Hinsicht etwas nachgab.

Mit bewundernder Anerkennung gedachten die Ritter nach beendigtem Kampfe der Türken, welche, nach dem Anrücken Wisniowieckis und der litthauischen Feldherren von allen Seiten eingeschlossen, sich überaus heldenmütig verteidigten, denn wiewohl der Hetman seinen Untergebenen gestattet hatte, Gefangene zu machen, war es doch kaum möglich, ein Häuflein festzunehmen. Als nun die feindlichen Streitmassen endlich nach halbstündigem Kampfe durch die schwere Reiterei zersprengt und beinahe aufgerieben waren, da verteidigten sich noch einzelne Scharen, und später noch einzelne berittene Türken unter dem fortwährenden Rufe »Allah!« bis zum letzten Atemzug. Gar viele Heldentaten wurden vollführt, deren Andenken immer unter den Nachkommen fortleben wird. Hier tötete der litthauische Unterfeldherr mit eigener Hand einen mächtigen Pascha, welcher Herrn Rudomina, Herrn Kimbar und Herrn Rdultowski niedergemacht hatte. Der Hetman sprengte schnurstracks auf ihn zu und schlug ihm mit einem Hiebe das Haupt ab. Dort warf Herr Sobieski einen Spahi, der eine Pistole auf ihn abfeuerte, angesichts des ganzen Heeres nieder, und Herr Bidzinski, der General-Wachtmeister, der sich trotz erlittener Wunden und Quetschungen wieder aus jenem Abgrunde emporgearbeitet und sogleich in das Getümmel der Schlacht gestürzt hatte, kämpfte, bis er endlich vor Erschöpfung das Bewußtsein verlor. Lange Zeit lag er dann krank darnieder, aber als er nach einigen Monaten seine Gesundheit wieder erlangte, da zog er, zu seinem Ruhme sei es gesagt, abermals in den Krieg.

Von Offizieren niederen Ranges wütete besonders Herr Ruszczyc, welcher sich auf die Reiter warf wie ein Wolf auf eine Schafherde. Viel Verderben säete Herr Skrzetuski, in dessen Nähe seine Söhne wie ergrimmte Löwen kämpften. Voll Trauer und Wehmut sannen später diese Ritter darüber nach, welche Thaten wohl an einem solchen Tage durch den Helden aller Helden, Herrn Wolodyjowski geschehen wären, wenn er nicht schon seit einem Jahre, von des Ruhmes Glanz umstrahlt, in geweihter Erde geruht hätte. Aber andere, aus seiner Schule hervorgegangene Streiter ernteten nicht wenig Ehre zum Preise seines Namens auf diesem blutgetränkten Schlachtfelde.

Außer Herrn Nowowiejski büßten in diesem Kampfe noch zwei von den Chreptiower Rittern ihr Leben ein: Herr Motowidlo und der furchtbare Bogenschütze, Herr Muszalski. Wie eine gefällte Eiche stürzte Herr Motowidlo, dessen Brust von mehreren Kugeln auf einmal durchbohrt ward, zu Boden. Augenzeugen berichteten, er sei von der Hand seiner Heimatsgenossen, der Kosaken, gefallen, welche unter Hohols Führung auf Husseins Seite bis zum letzten Atemzuge gegen das eigene Vaterland und das Christentum gekämpft hatten. Herr Muszalski hingegen erlag – seltsamerweise – einem Pfeile, den ein fliehender türkischer Reiter auf ihn abschoß. Dieser Pfeil durchbohrte seine Kehle gerade in dem Augenblicke, als er, nach der vollständigen Niederlage der Heiden, mit der Hand in den Köcher greifen wollte, um den Fliehenden noch ein paar unfehlbare Todesboten nachzusenden. Nun durfte sich seine Seele mit der Seele Dydinks vereinigen, und sie konnten den auf der türkischen Galeere geschlossenen Freundschaftsbund für alle Ewigkeit erneuern. Die Kameraden aus Chreptiow fanden nach der Schlacht die drei Dahingeschiedenen, von denen sie mit Thränen der Rührung Abschied nahmen, obgleich sie dieselben um den ruhmreichen Tod beneideten, Herr Nowowiejski hatte ein Lächeln auf den Lippen und eine stille Heiterkeit malte sich auf seinem Antlitz, Herr Motowidlo schien ruhig zu schlafen, und Herr Muszalski machte mit seinen gen Himmel gerichteten Augen den Eindruck eines Betenden.

Man bestattete sie auf jenem ruhmreichen Schlachtfelde von Chocim unter einem Felsen, auf dem später, zum ewigen Gedächtnis, ihre drei Namen unterhalb des Kreuzes eingemeißelt wurden.

Der Oberfeldherr des ganzen türkischen Heeres, Hussein Pascha, rettete sein Leben durch die Flucht auf einem flinken anatolischen Pferde, aber nur um dann aus des Sultans eigener Hand die seidene Schnur zu empfangen. Von der glänzenden türkischen Armee gelang es nach deren Niederlage bloß einzelnen kleinen Abteilungen, sich zu retten. Die verschiedenen Schwadronen der Republik konnten sich die letzten Reste der Husseinschen Reiterei derart in die Hände spielen, daß der Unterfeldherr sie dem Oberfeldherrn, dieser sie den litthauischen Hetmans zutrieb, welche ihrerseits die Flüchtlinge wieder dem Unterfeldherrn entgegenjagten, und so ging es fort, bis die Reiter fast alle vernichtet waren. Von den Janitscharen hatte sich fast niemand gerettet. Das ganze ungeheure Lager schwamm in Blut, Regen und Schnee hatten sich damit vermischt und die Toten lagen in solcher Menge umher, daß nur die Kälte, die Raben und Wölfe eine gewöhnlich durch modernde Leichen entstehende Seuche verhinderten. Das polnische Heer ward von solch glühendem Kampfeseifer erfaßt, daß es, obwohl ihm kaum vergönnt gewesen, nach der Schlacht Rast zu machen, die Feste Chocim eroberte. Im feindlichen Lager machten die Soldaten unermeßliche Beute. Hundertundzwanzig Geschütze, dreihundert Fahnen und Banner waren dem Großhetman auf jenem Schlachtfelde in die Hände gefallen, auf dem bereits zum zweitenmal im Laufe des Jahrhunderts die polnischen Waffen einen so glänzenden Triumph davongetragen hatten.

Herr Sobieski selbst bezog das goldstrotzende und mit feinem Linnen ausgestattete Zelt Hussein Paschas und sendete von hier aus die Kunde von dem glorreichen Siege durch Eilboten nach allen Richtungen. Hierauf versammelten sich die Reiterei, das Fußvolk, sämtliche polnische, litthauische, sowie die Kosakenregimenter, und das ganze Kriegsheer stand bald in Schlachtordnung bereit. Ein Dankesgottesdienst wurde abgehalten, und auf demselben Waffenplatze, wo am vorhergegangenen Tage noch die Muezzin ihren Ruf: »Allah, il Allah!« angestimmt hatten, ertönte nun die Hymne: » De Teum laudamus

In Kreuzesform daliegend, hörte der Hetman die Messe und den Lobgesang mit an, und als er sich wieder erhob, flossen Thränen der Freude über sein edles Antlitz. – Bei diesem Anblick brach die ganze, vom Blute noch nicht gereinigte, von den Mühen des Kampfes erschöpfte Ritterschaft dreimal in den begeisterten Ruf aus:

» Vivat Joannes victor!!!«

Zehn Jahre später, als Seine Majestät König Jan III. die türkische Macht bei Wien in den Staub getreten hatte, da erscholl jener Ausruf von Meer zu Meer, von Land zu Land und allüberall auf dem Erdenrund, woselbst die Glocken die Gläubigen zur Andacht riefen.

 

Ende.

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