Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIII

Herr Zagloba wußte sehr wohl, daß der kleine Ritter Krzysia weit mehr zugethan war als Basia, aus diesem Grunde beschloß er, Krzysia aus des Ritters Weg zu entfernen. Da er Wolodyjowskis Natur durch und durch kannte, so war er überzeugt, sobald dieser keine Wahl mehr habe, werde er zu Basia zurückkehren; der alte Edelmann war selbst dermaßen vernarrt in Basia, daß es ihm nicht in den Kopf wollte, wie man ihr eine andere vorziehen könne. Er meinte, einen größeren Dienst könne er Wolodyjowski gar nicht erweisen, als das Zustandebringen einer Heirat zwischen ihm und dem Wildfang. Der Gedanke an diese Ehe entzückte ihn, und er war zornig über Herrn Michal und über Krzysia. Freilich wäre es ihm noch lieber gewesen, Herr Michal heirate Krzysia, als er heirate gar nicht, aber Zagloba hatte sich nun einmal fest vorgenommen, alles daranzusetzen, daß Michal den Wildfang heimführe. Und gerade darum, weil er des kleinen Ritters Neigung für Krzysia kannte, wollte er diese zu Ketlings Gemahlin machen.

Gleichwohl wurde er in seinem Entschlusse wieder etwas wankend, als nach einigen Tagen Skrzetuskis Antwort eintraf. Skrzetuski riet ihm, sich in gar nichts einzumischen, denn sonst könnten große Zerwürfnisse unter den Freunden entstehen. Auch Zagloba wäre dies sehr unerwünscht gewesen, darum suchte er die Vorwürfe, die sich in ihm zu regen begannen, durch nachfolgendes Selbstgespräch zu ersticken:

»Wenn Michal und Krzysia miteinander verlobt wären, und ich hätte Ketling wie einen Keil zwischen sie hineingetrieben, so wäre das etwas anderes. Salomon sagt: ›Stecke Deine Nase nicht in fremde Schätze!‹ Und er hat recht! Aber Wünsche stehen jedermann frei. Und überdies, wenn man es genau nimmt, was habe ich denn gethan? Das soll mir irgend einer sagen!«

Bei diesen Worten stemmte Herr Zagloba die Hände in die Hüften, schob geringschätzig die Unterlippe vor und ließ seine Blicke herausfordernd über die Wände seiner Stube schweifen, als ob er Vorwürfe von ihnen erwarte. Da aber die Wände keine Antwort gaben, so sagte er sich weiter:

»Ich erzählte Ketling, daß ich den Wildfang für Michal bestimmt habe. Ist mir dies vielleicht nicht erlaubt? Ist es nicht wahr? Mag mich das Podagra zwicken, wenn ich dem Michal ein anderes Weib wünsche!«

Die Wände erkannten Zaglobas Recht durch vollständiges Schweigen an, und er fuhr fort: »Ich äußerte dem Wildfang gegenüber, daß Krzysia es dem Ketling angethan habe; ist's etwa nicht wahr? Hat er es nicht selbst gestanden? Hat er nicht, am Feuer sitzend, solche Seufzer ausgestoßen, daß die Asche im Zimmer herumflog? Und was ich selbst gesehen, das erzählte ich auch andern. Skrzetuski hat gesunden Menschenverstand, aber mein Witz ist auch nicht auf den Hund gekommen. Ich weiß selbst, was man sagen kann, und was man nicht sagen kann ... Hm! Da schreibt er, man soll sich in nichts einmengen! Das kann geschehen! Fortan will ich mich so wenig einmengen, daß ich aus dem Zimmer gehe, wenn ich mit Krzysia und Ketling allein darin bin. Sie mögen sich ohne meinen Rat behelfen. Und ich glaube, daß sie dazu sehr wohl im stande sind. Sie bedürfen keiner Hilfe, denn jetzt fühlen sie sich ja so sehr zu einander hingezogen, daß sie für alles andere blind sind.

Ueberdies ist auch der Frühling im Anzug, zu welcher Jahreszeit nicht nur die Sonne warm wird, sondern auch die Leidenschaften sich zu erhitzen beginnen. Wohlan, ich will alles gehen lassen, wie es geht; dann wollen wir sehen, was das für Folgen hat.«

In der That, die Folgen traten bald zu Tage. Während der Charwoche siedelte die ganze Gesellschaft von Ketlings Landsitz nach Warschau über und nahm in dem in der Dlugastraße gelegenen Gasthause Wohnung, um nahe bei den Kirchen zu sein, den Andachtsübungen nach Wunsch obliegen zu können und um sich gleichzeitig an dem lebhaften, feiertäglichen Treiben der Stadt zu ergötzen.

Ketling hatte auch hier die Anordnung und Führung übernommen, denn obwohl er ein Ausländer von Geburt war, kannte er doch die Hauptstadt am besten und hatte überall eine Menge Bekannte, durch deren Vermittlung er alles aufs bequemste einrichten konnte. Er überbot sich in Aufmerksamkeiten und erriet geradezu die Wünsche der Damen, insbesondere die Krzysias.

So gewannen ihn denn alle aufrichtig lieb. Frau Makowiecki, durch Zagloba schon früher aufmerksam gemacht, betrachtete Ketling und Krzysia mit immer wohlwollenderen Augen, und sie brachte die Sache dem jungen Mädchen gegenüber nur darum noch nicht zur Sprache, weil der junge Mann bis jetzt geschwiegen hatte. Es erschien dem braven »Tantchen« als etwas sehr Natürliches und Angemessenes, daß ein Kavalier einem Mädchen zu gefallen bemüht sei, insbesondere ein so ausgezeichneter Kavalier, dem auf Schritt und Tritt Beweise der Achtung und der Freundschaft, sowohl von Niederen als von Hochgestellten entgegengebracht wurden. War er doch durch seine wunderbare Schönheit, durch sein Betragen, seine Würde, Hochherzigkeit, seine Milde in Friedenszeiten und seine Männlichkeit im Krieg so recht befähigt, Aller Herzen zu gewinnen.

»Geschehe, was Gott will und was mein Gemahl beschließt,« sagte die Frau Truchsessin zu sich selbst. »Ich will den Weg dieser Beiden nicht kreuzen.«

Dank dieser Anschauung konnte Ketling jetzt häufiger Krzysia sprechen und länger bei ihr verweilen, als dies in seinem eigenen Hause der Fall gewesen war. Die ganze Gesellschaft ging übrigens meist miteinander aus. Zagloba reichte dabei gewöhnlich der Frau Truchsessin den Arm, Ketling führte Krzysia, und Basia, als die Jüngste, ging allein und eilte entweder weit voraus, oder blieb zurück, weil sie an den Bazaren die Waren betrachten wollte und all die mannigfachen überseeischen Wunderdinge, welche sie noch nie gesehen.

Krzysia gewöhnte sich mehr und mehr an den Verkehr mit Ketling, und wenn sie sich jetzt auf seinen Arm stützte, oder seinen Worten lauschte, oder sein edelgeformtes Antlitz betrachtete, da schlug ihr das Herz nicht mehr wie früher so unruhig in der Brust, die Geistesgegenwart verließ sie nicht mehr, sie wurde nicht mehr von Verwirrung erfaßt, sondern von einem unsäglich süßen, berauschenden Glücksgefühl. Sie waren immer beisammen, knieten nebeneinander in der Kirche, und ihre Stimmen vermischten sich im Gebet und in frommen Gesängen.

Ketling wußte genau, wie es mit seinem Herzen stand. Krzysia, entweder aus Mangel an Mut, oder weil sie sich selbst täuschen wollte, gestand sich's nicht ein, daß sie ihn liebe, aber beide liebten sich sehr. Eine innige Freundschaft verband sie, und abgesehen von aller Liebe hegten sie die höchste Achtung füreinander. Von Liebe hatten sie noch nicht miteinander gesprochen; wie ein Traum verfloß ihnen die Zeit, und heiterer Himmel war über ihnen. Nur zu bald sollten ihn für Krzysia die düsteren Wolken der Selbstvorwürfe verschleiern; aber die Gegenwart war eine Zeit der Ruhe. Gerade durch die Annäherung von Ketling, durch das Vertrautwerden mit ihm, durch seine Freundschaft, die mit der Liebe zugleich zwischen ihnen erblühte, hatte Krzysias Unruhe ein Ende gefunden, war die Gewalt der Eindrücke auf sie eine minder starke geworden und nahm der Zwiespalt zwischen der Erregung ihres Blutes und der Erregung ihrer Phantasie ein Ende. Sie waren einander nahe, und sie freuten sich dieser Nähe; und Krzysia, sich der so angenehmen Gegenwart aus voller Seele hingebend, mochte nicht daran denken, das alles könne jemals ein Ende nehmen, und einige wenige Worte Ketlings, die Worte: »Ich liebe Dich!« würden genügen, diese schönen Träume zu verscheuchen. Und diese Worte wurden bald ausgesprochen. Einmal, als die Frau Truchsessin mit Basia eine kranke Verwandte besuchte, bewog Ketling Krzysia und Herrn Zagloba, mit ihm das königliche Schloß zu besehen, welches Krzysia noch nicht kannte, und über dessen Merkwürdigkeiten im ganzen Lande Wunder verlauteten. Alle drei begaben sich miteinander dorthin. Ketlings Freigebigkeit öffnete ihnen alle Thüren, und Krzysia wurde von den Thürhütern mit so tiefen Verbeugungen begrüßt, als ob sie eine Königin sei, die ihre eigene Residenz betrete. Ketling, der den Palast genau kannte, führte sie in all den herrlichen Sälen und Prunkgemächern umher. Sie besuchten das Theater und die königlichen Baderäume; sie machten vor den Gemälden Halt, welche die siegreichen Schlachten Sigismunds und Wladislaws über die wilden Völkerschaften des Ostens darstellten; sie betraten die Terrassen, von welchen der Blick ein ungeheures Stück des Reiches umfaßte. Krzysia konnte nicht aufhören, alle die Dinge zu bewundern, die er ihr zeigte und erklärte. Von Zeit zu Zeit jedoch verstummte er, und der Blick, mit welchem er in ihre dunkelblauen Augen schaute, schien zu sagen: »Was sind alle diese Wunder im Vergleich mit Dir, Du Wunderbare? Was sind alle diese Schätze im Vergleich mit Dir, Du größter Schatz?«

Das Mädchen aber verstand diese stumme Frage. – Nun führte er sie in eines der königlichen Gemächer und vor eine in der Mauer befindliche geheime Thüre. »Von hier aus,« sprach er, »kann man zur Kathedrale gelangen. Hier beginnt ein langer Korridor, welcher zu einer Loge nächst dem Hauptaltar führt. Von dieser Loge aus hörten der König und die Königin gewöhnlich die Messe.«

»Ich kenne diesen Weg sehr gut,« bemerkte Zagloba, »denn ich war ein Vertrauter des Johann Kasimir und ein auserwählter Liebling der Maria Ludowika; darum luden sie mich oft ein, mit ihnen der Messe beizuwohnen, so daß sie sich zu gleicher Zeit meiner Gesellschaft erfreuen und sich erbauen konnten.«

»Wollen Fräulein eintreten?« fragte Ketling, dem Thürhüter ein Zeichen gebend.

»Treten wir ein!« sagte Krzysia.

»Geht nur allein,« ließ sich Herr Zagloba vernehmen. »Ihr seid jung und habt gesunde Beine; ich aber bin schon lange genug herumgetrottet. Geht nur, geht, ich bleibe hier bei dem Thürhüter. Und selbst wenn Ihr eine Anzahl »Vaterunser« beten wollt, ich werde mich darüber nicht erzürnen, denn während dieser Zeit kann ich mich ausruhen!«

Sie traten ein. Ketling nahm Krzysias Hand und geleitete sie durch einen langen Korridor. Er drückte nicht ihre Hand an sein Herz; er schritt ruhig und gefaßt weiter. Ab und zu erhellten kleine Seitenfenster ihre Gestalten, dann umgab sie wieder Dunkelheit. Krzysias Herz schlug etwas schneller, denn sie waren zum erstenmal ganz allein; aber Ketlings Ruhe und sanftes Wesen wirkten beruhigend auf sie ein. – Sie betraten endlich die zur rechten Seite des Schiffes, nächst dem Hauptaltar befindliche Loge und sie knieten beide nieder und beteten. Die Kirche war still und leer. Zwei Kerzen brannten vor dem Hochaltar, aber der tiefer gelegene Teil des Schiffes war in ein feierliches Halbdunkel gehüllt. Nur von den buntbemalten Scheiben der Fenster fielen farbige Lichter herein und beleuchteten die beiden wundervollen Köpfe, welche, friedlich im Gebet versunken, den Köpfen zweier Cherubim glichen.

Ketling erhob sich zuerst und sagte in einem Flüstertone, denn er wagte nicht, in der Kirche seine Stimme zu erheben: »Schaut, Fräulein, auf diese mit Samt bedeckte Balustrade; sie zeigt die Spuren, wo die Köpfe des königlichen Paares sich anlehnten. Die Königin saß auf dieser Seite, dem Altar am nächsten. Bleibt auf ihrem Platze.«

»Ist es denn wahr, daß sie ihr Leben lang so unglücklich gewesen ist?« flüsterte Krzysia, sich niedersetzend. »Ich hörte ihre Geschichte, als ich noch ein Kind war, denn man erzählte sie sich auf allen Ritterschlössern. Vielleicht war sie unglücklich, weil sie den nicht ehelichen durfte, dem ihr Herz angehörte.«

Krzysia lehnte ihr Haupt an jene Stelle, an der sich die von Maria Ludowikas Haupt herrührende Vertiefung befand und schloß die Augen. Eine schmerzliche Empfindung bewegte jetzt ihre Brust; eine eigentümliche Kälte wehte plötzlich aus der Tiefe des öden Kirchenschiffes herauf und ein Schauer verscheuchte jene Ruhe, die einen Augenblick zuvor ihr ganzes Wesen erfüllt hatte.

Ketling schaute schweigend auf sie; eine wahrhaft kirchliche Stille herrschte. Dann ließ er sich leise zu ihren Füßen nieder und begann mit inniger, aber ruhiger Stimme also zu sprechen:

»Nicht Sünde ist es, wenn ich an heiliger Stätte vor Dir niederknie; denn wo kann treue Liebe besser nach Segen verlangen, als im Gotteshause! Ich liebe Dich mehr als mein Leben; ich liebe Dich mehr als die Gesundheit, mehr als alle irdischen Güter, ich liebe Dich von ganzer Seele und von ganzem Herzen; und ich bekenne Dir meine Liebe hier vor diesem Altar.«

Krzysias Antlitz wurde weiß wie Linnen. Das Haupt an das Samtgeländer gelehnt, blieb das unglückselige Mädchen ganz regungslos. Er aber sprach weiter:

»Ich umfasse Deine Füße und flehe um Entscheidung: soll ich von hier in himmlischem Entzücken scheiden, oder unerträgliches Weh mit mir nehmen, das ich nicht überleben kann?«

Er harrte der Antwort, da jedoch keine erfolgte, senkte er sein Haupt so tief, daß es beinahe Krzysias Füße berührte, und die innere Erregung übermannte ihn mehr und mehr, so daß seine Stimme zitterte, als ob seiner Brust der Atem mangle.

»In Deine Hände lege ich mein Glück, mein Leben. Habe Erbarmen, denn so bang und schwer ist mir zu Mute!«

»Wir wollen Gott um Erbarmen anflehen,« rief Krzysia plötzlich aus, auf die Knie sinkend.

Ketling verstand nicht, was sie meinte; aber er wagte nicht, ihr entgegen zu handeln, darum kniete er neben ihr nieder, von Furcht und Hoffnung bewegt. Wieder begannen sie zu beten. Zuweilen waren ihre Stimmen in der leeren Kirche hörbar, und das Echo gab einen wundersamen und traurigen Klang zurück.

»O Herr, sei mir gnädig!« flehte Krzysia.

»O Herr, sei mir gnädig!« wiederholte Ketling.

»Erbarme Dich unser!«

»Erbarme Dich unser!«

Sie betete still weiter, aber Ketling sah, wie ihre ganze Gestalt von Weinen erschüttert war. Lange währte es, bis sie ruhiger wurde, dann blieb sie bewegungslos auf ihren Knien liegen. Endlich erhob sie sich und sprach: »Laßt uns gehen!«

Sie gingen wieder durch den langen Korridor. Ketling hoffte, unterwegs irgend eine Antwort zu erhalten, und er schaute ihr in die Augen, aber vergebens. Sie beschleunigte ihre Schritte, als wolle sie so bald als möglich das Gemach erreichen, in welchem Herr Zagloba ihrer wartete.

Als sie nur noch zehn Schritte von der Thüre entfernt waren, ergriff der Ritter den Saum ihres Kleides:

»Fräulein Krzysia,« rief er aus, »bei allem, was heilig ist –«

Jetzt wandte sich Krzysia um und ergriff seine Hand so rasch, daß er nichts dagegen thun konnte und drückte sie an ihre Lippen. »Ich liebe Dich mit meiner ganzen Seele; aber ich kann nie die Deine werden!« Und ehe der tief betroffene Ketling auch nur ein Wort zu äußern vermochte, fügte sie hinzu: »Vergeßt alles, was vorgefallen ist.«

Einen Augenblick später befanden sich beide wieder in dem Gemache. In einem Armstuhl schlief der Thürhüter, in dem andern Herr Zagloba. Der Eintritt des jungen Paares weckte sie. – Zagloba, das eine Auge öffnend, begann noch halb schlaftrunken mit demselben zu zwinkern, aber allmählich kehrte ihm die Erinnerung an den Ort und die Menschen um ihn zurück.

»Ah, Ihr seid es!« sagte er, den Gürtel hinunterschiebend. »Ich träumte, der neue König sei erwählt, und es sei ein Piast! – Wart Ihr in der Loge?«

»Ja!«

»Erschien Euch nicht zufällig der Geist der Maria Ludowika?«

»Gewiß!« erwiderte Krzysia in schwermütigem Tone.


 << zurück weiter >>