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XIII

Der Schnee fiel so dicht, daß nicht nur die Gräben um das Standquartier völlig ausgefüllt waren, sondern daß sich auch um den Pallisadenverhau ein förmlicher Wall bildete. Draußen herrschte finstere Nacht, draußen tobte der Sturm, die geräumigste Stube aber in dem Chreptiower Fort erstrahlte in Lichterglanz. Es waren drei Geiger da, von denen zwei die Violine spielten, einer die Baßgeige strich, dann zwei Czekanisten Anmerk. d. Uebersetzerinnen: Czekan: langes, flötenartiges Blasinstrument. und ein Waldhornbläser. Die Geigenspieler strichen so gewaltig darauf los, daß es ihnen bisweilen schwarz vor den Augen wurde, die Czekanisten und der Waldhornbläser strengten sich dermaßen an, daß ihnen fast das Blut aus den Gesichtern spritzte. Auf den längs den Wänden hinlaufenden Bänken hatten, wie graue Tauben, welche die Dachfirste besetzen, die ältesten Offiziere Platz genommen, um, sich an Met und Wein erlabend, dem Tanze zuzusehen. Den Reigen eröffnete der trotz seines vorgerückten Alters ebenso treffliche Tänzer wie Bogenschütze – Herr Muszalski mit Basia. In ihrem silberdurchwirkten, mit Hermelin besetzten Gewande glich sie einer in frischem Schnee frisch erblühten Rose. Alt und Jung bewunderte ihre Holdseligkeit, und der Ruf: »Gott schütze uns« entrang sich unwillkürlich manchen Lippen, denn wenn auch Fräulein Boski und Fräulein Nowowiejski noch sehr jung und von unendlichem Liebreiz waren, standen sie doch hinter Basia zurück. Lust und Freude leuchteten ihr aus den Augen. So oft sie an dem kleinen Ritter vorbeikam, lächelte sie ihm dankend zu, und so dann zwischen den leichtgeöffneten, rosigen Lippen die weißen Zähnchen hervorblitzten, wenn sie in ihrem silberdurchwirkten Gewande so leicht dahinschwebte, einem Sonnenstrahl, einem flimmernden Sternlein vergleichbar, da bezauberte sie Auge und Herz durch ihre zarte, kindliche und doch auch wieder frauenhafte Schönheit.

Ihre weiten Aermel flogen hinter ihr her gleich einem großen Schmetterlinge, sobald sie aber, ihren Rock mit den Fingerspitzen fassend, tief vor ihrem Tänzer knixte, da hätte man glauben können, sie verschwinde, gleich einer Vision, in die Erde, oder wie ein in hellen Sommernächten am Rande der Schluchten plötzlich hervorbrechender Wasserstrahl in den unerforschlichen Gründen einer solchen Schlucht.

Die außenstehenden Wachtposten preßten ihre grimmigen, schnurrbärtigen Gesichter an die Fensterscheiben und blickten, ihre Nasen fast platt drückend, in das Zimmer. Wie freuten sie sich darüber, daß die von ihnen hochverehrte Frau Obristin die andern an Schönheit überstrahlte, und während sie es an spöttischen Bemerkungen über Fräulein Boski und über Fräulein Nowowiejski nicht fehlen ließen, begrüßten sie ihre Frau Kommandantin, sobald sie sich dem Fenster näherte, mit donnernden Jubelrufen.

Wolodyjowski wuchs förmlich vor innerer Befriedigung und gab unwillkürlich mit dem Kopfe den Takt zu Basias Bewegungen an, während Herr Zagloba, einen Krug mit Met an seiner Seite, den Takt mit dem Fuße schlug, wodurch natürlich das edle Naß den Fußboden bespritzte, dann und wann auch schauten sich die beiden in stummem Entzücken an.

Einem glänzenden Irrwisch vergleichbar, schwebte Basia mit immer wachsender Anmut und Fröhlichkeit in der Stube umher. Ja, solch eine Wüstenei konnte man sich schon gefallen lassen! Bald in den Kampf, bald zur Jagd, dann wieder gesellige Freuden – Tanz und Musik! Und dabei diese Menge von Kriegern, und der eigene Gemahl der Bedeutendste unter ihnen, er der Liebende und der Heißgeliebte! Basia empfand es sehr wohl, wie man ihr zugethan war, wie man sie verehrte, bewunderte, sie sah, wie beglückt sich der kleine Ritter darüber fühlte, und so war denn auch sie glückselig wie ein Vogel, der im Frühling, in der herrlichen Maienluft, mit freudigem Gezwitscher, mit lautem Flügelschlag umherflattert.

Als zweites Paar tanzten Azya und die in ein karmesinrotes Gewand gekleidete Ewa Nowowiejski. Der junge Tatar, völlig benommen durch die entzückende Erscheinung Basias, sprach kein Wort mit seiner Tänzerin, diese jedoch, in der Meinung, er sei vor Rührung so stumm, suchte ihm zuerst durch sanften, später durch stärkeren Händedruck Mut einzuflößen. Zeitweise erwiderte zwar Azya den Händedruck in so kräftiger Weise, daß Ewa nur mit Mühe einen Schmerzensschrei unterdrücken konnte – doch that er dies völlig mechanisch, da seine Augen unausgesetzt an Basia hingen, da seine Gedanken nur mit ihr beschäftigt waren, und er im Geiste das schreckliche Gelöbnis wiederholte, sie müsse die Seine werden, selbst wenn darob halb Rus in Flammen aufginge.

Zuweilen, wenn er wieder zu sich selbst kam, wenn er sich der Wirklichkeit wieder bewußt ward, da wandelte ihn die fast unbezwingliche Lust an, Ewa ob dieser Händedrücke, mit denen sie ihn immer aufs neue aus seiner Selbstvergessenheit, aus seinen leidenschaftlichen Traumgebilden riß, am Halse zu packen, zu würgen und sich dann an ihrer Qual zu weiden. Dann hatte es den Anschein, als ob er Fräulein Nowowiejski mit seinem furchterregenden Falkenblick durchbohren wolle, sie aber glaubte in seinen Augen Liebe für sich zu lesen, und ihr Herz begann noch erregter zu pochen.

Das dritte Paar bildeten Adam Nowowiejski und Zosia Boski. Während Zosia, an ein Vergißmeinnicht gemahnend, gesenkten Hauptes tanzte, tobte jener so wild umher wie ein Steppenpferd. Unter seinen schweren Tritten krachte der Boden, wild flogen ihm die Haare umher, eine tiefe Glut bedeckte sein Antlitz, seine Nüstern blähten sich wie die eines türkischen Renners, und wie der Wind das Blatt, so wirbelte er Zosia umher. Helle Lust erfüllte sein Herz, hatte er doch, an den entferntesten Grenzen der Wüstenei lebend, schon seit Monden kein weibliches Wesen erblickt und sich daher sofort sterblich in Zosia verliebt. Sobald aber gar sein Blick auf ihre gesenkten Augen, auf ihre rosenroten Wangen fiel, da wußte er sich nicht vor Entzücken über diesen lieblichen Anblick, da schlug er die Sporen so mächtig zusammen, daß die Funken sprühten, da preßte er das junge Fräulein immer fester an seine breite Brust, da brach er im Uebermaß der Freude in ein gewaltiges Lachen aus, da loderte die Liebesflamme immer mächtiger in ihm empor.

Zosias unschuldsvolles Herzchen ward freilich durch all dies ein wenig eingeschüchtert, aber ihr Schrecken war kein allzugroßer, denn dieser Sturmwind, von dem sie gepackt und fortgerissen ward, erregte keineswegs ihr Mißfallen. Der wahre Drache! In Jaworow hatte sie doch auch schon viele Kavaliere kennen gelernt, doch keiner war so feurig gewesen, keiner hatte so leidenschaftlich getanzt, keiner hatte sie in solcher Weise an sich gedrückt. Fürwahr, ein unbändiger Drache! Was ließ sich ihm gegenüber thun, ihm gegenüber, dem man keinen Widerstand zu leisten vermochte ...

Außer den schon Genannten tanzten noch drei weitere Paare, nämlich drei Offiziere mit Fräulein Kaminski, mit Frau Kieremowicz und mit Frau Neresowicz, von denen die beiden letzteren, trotz ihres bürgerlichen Standes, wegen ihrer feinen Sitten und ihres großen Reichtums zu der Lustbarkeit gebeten worden waren. Der würdige Nowiragh und die beiden Anardraten schauten voll Verwunderung den polnischen Tänzen zu, die Unterhaltung der alten Herren, die dem Met fleißig zusprachen, wurde immer lebhafter und erinnerte an den durch die Heupferdchen aus den Stoppelfeldern hervorgebrachten Lärm, die Musikkapelle überbot sich in ihren Leistungen – kurz, Lust und Vergnügen steigerten sich zusehends.

Plötzlich verließ Basia ihren Tänzer, und ganz atemlos auf ihren Gatten zueilend, faltete sie vor ihm die Hände:

»Michal,« bat sie, »die Soldaten da draußen vor den Fenstern leiden gewiß unter der Kälte, laß ihnen ein Fäßchen anschlagen.«

In seiner unendlich freudigen, gehobenen Stimmung küßte Wolodyjowski die Hände seines jungen Weibes, indem er rief: »Selbst mein Herzblut gäbe ich gern hin, um Deine Wünsche zu erfüllen!«

Hierauf eilte er rasch aus dem Zimmer, um den Soldaten zu verkündigen, auf wessen Fürbitte hin er ihnen ein Faß anschlagen lasse, weil er hoffte, daß sich dadurch deren Anhänglichkeit an Basia noch vergrößern werde, und als sich in Erwiderung darauf ein solches Freudengeschrei erhob, daß der Schnee von den Dächern herabfiel, da rief der kleine Ritter seinen Soldaten noch weiter zu:

»Und laßt auch tüchtig die Musketen knattern zu Ehren der gnädigen Frau.«

In den festlichen Raum zurückkehrend, sah er sein junges Weib mit Azya tanzen. Kaum hatte der Lipker seinen Arm um die süße Gestalt geschlungen, kaum fühlte er die Körperwärme, die von Basia ausging, kaum wehte ihn deren Atem an, so verschwanden seine Augensterne fast gänzlich in ihren Höhlen, alles um ihn her schien vor ihm zu versinken, und im Geiste verzichtete er auf das Paradies, auf die ewige Seligkeit, auf all die himmlischen Freuden. Nichts galten ihm die Houris, nur nach dieser Einen, dieser Einzigen, ging sein Verlangen.

Als indessen Basia während des Tanzes wie im Fluge Ewas rotes Gewand erblickte, da ward sie von Neugierde ergriffen, ob wohl Azya dem jungen Mädchen schon seine Liebe gestanden habe, und sie richtete an diesen die Frage:

»Nun, haben Euer Liebden sich schon erklärt?«

»Nein.«

»Weshalb denn nicht?«

»Weil es noch nicht an der Zeit ist!« entgegnete der Tatar mit einem eigentümlichen Gesichtsausdruck.

»Ihr liebt sie aber doch sehr?«

»Sterben, sterben würde ich für sie!« stieß der Sohn von Tuchay-Bey halblaut mit heiserer, dem Gekrächze eines Raben ähnelnder Stimme hervor.

Dann tanzten sie weiter, als zweites Paar, hinter Adam Nowowiejski, der jetzt mit Zosia die Führung übernommen hatte. Alle andern hatten ihre Tänzerinnen gewechselt, nur er nicht. Auf kurze Zeit gab er Zosia wohl frei, damit sie sich setzen und ein wenig Atem schöpfen konnte, gleich darauf aber raste er mit ihr aufs neue dahin.

Schließlich blieb er vor den Spielleuten stehen und rief, den einen Arm um Zosia geschlungen, den andern in die Seite gestemmt, diesen laut zu:

»Einen Krakowiak, Musikanten! Rasch! Vorwärts!«

Dem Befehl gehorchend, stimmten die Spielleute sofort den Krakowiak an, während Adam Nowowiejski, wild aufstampfend, mit mächtiger Stimme zu singen begann:

Es rieselt die Quelle, die reine,
In den Dniester ergießet sie sich.
So sucht auch mein Herz nur Dich –
Dich nur, Du eine, Du meine!
U – ha!

Und das »U – ha« stieß er, nach Art der Kosaken, so gewaltig hervor, daß Zosia vor Schrecken fast in die Erde versank. Nicht weniger erschrak der in der Nähe stehende, ernste Herr Nowiragh, nicht weniger erschraken die beiden gelahrten Anardraten. Adam aber tanzte rings um das ganze Zimmer, hielt dann wiederum vor den Musikanten an und begann aufs neue aus vollem Herzen zu singen:

Die Quelle, nicht sie verschwindet
In des Dniesters rauschender Flut.
So im Herzen, nunmehr Dein Gut,
Ein Ringlein, ein Ringlein sich findet.
U – ha!

»Sehr hübsche Verse das!« bemerkte nun Herr Zagloba. »Ich verstehe mich darauf, denn ich habe selbst schon viele verfaßt. Nur fleißig gefischt, junger Krieger, nur fleißig gefischt! So Du aber das Ringlein gefischt haben wirst, dann will ich Dir auch eine passende Strophe singen:

Das Mädchen ist wie Zunder,
Ein Feuerstein der Mann.
Man muß nur schlagen munter
Und Funken sprühen dann.
U – ha!

»Vivat, vivat Herr Zagloba!« riefen nun die Offiziere so laut, daß wiederum der würdige Herr Nowiragh und die zwei gelahrten Anardraten erschreckt zusammenfuhren und sich voll Staunen anschauten.

Herr Nowowiejski tanzte jedoch noch zweimal rund um das Zimmer und ließ erst dann die völlig erschöpfte und durch die Kühnheit ihres Tänzers verwirrte Zosia auf eine Bank nieder. Wohl fand sie großes Gefallen an ihm, wohl bewunderte sie seine Männlichkeit, seine Offenheit, sein feuriges Wesen, da sie aber bisher noch nie einen ähnlichen jungen Mann gesehen hatte, bemächtigte sich ihrer eine große Verwirrung, infolgedessen sie mit gesenkten Augen und so schüchtern wie ein unschuldiges Täubchen dasaß.

»Warum sind das gnädige Fräulein so still? Habt Ihr irgend einen Kummer, wie?« fragte Herr Adam unverweilt.

»Ja!« antwortete Zosia mit ihrem dünnen Stimmchen, »mein armer Vater schmachtet ja in der Gefangenschaft.«

»Das thut nichts,« meinte der junge Eisenfresser, »deshalb ist's doch erlaubt, ein Tänzchen zu machen. Sehen das gnädige Fräulein doch einmal in der Stube umher. Wohl dreißig Offiziere sind hier anwesend, und voraussichtlich stirbt kein einziger von ihnen eines natürlichen Todes, sondern endet durch den Pfeil eines Heiden oder in der Sklaverei. Der heute, jener morgen! Fast ein jeder in diesem Grenzgebiete beklagt einen teuern Verlorenen, aber gerade deshalb wollen wir recht fröhlich sein, sonst könnte ja der liebe Gott glauben, man beschwere sich über den Dienst. Ja, ja, gerade deshalb ist ein Tänzchen am Platze. Lächelt doch ein ganz klein wenig, liebwertes Fräulein, und schlagt die Augen auf, damit ich nicht glauben muß, Ihr haßtet mich!«

Die Augen schlug nun Zosia freilich nicht auf, allein um ihre Mundwinkel zuckte es sichtbar, und auf ihren rosigen Wangen zeigten sich zwei reizende Grübchen.

»Haben mich das Fräulein auch ein klein wenig lieb?« fragte nun der junge Krieger.

Worauf Zosia kaum hörbar versetzte:

»Ja ... freilich!«

Diese Worte vernehmend, sprang Herr Adam empor, ergriff Zosias Hände, die er mit Küssen bedeckte, und rief:

»Es ist alles vergeblich, es muß heraus! Ich bin in das gnädige Fräulein sterblich verliebt. Nur das gnädige Fräulein will ich, keine andere! Mein allerschönstes Lieb! Da giebt's keine Rettung, bis zum Tode liebe ich Euch, wohledles Fräulein! Morgen werfe ich mich Eurer Mutter zu Füßen. Ach was, morgen! Heute noch thue ich es, weil ich doch nun die Gewißheit habe, daß Ihr mir gewogen seid.«

Zosias Antwort wurde durch ein dröhnendes Knattern der Musketen übertönt – die Freudenschüsse der Soldaten zu Ehren Basias. Die Scheiben erzitterten, die Wände bebten, und zum drittenmale erschrak der ernste Herr Nowiragh, erschraken die beiden gelahrten Anardraten, denen nun Herr Zagloba die lateinischen Trostesworte sagte:

» Apud dem alten Polen nunquam sine clamore et strepitu gaudia fiunt

Es war, als ob man nur auf das Musketengeknatter gewartet hätte, um sich einer ausgelassenen Fröhlichkeit hinzugeben. Das gemessene Wesen der Edelleute, die ja gewöhnlich der höfischen Sitte huldigten, verwandelte sich mit einemmale in das wilde Gebahren der Steppenbewohner. Die Musik wurde immer rauschender, der Tanz immer stürmischer, feuriger blickten die Augen, eine heiße Glut stieg in den Köpfen auf. Selbst die ältesten der Anwesenden stürzten sich in den Tanz, jeden Augenblick ertönte lautes Freudengeschrei. Man zechte, man tanzte, man brachte Trinksprüche aus, dabei Basias Schuhe als Becher benützend, man gebrauchte die Hacken an Zosias Schuhen als Zielscheibe für die Pistolenschüsse, ja eine solch lärmende Lustbarkeit herrschte bis zum Grauen des Morgens in Chreptiow, daß sich die wilden Tiere auf der angrenzenden Steppe furchtsam in das dichteste Gestrüpp flüchteten.

Da aber dies Fest beinahe am Vorabend des entsetzlichen Krieges mit der türkischen Macht gefeiert wurde, am Vorabend des entsetzlichen Krieges, der über all diese fröhlichen Menschen Tod und Verderben bringen konnte, geriet der ernste Herr Nowiragh, gerieten die beiden Anardraten in große Verwunderung über die polnischen Krieger.


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