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II

Noch vor Sonnenuntergang verabschiedete sich der Ritter von seinem schluchzenden Weibe, das ihn mit einem Kreuze segnete, in welches in Gold gefaßte Splitter von dem heiligen Kreuze eingefügt waren. Und da Herr Kmicic lange Jahre hindurch daran gewöhnt gewesen war, plötzlich aufbrechen zu müssen, jagte er auch jetzt, als es zum Aufbruche kam, in solch rasender Eile davon, als ob es gelte, den mit ihrer Beute fliehenden Tataren nachzusetzen.

Nachdem er Wilna erreicht hatte, begab er sich nach Grodno und Bialystock, um von hier aus nach Siedlec zu ziehen. Als er indessen durch Lukow kam, erfuhr er, daß Tags zuvor Herr und Frau Skrzetuski mit ihren Kindern und mit Herrn Zagloba angekommen seien, und so entschloß er sich, diese aufzusuchen, da er sich mit ihnen besser als mit irgend jemand anderm darüber beraten konnte, was für Herrn Wolodyjowski gethan werden müsse.

Voll Staunen, voll Freude ward er empfangen, kaum hatte er indessen die Ursache seiner Reise auseinandergesetzt, so verwandelte sich die Freude in tiefe Trauer.

Besonders Herr Zagloba zeigte sich den ganzen Tag hindurch untröstlich und vergoß, wie er wenigstens selbst behauptete, an dem Teiche einen solchen Strom von Thränen, daß, um ein Ueberfließen des Wassers zu verhindern, das Schutzbrett geöffnet werden mußte. Sobald er sich jedoch tüchtig ausgeweint hatte, überlegte er alles reiflich und ließ sich bei der Beratung also vernehmen:

»Jan kann nicht weggehen, da er in das Interims-Gericht Anmerk. d. Uebersetzerinnen: Kaptur: Trauerzeit in Polen nach dem Tode des Königs, während welcher die gewöhnlichen Gerichte aufgehoben bleiben und durch ein sogenanntes Interimsgericht vertreten wurden. gewählt worden ist, an dem eine Menge Streitsachen zu erledigen sein werden, denn nach vielen Kriegen giebt es stets zahlreiche unruhige Geister. Aus den Reden des wohledlen Herrn Kmicic aber ist deutlich zu ersehen, daß die Störche in Wodokty überwintern wollen, Ihre Arbeit ist ihnen jetzt schon vorgeschrieben, haben sie doch ganz besondere Pflichten zu erfüllen. Niemand kann sich daher darüber wundern, daß er sich unter solchen Verhältnissen nur ungern von seinem Heime trennt, um eine Reise zu unternehmen, deren Dauer keiner vorauszusagen vermag. Daß er die Fahrt unternommen hat, zeugt von einem gar treuen Herzen, wenn ich aber meine aufrichtige Meinung äußern darf, dann würde ich zu ihm sagen: Kehrt nach Hause zurück, denn Herr Michal bedarf eines Vertrauten, der es sich nicht zu Herzen nimmt, wenn er hart angefahren, wenn er einmal nicht vorgelassen wird. Ein langjähriges gegenseitiges Kennen, eine niemals versagende Geduld sind hier von nöten. Ihr, Euer Gnaden, habt aber nur Freundschaft für Michal, und Freundschaft genügt in solchem Falle nicht. Zürnt mir nicht über meine Worte, Ihr müßt ja selbst zugestehen, daß wir, Jan und ich, ältere Freunde von Michal sind, als Ihr, und daß wir schon gar viele Abenteuer gemeinsam mit ihm bestanden haben. Barmherziger Gott, wie unzählige Male habe ich ihn und er mich aus großer Gefahr errettet.«

»Wie wäre es, wenn ich auf mein Mandat als Landbote Verzicht leisten würde?« warf Herr Skrzetuski fragend ein.

»Jan, es ist ein öffentliches Amt!« bemerkte Zagloba sehr ernst.

»Gott weiß,« sagte nun Skrzetuski bekümmert, »daß ich meinen Vetter Stanislaw wie meinen Bruder liebe, Michal aber steht mir noch näher als ein Bruder!«

»Mir steht er schon deshalb näher als ein leiblicher Bruder, weil ich niemals einen Bruder besessen habe. Doch es ist jetzt nicht an der Zeit, sich über Gefühle auszulassen. Siehst Du, Jan, wenn Michal jetzt erst von dem Unglück betroffen worden wäre, würde ich vielleicht zu Dir sagen: Zum Teufel mit diesem Amt, mache, daß Du fort kommst! Wir müssen aber doch erwägen, wieviel Zeit seitdem schon verstrichen ist, denn Charlamp ist doch inzwischen von Czestochowa nach Samogitien und Herr Andrzej von Samogitien hierher zu uns gekommen. Jetzt handelt es sich nicht nur darum, Michal aufzusuchen, sondern bei ihm zu bleiben, es handelt sich nicht nur darum, mit ihm zu weinen, sondern ihn auf andere Gedanken zu bringen, es handelt sich nicht nur darum, ihm den Gekreuzigten als Vorbild zu zeigen, sondern ihn durch lustige Späße zu erheitern. Wißt Ihr daher, wer zu ihm gehen muß – ich! Und ich gehe auch, so wahr mir Gott helfe. Finde ich ihn in Czestochowa, dann bringe ich ihn hierher, finde ich ihn nicht, so folge ich ihm bis in die Moldau, ja, ich werde, wenn's sein muß, so lange nicht aufhören, ihn zu suchen, so lange ich noch im stande bin, aus eigener Kraft eine Prise Tabak in die Nase zu führen.«

Kaum hatte Herr Zagloba zu Ende gesprochen, so fiel ihm ein jeder der beiden Ritter um den Hals, er aber wehrte, wennschon vor Rührung über das Unglück des Herrn Michal und über die ihm selbst drohenden Mühseligkeiten Thränen vergießend, diese Umarmungen ab, indem er sagte:

»Dankt mir doch nicht wegen Herrn Michal, Ihr steht ihm nicht näher als ich.«

»Nicht wegen Herrn Michal danken wir Euch,« ließ sich nun Kmicic vernehmen, »allein müßte nicht jeder ein Herz von Stein, ein geradezu unmenschliches Herz besitzen, der nicht über Eure Bereitwilligkeit gerührt wäre, einem Freunde einen Dienst zu erweisen, ohne dabei an das eigene Alter zu denken, ohne irgend welche Beschwerden zu scheuen. Andere in Euerm Alter denken nur noch an den warmen Ofen, Ihr aber, wohledler Herr, sprecht von dieser langen Reise, als ob Ihr in meinem oder in Herrn Skrzetuskis Alter stündet.«

Wenn nun aber auch Herr Zagloba kein Geheimniß aus seinem Alter machte, fühlte er sich doch stets peinlich davon berührt, sobald jemand auf die Gebrechen anspielte, welche die Jahre mit sich zu bringen pflegen. Trotzdem daher seine Augen noch rot vom Weinen waren, warf er doch einen scharfen, unzufriedenen Blick auf Kmicic, als er erwiderte:

»Mein liebwerter Herr, als ich in das siebenundsiebenzigste Jahr trat, da überschlich mich ein gewisses Grauen, weil zwei Aexte Anmerk. d. Uebersetzerinnen: Diese Bemerkung bezieht sich auf die axtähnliche Form der Zahl 7. über meinem Nacken hingen, doch kaum hatte ich das achtzigste Jahr hinter mir, da fühlte ich solch frischen Mut, daß ich sogar an eine Heirat dachte. Und wenn eine Heirat zu stande gekommen wäre, würde es noch fraglich gewesen sein, wer zuerst Anlaß zum Prahlen gehabt hätte, Ihr oder ich«

»Prahlen ist zwar nicht meine Sache,« bemerkte Kmicic, »doch hätte ich sicherlich Euer Gnaden den Vorrang lassen müssen.«

»Und ich würde Euch, wohledlen Herrn, ebenso in Verlegenheit versetzt haben, wie ich den Herrn Hetman Potocki in Gegenwart des Königs in Verlegenheit gesetzt habe, als er über mein Alter scherzte. Was that ich? Ich forderte ihn heraus, mit mir um die Wette Purzelbäume zu machen, dann werde sich erweisen, wer dies am längsten hintereinander auszuführen vermöge. Und was geschah? Schon nach drei Purzelbäumen mußte Herr Rewera von den Heiducken hinweggebracht werden, da er sich nicht mehr allein zu erheben vermochte, während ich mich, einen Bogen um ihn machend, wenigstens fünfunddreißig Male überschlug. Befragt nur Herrn Jan darüber, der alles mit eigenen Augen angesehen hat.«

Da Herr Skrzetuski wußte, daß Zagloba schon seit geraumer Zeit die Gewohnheit hatte, ihn bei allen seinen Behauptungen als Augenzeugen anzuführen, ergab er sich, ohne eine Miene zu verziehen, in sein Schicksal und begann von Neuem von Herrn Michal zu sprechen. In tiefes beharrliches Schweigen versunken, schien Zagloba über irgend etwas nachzudenken, und erst nach dem Abendbrote, nach dem er wieder in bessere Stimmung geriet, begann er zu den Gefährten gewendet folgendermaßen:

»Jetzt will ich Euch etwas sagen, auf das ein gewöhnlicher Geist gar nicht gekommen wäre. Ich vertraue auf Gott und glaube, daß unser Michal leichter über seine Kümmernisse hinwegkommen wird, als wir anfänglich gedacht haben.«

»Gott gebe es! Doch seit wann sind Euer Gnaden zu dieser Ansicht gelangt?« fragte Kmicic.

»Hm, dazu gehört eben, abgesehen davon, daß man ein Bekannter von Herrn Michal ist, ein scharfer Verstand, der eine Gabe der Natur ist, und große Erfahrung, die Ihr in Euern Jahren nicht haben könnt. Ein jeder hat wieder andere Eigentümlichkeiten. Bei etlichen Menschen, die vom Unglück betroffen werden, ist es, figuraliter gesprochen, gerade so, als wenn ihr einen Stein in einen Fluß werft. Auf der Oberfläche fließt scheinbar das Wasser bald wieder tacite dahin. Der Stein aber liegt auf dem Grunde, hemmt den natürlichen Lauf, stört ihn, zerreißt ihn, und der Stein bleibt liegen und hemmt und stört so lange, bis sich das Gewässer des Flusses in den Styx ergossen hat. Du, Jan, kannst zu solchen Menschen gezählt werden, zu den Menschen, denen es am schlimmsten auf der Welt geht, weil sie die Erinnerung an das erlittene Leid nicht mehr verläßt. Andere hingegen werden von einem schweren Verlust in der Weise betroffen, als ob sie einen Faustschlag in den Nacken erhalten hätten. Sie verlieren auf kurze Zeit das Bewußtsein, leben aber dann rasch wieder auf, und sobald die blauen Flecken nicht mehr sichtbar sind, ist auch alles vergessen. O, solch eine Natur hat es viel besser auf dieser Welt voll des Elends.«

Aufmerksam lauschten die Ritter den klugen Worten des Herrn Zagloba, und voll Freude darüber, daß man ihm solche Beachtung schenkte, fuhr er fort:

»Ich kenne Michal durch und durch, und Gott ist mein Zeuge, daß ich ihm nichts Schlimmes nachsagen will, allein mich dünkt es, daß er mehr die gescheiterte Heirat als den Verlust jenes Mädchens betrauert. Nicht über dessen Tod ist er in solcher Verzweiflung, wennschon das ein Unglück ist, wennschon das besonders für ihn das größte Unglück ist. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie dieser Mensch sich nach der Heirat sehnte. Er kennt weder Geldgier, noch besitzt er Ehrgeiz oder Habsucht. All sein Hab und Gut hat er im Stich gelassen, sein Vermögen ist so gut wie verloren, an seinen Sold hat er nicht gedacht. Als Belohnung für all seine Mühen, für all seine Dienste hoffte er, daß ihm unser Herrgott, daß ihm die Republik ein Weib bescheeren werde. Ihn verlangte darnach, wie es einen Hungernden nach Brod verlangt, gerade aber, als er seinen Hunger stillen, als er das Brod zum Munde führen wollte, da war es wie weggeblasen, da war es, als ob ihm jemand spottend sagte: Du hast es ja, so iß doch! Was Wunder also, daß er von Verzweiflung ergriffen ward! Ich will nun durchaus nicht behaupten, daß er nicht um das Mädchen trauere, aber so wahr mir Gott lieb ist, er grämt sich weit mehr über das Scheitern der Heirat, wenn er dies auch stets in Abrede stellt!«

»Wollte Gott, es wäre so!« bemerkte Herr Jan.

»Wartet es nur ab! Laßt nur einmal erst die Wunden, die ihm geschlagen wurden, heilen und vernarben, und Ihr werdet es erleben, daß der frühere Wunsch von neuem in ihm rege wird. Periculum liegt eben darin, ob er nicht sub onere der Verzweiflung irgend etwas thut oder beschließt, das er später wieder bereut. Doch was geschehen könnte, ist schon geschehen, denn im Unglück ist ein Entschluß rasch gefaßt. Mein Bürschlein nimmt schon meine Kleider aus dem Schrein und ordnet alles, demzufolge hat meine Rede nicht den Zweck, Euch von der Reise abzuhalten, sondern ich versuchte nur, Euer Liebden Trost zuzusprechen.«

»So wirst denn Du, Väterchen, wieder das Pflästerchen auf Michals Wunde sein!« sagte Skrzetuski.

»Wie ich es auch schon bei Dir gewesen bin. Erinnerst Du Dich dessen? Wenn ich ihn nur bald finde, allein ich befürchte, daß er sich in irgend einer Einsiedelei verborgen hält, oder daß er in den fernen Steppen verschwindet, an die er von Kindheit an gewöhnt ist. Ihr, wohledler Herr Kmicic, habt Euch über mein Alter ausgelassen, ich aber sage Euch, wenn jemals ein Bojar mit einem wichtigen Schreiben sich so rasch vorwärts bewegt, wie ich vorwärts komme, dann laßt mich nach meiner Rückkunft seidene Fäden zupfen, Erbsen schälen oder Flachs spinnen. Keine Unbequemlichkeiten sollen mich aufhalten, keine Gastfreundschaft soll mich verlocken, keine Gasterei soll mich in meiner Reise hemmen! Ich werde so rasch vorwärts kommen, wie Ihr es noch nie in Eurem Leben für möglich erachtet habt. Kaum vermag ich's mehr auf meinem Sitze auszuhalten, mir ist's gerade, als ob jemand unter der Bank liege und mich mit der Ahle bearbeite. Bereits habe ich mir mein Reisehemd mit Ziegenfett einreiben lassen, damit ich gegen Schlangen geschützt bin.«


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