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XI

Herr Michal, welcher jeden Weg einschlagen konnte, den er wollte, begab sich zuvörderst nach Czestochowa an Anusias Grab. Nach einem tief schmerzlichen Thränenerguß fuhr er weiter, aber unter dem Eindruck der neu erwachten Erinnerungen kam ihm der Gedanke, daß das geheime Verlöbnis mit Krzysia doch verfrüht gewesen. Er fühlte, daß der Schmerz, daß der Kummer etwas Heiliges habe, an das man nicht rühren sollte, solange es nicht, dem Nebel gleich gen Himmel emporsteigend, in unendliche Räume verschwindet. Wohl hatten viele andere, welche die Gattin verloren, sich schon nach einem oder zwei Monaten wieder vermählt – aber diese waren auch nicht bei den Camaldulenser Mönchen gewesen, und das Unglück hatte sie nicht nach Jahren banger Erwartung an der Schwelle des Glückes getroffen. Und schließlich, wenn gewöhnliche Leute die Heiligkeit des Schmerzes nicht zu ehren wußten, war es dann angemessen, ihrem Beispiel zu folgen?

Und so, von Gewissensbissen gequält, fuhr Herr Wolodyjowski nach Rus. Indessen war er gerecht genug, sich selbst alle Schuld beizumessen und Krzysia keine zuzuschreiben. Im Gegenteil, zu der Unruhe, welche ihn ergriffen hatte, kam nun noch die Besorgnis, ob Krzysia ihm in ihrem tiefsten Innern diese Eile nicht schlimm auslegen müsse.

»Sie selbst würde sicherlich nicht so gehandelt haben,« sagte sich Herr Michal, »denn da sie eine edle Seele hat, setzt sie unfehlbar bei andern denselben Edelsinn voraus.«

Nun erfaßte ihn die Furcht, in ihren Augen klein zu erscheinen.

Aber diese Furcht war unbegründet. Krzysia kümmerte sich wenig um Herrn Michals Trauer, und wenn er mit ihr zu viel davon sprach, erweckte dies durchaus keine Teilnahme in ihr, ja, es verletzte sogar ihre Eigenliebe. Stand denn sie, die Lebende, der Toten nicht gleich? Oder war sie so unbedeutend, daß die verstorbene Anusia ihre Nebenbuhlerin sein konnte? Wäre Herr Zagloba in das Geheimnis eingeweiht gewesen, so hätte er Herrn Michal zweifellos darüber beruhigt und ihm gesagt, daß die Frauen kein übermäßiges Mitgefühl für einander haben.

Gleichwohl war Fräulein Krzysia nach Wolodyjowskis Abreise einigermaßen erstaunt über das Geschehene und darüber, daß ihr Schicksal nun entschieden war. Auf der Reise nach Warschau, wo sie noch nie zuvor gewesen, hatte sie sich alles ganz anders vorgestellt. Sie hatte geglaubt, für den Reichstag und die Königswahl werde sich daselbst der Hofstaat der Bischöfe und der sonstigen Würdenträger versammeln, eine glänzende Ritterschaft aus allen Gegenden der Republik werde herbeiströmen. Sie hatte an ein lebhaftes Treiben, an Unterhaltungen und Schaustellungen jeder Art gedacht und schon gesehen, wie inmitten dieses Treibens, aus der Ritterschaft hervor, irgend ein unbekannter »Er« trat und sich ihr nahte, irgend ein Ritter, wie er sich sonst nur im Traume einem Jungfräulein zeigt. Sie selbst hatte sich ausgemalt, wie er, in heißer Liebesglut entbrannt, dann mit der Laute vor dem Fenster der Geliebten erscheinen, wie er Kavalkaden veranstalten werde, wie er lange schmachten, lange ihre Farben an seinen Waffen tragen müsse, bevor er endlich nach vielen Leiden und überwundenen Hindernissen zu ihren Füßen niedersinkend, ihre Gegenliebe erringen konnte.

Doch nichts von all dem hatte sich ereignet. Die farbenreichen Nebelgebilde verschwanden, und es trat wohl ein Ritter hervor, der nicht zu den gewöhnlichen zählte, ja sogar für den besten Offizier der Republik galt und ein großer Kavalier war, aber »ihm« nur wenig, oder vielmehr ganz und gar nicht glich. Auch gab es weder Kavalkaden, noch hörte man etwas von Lautenspiel, man sah nichts von Turnieren, von Schaugepränge, von bunten Bändern an einer Waffe, von einem Gewimmel und Gedränge der Ritterschaft, von Unterhaltungen, mit einem Worte nichts von all dem, was wie ein Frühlingstraum, wie ein wundersames, im Zwielicht erzähltes Märchen, wie Blumenduft berauscht und das uns anzieht, wie eine Lockspeise den Vogel anzieht, so daß das Antlitz glüht, das Herz schneller schlägt, der Körper bebt ... da war nur ein kleiner Landsitz außerhalb der Stadt, auf diesem Landsitz wohnte Herr Michal, es war eine gewisse Freundschaft, eine gewisse Vertraulichkeit zwischen ihnen entstanden – rasch, viel zu rasch – und all das, wovon sie geträumt, war dadurch zu nichts geworden, war verschwunden wie der Mond verschwindet, wenn dunkle Wolken ihn verhüllen ... Wäre dieser Herr Wolodyjowski am Ende des Märchens erschienen, hätte sie vielleicht »ihn«, den Ersehnten, in ihm gesehen. Mehr denn einmal, wenn sie an seinen Ruhm, an sein edles Wesen, an seine Tapferkeit dachte, welche ihn zum Stolz der Republik, zum Schrecken seiner Feinde machte, fühlte Krzysia, daß sie ihn bei all dem wahrhaft liebte. Ihr dünkte nur, es sei ihr etwas entgangen, es sei ihr, teilweise durch seine Uebereilung, teilweise aber auch durch ihre eigene Uebereilung, ein gewisses Unrecht zugefügt worden ...

So lastete denn beiden die Uebereilung schwer auf dem Herzen, und nun, da sie von einander getrennt waren, fühlten sie sich mehr und mehr davon niedergedrückt. Gar häufig macht sich in den menschlichen Empfindungen etwas ganz Unbedeutendes doch wie ein kleiner Stachel bemerklich, der entweder nur eine geringe Wirkung hinterläßt, oder ganz tief eindringt und selbst die größte Liebe mit Schmerz und Bitterkeit erfüllt. Aber die Gefühle der beiden waren noch frei von Schmerz und Bitterkeit. Besonders für Herrn Michal hatte die Erinnerung an Krzysia etwas Süßes, Beruhigendes, und der Gedanke an sie verfolgte ihn, wie der Schatten den Menschen verfolgt. Ihn dünkte auch, je weiter er sich von ihr entfernte, desto teurer werde sie ihm, desto mehr sehne er sich nach ihr. Für sie aber kamen nun schwere Tage, denn seit der Abreise des kleinen Ritters erschienen keine Besuche mehr in Ketlings Landhaus, und ein Tag schlich wie der andere in stiller Gleichförmigkeit dahin.

Die Frau Truchsessin erwartete ihren Ehegemahl, zählte die Tage bis zur Königswahl und sprach nur von ihm, Basia ließ den Kopf hängen. Zagloba warf ihr vor, daß sie Herrn Nowowiejski zurückgewiesen habe und sich nun nach ihm sehne. In der That hätte sie gewünscht, wenigstens ihn um sich zu haben, doch er hatte sich gesagt: »Meine Bemühungen hier sind umsonst!« und war kurz nach Wolodyjowski aufgebrochen. Auch Zagloba wollte nicht länger bleiben und sich zu Skrzetuski begeben, denn er sagte, ihn verlange danach, die Kleinen wiederzusehen. Gleichwohl aber verschob er bei seiner Schwerfälligkeit die Abreise von einem Tag zum andern, indem er Basia gegenüber erklärte, sie sei die Ursache seines Zauderns, denn er habe sich in sie verliebt, und beabsichtige, um ihre Hand zu werben.

Mittlerweile leistete er Krzysia Gesellschaft, wenn Frau Makowiecki mit Basia zu der Ehegemahlin des Kämmerers aus Lemberg fuhr. Bei diesen Besuchen begleitete Krzysia sie niemals, da die sonst so treffliche Frau Kämmererin Krzysia nicht leiden mochte. Sehr häufig begab sich auch Herr Zagloba nach Warschau, um dort seine Zeit in lustiger Gesellschaft zu verbringen, und dann kehrte er oft erst am folgenden Tage in angetrunkenem Zustande zurück. War nun Krzysia ganz allein, so verlebte sie die einsamen Stunden, indem sie ein wenig an Herrn Michal dachte und ein wenig darüber nachsann, wie wohl alles gekommen wäre, wenn ihr Schicksal sich nicht gar so rasch entschieden hätte, oftmals aber auch darüber, wie jener unbekannte Nebenbuhler Herrn Michals, der Königssohn aus dem Märchen, wohl aussehen möge ...

So saß sie denn einmal am Fenster und blickte gedankenvoll nach der Thüre, worauf gerade ein Strahl der untergehenden Sonne fiel, als plötzlich das Geläute eines Schlittens von der andern Seite des Hauses herüber drang. Der Gedanke fuhr Krzysia durch den Kopf, Frau Makowiecki und Basia müßten zurückgekehrt sein, doch störte sie dies nicht in ihrem Sinnen, und sie wendete die Augen nicht einmal von der Thür ab. Da ward diese Thür geöffnet und auf der Schwelle in dem Halbdunkel erblickte Krzysia eine fremde Männergestalt.

Im ersten Moment glaubte sie, ein Bild vor sich zu sehen, glaubte sie, sie sei eingeschlummert und träume, so wundervoll dünkte ihr die Erscheinung. Es war ein junger Mann, der eine schwarze, fremdländische Gewandung mit einem weißen, bis über die Schultern reichenden Spitzenkragen trug. In ihrer Kindheit hatte Krzysia einmal den General der königlichen Artillerie, Herrn Arciszewski, in ähnlicher Kleidung gesehen, und sowohl dieses Anzuges als auch seiner außerordentlichen Schönheit wegen hatte sich das Bild des Generals tief in ihr Gedächtnis eingeprägt. Nun war dieser junge Fremde ebenso angethan, und an Schönheit übertraf er nicht nur Herrn Arciszewski, sondern auch alle Männer der Welt. Seine hellen, über der Stirn kurz geschnittenen Haare fielen in dichten Ringeln zu beiden Seiten des geradezu wunderbar schönen Gesichtes herab. Seine dunklen Brauen zeichneten sich scharf auf der marmorweißen Stirne ab, er hatte sanfte, melancholische Augen, einen blonden Schnurrbart und einen spitzigen blonden Kinnbart. Es war ein unvergleichlicher Kopf, der hohen Geistesadel mit Männlichkeit vereinigte – es war der Kopf eines Engels und eines Ritters zugleich. Der Atem stockte Krzysia in der Brust, denn sie traute den eigenen Augen nicht und war sich auch nicht klar darüber, ob sie ein Gebilde ihrer Phantasie oder einen wirklichen Menschen vor sich habe. Unbeweglich stand er eine Weile da, entweder erstaunt über Krzysias Schönheit, oder aus Höflichkeit Erstaunen heuchelnd, schließlich aber trat er vor und verneigte sich, mit dem Hute in der Hand, so tief, daß dessen Federn die Erde berührten. Krzysia erhob sich, aber die Füße schwankten unter ihr und bald errötend, bald erbleichend, schloß sie die Augen.

Nun ließ er sich mit einer weichen, tiefen Stimme vernehmen:

»Ich bin Ketling von Elgin, der Freund und Waffenbruder Herrn Wolodyjowskis. Die Dienerschaft meldete mir schon, daß ich das unaussprechliche Glück und die Ehre habe, die Schwester und Anverwandten meines Palladin unter meinem Dache beherbergen zu dürfen. Doch mögen mir das wohledle Fräulein meine Verwirrung verzeihen, denn das, was meine Augen nun erschauen, schilderte mir die Dienerschaft nicht, und ich bin vollständig geblendet ...«

Mit solch schmeichelhaften Ausdrücken begrüßte der ritterliche Ketling Krzysia, aber sie erwiderte ihm nicht auf gleiche Weise, da sie kein Wort hervorzubringen vermochte. Sie hegte nur die unbestimmte Vermutung, daß er zum zweitenmal eine Verbeugung machte, denn in der Stille hörte sie wieder das Geräusch der den Boden streifenden Federn. Auch fühlte sie, daß es notwendig, dringend notwendig sei, etwas zu sagen und das Kompliment zurückzugeben, um nicht für ungeschickt und thöricht gehalten zu werden, aber dabei stockte ihr der Atem, hämmerten ihre Pulse in den Schläfen und Händen, dabei hob und senkte sich ihre Brust, wie wenn sie unendlich litte. Sie öffnete die Augenlider – er stand vor ihr, das Haupt ein wenig gesenkt, mit dem Ausdruck der Bewunderung und Verehrung auf seinem wunderschönen Gesichte. Krzysias Finger bebten, als sie ihr Kleid faßte, um dem Kavalier wenigstens einen Knix zu machen, da erschollen in diesem Augenblick zum Glück die Rufe: »Ketling! Ketling!« vor der Thüre und mit ausgebreiteten Armen, atemlos stürzte Zagloba in das Gemach herein.

Während die beiden Männer sich umarmten, bemühte sich Krzysia, ihre Fassung wieder zu gewinnen und blickte dabei zuweilen auf den jungen Ritter. Er aber drückte Zagloba herzlich an sich, dabei jenen ungewöhnlichen Adel in jeder Bewegung an den Tag legend, den er entweder von seinen Vorfahren ererbt, oder sich an den verfeinerten Höfen von Königen und Magnaten erworben hatte.

»Wie geht es Dir?« rief Herr Zagloba. »Ich heiße Dich willkommen in Deinem Hause, wie wenn es mein eigenes wäre. Laß Dich jetzt anschauen! Ha! Du bist ganz abgemagert! Vielleicht irgend eine Liebschaft? Bei Gott, Du bist abgemagert! Weißt Du, daß Michal sich wieder zu seiner Fahne gestellt hat? Ein trefflicher Gedanke von Dir, zurückzukommen. An das Kloster denkt Michal gar nicht mehr. Seine Schwester wohnt hier mit zwei Fräuleins. Gar frische, junge Frauenzimmer! Die eine heißt Jeziorkowski, die andere Drohojowski. Um Gottes willen, Fräulein Krzysia ist ja hier. Ich bitte das gnädige Fräulein um Verzeihung, aber möge derjenige erblinden, der die Schönheit von Euch beiden nicht anerkennt, und die Eurige hat dieser Kavalier wohl auch schon wahrgenommen.«

Ketling verneigte sich zum drittenmal und sprach lächelnd:

»Eine Rüstkammer war mein Haus, als ich es verließ, nun aber ist es zum Olymp geworden, denn eine Göttin trat mir auf der Schwelle entgegen.«

»Ketling, wie geht es Dir?« rief Zagloba, der sich mit einer Umarmung nicht zufrieden gab, nun abermals, und wieder zog er den Freund an sich. »Den kleinen Wildfang hast Du aber noch nicht gesehen! Die eine ist schön und die andere ist wie Honigseim, süß wie Honigseim! Wie geht es Dir, Ketling? Gott schenke Dir Gesundheit! Ich werde Dich nun duzen! Einverstanden? Dem Alten ist es mundgerechter so! ... Freust Du Dich über Deine Gäste? Wie? ... Frau Makowiecki ist hier abgestiegen, weil es zur Zeit der Wahlversammlung schwer war, eine Unterkunft zu finden, doch jetzt ist es schon leichter und sie wird sicherlich das Haus räumen, weil es sich nicht schickt, mit jungen Frauenzimmern bei einem Junggesellen zu wohnen. Gar leicht könnte dies von den Leuten falsch beurteilt werden und dadurch irgend ein Gerede entstehen ...«

»Ums Himmels willen! Das darf nicht sein! Ich bin nicht nur Wolodyjowskis Freund, ich bin dessen Bruder und kann daher Frau Makowiecki, als Schwester, ganz gut unter meinem Dache beherbergen. An das gnädige Fräulein hier wende ich mich nun zuerst mit der Bitte um Fürsprache, und wenn es nötig ist, werde ich auf den Knieen darum flehen.«

Bei diesen Worten kniete er vor Krzysia nieder, und ihre Hand ergreifend, drückte er sie an die Lippen. Dabei blickte er wie beschwörend, voll Entzücken und doch auch traurig in ihre Augen, sie aber errötete, vornehmlich da Zagloba sogleich rief:

»Kaum ist er angekommen, so liegt er schon auf den Knieen vor ihr. Bei Gott! Ich sage Frau Makowiecki, daß ich Euch so getroffen habe! ... Nur scharf ins Zeug gegangen, Ketling! ... Das gnädige Fräulein lernt dann auch die höfischen Sitten kennen!«

»Ich bin vollständig unerfahren in den höfischen Sitten!« flüsterte Krzysia in der größten Verwirrung.

»Darf ich auf Ihre Fürsprache hoffen?« fragte Ketling.

»Erheben sich Euer Gnaden doch! ...«

»Darf ich auf Ihre Fürsprache rechnen? Ich bin Herrn Michals Bruder, und sicherlich wird auch er sich verletzt fühlen, wenn die Gnädigen dies Haus verlassen!«

»Meine Wünsche kommen hier gar nicht in Betracht,« erwiderte Krzysia, die jetzt ihre Geistesgegenwart wieder erlangt hatte, »aber für Ihre Wünsche muß ich Ihnen erkenntlich sein.«

»Ich danke!« sagte Ketling, ihre Hand an seine Lippen führend.

»Ha, draußen ist es kalt und Cupido ist nackt, trotzdem glaube ich, daß er in diesem Hause nie erfrieren wird!« rief Zagloba. »Auch sehe ich schon, daß von dem Geseufze allein schon Tauwetter eintreten wird. Ja wohl, von dem Geseufze allein! ...«

»Laßt uns in Frieden, Euer Gnaden!« entgegnete Krzysia.

»Ich danke Gott, daß Euer Gnaden Euern Humor nicht verloren haben,« bemerkte Ketling, »denn Heiterkeit ist ein Zeichen von Gesundheit.«

»Und eines reinen Gewissens, und eines reinen Gewissens!« entgegnete Zagloba. ›Wen es juckt, der kratze sich!‹ sagt der Weise in der Heiligen Schrift! Mich aber juckt es nicht, daher bin ich lustig! Ei! der Tausend! Was erblicken meine Augen? Ich sah Dich doch früher in polnischer Tracht, im Kolpak aus Pantherfell, mit dem Säbel an der Seite, und nun hast Du Dich wieder in eine Art von Engländer verwandelt und stolzierst auf dünnen Beinen wie ein Kranich umher.«

»Ich bin einige Zeit in Kurland gewesen, wo die polnische Tracht nicht üblich ist, und jetzt habe ich zwei Tage bei dem englischen Residenten in Warschau verbracht.«

»Aus Kurland kommst Du also?«

»Ja! Mein Adoptivvater ist gestorben und hat mir eine zweite Besitzung dort hinterlassen.«

»Gott schenke ihm die ewige Ruhe! Ist er Katholik gewesen?«

»Gewiß!«

»Das ist wenigstens ein Trost für Dich. Aber Du wirst uns doch dieses kurländischen Gutes wegen nicht verlassen?«

»Hier will ich leben und sterben!« antwortete Ketling, auf Krzysia blickend.

Sie aber senkte sofort die langen Wimpern.

Erst bei völliger Dunkelheit kehrt Frau Makowiecki zurück und Ketling eilte ihr bis vor das Thor zur Begrüßung entgegen, worauf er sie mit derselben Ehrerbietung in das Haus geleitete, wie wenn sie eine regierende Fürstin gewesen wäre. Sie wollte sich nun am folgenden Tage eine Wohnung in der Stadt suchen, allein ihr Vorhaben stieß auf heftigen Widerstand. Der junge Ritter hörte nicht auf, sie anzuflehen, indem er sich auf sein brüderliches Verhältnis zu Wolodyjowski berief, er kniete so lange vor ihr nieder, bis sie nachgab und versprach, bei ihm wohnen zu bleiben. Nur ward nun der Wunsch ausgesprochen, daß auch Herr Zagloba noch einige Zeit verweile, um durch sein Ansehen und sein Alter die Frauenzimmer vor übler Nachrede zu schützen. Er erklärte sich gerne dazu bereit, da er den »Wildfang« außerordentlich lieb gewonnen und zudem im Geiste allerlei Pläne entworfen hatte, welche notwendig seine Anwesenheit erforderten. Die beiden jungen Frauenzimmer waren nicht wenig erfreut, ja, Basia stellte sich offen auf Ketlings Seite.

»Heute können wir ohnedies nicht mehr in eine andere Wohnung übersiedeln,« sagte sie zu der unschlüssigen Frau Truchsessin, »und dann bleibt es sich ganz gleich, ob es einen Tag oder drei Wochen früher geschieht.«

Ketling gefiel ihr nicht minder, als er Krzysia gefiel, wie er denn überhaupt ein Liebling der Frauen war. Dazu kam, daß Basia bisher noch keine Kavaliere des Auslandes gesehen hatte, mit Ausnahme der Offiziere des fremden Fußvolkes, meist untergeordnete Leute von niederem Range. Demnach ging sie, ihre lockige Mähne schüttelnd und die Nasenflügel fortwährend einziehend, rings um ihn herum und betrachtete ihn voll kindlicher Neugier so aufmerksam, daß sie sich eine leise Rüge von Frau Makowiecki zuzog. Aber trotz dieser Rüge hörte sie nicht auf, ihn mit ihren Augen zu verfolgen, wie wenn sie seine Bedeutung als Soldat ermessen wolle, und schließlich begann sie Herrn Zagloba über ihn auszuforschen.

»Ist er ein berühmter Krieger?« flüsterte sie dem alten Edelmann zu.

»Einen berühmteren giebt es nicht. Siehst Du, er hat auch unendliche Erfahrung, denn von seinem vierzehnten Jahre an kämpfte er, dem wahren Glauben treu bleibend, gegen die englischen Rebellen. Auch ist er ein Edelmann von hoher Geburt, was an seinem Wesen gar leicht zu erkennen ist.«

»Habt Ihr ihn schon im Feuer gesehen?«

»Schon tausendmal! Mitten im Feuer verzieht er keine Miene, klopft seinem Pferde zuweilen auf den Hals und ist sogar bereit, von Liebesangelegenheiten zu reden.«

»Ist es denn Brauch, dann von Liebesangelegenheiten zu reden? Wie?«

»Es ist Brauch, all das zu thun, wodurch man seine Gleichgültigkeit gegen den Kugelregen an den Tag legt.«

»Und im Zweikampfe, ist er da ebenso hervorragend?«

»Traun, einer Horniß ist er zu vergleichen, darüber herrscht kein Zweifel.«

»Könnte er es auch mit Herrn Michal aufnehmen?«

»Ah! Nein, mit Michal könnte er es nicht aufnehmen.«

»Ha!« rief Basia mit freudigem Stolze, »ich wußte, daß er es nicht mit ihm aufnehmen kann! Ich dachte mir sogleich, daß er es nicht mit ihm aufnehmen kann!«

Und sie klatschte in die Hände.

»Sonst bist Du aber doch nie auf Herrn Michals Seite!« bemerkte Zagloba.

Basia schüttelte ihre Mähne und verstummte. Nach einer Weile jedoch hob ein leiser Seufzer ihre Brust.

»Nun ja, ich bin jetzt froh, weil Ketling ein Fremder, er aber einer der Unsrigen ist.«

»Bedenke aber wohl und merke es Dir, kleiner Wildfang,« sagte Zagloba, »daß Ketling, der auf dem Schlachtfelde nicht leicht seinesgleichen findet, für die Frauenzimmer noch gefährlicher ist, da sich alle, seiner Schönheit wegen, leidenschaftlich in ihn verlieben. So ist er denn auch sehr bewandert in Liebesangelegenheiten.«

»Mögen Euer Gnaden dies Krzysia erzählen, denn mir ist jeder Gedanke an Liebesangelegenheiten fern,« und sich zu Fräulein Drohojowski wendend, rief sie: »Krzysia! Krzysia! Auf ein Wort!«

»Hier bin ich!« antwortete Fräulein Drohojowski.

»Herr Zagloba behauptet, daß kein Frauenzimmer Ketling ansieht, ohne sich sofort in ihn zu verlieben. Ich habe ihn nun doch schon von allen Seiten betrachtet und fühle noch nichts, und Du, wie steht es um Dich, empfindest Du schon etwas?«

»Baska! Baska!« sagte Krzysia in ermahnendem Tone.

»Gefällt er Dir? Wie?«

»Verschone mich! Sei doch vernünftig! Meine liebe Basia, sprich doch nicht solchen Unsinn, denn Herr Ketling kommt soeben auf uns zu.«

In der That hatte Krzysia noch nicht Zeit gefunden, sich niederzusetzen, als Ketling herantrat und fragte:

»Ist es gestattet, sich der Gesellschaft anzuschließen?«

»Wir bitten freundlich darum,« erwiderte Fräulein Jeziorkowski,

»Dann darf ich wohl auch die dreiste Frage stellen, wovon die Rede war?«

»Von der Liebe!« rief Basia ohne lange Ueberlegung.

Ketling nahm an Krzysias Seite Platz. Ein kurzes Schweigen folgte, denn Krzysia, die sonst viel Geistesgegenwart und Selbstbeherrschung besaß, ward seltsamerweise in Gegenwart dieses Kavaliers immer von einer gewissen Schüchternheit erfaßt. So begann er denn zuerst wieder:

»Von einem so anziehenden Thema ist also die Rede gewesen?«

»Ja!« erwiderte Fräulein Drohojowski in gedämpftem Tone.

»Ich würde unendlich gerne die Meinung der Gnädigen darüber hören!«

»Verzeihen Euer Gnaden, mir fehlt sowohl der Mut als auch der Geist dazu und ich glaube, ich könnte eher von Euer Gnaden etwas Neues darüber hören.«

»Krzysia hat recht!« warf Zagloba ein. »Laß uns hören.«

»Mögen das gnädige Fräulein eine Frage stellen!« antwortete Ketling.

Und den Blick erhebend, sann er ein wenig nach, dann aber begann er, obwohl niemand eine Frage gestellt hatte, gleichsam wie im Selbstgespräche:

»Die Liebe ist ein schweres Unglück, denn sie macht den freien Menschen zum Sklaven. Wie der vom Pfeile getroffene Vogel zu den Füßen des Jägers niedersinkt, so hat auch der von der Macht der Liebe Getroffene nicht mehr die Kraft, vor der Geliebten zu fliehen ...

Liebe ist ein Gebrechen, denn wie der Blinde, sieht der Liebende nichts in der ganzen Welt außer der Geliebten ...

Liebe bedeutet Traurigkeit, denn wann werden mehr Thränen vergossen, wann schwellen mehr Seufzer die Brust? Wer liebt, findet kein Vergnügen mehr an Putz und Jagd. Er kann stundenlang ruhig dasitzen, die Hände um die Knie geschlungen, in schmerzliches Sinnen versenkt, gleich einem Menschen, der ein ihm nahestehendes teures Wesen verloren hat.

Die Liebe ist eine Krankheit, denn das Antlitz des Liebenden erblaßt in einer Krankheit, seine Augen liegen tief in ihren Höhlen, seine Hände zittern, seine Finger magern ab, und er denkt an den Tod, oder er wandelt in einer Art von Irrsinn mit gesträubten Haaren umher und redet mit dem Monde, er schreibt gerne die lieben Namenszeichen in den Sand, und wenn der Wind sie verweht, dann ruft er: ›Welch ein Unglück!‹ ... und ist nahe daran, in Schluchzen auszubrechen.«

Hier schwieg Ketling eine Weile und man hätte annehmen können, er sei in Gedanken versunken. Atemlos, mit ganzer Seele, als ob sie einen Gesang höre, hatte Krzysia seinen Worten gelauscht. Ihre Lippen waren geöffnet und ihr Blick haftete unablässig auf dem marmorweißen Gesicht des Ritters. Basias Haare waren ihr vollständig bis über die Augen gefallen, daher vermochte man nicht zu erkennen, woran sie dachte, aber auch sie saß ganz stille da.

Doch nun gähnte Herr Zagloba laut, atmete tief auf, streckte die Beine aus und sagte:

»Aus solch einer Liebe kannst Du Stiefel für die Hunde anfertigen lassen.«

»Und gleichwohl,« begann der Ritter wieder, »wenn es auch zuweilen bitter ist, zu lieben, ist es noch bitterer, ohne Liebe zu leben, denn wer findet ohne Liebe Befriedigung an Lustbarkeiten, an Ruhm, Reichtum, Wohlgerüchen oder Kleinodien? ... Wer sagt nicht zu der Geliebten: ›Du giltst mir mehr als ein Königreich, als ein Scepter, als Gesundheit und langes Leben?‹ ... Und weil jedermann mit Freuden sein Leben für die Liebe hingeben wird, darum ist die Liebe auch wertvoller als das Leben ...«

Ketling war zu Ende.

Die jungen Frauenzimmer saßen dicht aneinander gelehnt da, sie bewunderten sowohl seine schwungvolle Sprache, wie auch seine Auslassungen über die Liebe, da sie Aehnliches von polnischen Kavalieren noch nie gehört hatten. Zagloba indessen, welcher schließlich eingeschlummert war, erwachte jetzt und blickte, mit den Augen blinzelnd, von der einen zur andern. Dann, nachdem er sich wieder völlig ermuntert hatte, fragte er mit lauter Stimme:

»Was sagt Ihr?«

»Wir sagen Euer Gnaden gute Nacht!« erwiderte Basia.

»Aha! Ich weiß es jetzt wieder. Wir sprachen von Liebesangelegenheiten. Wie war das Ende?«

»Es war die Rede davon, daß das Unterfutter oft besser als der Mantel sei.«

»Es nützt nichts, zu leugnen, daß der Schlaf mich übermannt hat. Aber man hörte nichts als lieben, seufzen, weinen! Und ich habe noch einen Reim dazu gefunden, und er heißt träumen! ... Für jetzt eignet er sich am besten, denn die Stunde ist schon vorgerückt. Ich wünsche der ganzen Gesellschaft gute Nacht, und mit Eurer Liebe laßt uns in Frieden ... Gott, mein Gott! So lange die Katze miaut, frißt sie den Speck nicht auf, aber der Mund wässert ihr danach ... Seinerzeit bin ich Ketling so ähnlich gewesen, wie ein Becher dem andern, und ich verliebte mich so leidenschaftlich, daß, selbst wenn mein Fell eine Stunde lang bearbeitet worden wäre, ich es kaum empfunden hätte. In meinen alten Tagen indessen möchte ich mich gerne gut ausschlafen, vornehmlich wenn der höfliche Hausherr mir nicht nur das Geleite giebt, sondern mir auch noch einen guten Trunk neben das Kopfkissen stellt.«

»Ich stehe Euer Liebden zu Diensten,« sagte Ketling.

»Kommt! Kommt! Seht nur, wie hoch schon der Mond am Himmel steht. Morgen wird es schön, die Sterne funkeln, und es ist so hell wie am Tage. Ketling wäre im stande, Euch die ganze Nacht von Liebe zu sprechen, aber vergeßt nicht, ihr Zicklein, daß er von der Reise ermüdet ist.«

»Ich bin nicht müde, da ich mich in der Stadt zwei Tage ausruhte. Ich fürchte nur, die Gnädigen sind nicht daran gewöhnt, daß ihr Schlummer verkürzt wird.«

»Die Nacht würde nur zu rasch vorübergehen, wenn wir Euch zuhörten,« antwortete Krzysia.

Hierauf trennten sie sich, denn es war in der That schon spät. Die beiden jungen Frauenzimmer hatten ein gemeinschaftliches Schlafgemach und pflegten gewöhnlich vor dem Einschlafen noch lange zu plaudern, aber an diesem Abend konnte Basia die Freundin nicht zum Sprechen bringen, denn so redelustig die erstere war, so schweigsam war Krzysia, und sie gab nur einsilbige Antworten. Mehrmals, wenn Basia Ketling erwähnte und dabei allerlei zum besten gab, ihn ein wenig verspottete, oder auch nachahmte, da umarmte Krzysia sie mit unendlicher Zärtlichkeit und versuchte, ihren Uebermut zu zügeln.

»Er ist der Hausherr, Basia,« sagte sie, »wir wohnen unter seinem Dache ... und ich sah, daß er Dich sofort liebgewann.«

»Woher weißt Du dies?«

»Wer hätte Dich auch nicht gerne? Alle, alle lieben Dich ... auch ich ... liebe Dich sehr!«

Bei diesen Worten näherte sie ihr schönes Gesicht dem Basias, und sich dicht an sie schmiegend, küßte sie ihre Augen.

Endlich legten sich beide nieder, aber Krzysia fand lange Zeit keinen Schlaf. Eine große Unruhe überkam sie. Zuweilen klopfte ihr Herz so heftig, daß sie beide Hände auf ihren Busen drückte, um diesem Klopfen Einhalt zu thun. Zuweilen auch, vornehmlich wenn sie sich bemühte, die Augen Zu schließen, dünkte ihr, ein traumhaft schönes Antlitz neige sich über sie und eine Stimme flüstere ihr zu:

»Du giltst mir mehr als ein Königreich, als ein Scepter, als Gesundheit, als hohes Alter und langes Leben!«


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