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Erster Teil

I

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An einem schönen Herbsttage saß Herr Andrzej Kmicic unter dem schattigen Dache seines Gartenhauses und zuweilen einen Krug mit Meth an die Lippen setzend, betrachtete er durch das von wildem Hopfen bewachsene Gitterwerk seine Ehegemahlin, welche auf einem sorgfältig gesäuberten Wege vor dem Gartenhause lustwandelte.

Sie war eine ungewöhnlich schöne Frau mit ihren hellen Haaren und den fast engelhaften Zügen, in denen sich Heiterkeit und Frohsinn ausdrückte. Langsam und vorsichtig schritt sie dahin, getragen von der Empfindung, daß Gottes Segen auf ihr ruhe.

Herr Andrzej Kmicic schaute sie mit unendlicher Liebe an. Sein Blick verfolgte sie fortwährend mit der Anhänglichkeit eines treuen Hundes, der seinen Herrn nicht aus den Augen läßt. Manchmal lächelte er, denn große Freude erfüllte sein Herz bei ihrem Anblick, und er drehte wohlgefällig seinen Schnurrbart in die Höhe.

Dabei malte sich aber auch eine gewisse Leichtfertigkeit in seinem Gesichtsausdruck. Offenbar war er ein Kriegsmann, der Vergnügen an allerlei Scherz und Kurzweil fand, und der in seinen Junggesellenjahren viele lustige Streiche gemacht hatte.

Die Stille im Garten wurde nur hie und da durch das Herabfallen einer überreifen Frucht und durch das Summen der Insekten unterbrochen. Es war im Anfang des September und das Wetter schön und beständig. Die Sonne brannte nicht mehr so heiß, sandte aber immer noch goldene Strahlen hernieder. In ihrem Scheine schimmerten rotbackige Aepfel in solcher Fülle unter den graugrünen Blättern hervor, daß die Aeste vollständig davon übersät zu sein schienen. Auch die Zweige der Zwetschenbäume bogen sich förmlich unter der Last der wie mit Wachs überzogenen Früchte.

Ein leichter Windhauch bewegte die an den Bäumen hängenden Sommerfäden, ein so leises Lüftchen, daß nicht einmal die Blätter rauschten.

Vielleicht war es das schöne Wetter, welches Herrn Kmicic so heiter stimmte, denn sein Gesicht wurde immer strahlender. Er that einen langen Zug aus dem Kruge und sagte zu seinem Weibe:

»Olenka, komm hierher! Ich möchte Dir etwas sagen!«

»Sicherlich ist es etwas, das ich nicht gerne höre!«

»So wahr ich Gott liebe, nein! Höre mich an!«

Bei diesen Worten umschlang er sie mit den Armen, drückte seine Lippen auf ihre hellen Haare und flüsterte ihr zu:

»Wenn es ein Knabe ist, soll er Michal heißen.«

Sie aber wendete ihr errötendes Antlitz ab und erwiderte leise:

»Du versprachst mir ja, keine Einwendung gegen den Namen Heraklius zu erheben.«

»Siehst Du, um Wolodyjowski zu ehren« ...

»Sollten wir nicht zuerst das Andenken meines Großvaters ehren?«

»Meines Wohlthäters ... Hm! Du hast recht ... Aber der zweite muß Michal heißen. Anders darf es nicht sein.«

Hier erhob sich Olenka und suchte sich den Armen des Herrn Andrzej zu entwinden, doch sie nur noch fester an sich ziehend, küßte er sie auf Mund und Augen, indem er unablässig sagte:

»O Du mein Schatz, mein geliebtes Herz!«

Ihr Zwiegespräch wurde durch einen Diener unterbrochen, welcher sich am Ende des Weges zeigte und eilig auf das Gartenhaus zulief.

»Was willst Du?« fragte Kmicic, seine Gattin freigebend.

»Herr Charlamp ist soeben angekommen und wartet im Hause,« entgegnete der Diener.

»Hier ist er selbst!« rief Kmicic beim Anblick eines sich der Laube nähernden Mannes – »wie groß sein Schnurrbart geworden ist! Willkommen, lieber Kriegsgefährte! Willkommen, alter Kamerad!«

Bei diesen Worten stürzte er aus der Laube heraus und lief Herrn Charlamp mit ausgebreiteten Armen entgegen.

Herr Charlamp neigte sich zuerst tief vor Olenka, die er in früherer Zeit am Hofe in Kiejdany bei dem fürstlichen Wojwoden aus Wilna gesehen hatte, und drückte ihre Hand an seinen ungewöhnlich großen Schnurrbart; dann aber sank er an die Brust seines Freundes und begann laut zu schluchzen.

»Um Gotteswillen, was ist geschehen?« fragte Herr Kmicic erstaunt.

»Dem einen hat Gott Glück gegeben, dem andern hat er alles genommen!« entgegnete Charlamp. »Den Grund meines Kummers aber kann ich nur Euer Liebden sagen.«

Hier blickte er Frau Kmicic an, und da sie bemerkte, daß er sich auch vor ihr nicht aussprechen wollte, sagte sie zu ihrem Gatten:

»Ich lasse Euch jetzt allein und werde Euch einen frischen Krug Meth schicken« ...

Kmicic zog Herrn Charlamp in das Gartenhaus und nachdem er ihn veranlaßt hatte, auf einer Bank Platz zu nehmen, fragte er:

»Was ist geschehen? Habt Ihr meine Hülfe nötig? Ihr könnt auf mich zählen, wie auf einen Zawisza«. Zawisza, der Schwarze, ein durch seine Tapferkeit und Treue berühmter Ritter, lebte in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Anmerkung der Uebersetzerinnen.

»Um mich handelt es sich nicht,« antwortete der alte Krieger, »und ich habe auch keine Hülfe nötig, so lange diese Hand noch diesen Säbel zu führen vermag, aber unser Freund, der würdigste Kavalier der Republik, ward von schwerem Leid heimgesucht. Ich weiß nicht einmal, ob er jetzt noch atmet.«

»Bei den Wundenmalen des Erlösers! Ist Wolodyjowski etwas zugestoßen?«

»Ja,« entgegnete Charlamp, abermals in einen Strom von Thränen ausbrechend, »wisset denn, daß Fräulein Anna Borzobohata dies Jammerthal verlassen hat.«

»Tot!« schrie Kmicic auf, mit beiden Händen sein Haupt umfassend.

»Ein Vögelchen, das von einem Pfeile getroffen ward!«

Ein tiefes Schweigen folgte. Nichts war zu hören als das schwere Aufschlagen der hie und da herabfallenden Aepfel, nichts als die tiefen Atemzüge des Herrn Charlamp, welcher sich bemühte, sein Schluchzen zu unterdrücken.

Kmicic aber rang die Hände und rief, den Kopf hin und her wiegend:

»Lieber Gott! Lieber Gott! Lieber Gott!«

»Euer Liebden wird sich jetzt nicht mehr über meine Thränen wundern,« sagte schließlich Charlamp, »denn wenn Euer Herz durch die Kunde von dem Unglücksfall allein schon bedrückt ist, wie muß es erst mir sein, der Zeuge ihres Endes und ihrer jedes Maß überschreitenden Leiden gewesen ist.«

In diesem Augenblick kam der Diener zurück, der ein Servirbrett mit einer großen, bauchigen Flasche und einem zweiten Glase trug, und hinter ihm erschien auch Frau Andrzej, welche nun doch ihre Neugierde nicht länger bezwingen konnte. Ihrem Gatten in das Gesicht blickend und dessen tiefe Bekümmernis wahrnehmend, fragte sie:

»Was für eine Kunde habt Ihr gebracht, Euer Gnaden? Verlangt nicht, daß ich mich wieder entferne, ich will Euch trösten, so gut es möglich ist, oder ich will mit Euch weinen, oder ich kann Euch vielleicht irgend einen Rat erteilen.«

»In diesem Falle kannst auch Du nicht Rat schaffen,« antwortete Herr Andrzej. »Und ich fürchte, daß der Kummer Deine Gesundheit schädigen kann.«

Und sie erwiderte:

»Gar viel vermag ich zu ertragen, Ungewißheit aber ist das Schlimmste.«

»Anusia ist tot!« sagte Kmicic.

Olenka erbleichte und ließ sich schwer auf die Bank niedersinken. Kmicic glaubte schon, durch den plötzlichen Schrecken überwältigt sei sie einer Ohnmacht nahe, doch der Schmerz kam sofort zum Ausbruch und sie begann laut zu weinen. Die beiden Ritter folgten ihrem Beispiel.

»Olenka,« sagte Kmicic schließlich, um den Gedanken seines Weibes eine andere Richtung zu geben, »glaubst Du denn nicht, daß sie im Paradiese ist?«

»Ich beklage sie auch nicht, sondern ich traure um sie und über die Verlassenheit Herrn Michals, denn was ihr ewiges Heil anbelangt, so wünschte ich, ich könnte mit der gleichen Zuversicht auf meine ewige Seligkeit bauen, wie ich auf die ihre baue. Ein edleres Mädchen, ein besseres, redlicheres Herz giebt es nicht. O meine Annika! Meine geliebte Annika!«

»Ich bin an ihrem Sterbelager gewesen!« sagte Charlamp. »Gebe Gott einem jeden von uns ein solch seliges Ende.«

Ein tiefes Schweigen folgte. Erst als die Thränen allen ein wenig Erleichterung gebracht hatten, begann Kmicic wieder:

»Erzählt uns, wie die Sache sich zugetragen hat, Euer Gnaden, doch stärkt Euch zuvor ein wenig mit Meth.«

»Ich danke Euch,« entgegnete Charlamp. »Von Zeit zu Zeit werde ich einen Schluck nehmen, falls Euer Liebden mir zutrinkt, denn der Schmerz ergreift nicht nur das Herz, er drückt uns auch die Kehle zusammen wie ein Wolf, und wen er packt, den kann er erdrosseln, wenn nicht Hülfe kommt. Die Sache verhält sich folgendermaßen: Ich wollte mich von Czestochowa aus in meine Heimat begeben, um meine alten Tage in Ruhe zu verleben und mich dort niederzulassen. Das Kriegshandwerk hatte ich satt, denn als junges Bürschlein habe ich es schon ausgeübt und nun ist mein Schnurrbart ergraut. Nur wenn ich ganz und gar nicht stille sitzen könnte, dann zöge ich unter irgend einem Banner ins Feld, aber jene zum Schaden des Vaterlandes und Vorteil des Feindes geschlossenen Kriegsbündnisse, sowie die Bürgerkriege haben mir die Bellona vollständig zum Ekel gemacht ... Lieber Gott! Der Pelikan nährt seine Kinder mit dem eigenen Blute, das ist wahr! Aber unser Vaterland hat schon allzu viel geblutet. Swiderski ist ein großer Kriegsheld gewesen! ... Möge Gott ihn richten!«

»O meine geliebte Anulka!« unterbrach ihn hier Frau Kmicic laut weinend – »was wäre aus mir, was wäre aus uns allen geworden ohne Dich? ... Mein Schutz und Schirm bist Du gewesen! O meine geliebte Anulka!«

Als Charlamp dies vernahm, schluchzte er abermals laut, doch währte es nicht lange, da Kmicic sich an ihn wendete und ihn fragte:

»Und wo seid Ihr mit Wolodyjowski zusammengetroffen?«

»Mit ihm und seiner Verlobten bin ich in Czestochowa zusammengetroffen. Beide machten dort Rast, denn sie wollten vor dem Muttergottesbild ihre Andacht verrichten. Er erzählte mir sogleich, daß er mit seiner Braut von hier komme und daß sie im Begriff stünden, sich nach Krakau zur Fürstin Gryselda Wisniowiecki zu begeben, ohne deren Einwilligung und Segen sich Anusia nicht trauen lassen wolle. An jenem Tage war das Fräulein noch ganz gesund und Herr Michal so vergnügt wie ein Vogel. »Nun,« sagte er, »hat mir Gott eine Belohnung für meine Arbeit gegeben!« – Er prahlte auch nicht wenig (Gott tröste ihn jetzt) und trieb seinen Scherz mit mir, weil wir uns, wie die Herrschaften wissen, dieses Fräuleins wegen seinerzeit einmal zankten und beinahe deshalb einen Zweikampf gehabt hätten. Und wo ist sie nun, die Arme?«

Hier begann Herr Charlamp wiederum laut zu schluchzen, aber wiederum währte es nicht lange, denn Kmicic unterbrach ihn abermals:

»Euer Gnaden sagten doch, Anusia sei an jenem Tage ganz gesund gewesen? Ist es denn so plötzlich gekommen?«

»Ja, plötzlich, ganz plötzlich. Sie wohnte bei Frau Marcin Marcinowa Zamojska, welche zu jener Zeit mit ihrem Gatten in Czestochowa weilte. Wolodyjowski verbrachte den ganzen Tag bei ihr, doch klagte er ein wenig über die Verzögerung, er meinte, es werde ein Jahr werden, bis sie nach Krakau gelangten, da jedermann sie unterwegs aufhalte. Und das ist kein Wunder. Einen Krieger, wie Herrn Wolodyjowsky, bittet jedermann gern zu Gaste, und wer ihn einmal bei sich hat, der läßt ihn nicht wieder los. Er führte mich auch zu seiner Verlobten und drohte mir lachend, mich niederzustoßen, wenn ich ihr von Liebe spräche. Aber sie vergaß die ganze Welt um seinetwillen. Mir ward thatsächlich zuweilen recht schlimm zu Mute bei dem Gedanken, daß ein Mensch wie ich in seinen alten Tagen so ganz allein ist, wie der Nagel in der Wand. Doch was liegt daran! Da plötzlich, einmal zur Nachtzeit, stürzte Wolodyjowski in der größten Bestürzung zu mir herein. »Um Gotteswillen, weißt Du, wo irgend ein Medicus zu finden ist?« »Was ist geschehen?« »Die Kranke kennt niemand mehr!« Auf meine Frage, wann sie erkrankt sei, erwidert er, daß er soeben erst die Nachricht von Frau Zamojska erhalten habe. Und es war spät in der Nacht! Wo sollte jetzt ein Medicus zu finden sein, da nur das Kloster unversehrt geblieben war, und die Stadt mehr Brandstätten als Menschen aufzuweisen hatte. Schließlich fand ich einen Feldscheer, und dieser wollte nicht mit mir gehen! Mit dem Streitkolben mußte ich ihn dazu zwingen. Aber ein Priester war nötiger als der Feldscheer. In der That trafen wir schon einen ehrwürdigen Pauliner an ihrem Lager an, welcher sie durch Gebet wieder zum Bewußtsein brachte, so daß sie das heilige Sakrament empfangen und Abschied von Herrn Michal nehmen konnte. Nach vierundzwanzig Stunden, des Nachmittags, war es um sie geschehen. Der Feldscheer sagte, irgend jemand müsse ihr ein Tränklein eingegeben haben, aber dies ist unwahrscheinlich, da Zauberkünste in Czestochowa keine Wirkung haben. Doch was mit Herrn Wolodyjowski vorging, was er da alles herausschwatzte – nun, ich hoffe nur, daß unser Herr Jesus es ihm nicht auf das Kerbholz schreibt, denn kein Mensch wägt seine Worte lange, wenn der Schmerz ihm das Herz zerreißt ... Wisset denn, Euer Gnaden (hier dämpfte Charlamp die Stimme), daß er in seiner Verzweiflung sogar Gott lästerte!«

»Um's Himmels willen! Er lästerte Gott!« wiederholte Kmicic leise.

»Von ihrem Leichnam stürzte er hinaus in den Flur, von dem Flur in den Hof, und dabei taumelte er wie ein Betrunkener. Er hob die geballten Fäuste gegen den Himmel und rief mit furchtbarer Stimme: »Ist das die Belohnung für meine Wunden, für die erlittenen Mühseligkeiten, für mein Blut, das geflossen ist, für meine Vaterlandsliebe? ... Nur ein einziges Lämmlein hatte ich, (sagte er), und du, o Herr, nahmst es mir. Einen von Waffen starrenden Mann, der in stolzer Selbstgefälligkeit auf Erden wandelt, niederzuwerfen, das ist der Hand Gottes würdig (sagte er), aber eine unschuldige Taube zu erwürgen, das ...«

»Bei den Wundenmalen des Erlösers!« rief Frau Kmicic, »wiederholt nicht alles, was er sagte, Euer Gnaden, damit Ihr kein Unglück über dies Haus heraufbeschwört.«

Charlamp bekreuzigte sich und fuhr fort:

»Der Arme dachte, er habe sich doch große Verdienste erworben, und dies sei nun seine Belohnung. Ach! Gott weiß am besten, was er thut, wennschon Menschenverstand es oft nicht zu fassen, es mit der menschlichen Gerechtigkeit nicht in Einklang zu bringen vermag. Sofort nach diesen Lästerungen ward Herr Michal ganz steif, er fiel zu Boden und der Priester las einen Exorcismus über ihn, damit die von den Lästerungen angelockten bösen Geister nicht in den Unglücklichen hineinfahren konnten.«

»Und ist er bald wieder zum Bewußtsein gekommen?«

»Wohl eine Stunde lag er wie leblos da, dann aber erholte er sich und, in seine Wohnung zurückgekehrt, wollte er niemand sehen. Während des Begräbnisses suchte ich auf ihn einzuwirken. Herr Michal, sage ich, Ihr müßt auf Gott vertrauen! Aber er gab keine Antwort. Drei Tage verweilte ich noch in Czestochowa, denn ich verließ ihn ungern, doch umsonst pochte ich an seine Thüre. Er wollte mich nicht sehen! Ich kämpfte innerlich mit mir. Was war nun zu thun? Sollte ich noch einmal einen Versuch machen, ihn zu sprechen, oder wegfahren? ... Konnte ich solch einen Menschen verlassen, mußte ich ihn nicht zu trösten versuchen? Nachdem ich mich indessen überzeugt hatte, daß nichts zu erreichen war, beschloß ich abzureisen und mich zu Skrzetuski zu begeben. Er ist Herrn Michals bester Freund, und auch Herr Zagloba ist dessen Freund, vielleicht, dachte ich, sind die beiden im stande, günstig auf ihn einzuwirken, besonders Herr Zagloba, der ein kluger Mensch ist und es versteht, die Leute auf andere Gedanken zu bringen.«

»Euer Gnaden sind also bei Skrzetuski gewesen?«

»Ja, aber auch darin ging es mir nicht nach Wunsch, denn er hatte sich mit seiner Gattin und Zagloba nach Kalisz zu dem Herrn Obristen Stanislaw begeben. Ueber den Zeitpunkt ihrer Rückkehr wußte niemand etwas zu sagen. Da dachte ich bei mir: Dein Weg führt Dich ja ohnedies nach Samogitien, Du kannst also bei den Herrschaften einkehren und ihnen erzählen, was sich zugetragen hat.«

»Daß Euer Liebden ein hochachtungswerter Kavalier ist, weiß ich seit langer Zeit,« sagte Kmicic.

»Nicht um mich handelt es sich hier, sondern einzig und allein um Wolodyjowski,« entgegnete Charlamp, »und ich gestehe den gnädigen Herrschaften, daß ich sehr besorgt um ihn bin, weil eine Geistesstörung bei ihm zu befürchten ist.«

»Gott möge ihn davor bewahren!« rief die Ehegemahlin des Herrn Andrzej.

»So ihn Gott davor bewahrt, dann wird er die Mönchskutte anziehen. Ich sage den gnädigen Herrschaften, daß ich noch nie in meinem Leben Zeuge eines solchen Kummers gewesen bin ... Und schade, schade wäre es um einen solchen Soldaten!«

»Weshalb schade? Zum größeren Ruhme Gottes würde das dienen!« bemerkte Frau Kmicic.

Charlamps Barthaare zitterten sichtlich und nachdenklich rieb er sich die Stirn.

»Traun, hochedle Wohlthäterin, das ist nun doch noch sehr die Frage. Bedenkt doch nur, gnädige Herrschaften, wie viele Heiden und Ketzer er in seinem Leben schon vernichtet hat, und damit hat er sicherlich unserem Heiland und dessen gebenedeiter Mutter eine größere Freude erwiesen, als gar mancher Frommer mit seinen Bußwerken. Hm! Dergleichen Dinge geben viel zu denken. Möge ein jeder zum Ruhme Gottes das thun, was er für das Geeignetste hält. Erwägt das Eine, gnädige Herrschaften: Unter den Jesuiten giebt es wohl gar manchen, der klüger ist, als Herr Michal, einen tapfereren Degen als er giebt es aber wohl kaum in der ganzen Republik.«

»So wahr mir Gott lieb ist, so ist es!« rief Kmicic. »Wissen Euer Gnaden, ob er noch in Czestochowa weilt, oder ob er von dannen zog?«

»Als ich mich auf den Weg machte, befand er sich noch dort. Was aber später geschah, weiß ich nicht. Ich kann nur wünschen, daß ihn Gott vor Geistesumnachtung schützen möge, daß er ihn vor Krankheit schützen möge, vor Krankheit, die so oft von Verzweiflung und Kummer hervorgerufen wird – denn er wird allein sein, allein, ohne Beistand, ohne einen Blutsverwandten, ohne Tröster.«

»Möge Dir die heilige Jungfrau in jenem wunderthätigen Orte beistehen, Du treuer Freund!« rief plötzlich Kmicic, »der Du mir so viel Gutes erwiesen hast, daß selbst ein Bruder nicht hätte mehr thun können.«

Ein längeres Schweigen trat ein. Endlich erhob Frau Kmicic, die in tiefes Sinnen versunken da stand, ihr blondes Köpfchen und sagte:

»Andrzej, gedenkst Du noch alles dessen, was wir ihm zu danken haben?«

»Wenn ich dessen jemals vergäße, müßte ich mir die Augen eines Hundes borgen, denn ich dürfte nicht mehr in das Gesicht eines ehrenhaften Menschen blicken.«

»Andrzej, Du kannst ihn nicht einfach seinem Schicksale überlassen!«

»Was soll ich aber thun?«

»Du mußt Dich zu ihm begeben.«

»Aus einem treuen Frauenherzen kommen diese Worte, so spricht ein edles Weib!« rief Charlamp, die Hand von Frau Kmicic ergreifend und sie mit Küssen bedeckend.

Kmicic schien jedoch nicht mit seiner Ehefrau einverstanden zu sein, denn kopfschüttelnd bemerkte er:

»Bis ans Ende der Welt reiste ich um seinetwillen, aber ... Du weißt es ja selbst ... wenn Du ganz wohlauf wärest ... ich sage ja nicht ... aber Du weißt es ja selbst! Gott behüte Dich vor irgend einem Schrecken, vor irgend einem Unfalle! ... Ich würde vor Angst vergehen ... Mein Weib steht mir näher als der beste Freund ... Ich bedaure Herrn Michal unendlich ... aber Du weißt! ...«

»Ich stelle mich in den Schutz der Kriegsväterchen aus Lauda. Hier herrscht jetzt Ruhe, und von jeder geringfügigen Ursache lasse ich mich nicht in Schrecken versetzen. Ohne den Willen Gottes wird mir kein Haar auf meinem Haupte gekrümmt werden ... Herr Michal aber bedarf vielleicht des Beistandes ...«

»O, er bedarf des Beistandes!« warf Charlamp ein.

»Höre, Andrzej! Ich fühle mich ganz wohl. Kein Mensch wird mir ein Leid zufügen ... Ich weiß, wie ungern Du fortgehst ... aber ...«

»Ich zöge es vor, Kanonen mit einer Ofenbrücke zu stürmen!« unterbrach sie Kmicic.

»Und wenn Du bleibst! Glaubst Du nicht, daß es für immer ein bitterer Gedanke für Dich sein wird, wenn Du Dir sagen mußt: Ich habe den Freund im Stiche gelassen! Und könnte nicht unser Herrgott in seinem Zorn seine Gnade von uns wenden?«

»Wie Du mir zusetzest! Du sagst, Er könnte seine Gnade von uns wenden! Das ängstigt mich!«

»Es ist eine heilige Pflicht, einen Freund wie Herrn Michal zu retten.«

»Ich bin Michal von ganzem Herzen zugethan. Eine schwierige, schwierige Lage! Wenn Hülfe nötig ist, dann muß rasch geholfen werden, denn jede Stunde ist hier von Bedeutung! Ich gehe sofort in den Stall ... Bei dem lebendigen Gott, giebt es denn keinen anderen Ausweg? Der Teufel selbst scheint es Herrn Jan und Zagloba in den Kopf gesetzt zu haben, sich nach Kalisz zu begeben. Nicht an mich denke ich dabei, nein, nur an Dich denke ich, Geliebteste! Weit leichter büßte ich all mein Hab und Gut ein, als daß ich Dich einen Tag missen möchte. Einem jeden würde ich mein Schwert bis an den Griff in die Kehle stoßen, der behaupten wollte, ich verließe Dich jemals aus einem anderen Grunde, als daß die Republik meiner Dienste bedürfe. Du sprichst von meiner Pflicht ... Mag es denn sein! Nur ein Nichtswürdiger kann hier noch zaudern. Und trotzdem, wenn es nicht Michal wäre, würde ich es doch nicht thun.«

Nun wandte er sich zu Charlamp.

»Hochedler Herr!« sagte er, »folget mir in den Stall. Wir wollen die Pferde auswählen. Du, Olenka, kannst inzwischen den Befehl erteilen, daß alles für die Reise vorbereitet werde. Etliche der Leute aus Lauda können die Drescher beaufsichtigen. Ihr müßt wenigstens vierzehn Tage bei uns verweilen, Herr Charlamp, und könnt daher statt meiner für mein Weib Sorge tragen. Vielleicht findet Ihr auch hier in der Umgegend ein geeignetes Besitztum für Euch. Uebernehmt doch Lubisz! Wie? Kommt mit in den Stall, hochedler Herr! Längstens in einer Stunde bin ich auf dem Wege. Was sein muß, muß sein!«


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