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XII

Einige Tage später schrieb Zagloba an Skrzetuski einen Brief, dessen Schluß folgendermaßen lautete:

»Wenn ich vor der Königswahl nicht nach Hause komme, so wundert Euch nicht darüber. Es geschieht sicherlich nicht aus Mangel an Freundschaft für Euch, aber da der Teufel einmal los ist, möchte ich es verhindern, daß mir statt eines Vogels etwas Häßliches in der Hand bleibt. Es wäre ja schlimm, wenn ich Michal nach seiner Rückkehr nicht sagen könnte: ›die Eine ist schon versprochen, der kleine Wildfang aber ist noch vakant!‹ Alles steht in Gottes Hand, aber ich glaube, es wird dann nicht nötig sein, Michal noch anzutreiben oder große praeparationes zu machen, und Ihr könnt dann zum Verlöbnis hierherkommen. Gleich Ulysses muß ich indessen erst gewisse Kunstgriffe anwenden und zuweilen recht übertreiben, was mir gar nicht leicht fällt, denn mein ganzes Leben hindurch habe ich die Wahrheit über alles gesetzt und sie stets in Ehren gehalten. Michal und dem kleinen Wildfang zu lieb will ich mich aber diesmal selbst bezwingen, denn sie haben Herzen wie Gold. Und nun umarme ich Euch beide samt den Kleinen und drücke Euch ans Herz, indem ich Euch dem Schutze des Allmächtigen anempfehle.«

Nachdem Zagloba seinen Brief beendigt, Sand darüber gestreut und mit der Hand wieder abgeklopft hatte, überlas er das Geschriebene nochmals, es ziemlich weit von den Augen haltend. Dann faltete er das Blatt zusammen, befeuchtete seinen Siegelring, nahm ihn vom Finger und stand gerade im Begriff, das Siegel aufzudrücken, als er durch Ketling in dieser Beschäftigung gestört ward.

»Guten Tag, Euer Liebden!«

»Guten Tag, guten Tag!« antwortete Herr Zagloba. »Ein herrliches Wetter, Gott sei Dank! Ich stehe gerade im Begriffe, eine Botschaft an Skrzetuski und dessen Ehegemahlin abzusenden.«

»Wollen Euer Gnaden auch mich den beiden empfehlen?«

»Es ist bereits geschehen. Ich sagte mir sogleich: Von Ketling muß ich einen Gruß senden. Beide werden erfreut sein, gute Nachrichten zu erhalten. Selbstverständlich durfte eine Empfehlung von Dir nicht fehlen, zumal ich eine ganze Epistel über Dich und die jungen Frauenzimmer geschrieben habe.«

»Wieso kommt dies?« fragte Ketling.

Zagloba legte seine Hände auf die Knie und begann mit den Fingern darauf zu trommeln, dann neigte er das Haupt, und unter den Brauen hervor auf Ketling schauend, sagte er:

»Mein lieber Ketling, man braucht noch kein Prophet zu sein, um voraussagen zu können, daß da, wo Feuerstein und Zunder zu finden ist, früher oder später auch die Funken umherfliegen werden. Du bist ein feines Herrlein, aber selbst Du wirst an den jungen Frauenzimmern nichts auszusetzen haben.«

Ketling geriet in nicht geringe Verlegenheit.

»Ich müßte mit Blindheit geschlagen oder ein wilder Barbar sein,« entgegnete er, »wenn ich ihre Schönheit nicht gewahrte und nicht bewunderte.«

»Aber siehst Du,« sagte nun Zagloba, lächelnd in das gerötete Antlitz Ketlings blickend, »so Du kein Barbar bist, ziemt es sich auch nicht, es auf Zwei abzusehen, denn nur Türken verfahren auf diese Weise.«

»Wie können Euer Gnaden etwas Derartiges voraussetzen?«

»Ich setze nichts voraus, ich habe mir nur Gedanken darüber gemacht ... Ha! Verräter! Du hast ihnen so viel von Liebe vorgewinselt, daß Krzysia schon seit drei Tagen mit einem Gesichte umhergeht, als hätte sie Arznei verschluckt. Ha! Das ist kein Wunder! Auch ich stand einst in meiner Jugend bei Frost und Kälte mit der Laute vor dem Fenster einer gewissen Brünette (sie war Fräulein Drohojowski ähnlich) und es ist mir noch lebhaft in Erinnerung, wie ich sang:

»Du schläfst nach Kummer, nach Leiden,
Ich klimpere auf den Saiten!
He, Ho! He, Ho!«

»Wenn Du willst, leihe ich Dir das Lied, oder vielleicht komponiere ich auch ein anderes, denn an Genie fehlt es mir keineswegs. Findest Du nicht, daß Fräulein Drohojowski einigermaßen dem ehemaligen Fräulein Billewicz gleicht, nur daß diese Haare wie Flachs hat und keinen Flaum über den Lippen. Es giebt übrigens Leute, welche dies als eine große Schönheit, als seltenen Reiz betrachten. Du siehst sie mit wohlgefälligen Blicken an. Soeben habe ich dies Skrzetuski geschrieben. Nun, sieht sie nicht Fräulein Billewicz ähnlich?«

»Im ersten Moment ist mir die Aehnlichkeit nicht aufgefallen, doch mag sie thatsächlich vorhanden sein. In ihrem Wuchs und in ihrer Gestalt gleicht sie ihr ebenfalls.«

»Nun höre, was ich Dir mitzuteilen habe. Es ist zwar ein Familien- arcanum, das ich Dir mitteile, weil Du aber zu den nächsten Freunden zählst, will ich Dir sagen: Hüte Dich, auf daß Du Wolodyjowski nicht mit Undankbarkeit lohnst, denn Frau Makowiecki und ich haben eines der jungen Frauenzimmer für ihn bestimmt.«

Hier schaute Zagloba scharf und durchdringend in die Augen Ketlings, so daß dieser erbleichend fragte:

»Welche ist es?«

»Fräulein Drohojowski!« erwiderte Zagloba langsam. Und die Unterlippe vorschiebend, begann er mit dem gesunden Auge unter den gerunzelten Brauen zu blinzeln.

Ketling schwieg, ja er schwieg so lange, bis Zagloba schließlich fragte:

»Was sagst Du dazu? Nun?«

Und jener antwortete mit veränderter Stimme, aber in festem Tone:

»Euer Gnaden dürfen überzeugt sein, daß ich meinem Herzen nicht nachgeben werde, wenn ich Michal dadurch beeinträchtigen könnte.«

»Bist Du Deiner vollständig sicher?«

»Ich habe schon viel in meinem Leben gelitten,« antwortete der Ritter, »aber ich gebe Euch mein Wort als Kavalier: ich werde meinem Herzen nicht folgen.«

Nun breitete Zagloba die Arme gegen ihn aus.

»Ketling! Folge Deinem Herzen, folge ihm nur, Du Armer, so viel Du willst, denn ich wollte Dich nur ausforschen. Nicht Fräulein Drohojowski, sondern den kleinen Wildfang haben wir Michal zugedacht.«

Ketlings Antlitz erhellte sich, eine reine, hohe Freude malte sich darin. Er zog Zagloba an sich, hielt ihn lange umschlungen und fragte dann:

»So ist es denn gewiß, daß sie sich lieben?«

»Und wer sollte denn meinen Wildfang nicht lieben?« erwiderte Zagloba.

»Hat das Verlöbnis schon stattgefunden?«

»Nein, ein Verlöbnis hat nicht stattgefunden, denn Michal ist ja immer noch sehr betrübt, aber dazu kommen wird es ... verlaß Dich auf mich! Das Mädchen dreht und windet sich zwar wie ein Wiesel – im Grunde ist sie ihm aber sehr gewogen, denn bei ihr spielt der Säbel eine Hauptrolle ...«

»Ich habe dies auch schon bemerkt, so wahr mir Gott lieb ist!« fiel ihm hier Ketling, dessen Antlitz nun förmlich strahlte, in die Rede.

»Ah! Ihr habt es auch schon bemerkt? Nun, Michal trauert noch um die Dahingeschiedene, doch wenn er eine ins Herz schließt, so wird es sicherlich mein kleiner Wildfang sein, denn sie ist der Toten ähnlicher als die Andere und läßt nur als Jüngere ihre Augen nicht so spielen. Ja, alles wird sich schließlich gut gestalten, nicht? Ich bürge dafür, daß beide Hochzeiten zur Zeit der Königswahl stattfinden werden.«

Ohne ein Wort zu sprechen, umarmte Ketling Herrn Zagloba abermals, indem er sein schönes Gesicht an dessen rote Wangen schmiegte, so daß der alte Edelmann, tief Atem holend, fragte:

»Hat Fräulein Drohojowski auch schon so ihre Wange an der Deinen gerieben? Ist sie denn schon so mit Dir verwachsen?«

»Ich weiß nicht – ich weiß nicht,« antwortete Ketling, »lch weiß nur, daß meine Augen kaum ihre himmlische Gestalt erblickt hatten, als ich mir sofort sagte, sie sei die Einzige, der ich mein müdes Herz noch weihen könne, und in jener, unter Seufzern schlaflos verbrachten Nacht gab ich mich sehnsüchtigen Träumen hin. Seitdem beherrscht sie mein ganzes Wesen wie eine Königin ihr ergebenes, treues Land beherrscht. Ob dies Liebe oder etwas anderes ist, weiß ich nicht.«

»Aber Du weißt doch ganz sicher, daß es keine Mütze ist, daß auch drei Ellen Tuch für Pluderhosen etwas anderes sind, daß es weder ein Sattelgurt, noch ein Schwanzriemen, noch eine Bratwurst mit Eierfladen, noch eine Feldflasche mit Branntwein ist. Wenn Du dessen ganz gewiß bist, dann gehe hin und frage Krzysia wegen des Uebrigen, oder falls Du es wünschest, kann ich sie fragen.«

»Mögen Euer Gnaden dies nicht thun,« erwiderte Ketling lächelnd. »Wenn ich denn doch ertrinken soll, so möchte ich lieber, daß ich mir noch einige Tage einbilden darf, ich sei im stande zu schwimmen.«

»Nun sehe ich, daß die in der Schlacht tapferen Schotten in Liebesangelegenheiten gar wenig taugen. Die Weiber muß man, wie den Feind, mit Sturm erobern. Veni, vidi, vici! So ist es stets bei mir gewesen.«

»Mit der Zeit, so meine heißesten Wünsche in Erfüllung gehen sollten,« sagte Ketling, »werde ich Euch vielleicht um ein Freundschafts- auxilium bitten. Wohl habe ich das Heimatsrecht hier erlangt, und in meinen Adern fließt edles Blut, allein mein Name ist noch unbekannt, und ich weiß nicht, ob die Frau Truchsessin ...«

»Die Frau Truchsessin?« fiel ihm Zagloba in das Wort. »Hege ihretwegen nur keine Furcht. Die Frau Truchsessin ist die leibhafte Spieldose. Wie man sie aufzieht, so spielt sie. Ich werde sogleich zu ihr gehen. Man muß sie jedenfalls vorbereiten, damit sie Dein Verfahren dem Fräulein gegenüber nicht übel nimmt, da Eure schottischen Sitten vollständig verschieden von den unsrigen sind. Selbstverständlich aber werde ich nicht sogleich eine Erklärung in Deinem Namen machen, sondern nur erwähnen, daß Du ein Auge auf das junge Frauenzimmer geworfen hast und daß es gut wäre, aus Mehl Brot zu backen. So wahr mir Gott lieb ist, ich gehe unverzüglich, und sei Du ganz außer Sorge, denn mir steht ja frei, zu sagen, was mir beliebt.«

Und obwohl Ketling ihn zurückhalten wollte, stand Zagloba auf und verließ das Zimmer. Auf dem Korridor traf er Basia, die wie gewöhnlich umherlief und zu der er sagte:

»Weißt Du schon, Krzysia hat Ketling vollständig erobert.«

»Er ist der Erste nicht!« entgegnete Basia.

»Und siehst Du nicht sauer dazu?«

»Ketling ist eine geschniegelte Puppe. Ein recht artiger Kavalier, aber ein Stutzer. Nun bin ich mit dem Knie an die Wagendeichsel gestoßen. Eine schöne Geschichte!«

Hier neigte sich Basia herab und begann sich das Knie zu reiben, wobei sie Zagloba anschaute.

»Um Gotteswillen!« rief dieser, »sei doch vorsichtig. Und wohin willst Du denn jetzt?«

»Zu Krzysia.«

»Was treibt sie denn?«

»Sie? Seit einiger Zeit küßt sie mich fortwährend und reibt sich an mir wie eine Katze.«

»Sage ihr ja nicht, daß sie Ketling erobert hat.«

»Ach! Als ob ich dies aushalten könnte!«

Daß Basia es nicht aushalten konnte, wußte Zagloba nur zu gut, und gerade deshalb hatte er ihr Stillschweigen geboten. Sehr befriedigt über seine Schlauheit ging er seiner Wege, und Basia fuhr gleich einer Bombe in das Gemach, wo sich Fräulein Drohojowski befand.

»Ich habe mich an das Knie gestoßen, und Ketling hat sich sterblich in Dich verliebt!« rief sie schon auf der Schwelle. »Ich bemerkte die aus der Wagenremise hervorstehende Deichsel nicht ... und griebsch! grabsch! da war's auch schon geschehen. Es funkelte mir geradezu vor den Augen, aber was thut das? Herr Zagloba bat mich, es Dir nicht mitzuteilen. Habe ich Dir nicht vorausgesagt, daß es so kommen werde? Sogleich habe ich es gesagt! Du aber wolltest mir einreden, er sei in mich verliebt! Sei unbesorgt, man kennt Dich schon! Ein wenig schmerzt es noch. Wollte ich Dir vielleicht jemals einreden, Herr Nowowiejski sei in Dich verliebt? Aber mit Ketling ist es so! Jawohl! Der läuft jetzt im Hause herum, hält sich den Kopf und spricht mit sich selbst. Ist das nicht hübsch, Krzysia? Der Schotte, der flotte, der flotte!«

Hier streckte Basia ihren Finger gegen die Freundin aus.

»Basia!« rief Fräulein Drohojowski.

»Der Schotte, der flotte, der flotte!«

»Ach, wie unglücklich bin ich, wie unglücklich!« stieß Krzysia plötzlich hervor, und ein Strom von Thränen floß über ihre Wangen.

Nun versuchte Basia, sie zu trösten, aber alles war vergeblich, und Krzysia schluchzte wie noch nie zuvor, in ihrem Leben. Thatsächlich wußte niemand im ganzen Hause, wie unglücklich sie sich fühlte. Seit einigen Tagen schon befand sie sich wie im Fieber, ihre Wangen waren erblaßt, ihre Augen eingesunken, ihre Brust hob und senkte sich unter kurzen, beschleunigten Atemzügen. Etwas Seltsames ging mit ihr vor, eine Art von Schwäche überkam sie, aber nicht allmählich, stufenweise, sondern plötzlich; und mit eins war ihr dann wieder, wie wenn sie von einem Wirbelwind, einem Sturm mit fortgerissen werde, ihr Blut geriet in Wallung, ihre erregte Phantasie ward wie von einem Blitzstrahl getroffen. Auch nicht einen Augenblick vermochte sie, dieser unerbittlichen Macht Widerstand zu leisten. Ihre Ruhe war dahin und in ihrer Willenlosigkeit glich sie einem Vogel mit gebrochenen Flügeln ...

Ob sie Ketling liebe oder hasse, wußte sie selbst nicht, und eine wahre Angst ergriff sie, wenn sie sich diese Frage vorlegte; aber das fühlte sie, daß ihr Herz nur um seinetwillen so heftig klopfte, daß alle ihre Gedanken sich nur um ihn drehten, daß sie vollständig von ihm erfüllt war, daß er sie stets umschwebte, und daß es kein Mittel gab, sich all dem zu entziehen. Weit leichter schien es ihr, ihn nicht zu lieben, als nicht an ihn zu denken, denn ihre Augen wurden von seinem Anblick geblendet, mit Wonne lauschte sie dem Klange seiner Stimme, ihre ganze Seele war von ihm durchdrungen ... Selbst der Schlaf befreite sie nicht von ihm, denn kaum hatte sie die Augen geschlossen, so glaubte sie sein Antlitz vor sich zu sehen, das sich zu ihr herabneigte, glaubte sie zu hören, wie er ihr zuflüsterte: »Du giltst mir mehr als ein Königreich, als ein Scepter, als Ruhm, als Reichtum ...« Und dies Antlitz war ihr nahe, so nahe, daß trotz der Dunkelheit eine tiefe Röte Wangen und Stirne des Mädchens übergoß. Sie war eine heißblütige Ruthenin, und nun erwachte eine ihr bisher unbekannte Leidenschaft in ihr, eine Leidenschaft, von deren Allgewalt sie bisher noch keine Ahnung gehabt hatte und deren Glut sie mit Angst und Scham, ja, mit einem Gefühl von Ohnmacht, von schmerzlicher und doch süßer Hilflosigkeit erfüllte. Die Nacht brachte ihr niemals Ruhe, die Ermattung, welche sie wie nach schwerer Arbeit überkam, ward immer größer.

»Krzysia! Krzysia! Was geht mit Dir vor?« fragte sie sich oft selbst.

Wie betäubt und in beständiger Geistesabwesenheit wandelte sie umher.

Noch war keine Aenderung eingetreten, nichts vorgefallen, mit Ketling hatte sie keine zwei Worte allein gewechselt, und wiewohl der Gedanke an ihn sie vollständig gefangen nahm, flüsterte ihr eine innere Stimme fortwährend zu: »Hüte Dich! Meide ihn!« ... Und sie mied ihn ...

An ihr Verlöbnis mit Wolodyjowski dachte sie gar nicht, und dies war ihr Glück, doch dachte sie vornehmlich nicht daran, weil bisher nichts Besonderes geschehen war, und weil sie an niemand dachte, weder an sich selbst, noch an andere, sondern nur an Ketling allein.

Aber sie verbarg dies in tiefster Seele, und in dem Gedanken, daß niemand ahne, was in ihr vorging, daß niemand sich mit ihr und Ketling beschäftige, hatte sie einen gewissen Trost gefunden. Da plötzlich kam sie durch Basias Worte zu der Ueberzeugung, daß alles sich ganz anders verhielt, als sie geglaubt hatte, daß sie und Ketling schon beobachtet und miteinander in Verbindung gebracht wurden, und daß man die Wahrheit zu erraten suchte. Und von Kummer, Scham und Schmerz überwältigt, unfähig, sich noch länger zu beherrschen, weinte sie wie ein kleines Kind.

Basias Worte bildeten jedoch nur den Anfang von zahlreichen Sticheleien und bedeutungsvollen Blicken, man blinzelte mit den Augen, schüttelte den Kopf, man machte allerlei Anspielungen und sie mußte alles über sich ergehen lassen. Schon beim Mittagsmahle begann es.

Frau Makowiecki ließ ihre Blicke von Krzysia auf Ketling und von Ketling auf Krzysia schweifen, was sie bisher nicht gethan hatte. Herr Zagloba hustete mehrmals bedeutungsvoll. Zuweilen stockte die Unterhaltung, ohne daß man wußte, weshalb, ein tiefes Schweigen trat ein, und einmal, während einer solchen Pause, rief die unbesonnene Basia über den ganzen Tisch herüber:

»Ich weiß etwas, aber ich sage es nicht!«

Krzysia errötete zuerst und ward dann totenbleich, wie wenn irgend eine furchtbare Gefahr ihr nahe, und auch Ketling senkte das Haupt. Fühlten doch beide nur zu wohl, daß es sich um sie handle, und obgleich sie jedes Gespräch miteinander vermieden, obgleich Krzysia sich hütete, Ketling anzuschauen, erkannten doch beide, daß irgend eine Beziehung zwischen ihnen vorhanden war, daß irgend ein unbestimmtes Etwas ihre Verwirrung hervorrufe, welches sie miteinander verband und zugleich auch wieder trennte, da sie dadurch ihre Freiheit vollständig einbüßten und nicht mehr auf dem gewöhnlichen freundschaftlichen Fuße miteinander verkehren konnten. Zum Glück für sie schenkte niemand den Worten Basias Bedeutung, denn Herr Zagloba wollte sich in die Stadt begeben, von dort wieder mit einer zahlreichen Gesellschaft von Kavalieren zurückkehren, und auf diese Aussicht war jetzt das Hauptinteresse gerichtet.

In der That erstrahlte am Abend Ketlings Landhaus in einem Lichtmeere, denn nahezu zwanzig Offiziere waren angelangt, und der zuvorkommende Hausherr hatte eine Musikkapelle kommen lassen, um den Frauenzimmern ein Vergnügen zu machen. Von Tanz konnte wegen der Fastenzeit und Ketlings Trauer nicht die Rede sein, doch lauschte man der Musik, und bald war auch eine lebhafte Unterhaltung im Gange. Die Frau Truchsessin prunkte in einem orientalischen Seidengewande, Basia hatte sich sehr buntfarbig herausgeputzt und zog die Blicke der Offiziere durch ihr rosiges Gesichtchen und ihre hellen Haare auf sich, die ihr fortwährend über Stirne und Augen herabfielen. Durch ihre energische Ausdrucksweise rief sie die Lachlust hervor, und durch ihr ganzes Wesen, in dem sich die Dreistigkeit eines Kosakenmädchens mit einer gewissen natürlichen Anmut paarte, erregte sie Bewunderung.

Krzysia, deren Trauerzeit für ihren Vater schon zu Ende ging, trug ein weißes, mit Silber gesticktes Kleid. Von den Rittern verglichen sie manche mit Juno, manche mit Diana, aber keiner wagte sich ihr zu nähern, keiner trat mit geräuschvollen Schritten zu ihr heran, indem er wohlgefällig seinen Schnurrbart drehte, keiner warf den Aufschlag seines Aermels siegesgewiß zurück, keiner machte ihr zärtliche Augen und begann ein Gespräch über Herzensangelegenheiten. Hingegen entging es ihrer Aufmerksamkeit nicht, daß diejenigen, welche sie mit Bewunderung und Verehrung anschauten, ihre Blicke dann sofort Ketling zuwendeten, daß etliche auf ihn zueilten und ihm die Hand schüttelten, als ob sie ihm Glück wünschten, daß er aber dann die Achseln zuckte und eine Bewegung machte, wie wenn er etwas bestreite. Krzysia, welche von Natur eine scharfe Beobachtungsgabe hatte, war beinahe sicher, daß sie mit ihm von ihr sprachen, ja, daß sie gewissermaßen als seine Verlobte angesehen wurde. Weil sie jedoch nicht wissen konnte, daß Zagloba einem jeden dieser Herrn etwas ins Ohr geflüstert hatte, zerbrach sie sich den Kopf darüber, wodurch wohl diese Leute zu einer solchen Annahme gekommen sein mochten.

»Steht es mir denn auf der Stirne geschrieben?« fragte sie sich bestürzt, voll Angst und Beschämung.

Und dann drangen auch Worte an ihr Ohr, die nicht an sie gerichtet, aber doch deutlich genug waren: »Der glückliche Ketling! ... Er ist ein wahres Glückskind! ... Kein Wunder, denn auch er ist ja sehr schön!« ... und ähnliche Reden.

Einige überaus höfliche Kavaliere, die ihr etwas Angenehmes sagen und sie auch zugleich unterhalten wollten, sprachen von Ketling, indem sie ihm außerordentliches Lob spendeten und seine Tapferkeit, Dienstfertigkeit, seine höfischen Manieren priesen und seinen alten Adel hervorhoben. Ob sie es nun gerne oder gezwungen that, Krzysia mußte dies anhören; unwillkürlich suchten ihre Augen dann den, von dem man zu ihr sprach, und zuweilen begegneten sich ihre Blicke. Nun ergriff sie der Zauber mit neuer Gewalt, und ohne es zu wissen, berauschte sie sich an seinem Anblick. Wie verschieden war aber auch Ketling von all diesen rauhen Kriegern. »Ein Königssohn unter seinen Höflingen!« dachte Krzysia, während sie dies edle Haupt mit den feinen, aristokratischen Zügen betrachtete, diese Augen, die glühenden Ehrgeiz, zugleich aber auch eine gewisse Schwermut ausdrückten, diese von dichten blonden Haaren umrahmte Stirne. Eine Art von Schwäche überkam sie, und in ihrem überströmenden Gefühle sagte sie sich, daß er ihr das teuerste Wesen auf Erden sei. Ketling gewahrte ihre Verwirrung wohl, um diese aber nicht zu vergrößern, näherte er sich ihr nicht. Wäre sie eine Königin gewesen, er hätte ihr nicht größere Ehren und Aufmerksamkeiten erweisen können. So oft er sie anredete, neigte er das Haupt und schob den Fuß in einer Weise zurück, als ob er jeden Augenblick bereit sei, vor ihr das Knie zu beugen. Auch sprach er nur mit würdevollem Ernst zu ihr, und während er mit Basia gerne Scherz trieb, ließ er in seinem Verkehr mit Krzysia neben der größten Ehrfurcht etwas wie den Schatten einer süßen Melancholie wahrnehmen. Dank dieser Ehrfurcht erlaubte sich auch kein anderer Kavalier ein allzu deutliches Wort oder einen allzu freien Scherz, als ob allen die Ueberzeugung beigebracht worden sei, daß dies Fräulein an Würde und Geburt alle andern überrage und die größtmögliche Höflichkeit zu beanspruchen habe.

Krzysia war ihm herzlich dankbar dafür. Im allgemeinen verfloß ihr dieser Abend in wonniger Weise, aber doch nicht ohne Bangigkeit. – Um Mitternacht hörten die Musikanten auf zu spielen, die Damen verabschiedeten sich, bei den Rittern aber machte der Becher noch fleißig die Runde, und es begann eine geräuschvollere Unterhaltung, bei welcher Zagloba die Würde des Vorsitzenden übernahm.

Basia eilte nach dem oberen Stockwerke, lustig wie ein Vogel, denn sie hatte sich köstlich unterhalten. Ehe sie zum Beten niederkniete, begann sie zu lärmen, zu plaudern und verschiedene von den Gästen nachzuahmen; zuletzt sagte sie, in ihre Hände klatschend, zu Krzysia:

»Es ist herrlich, daß Dein Ketling heimgekehrt ist! Wenigstens wird es nicht an Soldaten fehlen. Oho! Laß nur die Fastenzeit vorüber sein, dann tanz ich mich zu Tode. Da wollen wir Kurzweil haben! Und erst bei Deiner Verlobung, bei Deiner Hochzeit! Wenn ich da nicht das Haus von oberst zu unterst kehre, so mögen mich die Tataren in die Sklaverei schleppen. Wie wär's, wenn sie uns wirklich davonschleppten! Das wäre erst ... Ha! Ketling ist ein braver Mann! Dir zuliebe läßt er die Kapelle kommen; doch auch ich habe etwas davon. Er wird dir zuliebe immer neue Wunderdinge erfinden, bis er es endlich so macht:

Und Basia warf sich plötzlich vor Krzysia nieder, umfaßte deren Knie und sprach mit Ketlings tiefer Stimme: »Edelstes Fräulein! Meine Liebe für Euch ist so gewaltig, daß sie mir den Atem benimmt. Ich liebe Euch zu Fuß und zu Pferde. Ich liebe Euch, wenn ich nüchtern bin, und wenn ich gegessen habe. Ich liebe Euch in alle Ewigkeit und wie die Schotten lieben! Wollt Ihr die Meine werden?«

»Basia! Du wirst mich böse machen!« rief Krzysia.

Aber anstatt zu zürnen, nahm sie Basia in ihre Arme und küßte sie, während sie bemüht war, sie aufzuheben, auf die Augen.


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