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III

Die Reise des Herrn Zagloba ging indessen nicht so rasch von statten, wie er es selbst geglaubt, wie er es seinen Gefährten versprochen hatte. Je mehr er sich Warschau näherte, desto langsamer kam er vorwärts. Es war die Zeit, in der Jan Kazimir, der König, der Staatsmann und der große Feldherr auf den Thron verzichtete, nachdem er die Kriegsflamme an den Grenzen des Reiches erstickt, nachdem er die Republik vor der drohenden Sintflut gerettet hatte. Geduldig hatte er alles über sich ergehen lassen, alles ertragen, seine Brust hatte er den Streichen des äußeren Feindes entgegengesetzt, als er aber dann später bei seinen inneren Reformversuchen bei dem Volke statt auf Hülfe nur auf Widerstand stieß, nur Undank erntete, da nahm er freiwillig von seinem geweihten Haupte die Krone herab, welche ihm zur unerträglichen Bürde geworden war.

Die Kreis- und Provinziallandtage waren längst geschlossen, und der Fürst Primas Prazmowski hatte nun befohlen, den Reichstag auf den fünften November einzuberufen. Ein jeder der verschiedenen Bewerber suchte sich im besten Lichte zu zeigen, eine Partei suchte die andere in allem zu überbieten, und trotzdem die Entscheidung ja von der Wahl allein abhing, begriffen doch alle die ungewöhnliche Bedeutung dieser Wahlversammlung. Zu Pferde und zu Wagen zogen daher die Landboten mit großem Gefolge nach Warschau, die Senatoren zogen dahin, umgeben von einem geradezu glänzenden Hofstaate.

Auf den Heerstraßen herrschte das größte Gedränge, die Herbergen waren überfüllt und gar oft konnte ein Nachtlager nur mit vieler Mühe erlangt werden. Für Herrn Zagloba wurde zwar aus Rücksicht für sein Alter stets Raum geschafft, aber durch die Ehrenbezeugungen, die ihm wegen seines Ruhmes zu teil wurden, verlor er gar viel Zeit.

Es pflegte stets folgendermaßen zuzugehen: Sobald er vor einer Herberge Halt machte, in der kein Eckchen mehr frei war, erschien, von Neugierde getrieben, irgend eine angesehene Persönlichkeit, die mit ihrem Gefolge dort Unterkunft gefunden hatte, um zu sehen, wer angekommen sei, und fielen dann deren Blicke auf einen Mann mit schneeweißem Haupt- und Barthaar, so sagte ein jeder angesichts dieses würdigen Greises:

»Ich bitte Euch, wohledler, gnädiger Herr, bei mir einen Imbiß einzunehmen.«

Herr Zagloba war kein unhöflicher Mensch und leistete um so eher der Bitte Folge, als er wußte, daß jedermann gern mit ihm bekannt wurde. Wenn ihn daher sein Gastgeber über die Schwelle geleitete und fragte: »Mit wem habe ich die Ehre?« stemmte er jedesmal die Hände in die Hüften und erwiderte, im voraus einer großen Wirkung sicher, nur die beiden Worte:

» Zagobla sum

In der That, diese beiden Worte verfehlten auch nie ihre Wirkung. Von allen Seiten kam man ihm mit offenen Armen, mit dem Ausruf entgegen: »Diesen Tag zähle ich zu den glücklichsten meines Lebens,« von allen Seiten tönten ihm die Rufe der Kriegsgefährten, der Höflinge entgegen: »Seht doch! Er ist das Musterbild, gloria et decus der ganzen Ritterschaft unserer Republik!« Bewundernd näherte man sich ihm, ja, die jüngeren Leute küßten sogar die Schöße seines langen Reiserockes. Gleich darauf wurden von irgend einem Wagen Fäßchen und Trinkgefäße herabgenommen, und es begann ein gaudium, das zuweilen mehrere Tage währte.

Natürlich glaubte man allgemein, er begebe sich als Landbote zu dem Reichstage, und voll Staunen vernahm man, daß er dies verneinte, daß er erklärte, er habe sein Mandat an Herrn Domaszewski abgetreten, weil er es sehr angemessen für jüngere Leute erachte, sich mit öffentlichen Angelegenheiten zu befassen. Etlichen setzte er auf ihr Befragen den wahren Grund seiner Reise auseinander, andere dagegen fertigte er mit den Worten ab:

»Von frühester Jugend auf bin ich an Kampf und Krieg gewöhnt, und so hat mich nun noch in meinen alten Tagen die Lust angewandelt, mich mit Doroszenko herum zu schlagen.«

Selbstverständlich rief diese Aussage noch mehr Staunen hervor, allein kein Mensch erachtete ihn deshalb geringer, weil er kein Landbote war, nein, ein jeder sagte sich mit Recht, daß zuweilen ein Zuhörer weit mehr Macht habe, als die Landboten selbst. Außerdem überlegte gar mancher Senator, ja, selbst wenn er zu den Bedeutendsten zählte, sich wohlweislich, daß bei der Königswahl, die in etlichen Monaten stattfinden mußte, der Ausspruch eines bei der Ritterschaft so hochberühmten Mannes von unermeßlichem Einfluß sein werde.

So wurde man denn nicht müde, Herrn Zagloba zu umarmen, und selbst die hochgestellten Herrn machten ihm ihren gehorsamsten, untertänigsten Diener. Herr Podlaski trank drei Tage lang mit ihm, die Herren Pac, mit denen er in Kaluszyn zusammentraf, trugen ihn buchstäblich auf den Händen.

Der oder jener ließ ihm sogar heimlich Geschenke in seinen Korbwagen legen, aber nicht nur Branntwein und Wein erhielt er auf solche Weise, sondern auch kostbare Kleinodien, Säbel und Pistolen.

Natürlich hatte dadurch auch die Dienerschaft des Herrn Zagloba gute Zeiten, und er selbst reiste trotz seiner trefflichen Vorsätze, trotz seiner Versprechungen so langsam, daß er erst nach drei Wochen Minsk erreichte.

Deshalb ließ er in Minsk weder Rast machen, noch füttern. Als er indessen auf den Ringplatz fuhr, ward er eines solch großen, prächtigen Gefolges gewahr, wie er es bisher noch nie erschaut hatte. Die Kavaliere trugen die farbenreichsten Gewandungen, das Fußvolk, das zwar nur aus einer halben Abteilung bestand, weil man zu dem Reichstag nicht mit viel Kriegsvolk ziehen durfte, war so wohl geordnet, daß selbst der König von Schweden keine bessere Leibwache hätte haben können. Auf dem Ringe standen vergoldete Karossen, in denen sich schön gewirkte Vorhänge und Teppiche befanden, um damit die auf dem Wege gelegenen Herbergen auszuschmücken, sowie zahlreiche Wagen mit Kredenztischen und Speisevorräten, die ganze Dienerschar aber mußte aus Ausländern bestehen, denn auch nicht ein verständliches Wort ward inmitten des Gedränges und des Getriebes vernehmbar.

Schließlich entdeckte Herr Zagloba unter dem Gefolge einen Edelmann in polnischer Kleidung. Er ließ daher sofort halten und stand sogar, in der Voraussetzung, eine treffliche Unterhaltung zu finden, schon im Begriffe, aus dem Wagen zu steigen, indem er fragte:

»Wessen Gefolge ist denn dies? Der König selbst könnte ja kein glänzenderes haben!«

»Wessen Gefolge sollte es denn sein,« antwortete der Gefragte, »wenn nicht das unseres Herrn, des fürstlichen Stallmeisters aus Litthauen.«

»Wessen?« fragte Zagloba abermals.

»Seid Ihr denn taub? Das Gefolge des Fürsten Boguslaw Radziwill ist es, der zu dem Reichstage zieht und welcher – Gott gebe dies – nach der Wahl der Erwählte sein wird.«

Zagloba zog sofort wieder seinen Fuß in den Wagen zurück.

»Vorwärts!« schrie er dem Kutscher zu. »Hier ist nichts für uns.«

Und geradezu vor Erregung zitternd, ließ er darauf los fahren.

»Allmächtiger Gott!« sagte er sich, »unerforschlich ist Dein Ratschluß, zerschmetterst Du aber nicht diesen Verräter mit Deinem Blitzstrahl, dann hast Du irgend eine geheime Absicht, welche die menschliche Vernunft nicht zu ergründen vermag, denn nach menschlichem Ermessen verdiente dieser Spitzbube nichts anderes als eine gehörige Tracht Prügel. Gar schlimm müßte es in unserer glorreichen Republik zugehen, wenn ein solch ehrloser und gewissenloser Verräter nicht nur ohne Strafe davon käme, sondern auch frei und sicher umherreisen könnte – wenn er, traun, auch noch seine staatsbürgerlichen Rechte ausüben dürfte. Dem sicheren Untergange steuern wir dann entgegen, denn in welch anderm Lande, in welch anderm Staate könnten solche Dinge geschehen? Joannes Casimirus war ein guter König, allein er verzieh zu leicht ein jedes Vergehen, er gewöhnte den schlimmsten Verbrecher daran, auf seine Sicherheit, seine Straflosigkeit zu bauen. Doch ihm allein ist die Schuld nicht beizumessen. Offenbar ist dem ganzen Volke der Begriff von Tugend, von Verantwortlichkeit abhanden gekommen. Pfui! pfui! Er ein Landbote! Seinen ruchlosen Händen vertrauen die Bürger die Wohlfahrt und die Sicherheit des Vaterlandes an, diesen Händen, die das Vaterland zerrissen, die es in schwedische Fesseln geschlagen haben. Wir sind verloren, es kann nicht anders sein! Und noch gar zum Könige will man ihn wählen! Wahrhaftig bei einem solchen Volke ist alles möglich. Er, ein Landbote! Beim allmächtigen Gotte! Das Gesetz verbietet ja ausdrücklich jedem die Annahme eines Mandats, der in fremden Diensten steht, und er ist General-Gouverneur bei seinem krätzigen Oheim in dem Fürstentum Preußen. Aha, warte nur, jetzt habe ich Dich! Wozu dienten denn die Wahlprüfungen? Und wenn ich mich nicht in den Saal verfüge und diese Sache zur Sprache bringe, trotzdem ich mich nur zu den Zuhörern rechnen darf, will ich mich in dieser Minute in einen fetten Hammel, meinen Kutscher aber in einen Fleischer verwandelt sehen. Unter den Landboten finden sich sicherlich manche, die mich unterstützen werden. Freilich weiß ich nicht, ob ich Dich, Verräter, der Du große Macht besitzest, deines Mandats berauben kann, das, was ich aber zu unternehmen gedenke, wird nicht zu Deiner Wahl beitragen – dessen bin ich gewiß! Und Michal, der arme Bursche, muß eben noch länger auf mich warten, da dies eine That pro publico bono sein wird.«

Solcher Art war der Ideengang des Herrn Zagloba, der sich fest vornahm, der Wahlprüfung aufmerksam zu folgen und zu versuchen, die Landboten insgeheim für sich zu gewinnen. Aus diesem Grunde beschleunigte er auch die Fahrt von Minsk nach Warschau so viel er konnte, befürchtete er doch, sonst nicht rechtzeitig zu der Eröffnung des Reichstages daselbst einzutreffen.

Allein er kam rechtzeitig an Ort und Stelle an. Der Zudrang der Landboten und der Zuschauer war ein so gewaltiger, daß es nicht nur unmöglich war, in Warschau, in Praga, oder in nächster Nähe dieser Städte Unterkunft in einer Herberge zu finden, sondern daß es auch schwer fiel, sich bei irgend jemand ein Nachtlager zu erbitten, da fast jede Stube schon mit drei oder vier Personen besetzt war. Die erste Nacht verbrachte Herr Zagloba in dem Handlungshause der Fukier recht angenehm, als er jedoch am folgenden Morgen in seinem Korbwagen wieder nüchtern wurde, fragte er sich umsonst, was er beginnen solle.

»Mein Gott! mein Gott!« rief er übellaunig, als er nun durch die Krakauer Vorstadt kam und sich umschaute, »hier sind die Bernhardiner und dort ist die Ruine des Kazanowskischen Palastes! Undankbare Stadt! Mit meinem Herzblut und unter Mühseligkeiten aller Art habe ich sie dem Feind entrissen, und nun gönnt sie nur nicht einmal einen Winkel für mein graues Haupt,«

Aber die Stadt vergönnte Zagloba keineswegs diesen Winkel, sie hatte nur keinen einzigen zu vergeben. Mittlerweile aber war ein Glücksstern über ihm aufgegangen, denn kaum war er an dem Palaste der Konyetspolskis angelangt, als eine Stimme seinem Wagenlenker »Halt« zurief.

Der Mann hielt die Pferde an und ein fremder Edelmann näherte sich mit strahlendem Antlitz dem Wagen und rief: »Herr Zagloba! Erkennen mich Euer Liebden denn nicht mehr?«

Zagloba sah einen etwa dreißigjährigen Mann vor sich, der auf dem Haupt eine Mütze von Luchsfell mit einer Feder trug – ein untrügliches Abzeichen militärischen Dienstes – ein mohnfarbenes Untergewand und einen dunkelroten Oberrock mit goldbrokatenem Gürtel. Das Angesicht des Fremden war von ungewöhnlicher Schönheit. Seine Gesichtsfarbe, ursprünglich blaß, war von Wind und Wetter gebräunt, seine blauen Augen blickten sinnend und schwermütig, seine Gesichtszüge waren ungemein regelmäßig und beinahe zu schön für einen Mann. Trotzdem er polnische Nationaltracht trug, hatte er langes Haar und einen nach ausländischer Art zugestutzten Bart. Näher an das Gefährt herantretend, breitete er seine Arme aus.

Herr Zagloba, obwohl er sich nicht zu entsinnen vermochte, wer der Fremde sei, beugte sich heraus und küßte ihn. Sie umarmten sich nun wechselseitig aufs Herzlichste, wobei einer den andern manchmal ein wenig zurückschob, um ihn besser betrachten zu können.

»Verzeiht, Euer Liebden,« sagte Zagloba schließlich, »allein ich kann mich noch immer nicht erinnern –«

»Haßling-Ketling!«

»Bei Gott! Das Gesicht kam mir bekannt vor, aber die Kleidung hat Euer Liebden gänzlich verändert, denn früher sah ich Euch im Reiterkoller. Jetzt tragt Ihr polnische Tracht?«

»Ja, denn ich habe die Republik, die mich aufnahm und ernährte, als ich fast noch ein Knabe und heimatlos war, zu meiner Mutter erwählt und wünsche mir keine andere. Euch ist wohl nicht bekannt, daß ich nach dem Kriege das Indigenat erhielt?«

»Dies ist eine gute Nachricht! So hat Euch das Glück darin begünstigt?«

»Darin und noch in anderen Dingen. Denn in Kurland, hart an der Grenze von Samogitien, lernte ich einen Namensvetter kennen, welcher mich adoptierte und sein Wappenschild und ein Teil seines Besitztums auf mich übertrug. Er selbst lebt in dem ferneren Kurland, aber diesseits der Grenze gehörte ihm der Landsitz Szkudy, den er mir überließ.«

»Gott mit Euch! Also sagtet Ihr dem Kriegshandwerk Valet?«

»Laßt nur den Krieg kommen, an mir soll's nicht fehlen! Ich habe meinen Landbesitz in Pacht gegeben und warte hier auf das, was kommen wird.«

»Diesen Mut lieb' ich! Gerade so war ich in meiner Jugend, und noch fühle ich Kraft in allen Gliedern. Was thut Ihr jetzt in Warschau?«

»Ich bin Landbote für die Reichstagsversammlung.«

»Gottes Wunder! Ihr seid ja Pole mit Haut und Haar!«

Der junge Ritter lächelte. »Und was mehr heißen will, von ganzer Seele.«

»Seid Ihr vermählt?«

Ketling seufzte: »Nein.«

»Nun, das fehlt also noch. Aber mich dünkt – wartet einen Augenblick! – Habt Ihr die alte Neigung für das Fräulein Billewicz noch immer nicht vergessen?«

»Da Ihr mein Geheimnis kennt, so seid versichert, daß keine neue Liebe in mein Herz eingezogen ist.«

»O, laßt doch ab von ihr! Sie wird bald der Welt einen jungen Kmicic schenken. Kümmert Euch nicht darum! Was für eine undankbare Geschichte, zu seufzen, wo ein anderer beglückt ist. Wahrhaftig, es ist lächerlich!«

Ketling schaute gedankenvoll auf. »Ich habe nur gesagt, daß keine neue Liebe in mein Herz eingezogen ist.«

»Nur keine Angst! Wird schon kommen! Wir werden einen verheirateten Mann aus Euch machen. Ich weiß aus Erfahrung, daß allzu große Beständigkeit in der Liebe nur Leiden bringt. Ich war zu meiner Zeit so beständig wie Troilus und dabei ging mir eine Unzahl von Freuden und guten Gelegenheiten verloren. Und wie viel hab' ich dabei gelitten!«

»Gott erhalte jedermann solch jovialen Humor, wie ihn Euer Liebden bewahrt haben.«

»Weil ich immer in mäßiger Weise lebte, bin ich vom Podogra verschont geblieben. Wo wohnt Ihr? Habt Ihr eine Herberge gefunden?«

»Ich besitze ein behagliches Landhäuschen, gegen Komotow zu gelegen, das ich nach dem Kriege erbaute.«

»Ihr seid vom Glück begünstigt, aber ich fahre schon seit gestern vergebens durch die ganze Stadt.«

»Um des Himmels willen! wohledler Herr, Ihr werdet es mir doch hoffentlich nicht abschlagen, wenn ich Euch bitte, bei mir abzusteigen. Da ist Platz genug; außer dem Wohnhause sind da noch Seitengebäude und bequeme Stallungen. Ihr werdet Raum für Diener und Pferde finden.«

»Ihr fallt mir ja gerade wie vom Himmel, so wahr mir Gott helfe.«

Ketling bestieg den Wagen und vorwärts ging's. Unterwegs erzählte Zagloba ihm von dem Unglück, das Herrn Wolodyjowski betroffen hatte, und er rang schmerzerfüllt die Hände darüber. Bisher war keine Kunde davon zu ihm gedrungen.

»Dieser Schlag trifft auch mich sehr hart,« sagte er; »vielleicht wissen Euer Liebden noch nicht, welch eine Freundschaft uns in jüngster Zeit verband. Gemeinsam machten wir während der letzten Kriege in Preußen die Belagerung der festen Plätze mit, in welchen schwedische Besatzung lag. Wir zogen gemeinsam in die Ukraine und gegen den Herrn Lubomirski, und nach dem Tode des Wojwoden von Rus abermals in die Ukraine unter dem Oberbefehl des Herrn Hetman Sobieski. Der gleiche Sattel war unser Pfühl, und wir aßen aus der gleichen Schüssel; man nannte uns Castor und Pollux. Erst als er nach Samogitien reiste, um Fräulein Borzobohata abzuholen, kam der Augenblick der Trennung für uns. Wer hätte gedacht, daß seine schönsten Hoffnungen gleich einem Pfeil in der Luft verschwinden würden.«

»Nichts ist beständig in diesem irdischen Jammerthal,« sagte Zagloba.

»Echte Freundschaft ausgenommen. Wir müssen uns seinetwegen beraten und zu erfahren suchen, wo er sich gegenwärtig aufhält. Vielleicht kann uns der Herr Hetman irgend welche Auskunft geben; er liebt Herrn Wolodyjowski wie seinen eigenen Augenapfel. Weiß er nichts, so giebt es hier ja Landboten aus allen Himmelsgegenden. Es ist unmöglich, daß kein einziger unter ihnen von solch einem Ritter etwas vernommen haben sollte. So viel in meiner Macht steht, will ich Euch dabei behülflich sein, noch eifriger, als wenn es sich um meine eigenen Angelegenheiten handelte.«

Unter solchen Gesprächen erreichten sie das »Landhäuschen« Ketlings, welches sich jedoch als ein stattlicher Landsitz erwies. Das Innere des Hauses war angefüllt mit mannigfachem Hausrat, worunter nicht wenige sehr kostbare Stücke, die zum Teil durch Kauf erworben, zum Teil Kriegsbeute waren. Besonders bemerkenswert war die Auswahl an Waffen aller Art. Zagloba, hocherfreut über das alles, meinte: »O, Ihr könntet hier zwanzig Personen Unterkunft schaffen. Ein Glück für mich, daß ich Euch gefunden. Ich hätte bei Herrn Anton Chrapowicki absteigen können; er ist ein alter Bekannter und Freund von mir. Auch die Pacs haben mich aufgefordert zu kommen; sie suchen Parteigänger gegen die Radziwills – aber ich ziehe vor, bei Euch zu bleiben.«

»Ich habe von den Litthauischen Landboten gehört, daß sie – weil eben jetzt Litthauen an der Reihe ist – jedenfalls Herrn Chrapowicki zum Reichstagsmarschall wählen wollen.«

»Und mit Recht. Er ist ein ehrenhafter, verständiger Mann, nur etwas zu gutmütig. Nichts geht ihm über den Frieden; er sucht immer nur die Leute mit einander auszusöhnen, und das ist nutzlos. Aber sagt mir aufrichtig, in welchem Verhältnis steht Ihr zu Boguslaw Radziwill?«

»In gar keinem seit der Zeit, da mich Herrn Kmicics Tataren bei Warschau gefangen nahmen; ich verließ den Dienst, denn ist er auch ein großer Herr, so ist er doch ein schlechter und ränkevoller Mann. Lange genug war ich in Taurogi Zeuge seiner Angriffe auf die Tugend jenes überirdischen Wesens.«

»Ueberirdisch! Was schwatzt Ihr da, Herr! Sie ist von Erde und zerbrechlich wie jedes irdene Gefäß. Aber das ist einerlei! Denkt Euch, dieser Schurke, ist Landbote,« rief Herr Zagloba, indem ihm die Zornesröte ins Gesicht stieg und seine Augen fast aus den Höhlen traten.

»Wer?« rief Ketling erstaunt, denn seine Gedanken waren noch immer bei Olenka.

»Boguslaw Radziwill! Doch wozu wären die Wahlprüfungen. Hört! Ihr seid Landbote, Ihr könntet die Sache zur Sprache bringen. Ich will Euch von der Gallerie herab Unterstützung zubrüllen; seid nur außer Sorge. Das Recht ist auf unserer Seite; und wenn sie versuchen sollten, das Recht zu beugen, dann werden wir im Auditorium einen prächtigen kleinen Tumult veranstalten, der nicht ohne Blutvergießen ablaufen soll.«

»Thun dies Euer Liebden ja nicht, um Gotteswillen! Ich werde die Sache zur Sprache bringen, denn das gehört sich; aber Gott bewahre uns davor, den Reichstag zu sprengen.«

»Ich werde mit Chrapowicki reden, obwohl er nicht kalt, nicht warm ist; aber von ihm als den künftigen Reichstagsmarschall hängt viel ab. Die Pacs will ich aufhetzen. Wenigstens wollen wir alle seine Praktiken öffentlich in Erinnerung bringen. Ueberdies habe ich unterwegs gehört, daß dieser Schurke sich um die Krone zu bewerben gedenkt.«

»Ein Volk müßte zum Untergang reif und nicht des Lebens wert sein, wenn ein solcher Mann König werden könnte,« sagte Ketling. »Aber pflegen Euer Liebden jetzt der Ruhe; an einem der nächsten Tage wollen wir den Herrn Hetman aufsuchen, um über unsern Freund Erkundigungen einzuziehen.«


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