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XVIII

In der Nacht nach jenem Ausfalle ertönte immer wieder von Zeit zu Zeit Kanonendonner. Kaum dämmerte aber der Morgen, so ward gemeldet, vor dem Schlosse seien etliche Türken in der Erwartung erschienen, man werde irgend jemand wegen Unterhandlungen zu ihnen entsenden. Da man aber im Kriegsrate zuvörderst wissen wollte, was der Feind eigentlich im Schilde führte, ward beschlossen, den Herrn Makowiecki und den Herrn Myslizewski zu beauftragen, sich mit den Heiden zu verständigen.

Nachdem sich nun Herr Kasimir Humiecki zu ihnen gesellt hatte, machten sie sich auf den Weg und trafen bald mit den drei Türken Muktar-Bey, mit Salomi, dem Pascha von Ruszczuck und mit dem Dolmetscher Kozra zusammen. Die Besprechung fand außerhalb des Schloßthores unter freiem Himmel statt. Sobald die Türken der Abordnung ansichtig wurden, berührten sie zum Zeichen der Begrüßung mit den Fingerspitzen Lippen, Herz und Stirne. Auch die Polen entboten ihren Gruß, fragten aber dann sofort, was von ihnen begehrt werde. Daraufhin ließ sich Salomi also vernehmen:

»Meine Vielgeliebten! Großes Unrecht ist unserem Gebieter widerfahren, ein Unrecht, das alle beweinen müssen, welche die Gerechtigkeit hochhalten, und für das Euch der ewige Gott strafen wird, so Ihr Eure Fehler nicht wieder gut macht. Wie, habt Ihr denn nicht den Juryca zu uns geschickt, der einen Fußfall vor unserm Großvezier that und die Bitte um Waffenstillstand vorbrachte? Als wir aber, auf Eure Tugend vertrauend, uns hinter den Schanzen hervorwagten, da habt Ihr aus Euern Kanonen auf uns geschossen, da habt Ihr einen Ausfall unternommen, so daß der Weg bis zu dem Zelte des Padischahs mit Leichnamen bedeckt ward. Ungestraft darf dieser Vorgang jedoch nicht bleiben, es sei denn, daß Ihr alsogleich die Schlösser und die Stadt übergebt und, meine Vielgeliebten, Euerm Bedauern, Eurer tiefen Reue Ausdruck verleiht.«

Darauf ergriff Herr Makowiecki das Wort und sagte:

»Der Juryca ist ein Hund, hat er doch seine Instruktionen so weit überschritten, daß er seinem Knechte befahl, die weiße Fahne aufzustecken. Dafür wird ihm wahrlich sein Lohn zu teil werden. Der Fürstbischof ließ seinerseits insgeheim anfragen, ob ein Waffenstillstand geschlossen werden könne, weil aber auch Ihr nicht aufhörtet, zur Zeit, da jene Briefe abgesandt wurden, gegen unsere Verschanzungen zu feuern (ich selbst bin Zeuge davon gewesen, denn ich bin durch Steinsplitter im Gesichte verletzt), deshalb hattet Ihr nicht das Recht, von uns zu verlangen, daß das Schießen eingestellt werde. Wenn Ihr jetzt kommt, um die Einwilligung zum Waffenstillstand zu bringen, so ist es gut, wenn nicht, dann, Ihr lieben Leute, sagt Euerm Großherrn, daß wir ebenso wie früher die Stadt und Feste verteidigen werden, bis wir zu Grunde gehen, oder, was sicherer ist, daß Ihr zwischen diesen Felsenwänden zu Grunde geht. Mehr haben wir Euch, liebe Leute, nicht mitzuteilen, nur den Wunsch haben wir noch auszudrücken, Gott möge Euch noch viele Jahre schenken und durch ein hohes Alter ehren.«

Nach dieser Unterredung trennten sich die Abgesandten sogleich. Die Türken kehrten zum Großvezier zurück, die Herren Makowiecki, Humiecki und Mysliszewski in die Festung, woselbst man sie mit Fragen darüber bestürmte, auf welche Weise sie die türkischen Emissäre abgefertigt hatten.

Jene berichteten von der Forderung der Türken.

»Ihr werdet diese Forderung zurückweisen, liebe Brüder,« sagte Kasimir Humiecki. – »Kurz gesagt, die Hunde verlangen, daß wir ihnen heute abend die Schlüssel der Stadt übergeben.«

Daraufhin wurden viele Stimmen laut und man erging sich in den beliebten Redensarten:

»Nicht satt werden sollen sie durch uns, diese heidnischen Hunde. Wir kapitulieren nicht, aber in die Flucht werden wir sie schlagen. Wir kapitulieren nicht!«

Nach diesem Beschlusse ging man auseinander, und das Feuer wurde von neuem eröffnet. Schon war es den Türken gelungen, einige schwere Geschütze aufzupflanzen, deren Geschosse über die Brustwehr hinaus in die Feste fielen. In der Stadt, sowie in den Schlössern arbeiteten die Feuerwerker im Schweiße ihres Angesichtes während der letzten Tagesstunden und die ganze Nacht hindurch. Die Gefallenen konnten nicht durch andere ersetzt werden, ebenso fehlte es an den nötigen Leuten zur Austeilung von Kugeln und Pulver. Erst kurz vor Tagesanbruch hörte das Getöse ein wenig auf. Doch kaum begann der Morgen zu grauen, kaum zeigte sich im Osten ein rosiger, goldumsäumter Streifen der Morgenröte, als in beiden Schlössern Alarm geschlagen wurde. Die Schlummernden in der Stadt wurden erweckt, schlaftrunkene Volkshaufen wogten in den Straßen und horchten nach allen Richtungen hin.

»Ein Sturm wird vorbereitet!« sagte einer zum andern, auf die Seite der Schlösser zeigend. »Und befindet sich Herr Wolodyjowski dort?« fragten ängstliche Stimmen. »Ja, ja, er befindet sich dort!« antworteten andere.

In den Schloßkapellen wurden die Glocken geläutet, Trommelwirbel ertönte von allen Seiten. In diesem ersten Morgengrauen, in diesem Dämmerlichte, während in einem Teil der Stadt verhältnismäßig noch eine gewisse Ruhe herrschte, klangen diese Töne geheimnisvoll und feierlich zugleich. In diesem Augenblick hörte man die Türken die Morgen-Kyndia spielen, eine Kapelle übernahm die Melodie von der andern, und der Schall drang wie ein Echo durch das unermeßliche Lager. Gleich Ameisenhaufen bewegten sich die Heiden um ihre Zelte. Bei anbrechendem Tage tauchten aus der Dunkelheit die sich übereinandertürmenden großen und kleinen Schanzen und Laufgräben empor, welche sich längs der Feste in einer langen Linie hinzogen. Urplötzlich erdröhnten auf dieser ganzen langen Linie die schweren türkischen Geschütze, deren Schall durch donnerndes Echo der Felsen von Smotrycz erwidert wurde, und es entstand ein furchtbares, entsetzliches Getöse, wie wenn alle Unwetter des Himmels, die sich lange Zeit angesammelt hatten, zum Ausbruch gekommen und samt dem Himmelsgewölbe zur Erde niedergefahren wären.

Es war ein Kampf der Artillerie. Die Stadt und die Schlösser gaben dröhnende Antworten. Binnen kurzem verhüllte Pulverdampf das Sonnenlicht und alles rings umher, nichts war mehr zu sehen, weder die türkischen Befestigungen, noch Kamieniec, sondern eine einzige, riesenhafte Wolke, die Donner und Blitz in sich barg. Aber die Geschütze der Türken waren weittragender, als die der Stadt. Dort hielt denn auch bald der Tod seine Ernte. Einige Karthaunen wurden zertrümmert. Bei der Bedienungsmannschaft der Hakenbüchsen fielen die Leute zu zweien und zu dreien auf einmal. Dem Pater Franziszek, welcher zwischen den Schanzen umhergehend, die Geschütze segnete, riß der Keil einer Kanone die Nase und einen Teil des Kiefers ab, an seiner Seite fielen auch zwei tapfere Juden, welche das Geschütz richteten.

Aber hauptsächlich schlugen die Geschosse der Türken in die Schanzen der Stadt. Dort harrte Herr Kasimir Humiecki wie ein Salamander im stärksten Feuer und Rauch aus, die Hälfte seiner Leute war schon gefallen, die übrigen waren fast alle verwundet. Er selbst verlor Sprache und Gehör, aber mit Hilfe des polnischen Vogtes brachte er die feindlichen Batterien wenigstens so lange zum Schweigen, bis die alten Geschützstücke durch neue ersetzt worden waren.

Ein Tag, zwei, drei Tage vergingen, ohne daß das furchtbare » Colloquium« der Kanonen auch nur einen Augenblick aufgehört hätte. Bei den Türken wechselte die Bedienungsmannschaft viermal im Tage, in der Stadt hingegen mußten dieselben Leute, ohne zu schlafen, ja, fast ohne Nahrung, ausharren, und dabei wurden sie halb erstickt vom Rauch, dabei wurden viele durch Steinsplitter und durch das Zerspringen der Lafetten verwundet. Die Soldaten harrten aus, aber der Mut der Bürger begann zu sinken. Schließlich mußten sie mit Stockhieben zu den Kanonen getrieben werden, wo sie dann in dichten Scharen fielen. Zum Glück richtete sich am Abend und in der Nacht des dritten Tages, von Donnerstag auf Freitag, der Hauptangriff gegen die Schlösser.

Beide, besonders aber das alte, wurden mit Granaten aus großen Mörsern beworfen, welche indessen wenig Schaden anrichteten, da in der Dunkelheit jede Granate sichtbar ist und man sich leicht dagegen zu schützen vermag. Erst gegen Morgen, als die Leute bereits derart ermattet waren, daß sie vor Schlaf sich nicht mehr aufrecht zu halten vermochten, gingen viele zu Grunde.

Der kleine Ritter, Myslizewski und Kwasibrodzki erwiderten von den Schlössern aus das Feuer der Türken. Mehrmals hielt der Herr General von Podolien bei ihnen Umschau und schritt im stärksten Kugelregen, wohl tief bekümmert, aber der Gefahr nicht achtend, einher.

Gegen Abend indessen, als das Feuer immer stärker wurde, näherte sich General Potocki Herrn Wolodyjowski.

»Liebwerter Herr Obrist,« sagte er, »wir werden uns hier nicht halten können.«

»So lange sie sich darauf beschränken, uns nur zu beschießen,« antwortete der kleine Ritter, »so lange werden wir uns halten können, aber sie wollen uns in die Luft sprengen, denn sie legen schon die Minen.«

»Legen sie wirklich schon die Minen?« fragte der Herr General bestürzt.

Darauf erwiderte Wolodyjowski:

»Siebzig Geschütze sind in Aktion und fast ununterbrochen währt das Getöse, gleichwohl treten mitunter auch Ruhepausen ein. Kommt ein solcher Moment, dann mögen Euer Gnaden wohl aufmerken und werden sicherlich etwas hören.«

Thatsächlich mußte man nicht lange auf einen solchen Augenblick warten, zumal ihnen der Zufall zu Hilfe kam. Bei den Türken barst eines der Belagerungsgeschütze. Dies führte eine gewisse Verwirrung herbei. Von den anderen Schanzen wurden sofort Boten abgesandt mit der Anfrage, was geschehen sei, und so entstand eine Unterbrechung des Bombardements.

Nun näherten sich Herr Potocki und Herr Wolodyjowski einer vorspringenden Bastei und lauschten. Nach einer gewissen Zeit hörten sie ganz deutlich die lauten Schläge, welche mit den Spitzhauen gegen die Felsenwand geführt wurden.

»Sie bohren,« sagte Herr Potocki.

»Sie bohren,« wiederholte der kleine Ritter.

Dann verstummten beide. In dem Gesichte des Generals drückte sich große Bestürzung aus, er erhob die Hände und preßte sie an seine Schläfen. Als Wolodyjowski dies sah, bemerkte er:

»Bei Belagerungen kommt dies fast immer vor. Bei Zbaraz gruben sie Tag und Nacht unter uns.«

Der General erhob das Haupt.

»Und was that Wisniowiecki daraufhin?«

»Wir zogen uns aus den umfangreichen Wällen in kleinere, engere zurück.«

»Und was obliegt uns zu thun?«

»Wir sollten die Kanonen und was sonst noch beweglich ist, in das alte Schloß überführen lassen, denn dieses ist auf Felsen erbaut, denen auch Minen nichts anhaben können. Ich bin immer der Meinung gewesen, das neue Schloß werde nur dazu dienen, den Feind beim ersten Anprall zurückzuweisen, dann aber müsse die Notwendigkeit an uns herantreten, die Vorderseite selbst in die Luft zu sprengen, um uns dann im alten Schlosse wirksam verteidigen zu können.«

Ein tiefes Schweigen folgte, und der General neigte abermals sein sorgenvolles Haupt auf die Brust herab.

»Und wenn wir uns auch aus dem alten Schlosse zurückziehen müssen, was bleibt uns dann übrig?« fragte er mit gebrochener Stimme.

Da richtete sich der kleine Ritter hoch empor, sein Schnurrbärtchen zuckte, und er zeigte mit dem Finger zu Boden.

»Für mich nur ein Platz unter der Erde!« sagte er.

In diesem Augenblick donnerten die Geschütze von neuem, und das Schloß wurde von ganzen Schwärmen von Granaten überschüttet, welche deutlich zu sehen waren, da es bereits dunkelte. Nachdem Wolodyjowski sich von dem General verabschiedet hatte, schritt er längs der Basteimauern dahin, und von einer Batterie zur andern gehend, erteilte er der Mannschaft Ratschläge und ermutigte sie durch seinen Zuspruch. Als er schließlich mit Ketling zusammentraf, fragte er:

»Nun, wie steht's?«

Ketling lächelte freundlich.

»Die Granaten verbreiten förmlich Tageshelle,« erwiderte er, dem kleinen Ritter die Hand drückend. »An Schüssen lassen sie es nicht fehlen.«

»Ein gutes Geschütz ist ihnen zerstört worden. Hast Du es demontiert?«

»Ja!«

»Mich übermannt der Schlaf beinahe!«

»Auch mich, doch ist es nicht an der Zeit, zu schlafen.«

»Ach,« sagte Wolodyjowski, »unsere kleinen Frauen müssen nicht wenig bekümmert sein, und wenn ich an sie denke, flieht mich der Schlaf.«

»Sie beten für uns!« sagte Ketling, die Augen auf die umherfliegenden Granaten richtend.

»Gott schenke ihnen Gesundheit! Der Deinen und der Meinen!«

»Auf der ganzen Welt,« begann Ketling, »giebt es wenig solche Frauen ...«

Doch konnte er nicht endigen, denn der kleine Ritter, welcher sich in diesem Augenblick dem Innern des Schlosses zugewendet hatte, schrie plötzlich mit gewaltiger Stimme:

»Um Gottes willen! Rettet Euch! Was sehe ich!«

Und er eilte davon. Ketling wendete sich voll Verwunderung um und erblickte nun in einer Entfernung von etwa zwanzig Schritten im Schloßhofe Basia mit Zagloba und dem Samogitier Pietka.

»An die Mauer! An die Mauer!« schrie der kleine Ritter, sie so rasch wie möglich unter den Vorsprung der Zinnen hinziehend. »Um Gottes willen! ...«

»Ha!« sagte Herr Zagloba keuchend und in abgebrochenen Lauten. »Sich mit solch einem Frauenzimmer Rat zu schaffen, ist schwer! Ich habe sie gebeten, ich habe es mit Vorstellungen versucht, »Dich und mich bringst Du ins Verderben!« habe ich gesagt. Ich bin vor ihr niedergekniet – umsonst! Hätte ich sie vielleicht allein gehen lassen sollen? Wie? ... Uff! Da war nichts zu machen. Ich bin also gegangen und da hast Du sie!«

Eine tiefe Angst drückte sich in Basias Antlitz aus, und ihre Lippen bebten, als ob sie dem Weinen nahe sei. Doch fürchtete sie nicht die Granaten, noch das Krachen der Geschütze, noch die umherfliegenden Steinsplitter, sondern nur den Zorn ihres Gatten. Daher faltete sie die Hände wie ein kleines Kind, das sich vor Strafe fürchtet, und rief unter Schluchzen:

»Ich konnte nicht anders, Michalek! So wahr ich Dich liebe, ich konnte nicht anders! Sei nicht böse, Michalek! Ich kann nicht dort bleiben, während Du Dich hier in der größten Gefahr befindest, nein, ich kann nicht, ich kann nicht! ...«

Er war schon nahe daran gewesen, sich vom Zorn hinreißen zu lassen. »Basia, fürchtest Du denn Gott nicht?« hatte er gerufen, aber mit einemmale übermannte ihn eine unendliche Rührung, die Stimme versagte ihm, und erst als das teure blonde Köpfchen an seiner klopfenden Brust ruhte, sagte er:

»O Du mein treuer Freund, treu mir bis zum Tode!«

Und er umschlang sie fest mit seinen Armen.

Mittlerweile sagte Zagloba, der sich in eine Vertiefung der Mauer gedrückt hatte, hastig zu Ketling:

»Auch Deine Gattin wollte mitgehen, doch täuschten wir sie, indem wir vorgaben, wir wären wieder von unserer Absicht zurückgekommen. Wie hätte sie auch mitgehen können? In diesem Zustande! Ein General der Artillerie wird Dir geboren werden. Ich will ein Schurke sein, wenn es nicht ein General ist ... Ha! Auf die Brücke zwischen Stadt und Schloß fallen ja die Granaten wie die Birnen nieder. Ich dachte schon, ich werde bersten – aus Aerger, nicht aus Furcht ... Unglücklicherweise fiel ich auf Granatsplitter und verletzte mir die Haut dermaßen, daß es wohl acht Tage währt, bis ich mich ohne Schmerzen niedersetzen kann ... Uff! Wie diese Spitzbuben bombardieren! Mag ein Donnerwetter sie holen! ... Herr Potocki will mir das Kommando übergeben ... Gebt den Soldaten zu trinken, sonst werden sie nicht aushalten! ... Seht doch diese Granate! Bei Gott! Die wird dicht bei uns niederfallen. Schützt Basia! Bei Gott, dicht bei uns! ...«

Aber die Granate fiel in einiger Entfernung, nicht in der Nähe nieder. Sie fiel auf das Dach der lutherischen Kapelle im alten Schlosse. Dorthin hatte man, der starken Kuppelwölbung wegen, die Munition gebracht, allein das Geschoß durchbrach das Gewölbe und steckte das Pulver in Brand. Eine gewaltige Explosion, stärker als der Donner der Kanonen, erschütterte die beiden Schlösser in ihren Grundmauern. Von den Zinnen hörte man Schreie des Entsetzens, die polnischen und türkischen Geschütze verstummten.

Ketling verließ Zagloba, Wolodyjowski seine Basia, und beide liefen, so schnell ihre Füße sie zu tragen vermochten, nach den Basteimauern. Eine Weile hörte man, wie beide in atemlosem Tone Befehle erteilten, doch schließlich wurden ihre Kommandoworte durch Trommelwirbel in den Schanzen der Türken übertönt.

»Sie bereiten einen Angriff vor!« flüsterte Zagloba.

In der That glaubten die Türken im ersten Augenblick als sie die Explosion hörten, beide Schlösser seien zerstört und deren Verteidiger zum Teil unter den Trümmern begraben, zum Teil unfähig, noch Widerstand zu leisten. Von diesem Gedanken geleitet, bereiteten sie sich zum Sturme vor. Die Thoren! Sie wußten nicht, daß nur die lutherische Kapelle in die Luft geflogen war, die Explosion aber keinen anderen Schaden angerichtet hatte, ja, daß in dem neuen Schloß nicht einmal ein Rohr von der Lafette gefallen war. Immer stärker wurde der Trommelwirbel auf den Schanzen. Haufen von Janitscharen ließen sich von den Schanzen hinabgleiten und liefen im Eilschritte der Feste zu. Zwar waren die Wachfeuer im Schlosse und in den Laufgräben der Türken erloschen, aber die Nacht war hell und bei dem Scheine des Mondes konnte man deutlich eine dichte Masse von weißen Janitscharenmützen wahrnehmen, welche gleich vom Winde bewegten Wellen auf und niederwogten. Einige tausend Janitscharen und ein paar hundert Jamaks rückten zum Sturme vor. Gar viele von ihnen sollten die Minarets von Stambul, die hellen Gewässer des Bosporus und die dunkeln Cypressen ihrer Begräbnisplätze nie mehr sehen. Aber jetzt eilten sie wutentbrannt und siegesbewußt vorwärts.

Wolodyjowski schlich sich wie ein Geist längs der Wälle hin.

»Nicht schießen! Auf das Kommando warten!« rief er bei jedem Geschütze.

Die Dragoner legten sich, schnaubend vor Wut, mit ihren Musketen über die Brüstung der Zinnen. In der Stille der Nacht hörte man nur die raschen, wie ferner Donner klingenden Schritte der Janitscharen.

Je näher sie herankamen, desto sicherer glaubten sie mit einem Ansturm die beiden Schlösser nehmen zu können. Viele meinten, die übrig gebliebenen Verteidiger hätten sich schon nach der Stadt zurückgezogen und die Basteien seien verlassen. An dem Graben angelangt, begannen sie ihn mit Faschinen sowie mit Säcken voll Stroh auszufüllen und im Nu war das geschehen.

Auf den Wällen herrschte immer noch tiefe Stille.

Aber als die ersten Reihen den ausgefüllten Graben betraten, da krachte plötzlich in einem Einschnitt der Brustwehr ein Pistolenschuß und gleichzeitig rief eine durchdringende Stimme:

»Feuer!«

Und sogleich blitzten beide Bastionen und die sie verbindende Courtine auf, der Donner der Geschütze, das Geknatter der Musketen und Hakenbüchsen und die Rufe der Angreifer vermischten sich miteinander. Gleich wie ein Bär, in dessen Eingeweide der von der Hand eines tüchtigen Waidmannes geschleuderte Speer bis zur Hälfte eingedrungen ist, sich in einen Knäuel zusammenrollt, brüllt, sich umherwirft, um sich schlägt, sich reckt und sich dann wiederum zusammenrollt – lagen nun auch die Janitscharen und Jamals zusammengeballt da. Die mit Kartätschen geladenen Kanonen streckten die Leute reihenweise nieder, gerade wie ein starker Wirbelsturm mit einem Male die Aehren auf dem Felde zu Boden streckt. Diejenigen, welche gegen die von beiden Bastionen flankierte Courtine vorrückten, befanden sich in einem dreifachen Feuer, und sich in ihrem Entsetzen gegen die Mitte zu in regellosen Haufen zusammenscharend, fielen sie in so dichten Massen nieder, daß die übereinander liegenden Leichname förmliche Hügel bildeten. Mit den Kartätschen zweier Kanonen hatte Ketling jene Haufen in Verwirrung gebracht, und schließlich, als die Flucht begann, bestrich er den schmalen Zugang zwischen den beiden Bastionen mit einem wahren Blei- und Kugelregen.

Auf der ganzen Linie wurde der Angriff zurückgeschlagen; als nun zahlreiche Janitscharen und Jamals, nachdem sie den Festungsgraben verlassen, wie wahnsinnig, mit Angstgebrüll davon eilten, da wurden brennende Pechkränze und Fackeln in die Schanzen der Türken geworfen, Feuerwerke abgebrannt und so die Nacht zum Tage gemacht, um den Weg zu erleuchten und gleichzeitig den erwarteten feindlichen Ausfall aus dem türkischen Lager zu erschweren.

Mittlerweile rief Herr Wolodyjowski, welcher den zwischen den beiden Bastionen eingeschlossenen Menschenknäuel gewahrte, seinen Dragonern und stürzte sich mit ihnen auf die kleine Schar. Noch einmal versuchten es jene Unglücklichen, zu entfliehen, aber Ketling überschüttete sie mit einem so furchtbaren Hagel von Geschossen, daß der Ausgang wie durch einen hohen Wall verbarrikadiert wurde. Auch die noch Uebriggebliebenen mußten jetzt zu Grunde gehen und wehrten sich mit aller Kraft, denn die Verteidiger der Feste übten keine Gnade. Es waren tüchtige Burschen, diese Türken, die sich hier zu dreien und fünfen zusammenscharten und, sich mit dem Rücken aneinanderlehnend, voll Ingrimm ihre Speere, Hellebarden, Dolche und Säbel zu gebrauchen wußten. Schrecken, Angst, Bestürzung, die Gewißheit, daß sie sterben mußten, die Verzweiflung, all dies verwandelte sich schließlich in ihnen in ein Gefühl der Wut. Eine wahre Kampfeslust riß sie mit sich fort. Manche stürzten sich in ihrer Wut einzeln auf die Dragoner und wurden sofort niedergemacht. Es war dies geradezu ein stampf von Furien, denn auch die von Beschwerden, Mangel an Schlaf, und Hunger ermatteten Dragoner wurden bei dem Anblick des Feindes von Raserei ergriffen, und da sie ihm mit der blanken Waffe bei weitem überlegen waren, brachten sie ihm eine entsetzliche Niederlage bei. Von der Absicht geleitet, das Schlachtfeld zu beleuchten, hatte Ketling gleichfalls Pechkränze anzünden lassen, in deren Lichte man die ingrimmigen Masuren im Säbelkampfe mit den Janitscharen sah und deutlich wahrnahm, wie sie sich gegenseitig an den Köpfen und Bärten herumzerrten. Besonders der grausame Lusnia wütete gleich einem wild gewordenen Stiere. Am Ende des anderen Flügels kämpfte Herr Wolodyjowski selbst, und in dem Bewußtsein, daß Basia von dem Walle auf ihn niederschaue, übertraf er sich selbst. Wie ein mordsüchtiges Wiesel, in einen von Mäusen wimmelnden Getreideschober eindringend, ein furchtbares Blutbad unter diesen anrichtet, so warf sich auch der kleine Ritter wie ein Geist der Vernichtung auf die Janitscharen.

Sein Name war unter den Türken sowohl durch die früheren Kämpfe, als auch durch die Erzählungen der Türken aus Chocim schon bekannt, zudem war schon überall die Meinung verbreitet, einem Kampfe mit ihm könne kein Mensch lebend entkommen – daher unterließ es mancher der zwischen den Basteien eingeschlossenen Janitscharen, welcher den kleinen Ritter urplötzlich vor sich sah, sich zu verteidigen, und starb, die Augen schließend, mit dem Worte »Kismet« auf den Lippen, unter den Streichen des auf ihn niedersausenden Säbels. Endlich erlahmte der Widerstand der Türken. Die Uebriggebliebenen stürzten sich auf den Wall von Leichen, welcher den Ausgang versperrte, und wurden dort niedergemetzelt.

Ueber den ausgefüllten Festungsgraben rückten nun die keuchenden, nach Blut riechenden Dragoner unter Singen und Lärmen wieder ein, ein paar Kanonenschüsse wurden noch zwischen den Schanzen der Türken und dem Schlosse gewechselt, dann erfolgte eine tiefe Stille. – So endigte der mehrtägige Artilleriekampf, welcher mit dem Siege über die Janitscharen gekrönt ward.

»Gelobt sei Gott,« sagte der kleine Ritter, »so ist uns Ruhe gegönnt bis zum morgigen ›Kindya‹, und darauf haben wir gerechten Anspruch.«

Aber es war nur eine scheinbare Ruhe, denn spät in der Nacht erscholl wieder der Klang der an die Felsenwand schlagenden Spitzhauen.

»Das ist schlimmer, als das Feuer der Geschütze!« sagte Ketling lauschend.

»Nun wäre es ratsam, einen Ausfall zu machen,« bemerkte der kleine Ritter, »aber es ist unmöglich, weil die Leute allzu ermüdet sind. Sie schliefen nicht und aßen nicht, obwohl es nicht an Nahrungsmitteln mangelte, doch fehlte ihnen die Zeit dazu. Uebrigens stehen immer ein paar tausend Jamaks und Spahis als Wache bei den Minierern, damit sie unbehelligt von uns arbeiten können. Uns bleibt kein anderes Mittel, wir müssen selbst das neue Schloß in die Luft sprengen und uns in das alte zurückziehen.«

»Heute kann dies nicht mehr geschehen,« erwiderte Ketling. »Sieh, die Leute liegen hingestreckt, wie die Garben, ein fester, bleierner Schlaf hält sie gefangen. Die Dragoner haben nicht einmal ihre Säbel abgewischt.«

»Basia, es ist Zeit für Dich, nach Hause und schlafen zu gehen!« sagte plötzlich der kleine Ritter.

»Gut, Michal,« antwortete Basia in demütigem Tone, »ich will thun, was Du befiehlst. Aber das Kloster ist nun schon geschlossen, deshalb möchte ich hier bleiben und über Deinen Schlaf wachen.«

»Es ist seltsam,« sagte der kleine Ritter, »nach solcher Anstrengung flieht mich der Schlaf, und ich habe kein Verlangen, mein Haupt zur Ruhe zu legen.«

»Weil Dein Blut während der Unterhaltung mit den Janitscharen stark in Wallung geraten ist,« bemerkte Zagloba. »Auch mir erging es stets so. Nach einer Schlacht konnte ich niemals schlafen. Was nun Basia anbelangt, so hat sie doch nicht nötig, sich bei Nacht zur verschlossenen Klosterpforte hinzuschleppen. Laß sie hierbleiben bis zum Morgen.«

Basia umarmte Zagloba vor Freude und als der kleine Ritter sah, wie viel ihr daran lag, sagte er:

»Komm, gehen wir in die Kemenate.«

Und sie entfernten sich, doch gewahrten sie sofort, daß auch die Kemenate sich mit Kalkstaub angefüllt hatte, welcher durch den die Wände erschütternden Kugelregen herabgefallen war. Hier konnte man sich nicht aufhalten, daher kehrten Basia und ihr Gatte wieder auf die Schloßmauer zurück, woselbst sie sich in einer durch ein vermauertes Thor gebildeten Nische niederließen. Hier saß er nun, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, und sie schmiegte sich an ihn wie ein Kind an die Mutter. Es war eine warme, schöne Augustnacht. Der Mond warf seinen silbernen Schein in die Nische, so daß die Gesichter des kleinen Ritters und Basias förmlich von den Strahlen übergossen waren. Unten im Schloßhofe waren Schaaren schlafender Soldaten zu sehen, sowie die Leichen der während der Kanonade Gefallenen, zu deren Bestattung es bisher an Zeit gefehlt hatte. Still glitt das Mondlicht über diese Gestalten, als ob sich der einsame Wanderer am Himmel davon überzeugen wolle, wer nur aus Ermattung eingeschlummert sei, und wer schon den ewigen Schlaf schlafe. Etwas weiterhin zeichnete sich das Hauptgebäude des Schlosses ab, dessen dunkler Schatten über die Hälfte des Hofes fiel. Von außerhalb der Mauern, wo zwischen den beiden Bastionen die dem Schwerte erlegenen Janitscharen lagen, drangen Männerstimmen herüber. Es waren Troßknechte und diejenigen von den Dragonern, welche die Beute dem Schlafe vorzogen und die Leichen der Gefallenen beraubten. Wie Johanniswürmchen flimmerten ihre Laternen auf dem Schlachtfelde. Manche riefen einander leise zu und einer sang mit gedämpfter Stimme ein hübsches Liedchen, das wenig im Einklang mit seiner gegenwärtigen Beschäftigung stand:

»Was ist mir denn Silber, was ist mir die Beute,
Was alle Habe mir,
An elendem Zaune stürb ich voll Freude,
Wenn ich jetzt wäre bei Dir!«

Doch nach einer gewissen Zeit verstummten jene Stimmen und schließlich war kein Laut mehr hörbar. Die Stille ward jetzt nur noch durch den aus der Ferne herübertönenden Klang der an die Felsen schlagenden Spitzhauen und die Rufe der Wachen auf den Mauern unterbrochen. Diese Stille und die helle, wunderbare Mondnacht übten auf den kleinen Ritter und Basia eine wahrhaft berauschende Wirkung aus. Basia schaute zu ihrem Gatten empor, und als sie bemerkte, daß er die Augen offen hatte, sagte sie:

»Du schläfst nicht, Michal?«

»Es ist eigentümlich, aber ich kann nicht schlafen.«

»Und fühlst Du Dich wohl hier?«

»Sehr wohl! Und Du?«

Basia nickte.

»Ach Michal, so wohl! Hörtest Du, was jener Mann dort sang?«

Und sie wiederholte die Schlußworte des kleinen Liedes:

»An elendem Zaune stürb ich voll Freude,
Wenn ich jetzt wäre bei Dir!«

Ein kurzes Schweigen folgte, dann ergriff der kleine Ritter wieder das Wort:

»Baska!« sagte er. »Höre, Baska!«

»Nun, Michal?«

»Wir sind doch außerordentlich glücklich miteinander, und ich glaube, wenn eines von uns beiden fiele, würde sich das andere unsäglich grämen.«

Basia begriff sehr gut, daß der kleine Ritter, indem er sagte: »wenn eines von uns beiden fiele,« statt »stürbe«, nur sich gemeint haben konnte. Und ihr kam der Gedanke, er befürchte, bei dieser Belagerung zu Grunde zu gehen, er wolle sie auch auf diese Möglichkeit vorbereiten. Ein furchtbares Vorgefühl preßte ihr das Herz zusammen, und beide Hände faltend, sprach sie:

»Michal, habe Mitleid mit Dir selbst und mit mir!«

Die Stimme des kleinen Ritters klang ein wenig bewegt, aber doch fest, als er erwiderte:

»Siehst Du, Du hast nicht recht, Basia, denn wenn man die Sache erwägt, was ist das irdische Leben? Weshalb sich also Kummer darüber machen? Wer kann hier vollkommene Seligkeit genießen und sich ungestört der Liebe freuen, da alles Glück plötzlich zusammenbrechen kann wie ein dürrer Ast?«

Ein heftiges Schluchzen erschütterte Basias Körper, und sie rief:

»Ich will dies nicht hören! Ich will nicht! Ich will nicht!«

»So wahr ich Gott liebe, Du hast nicht recht!« wiederholte der kleine Ritter. »Blicke hin, dort oben, wo der stille Mond dahinzieht, dort ist das Reich der ewigen Glückseligkeit, dorthin wollen wir unsere Gedanken lenken! Wer in jene Sphären gelangt, der kann unendlich ausruhen wie nach einer langen Reise, und sich der Seligkeit erfreuen. Ist einmal meine Uhr abgelaufen – und darauf sollte der Soldat stets gefaßt sein – dann mußt Du Dir sofort sagen: ›Es hat nichts zu bedeuten!‹ Du bist geradezu verpflichtet, Dir zu sagen: ›Michal hat sich auf eine Reise begeben, er ist in die Ferne, viel weiter als nach Litthauen gezogen, aber was bedeutet dies! ich werde ihm ja nachfolgen!‹ Baska, sei stille, weine nicht mehr! Wer zuerst die Reise antritt, macht Quartier für den andern – das ist alles!«

Es war, als ob ihn plötzlich eine Vision überkomme, als ob er die künftigen Ereignisse voraussehen könne, denn die Augen zum schimmernden Mondlicht erhebend, sprach er weiter:

»Was ist denn das irdische Leben? Gesetzt, ich wäre schon dort oben, und ich müsse warten, bis jemand an die Himmelspforte klopft. Der heilige Petrus öffnet, ich blicke hin, wer ist es? Meine Baska! O, wie werde ich ihr entgegeneilen, wie werde ich aufjauchzen! Gütiger Gott! Mir fehlen die Worte, um dies zu schildern. Und dort wird es keine Thränen mehr geben, sondern ewige Freude, dort kennt man weder Heiden, noch Geschütze, noch Minen unter den Mauern, sondern nur Frieden und Glückseligkeit. Ei, Basia, bedenke wohl, der Tod hat nichts zu bedeuten.«

»Michal! Michal!« murmelte Basia.

Und wieder trat ein tiefe Stille ein, die nur durch den aus der Ferne dringenden, eintönigen Klang der Spitzhauen unterbrochen wurde.

»Basia, laß uns jetzt zusammen beten!« sagte schließlich Wolodyjowski.

Und diese beiden reinen Seelen begannen zu beten. Während sie beteten, kam der Frieden über sie, schließlich aber übermannte sie der Schlaf, und sie schlummerten bis zum Morgengrauen.

Herr Wolodyjowski geleitete Basia dann noch vor der Morgen-Kindya zu der, das alte Schloß mit der Stadt verbindenden Brücke. Beim Abschied sagte er zu ihr:

»Bedenke wohl, Basia, der Tod hat nichts zu bedeuten!«


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