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XII

Nowowiejkis Uebergang über den Dniestr und sein Zug mit den dreihundert Reitern gegen die Hunderttausende von Kriegern zählende Macht des Sultans war ein Unterfangen, das von einem des Krieges Unkundigen als ausgesprochener Wahnsinn betrachtet werden konnte. Gleichwohl war es nur eine kühne kriegerische Unternehmung, die immerhin eine gewisse Aussicht auf Erfolg hatte.

Zuvörderst kamen Anführer von Streifkolonnen häufig in die Lage, gegen hundertmal zahlreichere Horden auszuziehen, sich ihnen zu zeigen, sich alsdann zurückzuziehen und die Verfolger niederzuhauen. Geradeso wie zuweilen der Wolf die Hunde herauslockt, um sich im geeigneten Augenblick gegen sie zu kehren und den hitzigsten der ihm nachjagenden Meute zu verfolgen, genau so machten sie es auch. Das wilde Tier ward im Nu zum Jäger, es lief davon, es duckte und versteckte sich, aber verfolgt, wandte es sich gegen den Verfolger, fiel plötzlich über ihn her und biß ihn zu Tode. Dies war die gewöhnliche Verfahrungsart mit den Tataren, wobei eine Partei die andere durch Ränke und Kunstgriffe aller Art, durch unvorhergesehene Ueberfälle zu überlisten suchte. Der berühmteste in der Durchführung dieses Verfahrens war Herr Wolodyjowski, hinter dem Herr Ruszczyc, sowie Herr Piwo und Herr Motowidlo nicht weit zurückstanden, aber auch Herr Nowowiejski, der von Jugend an in den Steppen Kriegsdienste verrichtet hatte, gehörte zu denen, welche als ausgezeichnet genannt wurden, daher war alle Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sich selbst dann nicht von den Horden umzingeln lasse, wenn sie ihn dicht vor Augen sahen.

Seine Unternehmung hatte auch deshalb Aussicht, weil sich jenseits des Dniestr öde Ländereien hinzogen, wo man sich leicht verbergen konnte. Nur da und dort längs des Flußufers befanden sich Ansiedelungen, doch im allgemeinen war die Gegend wenig bevölkert. In der Nähe des Stromes war sie felsig und hügelig, etwas weiterhin sah man Steppen und Wälder, in denen sich zahlreiche Herden von Tieren herumtrieben, und zwar wild gewordene Büffel, Hirsche, Rehe und Eber. Da der Sultan vor dem Feldzug den Drang fühlte, sich seiner Macht bewußt zu werden und seine Streitkräfte zu zählen, hatten nicht nur die in den Niederungen längs des Dniestr hausenden Horden von Bialogrod und die aus der Dobrucza auf Befehl des Padischah weit über den Balkan hinausziehen müssen, sondern ihnen waren auch die Karalaszen aus der Moldau gefolgt.

Infolgedessen war das Land vollständig verödet und man konnte es wochenlang durchstreifen, ohne auf ein menschliches Wesen zu stoßen. Nowowiejski kannte die Gepflogenheiten der Tataren allzugut, um nicht zu wissen, daß die Horden, sobald sie einmal die Grenzen der Republik überschritten hatten, äußerst behutsam vorrückten, indem sie dabei vorsichtig nach allen Richtungen Umschau hielten, daß sie sich hingegen hier, in ihrem eigenen Lande, meist in breiten Kolonnen vorwärts bewegten, ohne die mindeste Vorsicht zu gebrauchen. Und thatsächlich war es auch diesmal so. Es hätte die Tataren weniger in Staunen versetzt, mit dem leibhaftigen Tod zusammenzutreffen, als hier im Innern Bessarabiens, gerade an der tatarischen Grenze, mit den Kriegsscharen der Republik zusammenzustoßen, welche nicht einmal über genug Soldaten zum Schutze der eigenen Grenze verfügte.

So vertraute denn Herr Nowowiejski darauf, daß seine Unternehmung zuvörderst den Feind verblüffen und daher größere Vorteile herbeiführen werde, als der Herr Hetman erwartete, und daß sie zweitens für Azya und die Lipker verderblich werden könne. Es war für den jungen Leutnant nicht schwer, zu erraten, daß die Lipker und Czeremisen, welche das Gebiet der Republik trefflich kannten, die Vorhut bilden mußten, und auf diese Annahme gründete er hauptsächlich seine Hoffnungen, den verhaßten Azya zu überfallen und festzunehmen, ihm Ewa und Zosia wieder zu entreißen, sie vor der Sklaverei zu bewahren, seine Rache zu vollführen und dann selbst auf dem Schlachtfelde zu sterben. – Dies war alles, wonach die gemarterte Seele Nowowiejskis verlangte.

Unter dem Einflusse solcher Gedanken und Hoffnungen wich allgemach die Erstarrung von ihm, und er lebte wieder auf. Der Ritt durch unbekannte Strecken, die großen Mühseligkeiten, die kräftige Steppenluft, die Gefahren der kühnen Unternehmung stählten seine Kraft aufs neue und gaben ihm die frühere Energie zurück. Der mutige Sinn des Kriegers gewann allmählich wieder die Oberhand in dem vom Unglück Darniedergebeugten. Bis jetzt hatte nur die quälende Erinnerung Raum in seiner Seele gefunden, jetzt aber mußte er tagelang darüber nachdenken, wie er den Feind hintergehen und vernichten könne.

Nach der Ueberschreitung des Dniestr zogen sie quer hinab gegen den Pruth zu, wobei sie sich während des Tages häufig in den Wäldern und in dem Schilfrohr verbargen, des Nachts dagegen heimliche Eilritte ausführten. Das jetzt noch schwach bevölkerte, zu jener Zeit aber vorwiegend von Nomaden bewohnte Land war zum größten Teil eine Einöde. Nur selten stießen sie auf Maisfelder und Ansiedelungen.

Behutsam vorrückend, bemühten sie sich, die größeren Ansiedelungen zu umgehen, doch gar häufig drangen sie kühn in die kleineren ein, die aus einer, zwei, drei oder auch aus mehreren Hütten bestanden, wohl wissend, daß es keinem der Bewohner einfallen werde, zu der Horde von Budziak vorauszueilen und die dortigen Tataren zu warnen. Lusnia gab übrigens acht darauf, daß dies nicht geschehe. Doch erkannte er bald, daß seine Vorsicht überflüssig war, da er die Ueberzeugung gewann, daß die wenigen Ansiedler, obwohl sie zu den Unterthanen des Sultans gerechnet wurden, doch selbst mit Bangen dem Anrücken des türkischen Heeres entgegensahen, daß sie ferner auch keinen Begriff davon hatten, was für Krieger es waren, die jetzt bei ihnen einkehrten und die ganze Schwadron für eine Abteilung von Karalaszen hielten, welche auf Befehl des Sultans entgegen den andern Horden herzogen.

Ohne Widerrede wurden ihnen Fladen aus Mais, gedörrte Kornelkirschen und geräuchertes Büffelfleisch geliefert. Jeder Besitzer eines Gehöftes hatte seine Schafe, Büffel und Pferde in der Nähe der Flüsse verborgen. Von Zeit zu Zeit stießen die Reiter auf zahlreiche, halbwilde Büffelherden, welche von mehreren Hirten gehütet wurden. Diese lagerten in Zelten auf der Steppe, verweilten aber nur so lange an einem Orte, als es Futter in Ueberfluß gab. Meist waren es alte Tataren.

Nowowiejski ergriff diesen Herdenwächtern gegenüber solche Vorsichtsmaßregeln, als ob es sich um die Horden selbst handelte. Er ließ die von ihm Umzingelten nicht am Leben, damit sie nach dem Gebiet von Budziak keine Kunde über sein Vorrücken verbreiteten. Besonders die Tataren ließ er, nachdem er sie über die Wege, oder vielmehr die unwegsame Gegend ausgeforscht hatte, ohne Erbarmen niedermachen, so daß nicht einer entkommen konnte. Hierauf nahm er so viel Vieh als er gerade brauchte und zog weiter.

Je mehr sie nach Süden kamen, desto häufiger stießen sie auf Herden, die zumeist von ziemlich beträchtlichen Tatarenscharen gehütet wurden. Im Laufe seines vierzehntägigen Zuges umzingelte Nowowiejski drei verschiedene Banden von Viehhütern, von denen eine jede zwanzig bis dreißig Köpfe zählte, und hob sie auf. Die Dragoner nahmen den Leuten die von Läusen wimmelnden Pelze ab und legten sie, nach vorheriger Reinigung am Feuer, selbst an, um so für Viehhüter und Schäfer zu gelten. In der zweiten Woche waren bereits alle wie Tataren gekleidet und machten vollständig den Eindruck einer umherziehenden Horde. Von einer solchen unterschieden sie sich nur durch die gleichmäßige Bewaffnung, ihre Reiterkoller aber verwahrten sie an den Sattelgurten, um sie bei der Rückkehr wieder anzuziehen. In der Nähe wären die Masuren an ihren hellen Schnurrbärten und blauen Augen zu erkennen gewesen, doch in der Ferne hätte sich auch das geübteste Auge täuschen können, besonders weil sie das Vieh vor sich hertrieben, dessen sie zum Unterhalt bedurften.

Sich dem Pruth nähernd, zogen sie längs des linken Ufers stromabwärts. Da auf der Kuszmanski-Passage wohl weit und breit keine Lebensmittel mehr aufzutreiben waren, konnte man leicht voraussehen, daß die Heeresmassen des Sultans, mit den Horden an der Spitze, die Richtung über Falezi, Husz, Rotimore einschlagen, dann erst nach der wallachischen Seite übergehen und entweder gegen den Dniestr zu abschwenken, oder die gerade Richtung durch ganz Bessarabien verfolgen würden, um dann erst bei Uszyc die Grenzen der Republik zu überschreiten. Nowowiejski war dessen so gewiß, daß er, ohne sich um den Zeitverlust zu kümmern, immer langsamer vorrückte, wobei er aber die größte Vorsicht gebrauchte, um nicht allzu unvermutet auf die Horden zu stoßen. Endlich an dem, von den Flüssen Sarala und Jakicz gebildeten Delta angelangt, verweilte er daselbst längere Zeit, einmal darum, um den Pferden und der Mannschaft die nötige Rast zu gönnen, und zweitens um an einem sicheren Versteck den Anmarsch der feindlichen Vorhut abzuwarten.

Der Ort bot eine sichere Deckung und war gut gewählt, da das ganze Delta, sowie die Ufer zum Teil mit Kornelbäumen zum Teil mit Hundsbeerbäumen bewachsen waren. Das Wäldchen streckte sich weithin, an einzelnen Stellen war der Boden von undurchdringlichem Gestrüpp bedeckt, an andern erhoben sich einzelne Baumgruppen, zwischen denen sich zum Lagern vollkommen geeignete Grasplätze befanden. Um diese Zeit waren die Bäume und Gesträuche schon verblüht, im Frühjahr jedoch mußte es hier ein Heer von gelben und weißen Blüten gegeben haben. Das Gehölz war ganz menschenleer, dagegen wimmelte es von allerlei Getier, von Hirschen, Rehen, Hasen, und ganze Vogelscharen schwärmten am Himmel hin. Da und dort, an einigen Quellen entdeckten die Soldaten Spuren von Bären. Einer der Bären hatte gleich nach der Ankunft der Schwadron ein paar Schafe zerrissen und Lusnia beabsichtigte, Jagd auf ihn machen zu lassen. Da jedoch Nowowiejski, der unentdeckt bleiben wollte, den Gebrauch der Musketen untersagte, zogen die Soldaten mit Speeren und Aexten gegen den Räuber aus.

Später fand man am Wasser auch Spuren von Feuerstätten, doch waren es alte, wahrscheinlich aus dem vergangenen Jahre. Offenbar hielten sich hier zeitweise Nomaden mit ihren Herden auf, oder vielleicht kamen auch Tataren hierher, um sich das Holz der Kornelbäume für ihre Streitkolben zu holen. Indessen konnte auch durch die eifrigsten Nachforschungen kein einziges menschliches Wesen entdeckt werden.

Nowowiejski beschloß, nicht weiter vorzurücken und hier das Herannahen des türkischen Heeres abzuwarten.

Man schlug also ein Lager auf, man errichtete Feldhütten und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Am Saume des Wäldchens wurden Wachen aufgestellt, von denen die einen Tag und Nacht nach dem Gebiet von Budziak ausschauten, die andern den Pruth in der Richtung nach Falezi zu beobachteten. Nowowiejski wußte, er werde an gewissen Anzeichen das Herannahen des türkischen Heeres erkennen, zudem unternahm er häufig selbst kleine Streifzüge, oder schickte kleine Streifpartien aus, welche er jedoch nicht selbst befehligte. Den Leuten des Standquartiers war das Wetter in dieser regenarmen Gegend äußerst günstig. Zwar herrschte bei Tage eine drückende Hitze, doch konnte man sich im Schatten des Gehölzes stets vor dieser Glut schützen, die Nächte waren still und mondhell, nur der Sang der Nachtigallen erscholl in den Büschen. In solchen Nächten litt Nowowiejski am meisten, er fand keinen Schlaf, unablässig gedachte er seines ehemaligen Glückes und sann über sein jetziges schweres Geschick nach.

Er lebte nur in dem Gedanken, er werde wieder glücklicher und zufriedener sein, sobald er seines Herzens Rachedurst gestillt habe. Und die Zeit rückte heran, da er entweder seiner Rache Genüge thun konnte oder zu Grunde gehen mußte.

So floß ihnen eine Woche um die andere in dieser Wüstenei unter beständigem Wachtdienst dahin. Während dieser Zeit lernten sie alle Wege, Schluchten, Auen, Bäche und Flüsse kennen, bemächtigten sich abermals einiger Horden, machten einige kleine Haufen von Nomaden nieder und lauerten in diesem Dickicht fortwährend wie wilde Tiere auf ihre Beute. Endlich nahte der erwartete Augenblick heran.

Eines Morgens sahen sie ganze Scharen von Vögeln durch die Lüfte und über dem Erdboden dahinziehen. Trappen, Schneehühner, blaufüßige Wachteln flogen über das Gras dem Dickicht zu, in der Höhe aber sah man Raben, Krähen, ja sogar Sumpfvögel, die, offenbar von den Ufern der Donau oder aus den Sümpfen der Dobrucza aufgescheucht, eilig dahinflatterten. Bei diesem Anblick schauten die Dragoner einander an, und die Worte: »Sie kommen! Sie kommen!« gingen von Mund zu Mund. Ihre Gesichter belebten sich sofort, ihre Schnurrbärte zuckten, ihre Augen funkelten, doch in dieser Lebhaftigkeit verriet sich nicht die geringste Spur von Erregung. Waren dies doch Leute, deren ganzes Leben in solch kriegerischen Unternehmungen verlief, und die nur das empfinden, was der Jagdhund empfindet, wenn er bereits das Wild wittert. Die Wachtfeuer wurden unverzüglich mittels Wasser ausgelöscht, damit der Rauch die Anwesenheit von Menschen im Dickicht nicht verrate, die Pferde gesattelt – und die ganze Abteilung stand zum Abmarsch bereit.

Jetzt mußte man den richtigen Zeitpunkt herausfinden, um den Feind in dem Augenblick überfallen zu können, da er Rast hielt. Nowowiejski nahm mit Sicherheit an, daß die türkischen Streitkräfte nicht in geschlossenen Reihen marschieren würden, besonders in ihrem eigenen Lande, wo jede Gefahr ausgeschlossen zu sein schien. Er wußte zudem, daß die Vorhut immer eine Meile oder zwei Meilen der Hauptmacht voranzuziehen pflegte und vermutete mit Recht, daß die Lipker die Vorhut bildeten.

Eine kurze Zeit schwankte er, ob er ihnen auf geheimen, ihm bekannten Pfaden entgegengehen, oder sie in dem Gehölze erwarten solle. Er wählte das letztere, weil es leichter war, von dieser Wüstenei aus den Feind jeden Augenblick unvermutet zu überfallen. Noch ein Tag verfloß, dann eine Nacht, und während dieser Zeit flüchteten nicht nur Scharen von Vögeln, sondern auch Herden von wildem Getier in das Dickicht. Am nächsten Morgen aber war der Feind schon zu sehen.

Im Süden des Gehölzes zog sich eine weite, hügelige Trist hin, bis weit an den fernen Horizont. Auf dieser Trist zeigte sich der Feind und rückte ziemlich rasch gegen Jokusz vor. Aus den Gebüschen hervor schauten die Dragoner auf die schwarze Masse, welche durch den wellenförmigen Boden bald ihren Blicken entschwand, bald in ihrer ganzen Ausdehnung sichtbar ward.

Lusnia, der außerordentlich scharfe Augen hatte, blickte einige Zeit mit gespannter Aufmerksamkeit auf diese herannahenden Scharen, dann trat er zu Nowowiejski:

»Herr Kommandant,« sagte er, »das sind nicht viele Leute, offenbar werden nur die Pferde auf die Weide getrieben.«

Nowowiejski überzeugte sich bald, daß Lusnia recht hatte, und sein Gesicht strahlte vor Freude.

»Und das bedeutet so viel, daß ihr Lager nur eine oder anderthalb Meile von diesem Wäldchen entfernt ist,« bemerkte er.

»So ist es,« entgegnete Lusnia. »Wahrscheinlich marschieren sie in der Nacht, um sich nicht der Hitze auszusetzen, und rasten bei Tage, die Pferde aber werden bis zum Abend auf die Weide geschickt.«

»Wie viele Leute sind bei den Pferden?«

Lusnia schlich sich bis zum Rande des Dickichts und blieb längere Zeit aus. Endlich zeigte er sich wieder und berichtete:

»Es mögen fünfzehnhundert Pferde und dabei etwa fünfundzwanzig Wächter sein. Sie sind ja in ihrem eigenen Lande, sie fürchten nichts und glauben deshalb auch keine stärkere Wache aufstellen zu müssen.«

»Und konntest Du die Leute genau unterscheiden?«

»Sie sind zwar noch weit von uns entfernt, aber es sind Lipker, Herr, und schon in unserer Gewalt.«

»So ist es!« sagte Nowowiejski.

In der That hegte er die Ueberzeugung, daß ihm von diesen Menschen keiner lebend entkommen werde. Für solch einen Führer wie er, und für die Soldaten, welche er befehligte, war das Unternehmen nicht schwer.

Mittlerweile trieben die Pferdeknechte ihre Herden näher und näher an das Wäldchen heran. Lusnia schlich sich noch einmal aus dem Buschwerk hervor. Freude und Grausamkeit malten sich auf seinem Antlitz, als er zurückkehrte.

»Lipker, Herr, ganz gewiß!« flüsterte er.

Als Nowowiejski dies hörte, stieß er einen Laut hervor wie ein Habicht, und alsdann zog sich die ganze Schwadron der Dragoner in das Gehölz zurück. Dort teilten sie sich in zwei Abteilungen, von denen sich die eine sogleich in einem Hohlweg verbarg, um erst hinter dem Rücken der Herden und der Lipker wieder daraus aufzutauchen, während die andere einen Halbkreis bildete und wartete.

All dies ging in solcher Ruhe vor sich, daß selbst das geübteste Ohr kein Geräusch hätte vernehmen können, kein Säbel rasselte, keine Sporen klirrten, kein Roß wieherte, das üppige Gras, womit der Boden bewachsen war, dämpfte den Hufschlag. Sogar die Pferde schienen es zu verstehen, daß der Erfolg der Unternehmung von der Stille abhing, denn auch sie wurden nicht zum erstenmal zu solchen Diensten verwendet. Aus dem Hohlweg und aus dem Dickicht drang nur noch der Schrei des Habichts, aber immer schwächer und immer seltener hervor.

Die Pferdeknechte der Lipker machten vor dem Gehölze Halt, und bald hatten sich die Tiere in kleinere und größere Haufen auf der Trift zerstreut. Nowowiejski selbst stand nun am Waldessaum und beobachtete alle Bewegungen der Pferdeknechte. Es war ein heiterer Tag, aber schon in den Morgenstunden sandte die Sonne heiße Strahlen zur Erde nieder. Die Pferde wälzten sich auf dem Boden herum, die Pferdeknechte stiegen ab und ließen ihre Rosse an langen Schlingen frei, sie selbst aber traten, den Schatten und die Kühle aufsuchend, in das Wäldchen, um hier unter dem dichten Buschwerk Rast zu machen.

Binnen kurzem schlugen die Flammen einer Feuerstätte empor. Als die trockenen Aeste schon verkohlten und sich in glühende Asche verwandelten, legten die Roßknechte ein halbes Fohlen auf die Glut, um es zu braten und ließen sich dann, um der Hitze zu entgehen, in einiger Entfernung nieder.

Etliche streckten sich auf dem Rasen aus, etliche schwatzten, nach türkischer Art auf dem Boden sitzend, und einer begann die Hirtenpfeife zu blasen. Im Gehölze herrschte tiefe Stille, nur zuweilen ertönte der Schrei eines Habichts.

Der Geruch des gebratenen Fleisches zeigte schließlich an, daß es fertig sei, daher zogen es zwei Männer aus der Asche hervor und schleppten es in den Schatten eines Baumes; dort setzten sich alle in einen Kreis und verschlangen mit wahrhaft tierischer Gier die halbrohen Fleischstücke, welche sie mit ihren Messern abgeschnitten hatten und aus denen das Blut über ihre Finger herabträufelte und über ihre Bärte rann.

Nachdem sie hierauf noch saure Stutenmilch aus ihren Schläuchen getrunken hatten, fühlten sie sich gesättigt. Eine Weile redeten sie noch miteinander, dann aber wurden ihre Köpfe und ihre Glieder schwer.

Der Mittag kam heran. Immer heißer brannte die Sonne. Auf dem Boden des Wäldchens spielten schwankende Lichter, welche durch die in das Dickicht eindringenden Strahlen gebildet wurden. Ueberall herrschte tiefes Schweigen, sogar der Schrei des Habichts war verstummt.

Einige Lipker standen auf und schritten dem Saume des Gehölzes zu, um nach den Pferden zu sehen, andere streckten sich wie die Gefallenen auf dem Schlachtfelde und waren bald in festen Schlaf versunken.

Aber der Schlaf mußte, nachdem sie sich so reichlich an Speise und Trank gelabt hatten, ein schwerer und beängstigender sein, denn bald stieß einer einen tiefen Seufzer aus, bald öffnete ein anderer die Augen und murmelte: »Allah, Bismilla! ...«

Plötzlich ließ sich vom Waldesrande her ein leiser aber furchtbarer Ton vernehmen, wie das Röcheln eines Erwürgten, der nicht mehr zu schreien vermag. Sei es nun, daß die Ohren der Pferdeknechte so scharf waren, sei es, daß ein Instinkt sie vor der Gefahr warnte, sei es, daß der Tod sie schon mit seinem eisigen Hauch berührte, kurz, alle fuhren sofort aus dem Schlafe empor.

»Was ist das? Wo sind jene, die sich zu den Pferden begaben?« fragte einer den andern.

Da erscholl aus dem Gebüsch hervor eine Stimme, die ihnen in polnischer Sprache zurief:

»Sie werden nicht mehr zurückkehren!«

In diesem Augenblick schloß eine Schar von etwa hundertundfünfzig Soldaten einen dichten Kreis um die Roßknechte, fiel über sie her, und das Entsetzen derselben war so groß, daß ihnen der Schrei in der Brust erstarb. Kaum einer war im stande, nach seinem Dolche zu greifen. Wie eine verheerende Flut war der Feind über sie hereingebrochen. Die Gesträuche schwankten unter dem Andrange der Menschenkörper, welche in regellosen Haufen miteinander rangen. Man hörte das Sausen der Säbel, schweres Atmen, zuweilen ein Stöhnen oder Röcheln, doch währte all dies nur einen Augenblick. Dann trat Stille ein.

»Wie viele sind noch am Leben?« fragte eine Stimme aus der Mitte der Angreifer.

»Fünf, Herr Kommandant!«

»Die Gefallenen untersuchen, es könnte sich leicht einer totstellen. Versetzt aber der Sicherheit wegen noch einem jeden einen Dolchstoß in die Kehle. Die Gefangenen bringt dann ans Feuer!«

In einem Augenblick war der Befehl vollführt. Die Toten wurden mittels ihrer eigenen Dolche förmlich auf den Rasen gespießt, die Gefangenen, deren Beine man auf Stöcke festgebunden hatte, wurden rings um das Feuer gelegt, welches Lusnia derart aufstöberte, daß die unter der Asche liegenden glühenden Kohlen frei wurden.

Scheuen Blickes beobachteten die Gefangenen dies Thun. Es befanden sich drei Chreptiower Lipker unter ihnen, und diese kannten den Wachtmeister nur zu gut. Lusnia erkannte sie gleichfalls.

»Bei meiner Treu, Kameraden,« sagte er, »jetzt gilt's brav zu singen, und wollt Ihr's nicht, dann werdet Ihr auf gebratenen Sohlen ins Jenseits befördert. Aus alter Freundschaft für Euch will ich es nicht an Holz fehlen lassen.«

So sprechend, warf er eine solch große Menge dürrer Aeste auf die glühenden Kohlen, daß sofort eine helle Flamme aufloderte.

Wenige Minuten danach trat Nowowiejski zu den Gefangenen heran, um sie auszufragen. Alle Aussagen stimmten mit dem überein, was sich der junge Offizier schon selbst gedacht hatte. Die Lipker und Czeremisen bildeten die Vorhut der Horden und des gesamten Kriegsheeres des Sultans. Ihr Führer war Azya, der Sohn Tuchay-Beys, dessen Kommando sämtliche Abteilungen unterstanden. Ebenso wie das gesamte Kriegsheer unternahmen auch sie, während der bei Tage herrschenden Hitze, nur Nachtmärsche, bei Tagesanbruch aber schickten sie die Pferde auf die Weide. Vorsichtsmaßregeln waren keinerlei getroffen, da ein Angriff des Feindes in der Nähe des Dniestrs oder gar am Pruth, wo ja die Horden ansässig waren, als ganz ausgeschlossen erschien. So zog man denn ganz gemächlich mit den Herden und mit den die Zelte der Offiziere tragenden Kameelen dahin. Das Zelt des Azya-Bey, erklärten die Gefangenen auf weiteres Befragen, sei leicht an dem Bunczuk zu erkennen, der davor aufgepflanzt sei, und da alle Abteilungen während der Rast ihre Fahnen um dasselbe aufzupflanzen pflegten. Das Lager der Lipker befinde sich in nicht allzu großer Entfernung, in höchstens vier oder fünf Meilen könne man es erreichen, und man habe es dann mit ungefähr zweitausend Mann zu thun, denn ein Teil der Lipker sei der Bialogroder Horde zuerteilt worden, welche wenigstens fünf Meilen entfernt von den Lipkern ständen.

Sehr genau erkundigte sich Nowowiejski nach dem nächsten, zu dem Lager der Lipker führenden Wege und nach der Art, wie die Zelte aufgestellt seien, und dann erst forschte er nach dem, was ihm am meisten am Herzen lag.

»Befinden sich Frauen in einem der Zelte?« fragte er.

Den Lipkern bangte es um das eigene Leben. Die, welche früher in Chreptiow gedient hatten, wußten sehr wohl, daß Nowowiejski der Bruder der einen der in Frage stehenden Frauen, der Verlobte der andern war, und sie sahen es voraus, welche Wut ihn ergreifen werde, sobald er den wahren Sachverhalt in Erfahrung bringe.

Aus Furcht, der ganze Zornesausbruch könne sich auf ihre Häupter entladen, wollten sie daher anfänglich die Wahrheit nicht gestehen, woraufhin aber Lusnia sofort erklärte:

»Herr Kommandant, wir wollen die Fußsohlen dieser Hundsbrut ein wenig erwärmen, dann werden sie sofort mit der Sprache herausrücken.«

»Habt Erbarmen!« rief nun Eliaszewicz, ein bejahrter Lipker, der früher in Chreptiow gewesen war; »ich will alles sagen, was ich mit meinen Augen erschaut habe.«

Lusnia warf einen prüfenden Blick auf den Befehlshaber, um sich zu vergewissern, ob dieser nicht, trotz der Willfährigkeit des alten Lipkers, seine Drohung ausführen lassen wolle, doch Nowowiejski machte eine abwehrende Handbewegung und bemerkte, zu Eliaszewicz gewendet:

»Sprich, was hast Du gesehen?«

»Wir sind unschuldig, o Herr!« antwortete Eliaszewicz, »wir mußten dem uns erteilten Befehl gehorchen. Unser Mursa schenkte die Schwester von Euer Liebden dem Herrn Adurowicz, der sie in seinem Zelte hält. Ich habe sie bei Kuczunkaury gesehen, wie sie mit den Eimern Wasser schöpfte und habe ihr die Eimer tragen helfen, da sie schwanger war.«

»Entsetzlich!« flüsterte Nowowiejski vor sich hin.

»Die andere Frauensperson aber hielt der Mursa selbst in seinem Zelte. Wir haben sie nicht oft zu Gesicht bekommen, dagegen hörten wir sie häufig schreien, weil sie der Mursa, trotzdem er sie ja zu seinem Vergnügen bei sich behielt, tagtäglich peitschte und mit den Füßen trat.«

Die Lippen Nowowiejskis zitterten nun dermaßen, daß Eliaszewicz kaum die Frage verstehen konnte:

»Wo sind sie jetzt?«

»Nach Stambul sind sie verkauft worden.«

»An wen?«

»Das weiß wohl der Mursa selbst nicht. Plötzlich erging der Befehl des Padischahs, daß im Lager keine Frauenspersonen gehalten werden dürfen. Ein jeder, und so auch der Mursa, versuchte nun die seine auf dem Markte zu verkaufen.«

Damit war das Verhör zu Ende und tiefe Stille herrschte am Feuer. Nur die Zweige der Kornelbäume rauschten, durch die schon geraume Zeit hindurch ein heißer Wind brauste. Die Luft wurde immer schwüler; am äußersten Horizonte zeigten sich dunkle Wolken, an denen es dann und wann grell aufleuchtete.

Nowowiejski hatte sich von der Feuerstätte entfernt. Anfänglich planlos und wie geistesverwirrt dahinschreitend, warf er sich schließlich mit dem Angesicht zu Boden, wühlte die Erde mit den Nägeln auf, grub die Zähne in die eigenen Hände und röchelte, als ob es mit ihm zu Ende gehe. Krämpfe schüttelten seinen riesenhaften Körper, und wohl eine volle Stunde blieb er in diesem Zustande. Wohl sahen ihn die Dragoner von weitem, doch keiner von ihnen, nicht einmal Lusnia, hatte den Mut, sich ihm zu nähern.

Dagegen von der festen Ueberzeugung ausgehend, der Kommandant werde ihm nichts verübeln, was er auch gegen die Gefangenen unternahm, stopfte ihnen der entsetzliche Wachtmeister, von seiner angeborenen Grausamkeit getrieben, Grasbüschel in den Mund und schlachtete sie wie Ochsen ab. Nur den bejahrten Eliaszewicz ließ er am Leben, weil er annahm, derselbe könne sich als Führer nützlich erweisen. Nach geschehener That schleifte er die noch zuckenden Leichname vom Feuer hinweg, ordnete sie in einer Reihe und machte sich dann auf, um nach dem Kommandanten zu sehen.

»Möglich, daß er verrückt wird,« murmelte er vor sich hin, »doch dies thut nichts, den andern packen wir doch.«

Stunde auf Stunde verrann. Es war Mittag geworden und allgemach neigte sich der Tag seinem Ende zu. Immer stärker wurde das Wetterleuchten. Die dunkeln Wolken, die anfänglich nur am Horizonte aufgetaucht waren, breiteten sich immer mehr aus. Gleich riesigen Knäueln schienen sie sich, so schwerfällig wie Mühlsteine, bald um die eigene Achse zu drehen, bald trieben sie aufeinander zu, verdichteten sich und senkten sich tiefer und tiefer zur Erde hinab. Dem kräftigen Flügelschlag eines Raubvogels vergleichbar, erhob sich zeitweise ein heftiger Windstoß, der die Stämme der Kornel- und Hundsbeerbäume darniederbeugte und das Laub von der Erde nach allen Richtungen hin aufwirbelte. Zeitweise trat aber wieder völlige Windstille ein. Dann ertönte aus den schwarzen, dunkeln Wolken, die sich dichter und dichter zusammenballten, ein unheilverkündendes Zischen und Brausen. Man hätte glauben können, es sammelten sich ganze Scharen von Blitzen zu einem bevorstehenden Kampfe an, um in wilder Empörung dumpf grollend, schließlich wie toll auf die bebende Erde niederzufahren.

»Ein Gewitter, ein Sturm ist im Anzuge!« raunten sich die Dragoner zu.

Es wurde finsterer und finsterer. Das Gewitter brach los.

Von Osten, vom Dniestr her, erscholl lautes Donnergeroll, das ganze Firmament schien in Aufruhr zu geraten, bis zu dem Pruth zu verbreitete sich das wilde Getöse. Nach jedem kurzen Augenblick der Stille krachte der Donner noch gewaltiger und dröhnte sogar weit über die Budzinsker Steppe hin.

Jetzt fielen die ersten großen Regentropfen auf den versengten Rasen nieder.

In diesem Augenblicke erschien Nowowiejski vor den Dragonern.

»Zu Pferd!« schrie er mit gewaltiger Stimme.

Noch war nicht die Zeit verstrichen, die man zum raschen Sprechen eines Vaterunsers bedurft hätte, und schon setzte er sich an der Spitze von einhundertundfünfzig Reitern in Bewegung. Bald lag das kleine Wäldchen hinter ihnen, und nun vereinigte sich Nowowiejski, ganz nahe bei der Pferdeherde, mit dem Teile seiner Mannschaft, dem es obgelegen hatte, auf offenem Felde darüber zu wachen, daß keiner der Pferdeknechte heimlich nach dem Lager entweiche. In einem Nu hatten die Dragoner die Herde umritten und rückten, die wilden Schreie der tatarischen Pferdeknechte nachahmend und die scheugewordenen Rosse vor sich hertreibend, unaufhaltsam vor.

Der Wachtmeister führte Eliaszewiez in einer Schlinge mit sich und schrie nun diesem, um das Grollen des Donners zu übertönen, ins Ohr:

»Führe mich jetzt aber gut, Du Hundeseele, sonst fährt Dir das Messer in die Gurgel.«

Mittlerweile senkten sich die Wolken so tief herab, daß sie nahezu die Erde berührten, die Luft wurde immer glühender und schließlich entfesselte sich ein gewaltiger Orkan. Blitzschlag folgte auf Blitzschlag, ein starker Schwefeldunst erfüllte die drückende Atmosphäre, immer finsterer und finsterer ward es, Angst und Schrecken erfaßten die Herde. Die Pferde, durch die wilden Zurufe der Dragoner angetrieben, rasten mit weitgeöffneten Nüstern und fliegenden Mähnen dahin, fast ohne den Boden zu berühren. Unaufhörlich grollte der Donner, der Sturmwind heulte – die Tiere aber jagten wie von Sinnen weiter in dieser Finsternis, inmitten eines Getöses, eines Krachens, als ob die Erde bersten wolle, sie jagten dahin von dem Sturmwinde gepeitscht, von der Rache aufgestachelt, in dieser wüsten Steppe Vampyren oder bösen Geistern gleichend, die ihren grausigen Tanz aufführen.

Die Tiere schienen den weiten Raum zu durchfliegen. Kein Führer war da nötig. Die Herde raste gerade auf das Lager der Lipker zu, dem man näher und näher kam. Und wilder und wilder tobte das Unwetter, Himmel und Erde geberdeten sich wie toll; das ganze Firmament bildete ein Flammenmeer, bei dessen Widerschein dann und wann schon das in der Steppe gelegene Zeltlager in der Ferne sichtbar ward. Die Erde erzitterte unter den furchtbaren Donnerschlägen und unheildrohend jagten die schweren Wolken dahin. In der That öffnete auch der Himmel seine Schleusen – verheerende Regengüsse stürzten darnieder. Die große Wassermenge verhüllte den Ausblick dermaßen, daß man kaum auf ein paar Schritte hinaus etwas zu sehen vermochte, was auch noch dadurch erschwert wurde, daß dem durch die Sonnenglut erhitzten Boden nunmehr dichter, feuchter Dunst entstieg.

Noch wenige Minuten, und schon ist die Pferdeherde, schon sind die Dragoner in das Lager gedrungen.

Doch hart vor den Zelten stieben die Rosse erschreckt nach beiden Seiten auseinander – denn aus dreihundert Kehlen erschallt es hinter ihnen wie ein einziger, gellender Schrei, dreihundert Säbel blinken im Scheine der Blitze, und die Dragoner jagen in das Zeltlager.

Wohl hatten die Lipker vor dem Niedergange des Wolkenbruches in der durch die Blitze verbreiteten Helle die heransprengende Pferdeherde gewahrt, doch keinem war der Gedanke gekommen, von welch furchtbaren Pferdeknechten jene vorwärts getrieben wurden. Sie waren nur erstaunt und erschreckt darüber, daß diese halbwilden Steppenpferde gerade auf das Lager zujagten, und suchten daher durch lautes Schreien die Tiere zu verscheuchen. Sogar Azya, der Sohn des Tuchay-Bey, schlug die Leinwandklappe seines Zeltes zurück und trat, des Regens nicht achtend, mit finsterem, drohendem Blicke ins Freie. Dies geschah gerade in dem Augenblicke, in dem die Rosse auseinanderstieben und beim Scheine der grellen Blitze schreckenerregende, den Pferdeknechten an Zahl weitaus überlegene Gestalten sichtbar wurden; dies geschah gerade in dem Augenblicke, in dem der entsetzliche Ruf ertönte:

»Zugeschlagen! Niedergemacht! ...«

Da blieb keine Zeit mehr zur Ueberlegung, zur Frage, was denn eigentlich geschehen sei, da blieb selbst keine Zeit mehr zu Angst und Furcht. Weit furchtbarer als ein Wettersturm, weit entsetzlicher als der entsetzlichste Orkan wüteten diese Menschen in dem Lager. Bevor noch Azya in sein Zelt zurückzuweichen vermochte, wurde er mit fast übermenschlicher Kraft emporgehoben, fühlte er sich wie mit eisernen Klammern umfaßt – seine Knochen bogen sich, seine Rippen krachten – einen kurzen Moment schaute er in ein Gesicht, statt dessen er lieber das des Teufels erblickt hätte – dann schwand ihm das Bewußtsein.

Mittlerweile aber raste der Kampf, oder vielmehr, es entspann sich ein grausiges Schlachten. Das Unwetter, die Dunkelheit, die unbekannte Anzahl der Angreifer, die Plötzlichkeit des Ueberfalles, das Heranstürmen der Pferde, dies alles bewirkte, daß die Lipker fast keinen Widerstand leisteten. Eine geradezu wahnsinnige Angst bemächtigte sich ihrer. Keiner wußte, wohin er sich flüchten, wie er sich schützen solle. Die wenigsten hatten ihre Waffen zur Hand, viele wurden im Schlafe überrascht – in ihrer Betäubung, in ihrer Bestürzung suchten sie sich daher zusammenzuscharen und warfen sich, stoßend und drängend, gegenseitig zu Boden, stürzten übereinander. Die Pferde stampften über sie hinweg, hageldicht fielen die Säbelhiebe, das schlimmste Unwetter konnte keine solche Verheerung in einem jungen Forste hervorbringen, die hungrigsten Wölfe konnten nicht größeren Schaden unter einer furchtsamen Schafherde anrichten, wie diese Dragoner in dem Zeltlager. Die Verwirrung auf der einen, die Wut und der Rachedurst auf der andern Seite erhöhten noch das Schreckenerregende der Katastrophe. Blutbäche vermischten sich mit den Regenfluten. Den Lipkern dünkte es, das Himmelsgewölbe stürze über sie nieder, die Erde spalte sich unter ihren Füßen. Und weiter grollte der Donner, grell zuckten die Blitze an dem dunkeln Firmamente dahin, in Strömen stürzte der Regen darnieder, laut heulte der Sturm, und aus der Dunkelheit erklangen die gellenden Angstschreie der Getroffenen. Von Schrecken erfaßt, stürmten auch die Pferde der Dragoner wie toll in den dichten Menschenknäuel hinein, sprengten ihn auseinander und schleuderten die Lipker scharenweise zu Boden. Schließlich begannen diese in kleinen Haufen die Flucht zu ergreifen, allein ohne in ihrer Angst zu beachten, wohin sie sich wendeten, liefen die meisten, statt geradeaus zu flüchten, im Kreise umher, stießen mit andern planlos Flüchtenden zusammen, stürzten zu Boden und verfielen den feindlichen Säbelhieben. Zuletzt waren nur noch wenige Lipker am Leben. Aber auch diese kleine Schar wurde auseinandergetrieben und erbarmungslos niedergemetzelt. Gefangene zu machen, daran dachte man nicht mehr. Endlich, endlich rief ein Trompetensignal die Verfolger in dem Lager zusammen.

Wohl noch niemals war ein Ueberfall so unvermutet gekommen, wohl noch niemals war eine Niederlage so entsetzlich gewesen. Dreihundert Dragoner hatten den Sieg über zweitausend der trefflichsten Reiter davongetragen, sie hatten eine Reiterei besiegt, die als die tüchtigste der Horden galt. Blutüberströmt lagen die Lipker auf der von dem Regen durchweichten Erde. Die Wenigen aber, welche dank der Dunkelheit entkommen waren, flüchteten zu Fuße weiter, liefen blindlings dahin, ohne zu wissen, ob sie nicht doch noch dem Tode entgegengingen. Sturm und Finsternis waren die Verbündeten der Sieger gewesen, gerade als ob Gott in seinem Zorn auf deren Seite gegen die Verräter gekämpft hätte.

Längst schon war die Nacht hereingebrochen, als sich Nowowiejski, an der Spitze seiner Dragoner reitend, auf den Rückweg machte. Zwischen dem jungen Leutnant und dem Wachtmeister Lusnia trabte ein starkes Steppenpferd einher, auf dessen Rücken, mit Stricken festgebunden, der Anführer der vereinten Macht der Lipker lag, Azya, der Sohn von Tuchay-Bey, bewußtlos und mit gebrochenen Rippen.

Jene beiden aber beobachteten ihn fortwährend mit einer solchen Sorgfalt, mit einer solchen Aufmerksamkeit, als ob sie den kostbarsten Schatz mit sich führten, dessen Verlust sie niemals verschmerzen würden.

Das Unwetter begann allmählich nachzulassen. Noch jagten zwar schwarze Wolken am Himmel dahin, doch schon flimmerten zwischen ihnen glitzernde Sterne hervor, die sich in den von den Regengüssen in der Steppe gebildeten Wasserbächen spiegelten.

Nur noch aus der Ferne, nur noch aus dem Grenzgebiete der Republik her hallte von Zeit zu Zeit das Grollen des Donners.


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