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XX

Mit Ketling war eine auffallende Veränderung vorgegangen. Kaum im stande, vor den Frauenzimmern die geziemliche Verbeugung zu machen, stand er gleich darauf völlig unbeweglich da, den Hut fest an die Brust gedrückt und mit den halbgeschlossenen Augen einem wunderthätigen Bilde gleichend. Herr Michal aber eilte, seine Schwester im Vorübergehen umarmend, raschen Schrittes auf Krzysia zu. Da bedeckte Totenblässe deren Antlitz, und sie rang sichtlich nach Atem. Wolodyjowski aber ergriff sanft ihre Hand und preßte sie an seine Lippen, die indessen sichtlich bebten. Dann aber richtete er sich hoch empor, gerade als wäre er zu einem festen Entschlusse gekommen, und hub schließlich in traurigem, aber ruhigem Tone also an:

»Mein liebwertes Fräulein, oder vielmehr meine geliebte Krzysia, höre mich ohne Bangen an. Ich bin ja weder ein wildes Tier, noch ein Scythe, noch ein Barbar, sondern ein Freund, der, trotzdem er selbst tief unglücklich ist, doch Dein Glück im Auge hat. Es ist jetzt an den Tag gekommen, daß Ihr, Du und Ketling, Euch liebt. Fräulein Basia hat mir dies in gerechtem Zorne verraten. In tiefster Erregung stürmte ich in der Absicht aus dem Hause, an Ketling Rache zu nehmen, das will ich gar nicht leugnen ... Ist es denn zu verwundern, wenn einer nach Rache dürstet, der sein Liebstes auf Erden verliert? Fürwahr, ich liebte Dich nicht nur bloß, wie ein unverheirateter Mann seine Angebetete zu lieben pflegt, nein, wenn ich verheiratet wäre, wenn mir durch Gottes Gnade ein einziger Sohn oder eine einzige Tochter geschenkt und wenn mir eines von ihnen wieder durch den Tod entrissen worden wäre, wahrlich, ich hätte einen solchen Verlust nicht so betrauert, wie ich es betrauere, daß Du mir verloren gegangen bist.«

Hier versagte plötzlich Herrn Michal die Stimme, doch er faßte sich rasch wieder, und nachdem er sich einige Male über den Schnurrbart gestrichen hatte, fuhr er fort:

»Traun, dieser Schmerz muß eben getragen werden, dagegen giebt es keinen Rat. Wer wollte darüber staunen, daß Ketling von Liebe für Dich ergriffen worden ist, wer könnte Dir gegenüber gleichgültig bleiben? Und daß Du ihm Deine Liebe schenktest, das muß ich geduldig über mich ergehen lassen, das ist nun einmal mein Geschick, ja, auch darüber kann man sich nicht wundern, denn was bin ich im Vergleiche mit Ketling? Auf dem Schlachtfelde freilich, dem muß er selbst beistimmen, stehe ich in nichts hinter ihm zurück. Hier handelt es sich aber um ganz andere Dinge! Unser Herrgott begabte den einen mit Schönheit, dem andern versagte er sie, verlieh ihm aber dagegen Verstand und Ueberlegung. Kaum befand ich mich daher auf dem Wege, kaum umwehte mich ein frischer Windhauch, kaum war der erste Zorn verraucht, so regte sich mein Gewissen: Wofür willst Du sie strafen? fragte ich mich, weshalb willst Du Freundesblut vergießen? Sie sind in Liebe zu einander entbrannt, das ist Gottes Wille, und die ältesten Leute behaupten, selbst eines Hetmans Befehl vermöge nichts gegen das Herz auszurichten. Ja, es ist Gottes Wille, daß sie einander in Liebe ergeben sind, daß sie aber keinen Verrat übten, dies zeugt von ihrer rechtlichen Gesinnung. Hätte Ketling von unserem Verlöbnis eine Ahnung gehabt, dann hätte ich ihm zugerufen: Rache! Rache! Allein er wußte von nichts!! Trägt er daher irgendwelche Schuld? Nein! ... Trifft Dich irgend eine Schuld? Nein! Er wollte übers Meer reisen, Du wolltest den Schleier nehmen. Ich allein bin eigentlich der Schuldige, ich allein, und es ist Gottes Fügung, daß ich vereinsamt bleibe: doch ich habe den Sieg über mich gewonnen, ich habe mich bezwungen.«

Wiederum hielt Herr Michal inne und schöpfte tief Atem; wie ein Mensch, der mehrere Male untergetaucht ist und nun wieder auf die Oberfläche des Wassers kommt.

»Der kennt nicht die rechte Liebe, der alles nur für sich verlangt,« ergriff er hierauf von neuem das Wort. »Uns dreien bricht schließlich noch das Herz, sagte ich mir, ist's da nicht besser, einer von uns nimmt allein das Leid auf sich und gönnt den beiden andern die Lebensfreude. Gott lasse Dich mit Ketling glücklich werden, Krzysia! ... Für mich ist dies freilich ein wenig schmerzlich, doch das darf hier nicht in Betracht kommen ... Der Himmel gebe Dir Glück! ... Bei Gott, ich komme hier nicht in Betracht ... Ich habe den Sieg über mich selbst gewonnen! ...«

»Ich komme hier gar nicht in Betracht!« sprach der tapfere Krieger, trotzdem biß er aber die Zähne zusammen, um nicht laut aufzustöhnen, als aus einer Ecke des Gemaches Basias herzzerbrechendes Schluchzen ertönte.

»Ketling, Bruder, freue Dich Deines Glückes!« rief schließlich Wolodyjowski aus.

Ketling eilte auf Krzysia zu, kniete nieder, breitete die Arme aus und umfaßte, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen, in größter Ehrfurcht und Ergebenheit die Knie der Geliebten.

»Nimm sein Haupt in Deine Hände!« hub Wolodyjowski nun wieder mit bebender Stimme an, »gar schwer hat der Aermste gelitten! ... An das Kloster denkst Du nun wohl doch nicht mehr ... Es ist mir ein tröstlicher Gedanke, daß Ihr nun segnend meiner gedenkt, daß Ihr meiner nicht flucht. Nur schwer habe ich mich zwar überwunden, nun aber ist Gott, der Herr, mit mir.«

Nun war es mit der Fassung Basias vollends zu Ende, und sie stürzte, so rasch sie nur konnte, aus dem Gemache. Herr Wolodyjowski bemerkte dies sofort und meinte, zu seiner Schwester und deren Gatten gewendet:

»Geht in ein anderes Zimmer und laßt die beiden allein! ... Auch ich will mich zurückziehen, ich will zu unserm Herrn, zu Jesus Christus beten.«

So sprechend entfernte er sich. In der Mitte des Ganges, an der gleichen Stelle, traf er wieder mit Basia zusammen, an der sie ihm in ihrer Zornesaufwallung das Geheimnis Krzysias und Ketlings verraten hatte. Jetzt aber stand Basia, das Köpfchen an die Mauer gelehnt, und weinte bitterlich.

Bei diesem Anblick war es mit der Selbstbeherrschung des Herrn Michal zu Ende. Von Schmerz über all das erlittene Leid überwältigt, brach auch er in Thränen aus und rief mit halb erstickter Stimme:

»Weshalb weinen das gnädige Fräulein?«

Da hob Basia ihr Köpfchen empor, und indem sie sich nach Kinderart bald mit dem einen, bald mit dein andern Fäustchen über die Augen fuhr, rief sie, während sie immer noch vor Erregung am ganzen Körper bebte, seufzend und schluchzend:

»Mir ist so weh ums Herz! O mein Gott! O Jesus ... O liebwerter Herr Michal! Ihr seid so edel, so hochherzig! ... O mein Gott! ...«

Voll Rührung, voll Dankbarkeit ergriff nun Herr Michal die Hände des jungen Mädchens und preßte seine Lippen darauf.

»Gott möge dem gnädigen Fräulein das Mitgefühl lohnen, das es mir erweist. Gott möge es Euch lohnen! Doch beruhigt Euch nun, gebietet Euren Thränen Einhalt!«

Doch seine Worte bewirkten das Gegenteil von dem, was sie bezweckten. Basia schluchzte aufs neue so herzzerbrechend, daß sie geradezu nach Luft ringen mußte, und schließlich schrie sie, vor Erregung auf die Erde stampfend, so laut, daß es durch das Haus schallte:

»Krzysia ist eine Närrin! Ein einziger Herr Michal wäre mir lieber als zehn Ketlings. Ach, ich liebe Herrn Michal aus tiefster Seele – ich liebe ihn mehr als meine Muhme – mehr als meinen Ohm, ich liebe ihn mehr als Krzysia!«

»Um des Himmelswillen, Basia!« rief in beschwichtigendem Tone der kleine Ritter.

Und von dem Wunsche beseelt, sie zu trösten, nahm er sie in seine Arme. Als sie sich aber nun so fest an ihn schmiegte, daß er ihr Herz klopfen hörte, wie das eines müden Vögelchens, da umschlang er sie unwillkürlich fester und fester.

Erst nach langem Schweigen fragte der kleine Ritter:

»Basia, willst Du mich auch wirklich haben?«

»Ja, ja, ja!« entgegnete die Gefragte eifrig.

Tief erregt und voll Entzücken über diese Antwort zog Wolodyjowski das junge Mädchen noch inniger an seine Brust und drückte seine Lippen auf dessen rosigen Mund.

In diesem Augenblicke fuhr eine Britschka vor, aus der Zagloba stieg, um gleich darauf in die Halle und von hier in das Speisezimmer zu eilen, in dem Herr und Frau Makowiecki saßen.

»Nirgends eine Spur von Michal!« rief er atemlos, »obwohl ich ihn allerorts gesucht habe. Nur von Herrn Krzycki erfuhr ich, Wolodyjowski sei mit Ketling gesehen worden. Sicherlich haben sie sich geschlagen.«

»Michal befindet sich hier!« erklärte nun Frau Makowiecki. »Er kam mit Ketling hierher zurück und brachte zwischen diesem und Krzysia alles ins Reine.«

Die Salzsäule, in die Lots Weib verwandelt wurde, machte sicherlich einen weniger starren Eindruck als Herr Zagloba, da er diese Worte vernahm. Regungslos blieb der alte Edelmann eine Weile auf dem alten Platze stehen, dann rieb er sich die Augen und fragte:

»Was, was sagt Ihr?«

»Krzysia und Ketling sitzen in dem anstoßenden Zimmer, Michal aber hat sich zurückgezogen, um zu beten!« bemerkte der Truchseß.

Ohne lange zu zaudern, trat Zagloba in das Nebengemach, ward aber, trotzdem er nun alles wußte, von neuem von Staunen ergriffen, als er Ketling und Krzysia gar traulich beisammen sitzen sah. Diese beiden aber sprangen, keines Wortes mächtig, empor und standen in höchster Verlegenheit vor Zagloba, dem nun auch Herr und Frau Makowiecki gefolgt waren.

»Unser Leben reicht wahrlich nicht aus, um Michal unsere Dankbarkeit beweisen zu können!« ergriff endlich Ketling das Wort. »Unser Glück ist sein Werk!«

»Der Himmel segne Euch!« warf nun der Truchseß ein. »Es sei ferne von uns, Michal entgegen zu handeln.«

Weinend und schluchzend fielen sich Krzysia und die Frau Truchsessin in die Arme, während Zagloba wie betäubt dreinschaute. Als jedoch Ketling, wie ein Sohn vor dem Vater, vor Herrn Makowiecki auf die Knie sank, hob ihn dieser rasch empor, indem er, sei es nun im Drange der auf ihn einstürmenden Gedanken, sei es in der Verwirrung, sagte:

»Ja, ja, Herr Ubysz hat Herrn Deyma getötet! Dem Michal gebührt Dein Dank, nicht mir!«

»Weibchen!« wandte er sich gleich darauf fragend an seine Gattin, »wie hieß doch jenes Frauenzimmer mit dem Geschlechtsnamen?«

Ehe indessen Frau Makowiecki eine Antwort erteilen konnte, stürmte Basia noch ungestümer als sonst, mit noch glühenderen Wangen, mit noch zerzausterem Gelocke als sonst, zur Thüre herein, stürzte auf Ketling und Krzysia zu und rief, indem sie mit dem Zeigefinger bald auf diese, bald auf jenen deutete:

»Aha, nur zu, nur zu! Schmachtet Euch nur an, liebt Euch und heiratet einander! Glaubt aber nur nicht, daß Herr Michal vereinsamt auf der Welt bleibt! Kein Gedanke daran. Ich, ich habe mich seiner angenommen, denn ich liebe ihn und habe ihm auch meine Liebe eingestanden. Ich sagte es ihm, und als er mich fragte, ob ich ihn auch wirklich wolle, da antwortete ich ihm, er sei mir viel, viel lieber als ein gewisser anderer. Ja, ich liebe ihn und werde ihm eine gute Frau werden und werde ihn nie verlassen! Selbst in den Krieg ziehe ich mit ihm! Wenn ich mich auch nie verriet, so habe ich ihn doch schon seit lange geliebt, denn er ist der Edelmütigste, der Beste und der Liebste auf der ganzen Welt ... Und nun heiratet Euch nur, ich aber nehme Herrn Michal zum Manne, und wenn's sein muß, schon morgen ... denn ...«

Basia konnte nicht weiterreden, ihr fehlte mit einemmale der Atem. Alle Anwesenden aber sahen geradezu bestürzt darein, waren sie doch im Zweifel darüber, ob das junge Mädchen die Wahrheit spreche, oder ob es am Ende irrsinnig geworden sei. Mit Wolodyjowskis Erscheinen klärte sich jedoch bald alles auf.

»Michal!« fragte der Truchseß, sich von seinem Staunen erholend, »beruht alles auf Wahrheit, was wir gehört haben?«

Darauf erwiderte der kleine Ritter tiefernst:

»Gott that ein Wunder! Basia ist mein Trost, meine Freude, sie ist mein Lieb, mein höchstes Glück!«

Als Basia diese Worte vernahm, sprang sie so leichtfüßig wie ein Reh auf Herrn Michal zu, und nun gewann auch das weißbärtige Antlitz des Herrn Zagloba seinen gewöhnlichen Ausdruck wieder.

»Bei Gott,« sprach er, die Arme ausbreitend, »bei Gott, aufschreien möchte ich vor Lust ... Ihr, Du mein süßer Wildfang, und Du, Michal, kommt her zu mir! ...«

 

Ende des ersten Teiles.

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