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XIV

Nachdem sie das Schloß verlassen hatten, fühlte Ketling, daß er seine Gedanken sammeln und sich von dem Eindruck erholen müsse, den Krzysias Handlungsweise auf ihn gemacht. Er beurlaubte sich am Schloßthor von ihr und von Zagloba, und diese kehrten nach dem Gasthause zurück. Basia und die Frau Truchsessin waren ebenfalls von dem Krankenbesuche heimgekehrt, und letztere begrüßte Zagloba mit folgenden Worten:

»Ich erhielt ein Schreiben von meinem Gemahl, welcher sich bisher bei Michal in dessen Standquartier aufhielt. Beide erfreuen sich einer guten Gesundheit und versprechen, binnen kurzem hierherzukommen. Hier ist ein Brief Michals an Euch, an mich hat er nur ein Postscriptum in dem Brief meines Gatten beigefügt. Mein Gatte schreibt auch, daß der Streit mit der Familie Zubr wegen eines der Güter Basias glücklich beigelegt ist. Bald werden jetzt die Landtage beginnen ... Er bemerkt auch, daß in jenen Gegenden der Name des Herrn Sobieski ungemeines Gewicht habe, und daß der dortige Landtag nach dessen Wünschen stimmen wird. Alles was lebt, bereitet sich zur Königswahl vor; aber unsere Leute stehen auf Seiten des Kronfeldherrn ... Es ist dort schon recht warm und es fällt häufig Regen. Bei uns in Werchutka brannten die Wirtschaftsgebäude nieder. Einer vom Gesinde hat das Feuer angelegt, und weil es windig war –«

»Wo ist der Brief Michals an mich?« fragte Herr Zagloba, den Redestrom der würdigen Frau Truchsessin unterbrechend, die in einem Atem alle diese Neuigkeiten verkündete.

»Hier ist er,« sagte sie, ihm ein Schreiben überreichend. »Weil es windig war und die Leute auf dem Jahrmarkt –«

»Wie kamen die Briefe hierher?« fragte Zagloba abermals.

»Sie wurden in Herrn Ketlings Landhaus abgegeben, und ein Diener brachte sie hierher. Weil es, wie ich sagte, windig war –«

»Wollen Euer Gnaden mir ein wenig Gehör schenken?«

»Ja freilich! Mit Vergnügen!«

Zagloba erbrach das Siegel und begann zu lesen, zuerst halblaut für sich selbst, dann in lautem Ton für alle:

»Dies ist der erste Brief, den ich Dir sende, und will's Gott, wird ihm kein zweiter nachfolgen, sintemal die Post unverläßlich in diesen Gegenden und ich demnächst in persona unter Euch zu erscheinen gedenke. Zufrieden bin ich hier im Felde, aber dennoch geht mein unsägliches Herzenssehnen nach Euch, und der Betrachtungen und Erinnerungen ist kein Ende, weshalb Solitudo mir lieber als Gesellschaft. – Die verheißene Arbeit ist schon vorüber, denn die Tatarenhorden verhalten sich ruhig, und nur kleinere Haufen streifen in den Wiesen herum. Diese umzingelten wir zu wiederholten Malen so glücklich, daß auch nicht ein Zeuge ihrer Niederlage entkommen konnte.«

»Denen haben sie aber warm gemacht!« rief Basia entzückt. »Es geht eben nichts über den Soldatenstand.«

»Doroszenkos Haufe,« las Zagloba weiter, »möchte gern mit uns anbinden, aber ohne die Horden können sie nichts ausrichten. Nach Aussage der Gefangenen rühren sich von keiner Seite größere Horden, und ich schenke dem Glauben, weil, so dies beabsichtigt wäre, es bisher auch schon hätte statthaben können, da seit einer Woche bereits die Wiesen grünen und an Pferdefutter daher kein Mangel ist. In den Waldschluchten liegt noch da und dort ein wenig Schnee, allein die hochgelegene Steppe prangt bereits im grünen Kleid, auch weht ein warmer Wind, unter dem die Pferde sich zu haaren beginnen, was als das sicherste signum des beginnenden Frühlings anzusehen ist. Ich bin bereits um Urlaub eingekommen, welcher heute oder morgen eintreffen muß, und ich werde alsdann sofort abreisen. Herr Nowowiejski wird mich im Beobachtungsdienst vertreten, wobei jedoch so wenig Arbeit ist, daß wir mit Makowiecki tagelang Füchse jagten, zum Zeitvertreib nur, denn der Pelz ist gegen das Frühjahr zu unbrauchbar. – Auch giebt es hier eine Menge Trappen, und mein Diener hat mit der Muskete einen Pelikan erlegt. – Ich umarme Dich von ganzem Herzen; ich sende Handküsse an meine Frau Schwester, sowie an Fräulein Krzysia, deren Wohlgewogenheit ich mich fortissime empfehle, indem ich den Schöpfer hauptsächlich darum anflehe, daß ich sie unverändert wiederfinden und mich ihrer Tröstungen wieder erfreuen könne. Empfiehl mich auch Fräulein Basia. Herr Nowowiejski hat seinen Groll über die Mokotower Zurückweisung mehrfach auf den Rücken des Raubgesindels entladen, aber noch kann er sie nicht verwinden, und er fühlt sich keineswegs freier im Gemüt. – Nun seid Gott und seiner allerheiligsten Gnade empfohlen.«

» P.S. Ich kaufte von durchreisenden Armeniern einen Hermelinpelz, welcher sehr prachtvoll ist; diesen will ich Fräulein Krzysia als Reisebescherung mitbringen; auch werden sich für den Wildfang türkische Leckerbissen finden.«

»Die mag Herr Michal nur selber verzehren; ich bin kein Kind!« rief Basia, deren Wangen wie von einem plötzlichen Schmerz erglühten.

»Du freust Dich also nicht, ihn wiederzusehen? Zürnst Du ihm denn?« fragte Herr Zagloba.

Aber sie murmelte nur leise vor sich hin, von Zorn erfüllt bei dem Gedanken, wie Herr Michal sie behandle und welch' geringe Wichtigkeit sie für ihn habe; dabei dachte sie jedoch auch ein wenig an die Trappen und insbesondere an den Pelikan, der ihr ganzes Interesse erregte.

Krzysia saß, während der Brief vorgelesen wurde, vom Licht abgewandt, mit geschlossenen Augen da; es war ein Glück für sie, daß die Anwesenden ihr Gesicht, dessen Ausdruck die tiefe Bewegung ihres Innern verriet, nicht sehen konnten. Der Vorgang in der Kirche, der Brief des Herrn Michal, das waren gleichsam wuchtige Keulenschläge, die auf sie niederfielen. Der wunderbare Traum war verflogen; das junge Mädchen stand einer schicksalschweren, unglückseligen Wirklichkeit Aug in Auge gegenüber. Sie war im Augenblick unfähig, ihre Gedanken zu sammeln, und dumpfe, unklare Gefühle bestürmten ihr Herz. – Wolodyjowski mit seinem Brief, mit der Ankündigung seiner Ankunft, mit seinem Hermelinpelz erschien ihr schal, ja fast widerwärtig. – Ketling dagegen war ihr noch nie so teuer gewesen. Teuer war ihr allein schon der Gedanke an ihn, teuer waren ihr seine Worte, sein liebes Antlitz, teuer seine Traurigkeit. Und jetzt sollte sie von seiner Liebe, von seiner Verehrung lassen; von diesem Mann, den ihr Herz begehrte, nach dem sich ihre Hände ausstreckten; sie sollte ihn der Verzweiflung und dem Kummer überlassen und Leib und Seele einem andern hingeben, der ihr schon deshalb allein, weil er ein anderer, beinahe verhaßt war.

»Ich kann nicht, ich kann nicht!« so rief's in ihrem Innern. Und ihr war zu Mute wie einer Sklavin, der man die Hände fesselt. Aber sie selbst war es ja gewesen, die sich gebunden hatte, denn sie hätte damals Herrn Michal sagen können, sie wolle ihm eine Schwester sein und nichts mehr.

Jetzt kam ihr jener Kuß in die Erinnerung, jener gegebene und erwiderte Kuß – und Scham und Selbstverachtung erfaßten sie. Liebte sie denn damals den Herrn Wolodyjowski? Nein! In ihrem Herzen hatte sich nichts von Liebe geregt, nur Mitgefühl und eine gewisse Neugierde und Lust zu bethören, in den Schein schwesterlicher Zuneigung gehüllt. Jetzt stand ihr zum erstenmal klar vor der Seele, daß ein Kuß aus wahrer Liebe sich von einem Kuß aus sinnlicher Erregung genau so unterscheidet, wie ein Engel von einem Teufel. Neben dem Gefühl der Selbstverachtung begannen nun auch Zorn und Stolz sich in Krzysias Innern zu regen und sich gegen Herrn Michal zu kehren. Auch er war schuldig! Weshalb sollte die Buße, der Gram, die Enttäuschung sie allein treffen? Warum sollte er nicht auch dies bittere Brot kosten? Hatte sie nicht das Recht, ihm bei seiner Rückkehr zu sagen: »Ich habe mich getäuscht; ich nahm Mitleid für Liebe. Auch Ihr habt Euch getäuscht; nun verlaßt mich, wie ich Euch verlassen habe.«

Da erfaßte sie plötzlich eine Furcht, bei der sich ihr die Haare sträubten, die Furcht vor der Rache des schrecklichen Mannes; nicht für sich selbst fürchtete sie, sondern für jenes teure Haupt, gegen das sich diese Rache unfehlbar richten würde. Sie sah im Geist Ketling den Zweikampf mit dem gefährlichsten aller Fechter aufnehmen, und sie sah ihn fallen gleich einer von einer Sichel abgemähten Blume; sie sah sein Blut, sein bleiches Antlitz, seine für immer geschlossenen Augen, und sie litt namenlose Qualen. –

Rasch erhob sie sich und ging auf ihr Zimmer, um den Blicken der Anwesenden zu entgehen, und um nicht die Gespräche über Wolodyjowskis Rückkehr mit anhören zu müssen. In ihrem Herzen wuchs mehr und mehr eine Feindseligkeit gegen den kleinen Ritter. Und Reue und Schmerz folgten ihr auf Schritt und Tritt und verließen sie auch nicht während sie betete; sie saßen an ihrem Lager, wenn sie erschöpft und kraftlos darauf niedersank, und redeten zu ihr:

»Wo weilt er?« frug der Schmerz. »Noch ist er nicht heimgekehrt; händeringend irrt er umher in der Nacht. Du möchtest ihm den Himmel auf Erden bereiten, Du möchtest Dein Herzblut für ihn geben, aber Du hast ihm Gift zu trinken gegeben, Du hast ihm ein Messer ins Herz gestoßen.«

»Wäre nicht Dein Flattersinn, Dein Verlangen, jeden Mann, der Dir begegnet, anzulocken,« sprach die Reue, »alles könnte anders sein. Jetzt aber ist Verzweiflung Dein Los. Und Dein ist die Schuld, die große Schuld! Keinen Rat, keine Rettung giebt es für Dich, nur Schmach, Schmerz und Thränen.«

»Wie er in der Kirche zu Deinen Füßen kniete!« sagte die Reue wieder. »Es ist ein Wunder, daß Dein Herz nicht brach, als er in Deine Augen schaute und um Erbarmen flehte. Selbst eines Fremden hättest Du Dich erbarmen müssen, wie denn nicht des Liebsten, des Teuersten? Gott segne, Gott tröste ihn! Wäre nicht Dein Flattersinn, der Liebste wäre glücklich, und Du könntest ihm zur Seite gehen als seine Auserkorene, sein Weib.«

»Und immer bei ihm sein!« fügte der Schmerz hinzu.

»Es ist Deine Schuld!« sagte die Reue ...

»Weine, Krzysia!« rief der Schmerz.

»Du kannst die Schuld nicht tilgen,« sagte die Reue wieder.

»Thue was Du willst, doch tröste ihn!« sagte der Schmerz.

»Wolodyjowski wird ihn töten!« erwiderte sofort die Reue.

Kalter Schweiß übergoß Krzysia; sie setzte sich auf im Bett. Helles Mondlicht fiel in die Stube, die in dessen weißen Strahlen ein sonderbares, erschreckendes Aussehen hatte.

»Was ist das?« dachte Krzysia. »Basia schläft. Ich sehe sie, denn der Mond scheint ihr ins Gesicht. Aber ich weiß wahrlich nicht, wann sie gekommen ist, sich auskleidete und zu Bette ging. Und doch habe ich nicht einen Augenblick geschlafen; mein armer Kopf ist zu nichts mehr nütze, das ist klar.«

Unter diesen Gedanken legte sie sich abermals nieder; aber Reue und Schmerz saßen wieder am Rande ihres Bettes, zwei Geistern gleich, die sich bald in der Lichtflut des Mondes untertauchten, bald wieder aus dem silbernen Abgrund emporhoben.

»Ich werde heute Nacht gar nicht schlafen,« sagte sich Krzysia.

Und sie begann über Ketling nachzusinnen und litt dabei mehr und immer mehr.

Plötzlich ließ sich inmitten der nächtlichen Stille Basias Stimme in kläglichem Tone vernehmen: »Krzysia!«

»Du schläfst nicht?«

»Nein, denn mir träumte, irgend ein Türke habe Herrn Michal mit einem Pfeil tödlich verwundet. Jesus Christus! Träume sind Schäume! Aber ich schüttle mich wie im Fieber. Laß uns die Litanei beten, damit Gott ein Unglück abwende.«

Wie ein Blitz schoß Krzysia der Gedanke durch den Kopf: »daß ihn doch Einer tötete.« Aber sie entsetzte sich selbst über ihre Schlechtigkeit, und obwohl sie einer übermenschlichen Kraft bedurfte, um in diesem Augenblick für Wolodyjowskis Rückkehr zu beten, antwortete sie dennoch:

»Es sei, Basia!«

Beide erhoben sich von ihrem Lager, um mit bloßen Knien auf dem mondbeschienenen Fußboden niederzuknien und die Litanei zu beten. Ihre Stimmen antworteten einander, bald sich hebend, bald sich senkend; man hätte glauben können, das Zimmer sei in die Zelle eines Klosters verwandelt, in welcher zwei weiße Nonnen ihre nächtlichen Gebete sagen.


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