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VI

Die Freibeuterbanden, welche an beiden Ufern des Dniester ihr Räuberhandwerk trieben, waren aus allen Völkerschaften zusammengesetzt, welche die angrenzenden Landstriche bewohnten. Ueberläufer aus den Dobrutscher und Belgrader Tatarenhorden, noch wilder und tapferer als ihre Namensbrüder in der Krim, bildeten dabei die Mehrheit, doch fehlte es auch nicht an Wallachen, Kosaken, Ungarn und polnischen Knechten, welche aus den am Ufer des Dniester gelegenen Standquartieren entflohen waren. Bald trieben sie sich an der polnischen, bald an der moldauischen Seite herum, fortwährend den Grenzfluß überschreitend, je nachdem sie von den Perkulabern oder den polnischen Befehlshabern bedrängt wurden. In Schluchten, Wäldern und in Höhlen befanden sich ihre unzugänglichen Schlupfwinkel. Das Hauptziel ihrer räuberischen Ueberfälle waren die zu den Standquartieren gehörenden Pferde und Rinderherden, welche sogar im Winter die Steppen nicht verließen und sich unter dem Schnee ihr Futter suchten. Aber die Räuber fielen auch in die Dörfer, Städtchen und Ansiedelungen und in die kleinen Standquartiere ein, sie griffen die polnischen und türkischen Kaufleute, ja, sogar die mit Lösegeld in die Krim reisenden Vermittler an. Alle diese Banden fügten sich indessen einer gewissen Ordnung, sie hatten ihre eigenen Anführer, verbanden sich aber nur selten miteinander. Häufig kam es auch vor, daß die kleineren von den größeren vernichtet wurden. In den reußischen Gebieten hatte sich ihre Zahl überall sehr vermehrt, und vornehmlich seit der Zeit der kosakisch-polnischen Kriege waren ganze Gegenden vollständig unsicher geworden. Die längs des Dniester hinziehenden, durch die tatarischen Ueberläufer verstärkten Banden waren besonders gefährlich. Es gab manche, die fünfhundert Köpfe zählten. Ihre Anführer hatten den Titel »Bey« angenommen. Sie verwüsteten das Land ganz nach Art der Tataren, und zuweilen wußten selbst die Militär-Kommandanten nicht, ob sie es mit Räubern oder der Vorhut einer ganzen Tatarenhorde zu thun hatten. Den regelrechten Truppen, vornehmlich aber der Reiterei der Republik gegenüber vermochten diese Banden auf offenem Felde nicht standzuhalten, wurden sie aber einmal in eine Falle gelockt, dann wehrten sie sich verzweifelt, wohl wissend, daß der Strick ihrer warte, wenn sie in Gefangenschaft gerieten. Sie trugen verschiedenartige Waffen. An Armbrüsten, sowie an Flinten fehlte es ihnen gänzlich, und diese wären ihnen auch bei nächtlichen Ueberfällen nur von geringem Nutzen gewesen. Zum größten Teil waren sie mit türkischen Dolchmessern, Yatagans, mit Streitkolben und tatarischen Säbeln bewaffnet, auch führten sie halbe Pferdekinnladen bei sich, die in Knittel aus jungen Eichen eingelassen und mit einer Schnur befestigt waren. Diese Waffe leistete, von kräftiger Hand geführt, besonders gute Dienste, denn unter ihren wuchtigen Schlägen zerbrach jeder Säbel. Manche trugen sehr lange Heugabeln mit scharfen eisernen Zinken, wieder andere trugen Wurfspieße. Mit diesen gingen sie im äußersten Falle auf die Reiterei los.

Die Bande, welche sich bei Sierocy-Brod aufgehalten hatte, mußte entweder sehr zahlreich sein oder sich auf der moldauischen Seite in äußerster Gefahr befunden haben, da sie es gewagt, sich dem Militärposten von Chreptiow zu nähern, trotz der Furcht, welche der Name des Herrn Wolodyjowski allein schon in all den an beiden Ufern umherziehenden Räubern erweckte. In der That brachte eine zweite Streifwache die Kunde, jene Bande bestehe aus mehr denn vierhundert Köpfen, und ihr Anführer sei Azba Bey, ein berühmter Freibeuter, der seit einigen Jahren schon das polnische und moldauische Gebiet mit Schrecken erfüllte.

Herr Wolodyjowski war sehr erfreut, als er hörte, mit wem er es zu thun hatte und erteilte sofort die nötigen Befehle. Außer Mellechowicz und Herrn Motowidlo ging auch die Schwadron des Generals von Podolien und jene des Untertruchseß aus Przemysl dem Feinde entgegen. Noch in der Nacht zogen sie scheinbar nach verschiedenen Richtungen aus, aber wie die Fischer das Zuggarn weit auswerfen, um sich dann bei einer Eiswuhne zu vereinigen, so sollten auch diese Fähnlein, nachdem sie einen weiten Kreis umschritten hatten, beim Morgengrauen an der Sierocy-Brod zusammentreffen.

Dem Auszuge der Krieger wohnte Basia mit klopfendem Herzen bei, da dies ihr erster Feldzug war, und das Herz schwoll ihr bei dem Anblick dieser behenden, alten Steppenwölfe. Der Ausmarsch ward in solcher Stille vollzogen, daß im Fort selbst nichts davon gehört ward. Die Mundstücke der Pferde klirrten nicht, der Steigbügel eines Reitersmannes schlug nicht an den eines andern an, kein Säbelgerassel, kein Pferdegewieher ließ sich hören. Die Nacht war heiter und ungewöhnlich hell. Der Vollmond beleuchtete die Anhöhe mit dem Standquartier und die nach allen Seiten sanft abfallende Steppe, und gleichwohl war kaum ein Fähnlein aus dem Pallisadenverhau herausgerückt, wobei die Waffen unter den silbernen Strahlen funkelten, welche der Mond förmlich hervorzauberte, als es auch schon den Blicken entschwunden war, gleich einer Schar Rebhühner in wogendem Grase. Dieser Ausmarsch hatte etwas Geheimnisvolles. Es dünkte Basia, Waidmänner zögen zu irgend einer Jagd aus, die bei Tagesanbruch beginnen sollte, und sie schritten so leise und vorsichtig dahin, um das Wild nicht vorzeitig aufzuscheuchen. Und eine große Lust erfaßte sie, an dieser Jagd teilzunehmen.

Herr Wolodyjowski widersetzte sich ihrem Vorhaben nicht, da ihn Zagloba bewog, seine Einwilligung zu geben. Zudem wußte er auch, daß er ohnedies dem Wunsche Basias einmal Genüge thun müsse, und so entschloß er sich, ihr lieber sogleich zu willfahren, zumal die Räuber weder Armbrüste noch Gewehre bei sich zu führen pflegten.

Indessen brachen sie erst drei Stunden nach dem Auszuge der ersten Abteilungen auf, denn so war es von Herrn Michal angeordnet worden. Herr Muszalski, sowie zwanzig Linkhaussche Dragoner mit einem Wachtmeister dienten ihnen als Eskorte, lauter Masuren, erprobte, tüchtige Leute, unter deren Schutze sich die anmutige Frau Obristin ebenso sicher fühlte wie in ihrer ehelichen Stube.

Da Basia auf einem Herrensattel reiten mußte, war sie auch entsprechend gekleidet. Sie trug sehr weite Pumphosen von perlgrauem Samt, die wie ein Frauenrock aussahen und in Stiefelchen von gelbem Saffian staken, einen mit weißen Schafpelz gefütterten, an den Nähten reich gestickten Oberrock von der gleichen Farbe, eine silberne Patronentasche von trefflicher Arbeit, einen leichten, türkischen Säbel an seidenem Wehrgehänge und Pistolen in Halftern. Ihr Haupt zierte ein Kolpak aus venetianischem Samt und Pelz, mit einer Reiherfeder geschmückt, und unter diesem Kolpak schaute ein helles, rosiges Gesichtchen mit neugierig blickenden, dunklen, leuchtenden Augen hervor.

So gekleidet sah sie auf ihrem kastanienbraunen Pferde, das so hurtig und sanft wie ein Reh war, gerade wie das Kind eines Hetmans aus, welches unter dem Schutze erfahrener Krieger zur ersten Unterweisung ins Feld zieht. Ihre Erscheinung ward von allen bewundert; Herr Zagloba und Herr Muszalski stießen sich gegenseitig mit den Ellenbogen an, von Zeit zu Zeit auch küßte ein jeder die eigene Hand zum Zeichen seiner außerordentlichen Verehrung für Basia, und im Verein mit Wolodyjowski suchten beide die Angst der jungen Frau wegen des verspäteten Aufbruches zu beschwichtigen.

»Du kennst den Krieg nicht,« sagte der kleine Ritter, »deshalb beschuldigst Du uns irrtümlicherweise, wir wollten Dich erst an Ort und Stelle führen, wenn der Kampf vorüber ist. Das eine Fähnlein muß in gerader Richtung ausziehen, wieder andere müssen Umwege machen, um dem Feinde den Weg abzuschneiden, und dann erst werden sich sämtliche in der Stille vereinigen und den Feind in einer Schlinge zu fangen suchen. Wir aber treffen noch zur rechten Zeit ein, und ohne uns wird nichts unternommen werden, denn alles ist ganz genau berechnet.«

»Und wenn nun der Feind Kunde davon bekommt und sich zwischen den Schwadronen hindurchschleicht?«

»Er ist schlau und wachsam, aber auch uns ist solch eine Art von Kriegführung nichts Neues.«

»Vertraue Michal,« rief Zagloba, »denn er hat mehr Erfahrung als alle andern Menschen. Ein schlimmes Schicksal hat diese Halunken hierhergeführt!«

»Schon in Lubny, als ich noch ein Jüngling war,« bemerkte Herr Michal, »hat man mich mit ähnlichen Funktionen betraut. Jetzt aber, da Du das Schauspiel mit ansehen sollst, habe ich alles mit noch größerer Sorgfalt angeordnet als sonst. Alle Schwadronen werden sich dem Feinde vereint zeigen, sie werden zusammen ihren Schlachtruf ausstoßen und spornstreichs auf die Räuber losgehen.«

»Ei, ei!« stieß Basia voll Entzücken hervor, und sich in den Steigbügeln aufrichtend, umarmte sie den kleinen Ritter. »Und mir steht es also frei, ebenfalls auf die Feinde loszugehen? Wie, Michal, wie?« fragte sie mit blitzenden Augen.

»Ins Gedränge lasse ich Dich keinenfalls, weil im Gedränge leicht ein Unglück geschehen kann, aber ich habe Befehl gegeben, daß nach dem Zersprengen der Bande ein kleines Häuflein auf uns zugetrieben werde, dann lassen wir den Pferden die Zügel schießen, und Du kannst einen oder zwei niedermachen. Doch trachte, ihnen immer von links entgegenzureiten, denn auf diese Weise wird es dann dem Verfolgten fast unmöglich, Dich über das Pferd hinüber zu erreichen, während Du ihn in Deiner Macht hast.«

»Hoho!« rief Basia, »ich fürchte mich nicht! Du sagtest ja selbst, daß ich den Säbel schon weit besser zu führen weiß als Onkel Makowiecki. Gegen mich kommt keiner auf!«

»Gieb wohl acht, daß Du die Zügel festhältst,« warf Zagloba ein, »diese Leute haben gewisse Kunstgriffe, während Du einen der Räuber verfolgst, kann er möglicherweise plötzlich sein Pferd wenden, anhalten, und bevor Du nahe zu ihm herangelangt bist, fällt er schon über Dich her. Ein erfahrener Krieger läßt seinem Pferde nicht so leicht die Zügel schießen, sondern leitet es nach eigenem Ermessen.«

»Auch darf man den Säbel nicht allzu hoch erheben, um desto leichter Stöße austeilen zu können,« sagte Herr Muszalski.

»Ich werde für alle Fälle in ihrer Nähe bleiben,« sagte der kleine Ritter. »Siehst Du, im Kampfe besteht die Hauptschwierigkeit darin, daß man an alles denken muß, an das eigene Pferd und an das des Feindes, an die Zügel und den Säbel, an Hieb und Stoß, kurz an alles auf einmal. Wer sich nun eine gewisse Fertigkeit angeeignet hat, dem kommt dies von selbst, doch ist anfangs sogar der geübteste Streiter oft ungeschickt, und der erste beste Tropf, welcher eine gewisse Gewandtheit besitzt, vermag selbst den geschultesten Neuling aus dem Sattel zu heben ... Deshalb werde ich an Deiner Seite bleiben!«

»Aber meine nur nicht, Du müßtest mir sofort zu Hilfe kommen und verbiete auch den Leuten, daß mir jemand ohne Not zu Hilfe komme.«

»Nun, nun! Wir werden ja sehen, ob Dein Mut sich bewährt, wenn es darauf ankommt,« entgegnete lachend der kleine Ritter.

»Oder ob Du nicht einen von uns am Rockschoße packst,« fügte Herr Zagloba hinzu.

»Wir werden sehen!« sagte Basia voll Entrüstung.

Unter solchen Gesprächen erreichten sie einen da und dort mit Gestrüpp bewachsenen Platz. Der Anbruch des Tages mußte bevorstehen, doch Dunkelheit herrschte überall, denn der Mond war inzwischen untergegangen. Ein leichter Dunst begann von der Erde aufzusteigen und jede Fernsicht zu verhüllen. Die aufgeregte Phantasie Basias verwandelte die im Dämmerlichte schwankenden und von Nebel umwobenen Gesträuche in lebende Wesen. Oftmals glaubte sie Menschen und Pferde ganz deutlich vor sich zu sehen.

»Was ist das, Michal?« fragte sie leise und mit dem Finger auf eine Krümmung des Weges zeigend.

»Nichts, nur Buschwerk!«

»Ich glaubte, es seien Reiter. Werden wir bald an Ort und Stelle sein?«

»Es wird wohl noch eine Stunde oder etwas länger währen, bis der Tanz beginnt.«

»Ha!«

»Fürchtest Du Dich?«

»Nein, aber das Herz klopft mir vor Lust. Ich mich fürchten! O durchaus nicht! Sieh nur, wie hier alles von Reif bedeckt ist ... Trotz der Dunkelheit kann man dies wahrnehmen.«

In der That ritten sie jetzt über einen Steppenstrich, wo die langen, dürren Grasstengel mit Reif bedeckt waren. Herr Wolodyjowski schaute hin und sagte:

»Motowidlo ist hier vorübergekommen. Nicht weiter als eine halbe Meile von hier muß er irgendwo im Hinterhalte liegen. Der Tag bricht schon an.«

In der That zeigte sich das erste Frührot. Die Dunkelheit schwand. Himmel und Erde bildeten nur ein einziges Grau, ein fahler Schimmer breitete sich allmählich aus, die Wipfel der Bäume sowie die Gesträuche schienen wie in Silber getaucht zu sein. Auch entfernteres Buschwerk trat jetzt immer deutlicher hervor, gerade wie wenn jemand einen Schleier davon weggezogen hätte.

Da kam hinter einem nahegelegenen Busche plötzlich ein Reiter hervor.

»Von Herrn Motowidlo?« fragte Wolodyjowski, da der Semene sein Pferd dicht vor ihm anhielt.

»Zu Befehl, Euer Gnaden?«

»Welche Kunde bringt Ihr?«

»Sie überschritten die Sierocy-Brod, dann gingen sie dem Gebrüll der Ochsen nach und wendeten sich gegen Kalusik. Die Ochsen führten sie fort, und jetzt stehen sie auf dem Jurgowpole.«

»Und wo befindet sich Herr Motowidlo?«

»Er steht hinter jener Anhöhe, und Herr Mellechowicz bei Kalusik. Von den andern Schwadronen weiß ich nichts.«

»Gut!« sagte Wolodyjowski, »ich weiß genug! Jetzt eile zu Herrn Motowidlo und bringe ihm den Befehl, er möge den Kreis schließen. Und dann soll er bis zu einer gewissen Entfernung von Herrn Mellechowicz seine Leute einzeln in einer Reihe aufstellen. Vorwärts!«

Der Semene beugte sich über den Sattel, sprengte vorwärts, so daß die Milz seines Pferdes zu spielen begann und war bald den Blicken entschwunden. Ganz lautlos, mit noch größerer Behutsamkeit ritten nun die andern weiter. Inzwischen war es völlig Tag geworden. Der Nebel, der beim Morgengrauen von der Erde aufgestiegen war, hatte sich wieder gesenkt, und am östlichen Firmamente zeigte sich ein langer, lichtvoller, rosiger Streifen, der sowohl die Luft auf den Anhöhen, als auch die Ränder der fernen Waldschluchten und die Gipfel mit seinem leuchtenden Glanze färbte.

Nunmehr drang an die Ohren der Dahinreitenden vom Dniester her ein lautes Krächzen, und hoch über ihnen zeigte sich ein ungeheurer Schwärm von Raben, welche der Morgenröte zuflogen. Einzelne der Vögel trennten sich jeden Augenblick von den übrigen, und statt geradeaus zu fliegen, begannen sie, über der Steppe zu kreisen, wie dies Geier und Habichte zu thun pflegen, wenn sie einer Beute ansichtig werden.

Herr Zagloba hob seinen Säbel in die Höhe, und mit der Spitze auf die Raben deutend, sagte er zu Basia:

»Der Instinkt dieser Vögel ist zu bewundern. Sobald es irgendwo zu einem feindlichen Zusammentreffen kommen soll, fliegen sie sogleich von allen Seiten herbei, wie wenn jemand sie aus einem Sacke herausgeschüttet hätte. Wenn jedoch eine Kriegsschar allein auszieht, oder Abteilungen derselben sich begegnen, dann sind diese Vögel nicht zu sehen, so gut können sie die Absicht der Menschen erraten, obwohl diese ihnen von niemand kundgethan wird. Selbst sagacitas rarium vermag dies nicht zu erklären, deshalb magst Du Dich billig darüber wundern.«

Mittlerweile waren die immer lauter krächzenden Vögel ziemlich nahe gekommen, daher wendete sich Herr Muszalski an den kleinen Ritter und sagte, mit der Hand auf die Armbrust schlagend:

»Herr Kommandant, ist es vielleicht gestattet, zum Vergnügen der Frau Kommandantin einen von da oben herunterzuholen? Lärm wird es nicht machen.«

»Schießt immerhin und holt zwei herunter,« antwortete Wolodyjowski, welcher wußte, daß der alte Krieger die Schwäche hatte, sich mit seiner Sicherheit im Treffen hervorzuthun.

Daraufhin griff der unvergleichliche Bogenschütze mit der Hand auf den Rücken, nahm einen gefiederten Pfeil, legte ihn auf die Sehne, hob die Armbrust und seinen Kopf in die Höhe und wartete.

Der Schwarm kam immer näher. Alle hielten die Pferde an und blickten voll Spannung zum Himmel empor. Plötzlich erscholl, dem Gezwitscher der Schwalbe ähnlich, der klägliche Ton der schwirrenden Sehne, und der abgeschossene Pfeil verschwand in dem Schwarm.

Eine Weile konnte man glauben, Herr Muszalski habe sein Ziel verfehlt, doch plötzlich überschlug sich einer der Vögel, die Emporschauenden sahen, wie er herabsank, sich fortwährend überstürzend näher und näher kam, bis er schließlich mit ausgebreiteten Flügeln, gleich einem vom Winde verwehten Blatte, niederfiel.

Ein paar Schritte von Basias Pferd entfernt lag er nun am Boden. Der Pfeil hatte den Vogel so vollständig durchbohrt, daß die Spitze über dessen Rücken sichtbar ward.

»Möge dies ein glückliches Vorzeichen sein!« sagte Muszalski, sich vor Basia verneigend. »Ich werde auch aus der Ferne ein wachsames Auge auf die Frau Kommandantin, meine Wohlthäterin, haben, um nötigenfalls, so Gott will, abermals mein Pfeilchen abschießen zu können und einen glücklichen Schuß zu thun. Und sollte es auch ganz nahe vorbeischwirren, verwunden wird es Euch nicht, seid dessen gewiß!«

»Ich möchte nicht der Tatar sein, den Euer Gnaden zum Ziel nehmen!« erwiderte Basia.

Das weitere Gespräch wurde durch Herrn Wolodyjowski unterbrochen, welcher auf eine, ein paar hundert Schritte entfernte Terrainerhöhung deutete und sagte:

»Dort wollen wir Halt machen!«

Nach diesen Worten bewegten sie sich in scharfem Trabe vorwärts. Als sie die Anhöhe halbwegs emporgeritten waren, befahl der kleine Ritter, den Schritt der Pferde zu mäßigen, und nicht weit vom Gipfel hielt er an.

»Wir werden nicht bis zum höchsten Punkte reiten,« sagte er, »denn an einem so hellen Morgen wie der heutige könnte man uns auch aus der Ferne sehen, aber wenn wir abgestiegen sind, nähern wir uns nur soweit dem Gipfel, daß man uns nicht gewahr werden kann.«

So sprechend, sprang er vom Pferde, und nach ihm Basia, Herr Muszalski, sowie einige andere. Die Dragoner blieben unterhalb des Gipfels, ihre Rosse am Zügel haltend, die andern aber rückten bis zu der Stelle vor, wo die Anhöhe, gleich einer senkrechten Wand, zur Tiefe abfiel.

Am Fuße dieser etwa dreißig Ellen hohen Wand wuchs ein schmaler Streifen dichten Gestrüppes, etwas weiter entfernt streckte sich in der Niederung eine einförmige Steppe hin, deren große Ausdehnung man von dieser Anhöhe überschauen konnte.

Diese von einem Flusse durchschnittene Ebene, welcher der Richtung nach Kalnsik zuströmte, war gerade wie die Felsenwand mit einzelnen dichten Gesträuchen bewachsen. Aus den größten Büschen stiegen kleine Rauchsäulen zum Himmel empor.

»Siehst Du,« sagte Wolodyjowski zu Basia, »dort hat sich der Feind versteckt.«

»Den Rauch sehe ich wohl, doch sehe ich weder Mannschaft noch Pferde,« entgegnete Basia mit klopfendem Herzen.

»Weil sie im Dickicht verborgen sind, aber ein geübtes Auge kann sie doch wahrnehmen. Schau hin, zwei, drei, vier, eine ganze Schar Pferde ist dort zu sehen, das eine ist ein Schecke, das andere ein Schimmel, der von hier aus wie blau aussieht.«

»Reiten wir bald hinab zu ihnen?«

»Man wird sie uns entgegentreiben, doch haben wir noch Zeit genug, denn bis zu jenem Dickicht ist's wohl eine Viertelmeile.«

»Wo befinden sich die Unsrigen?«

»Siehst Du dort den Waldessaum? Die Abteilung des Herrn Kämmerer muß gerade jetzt diesen Waldessaum erreichen. Mellechowicz wird wohl im Augenblick auf der andern Seite auftauchen. Die andere, aus Edelleuten bestehende Schwadron wird die Räuber von diesem Felsen aus angreifen. Sobald sie unserer Leute ansichtig werden, rücken sie gegen uns vor, denn es ist leicht, hier am Abhang vorbei an den Fluß zu gelangen, auf der anderen Seite aber befindet sich eine Schlucht mit so furchtbar steilen Wänden, daß niemand durchkommen kann.«

»Dann sind sie also in einer Falle?«

»Wie Du siehst.«

»Um Gotteswillen! Ich vermag kaum mehr, stille zu stehen!« rief Basia aus.

Und nach einer Weile sagte sie: »Michal, was würden sie nun thun, wenn sie klug wären?«

»Dann stürzten sie sich wie der Sturmwind auf des Kämmerers Schwadron und ritten sie vollständig nieder. In dem Falle wären sie befreit, aber sie werden es nicht thun, denn zuvörderst nehmen sie es mit der regulären Reiterei nicht gerne auf, zweitens befürchten sie, daß noch mehr Kriegsvolk im Walde auf der Lauer liegt, und deshalb werden sie gegen uns heranrücken.«

»Aber wir werden sie nicht aufhalten können. Wir verfügen ja nur über zwanzig Leute.«

»Und Motowidlo?«

»Richtig! Ha! Wo ist er denn?«

Anstatt zu antworten, stieß Wolodyjowski einen Klageton aus, wie ihn die Habichte oder Falken ausstoßen. Sofort ließen sich am Fuße des Hügels, gleichsam wie ein Echo, ähnliche Klagerufe vernehmen. Sie kamen von den Semenen Wotowidlos, welche sich so gut in dem Dickicht verborgen hatten, daß Basia, obwohl sie gerade über ihnen stand, sie gar nicht bemerkt hatte. Während eines kurzen Augenblicks schaute sie voll Verwunderung bald hinunter zu den Kriegern, bald auf den kleinen Ritter, dann plötzlich färbten sich ihre Wangen dunkelrot und sie schlang die Arme um den Hals ihres Gatten.

»Michalek! Du bist der größte Heerführer der Welt!«

»Ich habe nur ein wenig Uebung,« entgegnete Wolodyjowski lächelnd. »Du aber lärme nur nicht zu viel vor lauter Freude und denke daran, daß ein tüchtiger Soldat auch ruhig sein muß.«

Aber diese Ermahnung half nichts. Basia war wie im Fieber. Sie wollte sogleich ihr Pferd besteigen und die Anhöhe hinunterreiten, um zu Motowidlos Schwadron zu stoßen. Doch Wolodyjowski hielt sie noch zurück, denn er wünschte, daß sie die Entwicklung des Gefechtes gut beobachten könne.

Mittlerweile war die Morgensonne über der Steppe emporgestiegen und überströmte die ganze Ebene mit einem kalten, blaßgelben Lichte. Die nahen Büsche und Baumgruppen erstrahlten in heiterem Glanze, die entfernteren, von denen man bisher nur unbestimmte Umrisse gesehen hatte, traten deutlicher hervor, der noch in der Vertiefung liegende Reif flimmerte und funkelte, und die Atmosphäre ward so durchsichtig, daß der Blick ungehindert in die Ferne schweifen konnte.

»Das Fähnlein des Kämmerers tritt aus dem Wäldchen hervor,« ließ sich Herr Wolodyjowski vernehmen, »ich sehe die Leute und die Pferde!«

In der That tauchten auch die Reiter am Saume des Gehölzes auf und zogen in einer langen, dunkeln Linie über die mit Reif bedeckte Waldwiese einher. Der silberglänzende Raum zwischen ihnen und dem Walde ward nur ganz allmählich größer. Offenbar beeilten sie sich nicht allzusehr, um auch den andern Schwadronen Zeit zu lassen. Wolodyjowski wendete sich nun nach der linken Seite.

»Mellechowicz ist ebenfalls hier,« sagte er.

Und nach einer Weile fügte er hinzu:

»Auch die Leute des Oberjägermeisters aus Przemysl rücken heran. Keiner hat sich auch nur um die Zeit von zwei Vaterunser verspätet!«

Hier zitterte sein Schnurrbärtchen sichtlich.

»Keine Seele sollte da entkommen! Zu Pferde jetzt.«

Rasch wendeten sie sich den Dragonern zu, und nach einem raschen Sprung in den Sattel ritten sie den Abhang bis zu dem in der Tiefe wachsenden Gestrüpp hinunter, wo sie sich zu den Semenen des Herrn Motowidlo gesellten.

Hierauf traten alle bis an den Rand des Buschwerkes vor und machten hier Halt, indem sie in die Runde blickten.

Offenbar hatte der Feind das herannahende Fähnlein des Kämmerers wahrgenommen, denn in diesem Moment brach aus dem, inmitten der Ebene wachsenden Gestrüppe eine Schar von Reitern hervor, gleich einem Rudel von Rehen, das aufgescheucht worden ist. Mit jedem Augenblick wuchs ihre Zahl. Eine Kette bildend, ritten sie anfangs im Trabe am Saum des Dickichts hin; die Reiter beugten sich dermaßen auf die Hälse der Pferde herab, daß es in der Ferne den Anschein hatte, eine Horde von Steppenpferden zöge längs der Gebüsche in langer Reihe dahin. Offenbar befanden sie sich noch im Zweifel darüber, ob jenes Fähnlein ihnen entgegenrücke und sie überhaupt schon sehe, oder ob dies nur eine Schwadron sei, welche die Umgegend auskundschaften solle. In diesem letzteren Falle konnten sie sich noch der Hoffnung hingeben, daß das Buschwerk sie vor den Blicken der Heranziehenden verberge.

Von dem Platze aus, wo Wolodyjowski an der Spitze der Mannschaft Motowidlos stand, konnte man genau beobachten, wie unsicher und zögernd das Vorgehen der Horde war, und wie sie in ihren Bewegungen wilden Tieren glichen, welche die ihnen drohende Gefahr wittern. Nachdem sie die Hälfte des Weges bis zur Mitte des Buschwerkes zurückgelegt hatten, schlugen sie einen leichten Galopp an. Urplötzlich aber, als ihre ersten Reihen das offene Feld erreicht hatten, hielten diese ihre Pferde an, und mit ihnen machte die ganze Bande Halt.

Nun hatten sie die von dieser Seite herankommende Abteilung Mellechowicz' wahrgenommen, daraufhin schwenkten sie in einem Halbkreise von dem Buschwerke ab, und ihren Blicken zeigte sich die ganze Schwadron von Przemysl, die ihnen in scharfem Trabe entgegenkam.

Jetzt ward es den Räubern klar, daß all diese Schwadronen von ihrer Anwesenheit unterrichtet waren, und daß man Jagd auf sie machen wollte. Wilde Aufschreie ertönten inmitten der Schar, und die größte Verwirrung begann. Sich gegenseitig laut zurufend, kamen jetzt die Schwadronen im Galopp herbei, so daß die Erde von dem Hufschlage der Pferde erdröhnte. Als die Räuber dies sahen, bildeten sie sofort eine Linie und sprengten, so rasch ihre Rosse es vermochten, der Anhöhe zu, an deren Fuße der kleine Ritter mit Motowidlo und dessen Leuten Stellung genommen hatte. Die Entfernung zwischen ihnen verringerte sich mit überraschender Schnelligkeit.

Basia erblaßte anfangs ein wenig vor Erregung und ihr Herz pochte immer stärker, als sie indessen sah, daß sie beobachtet wurde und auch nicht die geringste Unruhe in den Zügen der Andern bemerkte, beherrschte sie sich schnell wieder. Und bald fesselte die wie ein Sturmwind heranbrausende Schar ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie zog die Zügel straffer an, faßte den kleinen Säbel fester in die Hand, und eine dunkle Blutwelle strömte ihr vom Herzen in das Gesicht.

»Ganz gut!« sagte der kleine Ritter.

Sie warf ihm nur einen Blick zu, und ihre Nasenflügel bebten, während sie leise fragte:

»Werden wir bald vorrücken?«

»Es ist noch Zeit!« erwiderte Herr Michal.

Die Räuber aber jagten daher wie ein Hase, der von den Hunden verfolgt wird. Jetzt sind sie kaum mehr als fünfzig Schritte von dem Buschwerk entfernt, schon sieht man die weit vorgestreckten Pferdeköpfe mit den zurückgelegten Ohren und darüber die gleichsam mit der Mähne verwachsenen Gesichter der Tataren. Näher und näher kommen sie heran ... Man hört nur das Schnauben der Pferde, deren aufeinandergepreßten Zähne und hervorstehenden Augen zeigen, daß es ihnen infolge des rasenden Laufes an Atem gebricht ... Wolodyjowski giebt ein Zeichen, und die Semenen richten eine ganze Reihe von Flintenläufen gegen die Heranjagenden.

»Feuer!«

Ein Krachen, Pulverdampf – und es war, als ob der Sturmwind einen Haufen Spreu auseinandergetrieben hätte. Im Nu zerstob die ganze Räuberhorde unter Geheul und Geschrei nach allen Richtungen. Nun brach der kleine Ritter aus dem Dickicht hervor, während die Lipker-Schwadron, mit der des Kämmerers den Kreis schließend, den versprengten Feind gegen die Mitte in einen Haufen zusammentrieb. Vergebens suchen einzelne der Horde einen Ausgang, vergebens drehen und wenden sie sich, jagen sie nach rechts, nach links, vergebens sprengen sie vor und wieder zurück, der Kreis ist vollständig geschlossen, die Räuber müssen sich mehr und mehr zusammenscharen, die Schwadronen sprengen herbei und ein furchtbares Gemetzel beginnt.

Die Freibeuter begriffen wohl, daß nur derjenige lebend entkommen könne, welcher im stande war, sich durchzuschlagen, daher verteidigten sie sich denn, so gut es eben ging, ein jeder auf eigene Faust, voll Wut und Verzweiflung. Schon gleich zu Anfang lagen sie dicht nebeneinandergereiht auf der Wahlstatt, so verderblich war der erste Angriff für sie gewesen. Die Krieger, welche durch Anspornen ihrer Pferde den Feind immer mehr in die Enge trieben, brachten ihm auch solche Hiebe und Stiche bei und gingen mit solch unerbittlicher, furchtbarer Gewalt aus ihn los, wie dies nur bei Berufssoldaten vorkommen kann. Ueber dem Menschenknäuel erscholl das Klirren von Waffen, und es klang wie das rasche Aufschlagen zahlreicher Dreschflegel in einer Tenne. Die Köpfe der Freibeuter, ihre Nacken, Schultern und ihre Hände, mit denen sie ihre Köpfe zu schützen gesucht hatten, wurden durchbohrt, ohne Unterlaß fielen die Hiebe, von allen Seiten, ohne Gnade und Erbarmen. Doch auch sie schlugen darein und gebrauchten ihre Waffen: die Dolche, Säbel, Streitkolben und jene Stangen, in welche die Pferdekinnladen eingelassen waren. Ihre gegen die Mitte hin gewaltsam zurückgedrängten Pferde stellten sich auf die Hinterfüße oder wälzten sich auf dem Rücken; wieder andere, die sich gegenseitig bissen und kläglich wieherten, schlugen im Gedränge aus, wodurch eine heillose Verwirrung entstand. Nach einem kurzen, stillen Kampfe entrang sich ein Geheul der Brust der Tataren, sie erlagen der Uebermacht, den besseren Waffen, der größeren Gewandtheit. Sie begriffen, daß es keine Rettung für sie gab, daß keiner mehr entkommen werde, daß sie nicht mehr auf Beute hoffen durften, daß ihr Leben verloren war. Die immer wilder werdenden Soldaten schlugen immer gewaltiger darein. Einige der Räuber sprangen vom Sattel herab, um zwischen den Beinen der Rosse durchzuschlüpfen. Diese wurden von den Hufen zertreten, zuweilen auch bückte sich einer der Soldaten herab und durchbohrte den Flüchtling mit einem Stoß; manche Freibeuter warfen sich zu Boden, in der Hoffnung, während die Schwadronen unaufhaltsam gegen die Mitte vorrückten, aus dem Kreise hinauszukommen und sich auf diese Weise durch die Flucht retten zu können.

In der That schmolz die Horde mehr und mehr zusammen, jeder Augenblick ward Menschen und Pferden verderblicher. Als Azba Bey dies gewahrte, stellte er seine Leute, so gut es ging, in keilförmiger Schlachtordnung auf und warf sich mit aller Kraft den Semenen Motowidlos entgegen, in der Absicht, den Ring gewaltsam zu zersprengen.

Allein diese warfen ihn wieder zurück, und nun begann ein furchtbares Gemetzel.

Zu derselben Zeit fiel auch der wie eine Flamme wütende Mellechowicz, der einen Haufen zerstreut und dann einen Teil desselben zwei andern Schwadronen überlassen hatte, über diejenigen her, welche mit den Semenen handgemein geworden waren.

Zwar gelang es einem Teil der Räuber, in dem allgemeinen Wirrwarr aus dem Ring zu entschlüpfen und sich wie eine Anzahl verwehter Blätter über das freie Feld zu verbreiten, allein die Soldaten der Nachhut, welche wegen des kleinen, nur eine geringe Machtentfaltung gestattenden Platzes nicht an dem Gefechte hatten teilnehmen können, verfolgten sie schleunigst zu zweien, zu dreien oder auch einzeln. So wurden denn diejenigen, welche nicht entkommen konnten, trotz verzweifelter Gegenwehr niedergemetzelt und lagen dann reihenweise da, wie auf dem Felde die Frucht, welche durch zahlreiche Schnitter gleichzeitig von zwei entgegengesetzten Seiten aus gemäht worden ist.

Basia rückte zugleich mit den Semenen vor, indem sie, wie um sich zu ermutigen, leise vor sich hinpfiff, denn im ersten Augenblick war es ihr ein wenig schwarz vor den Augen geworden, sowohl des schnellen Rittes als auch der großen Erregung wegen. Als sie sodann den Feind erreicht hatte, sah sie anfangs nur eine dunkle, bewegliche, schwankende Masse vor sich. Da erfaßte sie eine fast unwiderstehliche Lust, die Augen zu schließen. Wohl bezwang sie diesen Wunsch, dessenungeachtet aber schwenkte sie blindlings ihren Säbel, ohne zu wissen warum. Doch währte dies nicht lange. Ihr Mut hatte wieder die Oberhand gewonnen, und klaren Blickes schaute sie nun um sich. Zuerst gewahrte sie Pferdeköpfe und hinter diesen entflammte, wilde Gesichter; eines von diesen kam ihr ganz nahe, Basia führte einen tüchtigen Hieb, und das Gesicht verschwand plötzlich, wie ein Phantom.

Da drang die ruhige Stimme ihres Ehegemahls an ihr Ohr:

»Gut! Gut!«

Diese Worte erhöhten ihren Mut außerordentlich; abermals vor sich hinpfeifend, verbreitete sie jetzt mit voller Ueberlegung Tod und Verderben um sich. Und siehe! Da zeigt sich wieder ein entsetzliches Gesicht mit plattgedrückter Nase und vorstehenden Backenknochen und fletscht dicht vor ihr die Zähne. Basia versetzt ihm einen Hieb! ... Und dort holt ein erhobener Arm mit einer Keule zum Schlage aus, doch Basia versetzt ihm einen Hieb. Sie sieht einen breiten Rücken in einem Schafpelz und sticht darnach, worauf ihre Hiebe nach rechts und links und geradeaus fliegen, und so oft sie zuschlägt, so oft stürzt ein Feind zu Boden, mit den Zügeln das Pferd niederreißend. Und Basia wundert sich darüber, daß ihr all dies so leicht wird. Aber es wird ihr deshalb so leicht, weil auf der einen Seite, Steigbügel an Steigbügel, der kleine Ritter, auf der andern Herr Motowidlo reitet. Der erstere überwacht die Geliebte aufmerksam – und bald löscht er ein Lebenslicht aus wie die Flamme einer Kerze, bald schlägt er mit einem Hieb einen Arm samt der Waffe ab, zuweilen auch saust sein scharfer Pallasch zwischen Basia und dem Feind nieder, wodurch dessen Säbel so plötzlich in die Luft fliegt, wie ein leichtbeschwingter Vogel.

Herr Motowidlo, ein phlegmatischer Soldat, überwachte auf der andern Seite jede Bewegung des mutigen Weibes. Und wie ein fleißiger Gärtner, der unter seinen Bäumen umherwandelnd, bald da, bald dort einen dürren Ast abhaut oder abbricht, so warf auch er bald da, bald dort einen Feind auf die blutgetränkte Erde nieder, indem er dabei mit solcher Kaltblütigkeit und Ruhe zu Werke ging, als ob er an ganz andere Dinge denke. Beide wußten genau, wann sie Basia einen Angriff gestatten durften, und wann sie ihr zuvorkommen und sie schützen mußten. Auch noch ein Dritter wachte über sie. Es war jener unvergleichliche Bogenschütze, welcher sich absichtlich in einiger Entfernung aufstellend, jeden Augenblick einen Pfeil auf seine Armbrust legte und den Todesboten in das dichte Gedränge sandte.

Aber das Getümmel wurde jetzt so fürchterlich, daß Wolodyjowski Basia befahl, sich mit einer Eskorte zurückzuziehen, vornehmlich da die halbwilden Rosse der Horde zu beißen und auszuschlagen begannen. Basia gehorchte sofort, denn wiewohl ihr Feuereifer sie mit fortriß und ihr tapferes Herz sie zu weiterem Kampfe anspornte, gewann doch schließlich ihre Frauennatur die Oberhand über ihre Exaltation und ihr schauderte nun vor diesem Gemetzel, beim Anblick des vergossenen Blutes, ihr schauderte vor diesem Geheul, Stöhnen, vor dem Röcheln der Sterbenden, vor der mit Blut- und Schweißgeruch durchtränkten Atmosphäre.

Mit ihrem Pferde langsam zurückweichend, befand sie sich daher bald außerhalb des Kreises der Kämpfenden, während jetzt Herr Michal und Herr Motowidlo, ihres Schützeramtes ledig, endlich ihrer vollen Kampfeslust die Zügel schießen lassen konnten.

Mittlerweile näherte sich Herr Muszalski, der sich immer noch in einiger Entfernung gehalten hatte, der Frau Obristin.

»Euer Gnaden haben wahrhaft wie ein Kavalier gekämpft,« sagte er zu ihr. »Man hätte glauben können, der Erzengel sei vom Himmel herabgestiegen, um den Semenen beizustehen und diese Hundsbrut zu züchtigen. Wie ehrenvoll für diese, den Todesstoß von solch einem Händchen zu empfangen. Bei dieser Gelegenheit mögen Euer Gnaden mir gestatten, einen Kuß darauf zu drücken.«

Bei diesen Worten ergriff Muszalski Basias Hand und preßte seinen Schnurrbart darauf.

»So haben Euer Gnaden es mit angesehen? Und habe ich mich gut gehalten?« fragte Basia, indem sie mit weit geöffneten Lippen und bebenden Nasenflügeln gierig die Luft einsog.

»Eine Katze kann nicht mehr gegen Ratten ausrichten. Mir schwoll das Herz bei diesem Anblick, so wahr ich unsern Herrgott liebe! Doch thaten Euer Gnaden wohl daran, Euch aus dem Gefechte zurückzuziehen, denn am Ende eines solchen Kampfes kann leicht ein Unfall vorkommen.«

»Mein Gatte befahl es mir, und vor unserem Aufbruche versprach ich, ihm stets in allem zu gehorchen.«

»Soll ich meine Armbrust hier lassen? Mir nützt sie nichts mehr, denn mit dem Säbel muß ich nun vorwärts gehen. Ich sehe drei Reiter herannahen. Sicherlich sendet sie der Kommandant zum Schutze Eurer Gnaden hierher. Andernfalls würde ich sie herbeigeholt haben. Aber ich bahne mir jetzt den Weg bis zur Felswand, denn bald wird das Gefecht zu Ende sein, und ich muß mich beeilen.«

In der That ritten drei Dragoner zum Schutze Basias herbei, und seinem Pferde die Sporen gebend, galoppierte Herr Muszalski davon. Während eines kurzen Augenblickes schwankte Basia, ob sie an Ort und Stelle bleiben oder sich mit Umgehung der Felsenwand auf die Anhöhe hinausbegeben solle, von der sie alle vor dem Gefechte zur Ebene hinuntergeschaut hatten. Da sie aber große Ermüdung fühlte, beschloß sie, zu bleiben. Immer stärker regte sich die weibliche Natur in ihr. Etwa zweihundert Schritte weit wurden die letzten der tatarischen Freibeuter ohne Erbarmen niedergemetzelt, und der dunkle Haufe der miteinander Ringenden tobte immer gewaltiger auf dem blutigen Schlachtfelde. Ausrufe der höchsten Verzweiflung erschütterten die Luft, und Basia, die kurz zuvor noch voll Feuereifer gewesen war, fühlte jetzt, wie eine gewisse Schwäche sie überkam. Eine wahre Angst ergriff sie, vollständig besinnungslos zu werden, und nur durch das Bewußtsein, daß sie vor den Dragonern ihre Hilflosigkeit nicht zeigen dürfe, vermochte sie, sich im Sattel aufrecht zu halten. Doch wendete sie sorgfältig ihr Gesicht von ihnen ab, damit sie ihre Blässe nicht gewahrten. Durch die frische Luft kehrten allgemach ihr Mut, ihre Kräfte wieder zurück, aber freilich nicht in dem Grade, daß sie Lust gehabt hätte, sich abermals unter die Kämpfenden zu mischen. Würde sie sich dazu verstanden haben, so wäre es auch nur geschehen, um Gnade für die noch lebenden Freibeuter zu erflehen. Und wohl wissend, daß dies fruchtlos gewesen wäre, sah sie mit Ungeduld dem Ausgange des Gefechtes entgegen.

Dort drüben jedoch tobte der Kampf ohne Unterlaß. Das Gemetzel hörte nicht auf, die wilden Rufe verstummten nicht. Eine halbe Stunde mochte wohl wieder vergangen sein, und dichter drängten sich die verschiedenen Schwadronen zusammen. Da plötzlich durchbrach eine Schar von etwa zwanzig Reitern der Horde den mörderischen Kreis und stürzte wie die Windsbraut der Anhöhe zu. Auf ihrer Flucht längs der Felsenwand konnten sie leicht zu der Stelle gelangen, von wo aus sich die Anhöhe sachte gegen die hochgelegene Steppe zu senkte, und dann war ihnen die Rettung gewiß. An dieser Stelle aber stand Basia mit den Dragonern. Angesichts der drohenden Gefahr gewann jene ihre Geistesgegenwart, ihren Mut wieder. Es ward ihr sofort klar, daß ein Ausharren Verderben bedeuten würde, daß sie dem Anpralle jener Schar keinen Widerstand zu leisten vermöchte, die sicherlich alles darniedermachte, was nicht unter den Hufen der Pferde zu Grunde ging. Offenbar hegte der alte Wachtmeister der Dragoner die gleiche Ansicht, denn unverweilt ergriff er Basias Pferd am Zügel, wendete es auf die entgegengesetzte Seite zu und schrie mit fast verzweifelter Stimme:

»Fort, fort, allergnädigste Frau!«

Gleich einem Sturmwinde jagte Basia davon, aber allein, ganz allein, denn gleich einer Mauer blieben die drei treuen Soldaten auf dem Platze zurück, um wenigstens für eine kleine Weile den Feind aufzuhalten und dadurch es der geliebten Herrin zu ermöglichen, einen größeren Vorsprung zu gewinnen.

Wohl wurde jene Schar von den Soldaten verfolgt, doch der Ring, der das Raubgesindel immer enger umschlossen hatte, war gesprengt, und so begannen die Freibeuter zuerst zu zweien und dreien, dann aber in größeren Haufen zu fliehen. Freilich lagen die meisten tot auf dem Kampfplatze, doch immerhin gelang es einer ansehnlichen Schar, mit Azba-Bey zu entkommen. Alle diese Häuflein strebten nun darnach, die Anhöhe zu gewinnen.

Die drei Dragoner waren natürlich nicht im stande, die Flüchtlinge aufzuhalten – nach kurzer Gegenwehr stürzten sie aus dem Sattel, und der ganze Schwarm schwenkte nun, nachdem die Anhöhe gewonnen war, ab und erreichte, Basia verfolgend, die hochgelegene Steppe. Die polnischen Schwadronen aber, mit den Lipkern an ihrer Spitze, rasten, so schnell ihre Pferde sie tragen konnten, in einer Entfernung von höchstens fünfzehn Schritten hinter ihnen her.

Auf der hohen, von gefahrdrohenden Klüften und Rissen durchschnittenen Steppe waren nun all diese Reiter wie eine Riesenschlange anzusehen, deren Kopf Basia bildete, deren Hals die Freibeuter darstellten, und als deren Leib die Lipker mit Mellechowicz an der Spitze und die von Wolodyjowski angeführten Dragoner gelten konnten. Mit aller Macht seinem Pferde die Sporen gebend, jagte letzterer mit angsterfüllter Seele dahin.

In dem Augenblicke, in dem jenes Raubgesindel die eine Seite des Kreises durchbrochen hatte, war Herr Michal auf der andern Seite in einen heftigen Kampf verwickelt gewesen, und so war ihm denn auch Mellechowicz in der Verfolgung des Feindes voraus. Dem kleinen Ritter sträubte sich das Haar auf dem Haupte bei dem Gedanken, Basia könne entweder von den Räubern eingeholt werden, oder, jede Geistesgegenwart verlierend, dem Dniester zujagen, oder aber, was ja noch schlimmer war, von einem Säbel, von einem Handschar oder von einem Streitkolben getroffen werden. Die Angst um das Leben der geliebten Frau schnürte ihm beinahe die Kehle zu. Tief über den Hals des Pferdes gebeugt, in dessen Flanken er die Sporen schlug, das er mit der flachen Klinge bearbeitete, den Kopf von tausenderlei auf ihn einstürmenden Gedanken erfüllt, raste er mit fest zusammengebissenen Zähnen dahin, wie die Trappe, bevor sie sich zum Fluge erhebt.

»Gott gebe, daß Mellechowicz die Bande einholt. Er reitet ein gutes Pferd. Gott gebe, daß er sie einholt!« stieß er in seiner Verzweiflung von Zeit zu Zeit hervor.

Doch er ging in seinen Befürchtungen zu weit. Die Gefahr war nicht so drohend, wie der sich um die Heißgeliebte ängstigende Ritter glaubte. Den Räubern war es doch vor allem um das eigene Leben zu thun, die Lipker aber waren ihnen viel zu dicht im Rücken, als daß sie an die Verfolgung eines einzelnen Reiters selbst dann gedacht hätten, wenn dieser Reiter eine der schönsten Houris aus dem Paradiese Mahomeds gewesen und in einem mit Edelsteinen besetzten Mantel entflohen wäre. Basia hätte sich nur gen Chreptiow wenden sollen, dann wäre sie ihren Verfolgern entgangen, von denen sich wohl keiner in diesen Bärenrachen gewagt haben würde, da vor ihnen der Fluß mit seinem sichere Schlupfwinkel bildenden Schilf lag. Die Lipker ritten zudem treffliche Pferde, und Basias Rößlein lief unvergleichlich flinker, als die zottigen Pferde der Horde, welche zwar sehr ausdauernd, aber nicht so behend waren, wie Pferde von edler Rasse. Zudem verlor die Frau Obristin auch durchaus nicht die Geistesgegenwart, im Gegenteil, die ihr angeborene Kühnheit erwachte mit aller Kraft, das in ihren Adern rollende ritterliche Blut flammte auf.

Gleich einem Reh rast ihr Rößlein dahin, der Wind saust ihr um die Ohren, und statt Furcht zu empfinden, wird sie wie von einem Taumel erfaßt.

»Ein ganzes Jahr können sie mir nachsetzen und werden mich doch nicht einholen,« dachte sie bei sich. »Eine Weile noch jage ich so dahin, dann aber mache ich eine Schwenkung und lasse sie entweder an mir vorüber, oder sie werden, falls sie die Verfolgung nicht einstellen, die Schärfe meines Säbels zu fühlen bekommen.«

Da mit einemmale kam es ihr in den Sinn, daß sich die Strauchdiebe vielleicht auf der ganzen Steppe zerstreut haben mochten, und daß sie somit, wenn sie ihr Pferd wende, mit einem derselben zusammentreffen und in einen Einzelkampf verwickelt werden könne.

»Traun, was liegt daran,« dachte jedoch sofort wieder das mutige junge Wesen, »Michal ist mir ein so guter Lehrmeister gewesen, daß ich es dreist wagen kann. Leicht könnte man sonst auch glauben, ich suche aus Furcht zu entkommen, und dann setze ich mich nicht nur der Gefahr aus, an den Streifzügen nicht mehr teilnehmen zu dürfen, sondern Herr Zagloba wird auch seinen Spott mit mir treiben.«

Infolge dieser Erwägungen blickte sie sich rasch nach den Mordgesellen um, doch dicht zusammengeschart flüchteten sich diese weiter. Zu einem Einzelkampfe konnte es demnach unmöglich kommen. Aber Basia wollte nun unbedingt vor den Augen der ganzen Kriegsschar den Beweis liefern, daß sie nicht blindlings, nicht aus Furcht die Flucht ergriffen hatte.

Die beiden Pistolen kamen ihr in den Sinn, die von Michal eigenhändig geladen worden waren, und die sie in den Halftern bei sich führte. Sie begann daher den Lauf ihres Pferdes zu mäßigen oder, richtiger gesagt, gegen Chreptiow hin abzuschwenken.

Doch seltsam, kaum bemerkten die Mordbrenner dies, so änderten sie ein wenig ihre Rückzugslinie, indem sie sich nunmehr nach links, mehr nach den steilen Abhängen der Anhöhe zuhielten. Basia ließ die Räuber bis auf nahezu zehn Schritte zu sich herankommen, feuerte hierauf zweimal auf die vordersten Pferde und sprengte dann, einen weiten Bogen beschreibend, in vollem Galopp gen Chreptiow.

Das rasch wie eine Schwalbe dahinfliegende Pferdchen hatte indessen erst eine kleine Strecke zurückgelegt, als sich plötzlich eine dunkle Kluft vor ihm aufthat. Doch das edle Tierchen holte sofort zum Sprunge aus und wagte ihn auch, als Basia ihm die Sporen gab, allein nur mit den Vorderhufen grub es sich ein wenig in den Rand der jenseitigen Böschung ein und versuchte sich dann umsonst während einiger Minuten mit den Hinterbeinen an der schroff abfallenden Wand zu stützen. Das noch nicht festgefrorene Erdreich gab unter seinen Füßen nach und es stürzte samt Basia in die gähnende Schlucht.

Glücklicherweise kam Basia nicht unter das Tier zu liegen, denn es war ihr noch gelungen, die Füße aus den Steigbügeln zu ziehen und sich mit aller Kraft seitwärts zu neigen. So fiel sie denn auch auf eine dichte, den Grund der Kluft bedeckende Moosschicht. Trotzdem war aber die Erschütterung eine so heftige, daß sie das Bewußtsein verlor.

Wolodyjowski nahm den Sturz nicht wahr, da ja die Lipker ihm voraus waren. Mellechowicz hingegen schrie mit einer geradezu furchterregenden Stimme seinen Leuten den Befehl zu, den Feind weiter zu verfolgen, jagte an die gähnende Kluft und stürzte sich mit seinem Rosse kopfüber hinein.

Blitzesschnell war er aus dem Sattel gesprungen und nahm Basia in die Arme. Sein Falkenauge überflog ihre ganze Gestalt, er wollte sehen, ob sie nicht irgend eine schwere Verletzung davongetragen habe. Da fiel sein Blick auf das dichte Moos, und sofort begriff er, wieso sie, wieso das Pferd vor dem Tode bewahrt geblieben waren.

Ein halb unterdrückter Freudenschrei entrang sich der Brust des jungen Tataren.

Schwer hing ihm Basia in den Armen, da drückte er sie plötzlich fest an seine Brust, preßte seine bleichen Lippen auf ihre Augen und küßte diese immer und immer wieder so inbrünstig, als ob er sie ausschlürfen wolle. Die ganze Welt versank vor ihm, und die Leidenschaft, die gleich dem Drachen in der Höhle bisher in der Tiefe seiner Seele verborgen gewesen war, riß ihn, gleich einem Sturmwinde, mit sich fort.

In diesem Augenblicke erscholl von der hohen Steppe her der Hufschlag zahlreicher Pferde, die immer näher zu kommen schienen, und der laute Ruf mehrerer Stimmen ertönte: »Hier, hier in dieser Kluft!« Da legte Mellechowicz die immer noch bewußtlose Basia sanft auf das Moos nieder, während er den Ankommenden zurief:

»Hierher! Nur hierher!«

Wenige Minuten daraus war schon Wolodyjowski in die Schlucht hinabgesprungen, und seinem Beispiele folgten Herr Zagloba, Muszalski und etliche andere Offiziere.

»Es ist nichts, nichts!« rief nun der Tatar abermals, »das Moos hat sie gerettet.«

Wolodyjowski umfaßte sein ohnmächtiges Weib mit den Armen, andere ritten davon, um Wasser zu holen, da keines in nächster Nähe zu bekommen war, während Zagloba, das Köpfchen der Ohnmächtigen zwischen die Hände nehmend, fortwährend rief:

»Basia, Basia, liebe, süße Basia!«

»Es ist ihr nichts geschehen, sie ist unverletzt geblieben!« ließ sich Mellechowicz, der bleich wie der Tod war, abermals vernehmen.

Inzwischen hatte Zagloba die ihm an der Seite hängende Feldflasche ergriffen, etwas Branntwein daraus auf die flache Hand gegossen und rieb nun die Schläfen Basias damit, dann führte er die Flasche an die Lippen der Ohnmächtigen, um dieser einige Tropfen des starken Getränkes einzuflößen. Die günstige Wirkung blieb nicht aus. Bevor noch das Wasser gebracht ward, öffnete Basia die Augen, holte tief Atem und hustete einigemale leicht, da sie der Branntwein augenscheinlich im Halse und am Gaumen brannte. Nach Verlauf von wenigen Minuten aber hatte sie wieder vollständig das Bewußtsein erlangt.

Ohne die Anwesenheit der Offiziere und der Mannschaft zu beachten, preßte nun Wolodyjowski sein junges Weib bald an die Brust, bald bedeckte er dessen Hände mit heißen Küssen:

»Mein Lieb!« flüsterte er dabei, »das Herz wollte mir brechen! Bist Du auch wirklich unverletzt? Fühlst Du keine Schmerzen?«

»Nichts, nichts fehlt mir!« antwortete Basia. »Ja, nun erinnere ich mich wieder – es wurde mir plötzlich schwarz vor den Augen. Mein Pferd ist wohl mit mir gestürzt! Doch ist der Kampf zu Ende?«

»Er ist zu Ende und Azba-Bey ist tot. Doch nun nur rasch den Heimweg angetreten. Du könntest sonst vor allzu großer Anstrengung erkranken.«

»Ich bin aber durchaus nicht müde!« erklärte Basia und fügte dann gleich, gegen die Anwesenden gewendet, hinzu: »Die wohledlen Herren mögen aber nur nicht glauben, ich sei aus Furcht geflohen. Oho, dies ist mir nicht im Traum eingefallen! So wahr ich Michal liebe, ich bin nur zu meinem Vergnügen vor ihnen hergaloppiert und habe dann ein paar Pistolenschüsse auf sie abgegeben.«

»Eines der Pferde fiel durch diese Schüsse, den Räuber aber nahmen wir gefangen,« warf hier Mellechowicz ein.

»Und was liegt weiter daran! Ein solcher Unfall kann einem jeden zustoßen!« ergriff Basia wieder das Wort. »Ist es nicht so? Keine Erfahrung kann davor schützen, daß ein Pferd stürzt! Ha! gut ist's nur, daß Ihr, liebwerte Herren, mich aufgefunden habt, hübsch lange hätte ich sonst hier liegen bleiben können.«

»Herr Mellechowicz war der erste, der Deinen Unfall bemerkte,« erklärte Wolodyjowski, »und er ist auch der erste gewesen, der Dir zu Hilfe eilte, denn wir jagten hinter ihm her.«

Kaum hatte Basia diese Worte vernommen, so wandte sie sich zu Mellechowicz und streckte ihm die Hand entgegen.

»Ich danke Euer Liebden für den mir geleisteten Beistand!« sagte sie.

Ohne eine Antwort zu erteilen, führte Mellechowicz die Hand Basias an die Lippen, neigte sich sodann zur Erde und umfaßte, nach Art der Bauern, demütig die Füße der jungen Frau.

Mittlerweile hatte sich eine Schwadron nach der andern am Rande der Kluft eingestellt, da der Kampf zu Ende war. Herr Wolodyjowski erteilte demnach nur noch dem Mellechowicz den Befehl, auf die wenigen, der Verfolgung entkommenen Tataren ein Treibjagen anzustellen, und dann ward der Rückweg nach Chreptiow angetreten. Von der Anhöhe aus konnte Basia nochmals den Kampfplatz überblicken.

Da lagen Menschen und Pferde hingeschlachtet – stellenweise vereinzelt, dann wieder haufenweise beisammen. Am blauen Himmelsgewölbe aber kreisten schon Schwärme von Raben, die mit lautem Gekrächze des Augenblicks harrten, in dem der letzte Wachtposten von der Wahlstatt verschwunden sein werde, um sich dann ungestört darauf niederlassen zu können.

»Siehe da, siehe da, die Totengräber der Soldaten!« bemerkte Zagloba, mit dem Säbel auf die Vögel deutend, »und sobald wir nur erst außer Sehweite sind, dann stellen sich auch die Wölfe ein und machen den Toten eine gewaltige Musik und klappern ihnen mit den Zähnen allerlei vor. Ein bedeutender Sieg ward hier gewonnen, wenngleich über einen niederträchtigen Feind, hat doch jener Azba seit Jahren da und dort fürchterlich gehaust. Die jeweiligen Kommandanten haben ihn förmlich wie einen Wolf gejagt – alles vergeblich. Da ist endlich Michal gekommen, und da hat jenen sein Schicksal ereilt.«

»Azba-Bey ist also getötet worden?«

»Mellechowicz ist ihm auf den Hals gekommen. Hei, ich sage Dir, einen Hieb hat er ihm oberhalb des Ohres versetzt, daß der Säbel bis auf die Zähne durchgedrungen ist.«

»Mellechowicz ist ein tüchtiger Soldat!« rief Basia. »Doch was haben denn Euer Liebden für Heldenthaten verrichtet?« fragte sie hierauf, sich an Herrn Zagloba wendend.

»Ich zirpte weder wie eine Grille, noch hüpfte ich umher wie ein Floh oder wie ein Brummkreisel, denn ein derartiges Vergnügen überlasse ich gern den Insekten. Keineswegs hat man mich aber, gleich einem Pilze, im Moos suchen müssen, noch hat mich jemand an der Nasenspitze gepackt und mir in den Mund geblasen.«

»Ich mag Euer Liebden gar nicht mehr leiden!« erklärte Basia, indem sie die Unterlippe geringschätzig vorschob, sich aber doch unwillkürlich nach dem rosigen Näschen fuhr.

Lächelnd und mit den Augen zwinkernd betrachtete Zagloba sie unausgesetzt, ohne mit seinen Spottreden innezuhalten.

»Tapfer hast Du gefochten,« sagte er, »tapfer hast Du Reißaus genommen und tapfer hast Du einen kühnen Purzelbaum geschlagen. Ebenso tapfer mußt Du aber jetzt auf Deine schmerzenden Glieder Umschläge von Grütze legen, wobei wir Dich sorgsam bewachen müssen, damit Du nicht, mitsamt Deiner Tapferkeit, von den Spatzen aufgefressen wirst, die auf Grütze förmlich erpicht sind.«

»Euer Liebden sprechen nur auf eine solche Weise, damit mich Michal an keiner Expedition mehr teilnehmen läßt! Ich weiß das ganz gut.«

»Im Gegenteil, im Gegenteil! Inständig bitten werde ich ihn, er möge Dich nur ja mitnehmen, wenn es gilt, die Nüsse zu sammeln, denn darin bist Du eine Meisterin, und kein Ast gerät in die Gefahr, unter Dir zu brechen. Mein Gott! Das ist also die Dankbarkeit gegen mich! Wer ist es gewesen, der Michal zugeredet hat, Dich mitzunehmen? Ich! Bittere Vorwürfe mache ich mir jetzt darüber, insonderheit aber deshalb, weil Du mein Wohlwollen in der Weise lohnst. Warte nur, warte nur! Mit einem hölzernen Säbel kannst Du von nun an das Unkraut auf dem Chreptiower Ringe abhauen! Das ist die richtige Unternehmung für Dich! Da sehe mir nur einer! Jede andere würde den Alten geherzt haben, dieser kleine Satan aber versetzt einen zuerst in die entsetzlichste Angst und erweist sich dann auch noch feindlich gegen mich.«

Jetzt überlegte Basia nicht lange, sondern umhalste Herrn Zagloba frischweg, der hoch erfreut darob sagte:

»Bei meiner Treu, bei meiner Treu, ich muß es doch gestehen, daß Du immerhin etwas zu dem heutigen Siege beigetragen hast, denn die Soldaten, von denen sich ein jeder auszeichnen wollte, haben sich mit großer Wut geschlagen.«

»So wahr ich lebe!« rief nun Herr Muszalski, »ein jeder geht gern in den Tod, wenn solche Augen auf ihm ruhen.«

»Vivat, unsere Frau Obristin!« schrie Herr Nienaszyniec.

»Vivat!« wiederholten gegen hundert Stimmen.

»Gott schenke ihr Gesundheit!«

Da beugte sich Herr Zagloba zu Basia nieder und flüsterte ihr zu:

»Und bald einen gesunden Leibeserben!«

Und immer von neuem ertönten frohe Rufe, in der heitersten Stimmung ritt man dahin, stand doch ein reichlicher Abendschmaus in Aussicht. Das Wetter war wunderbar schön. Die Trompeter der verschiedenen Schwadronen bliesen laute Fanfaren, die Pauken ertönten und unter gewaltigem Lärm geschah der Einzug in Chreptiow.


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