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V

Der Priester Kaminski, der in seiner Jugend Soldat und ein Kavalier voll feurigen Mutes gewesen war, hielt sich in Uszyc auf und suchte die Pfarrgemeinde wieder herzustellen. Da aber die Kirche in Trümmern lag und es an Pfarrkindern fehlte, besuchte dieser Hirt ohne Herde öfters Chreptiow, um dort wochenlang die Ritterschaft durch fromme Lehren zu erbauen. Auch an dem Abend war er anwesend gewesen, an dem Herr Muszalski seine Erlebnisse erzählte, und so wendete er sich einige Abende später an die wieder versammelten Krieger mit folgenden Worten:

»Gern hörte ich immer derlei Erzählungen an, in welchen traurige Erlebnisse einen glücklichen Ausgang nehmen, ergiebt sich doch daraus die Lehre, daß Gott denjenigen, welchen er beschützt, jederzeit aus den Banden des Feindes zu erlösen und selbst aus der Krim nach dem friedlichen häuslichen Herd zurückzuführen vermag.

Darum möge jeder von Euch in seinem Innern überzeugt sein, daß bei Gott nichts unmöglich ist, und daß man selbst in der schwersten Bedrängnis an seiner Barmherzigkeit nicht verzweifeln soll.«

Herr Muszalski rühmt sich, einen Mann niederen Standes brüderlich geliebt zu haben! – Der Heiland selbst aber gab uns ein Beispiel hierfür, denn Er, der selbst aus königlichem Geblüte stammte, liebte das niedere Volk und erwählte aus ihm viele seiner Apostel und half ihnen auf ihrer Lebensbahn, so daß sie jetzt im himmlischen Senate Sitz und Stimme haben.

Doch verschieden von der persönlichen Liebe ist die allgemeine Liebe, die von Volk zu Volk, die unser Herr und Heiland nicht minder hochhielt. Aber wo ist sie? Wenn Du, o Mensch, Umschau in der Welt hältst, so findest Du solchen Haß in aller Herzen, als ob sie des Teufels Gebote befolgten und nicht die unseres Herrn!«

»Hochwürden,« sagte Zagloba, »es dürfte schwer halten, uns zu überreden, daß wir Türken, Tataren und ähnliche Barbaren in unser Herz schließen sollen, die doch unser Herrgott selbst verachten muß.«

»Dazu will ich auch Euer Liebden nicht überreden, sondern ich behaupte nur, daß die Kinder ejusdem matris einander lieben sollen; aber was geschieht? Seit Chmielnickis Invasion, das heißt, seit dreißig Jahren, will das Blutvergießen kein Ende nehmen.«

»Und wessen Schuld ist das?«

»Wer zuerst seine Schuld bekennt, dem wird Gott vergeben.«

»Hochwürden tragen jetzt das Gewand des Priesters; aber in Eurer Jugend, da züchtigtet Ihr, wie ich vernommen, die Rebellen ganz gehörig!«

»Ich züchtigte sie, denn das war meine Pflicht als Soldat; nicht darin lag meine Sünde, sondern darin, daß ich sie gehaßt habe wie die Pestilenz. Ich hatte noch besondere Gründe dafür, die ich nicht erörtern will, denn das sind längst vergangene Dinge, und jene Wunden sind verharscht. – Ich bereue aber eins – daß ich mehr als meine Pflicht gethan. Unter meinem Kommando standen hundert Mann von der Schwadron des Herrn Niewodowski, und mit ihnen zog ich auf eigene Faust umher und wütete mit Feuer und Schwert ... Ihr, liebwerte Herren, wißt, was das für Zeiten waren! Die von Chmielnicki zur Hilfe herbeigerufenen Tataren sengten und mordeten; so sengten und mordeten auch wir. Und die Kosaken ließen nur Land und Wasser hinter sich und verübten noch größere Grausamkeiten als wir und die Tataren. Nichts ist entsetzlicher als ein Bürgerkrieg!

Was das für Zeiten waren, das vermag niemand zu schildern. Es mag genügen, wenn ich sage, daß wir und sie mehr tollen Hunden als Menschen glichen. Eines Tages wurde unser Kommando benachrichtigt, daß eine Schar Mordgesellen Herrn Rusiecki in dessen Fort belagerten. Man sandte mich mit meinen Leuten zum Entsatz. Ich kam zu spät. Das Fort war bereits dem Erdboden gleich gemacht.

Nun fiel ich über die betrunkenen Landbewohner her und machte sie zum größten Teil nieder; ein Teil versteckte sich im Getreide: Auf meinen Befehl wurden diese lebendig eingefangen und sollten nun zum abschreckenden Beispiel aufgehängt werden. Aber woran? Das war leichter gesagt als ausgeführt. Im ganzen Dorf war nicht ein einziger Baum stehen geblieben, sogar die einzelnen wilden Birnbäume auf den Grenzscheiden der Felder waren umgehauen worden. Galgen zu errichten, dazu hatte ich keine Zeit, und in dieser Steppengegend fand sich auch weit und breit kein Wald. Was also thun? So nehme ich denn die Gefangenen mit mir und ziehe weiter. Wird sich doch irgendwo ein gabelästiger Eichbaum finden, denke ich. Ich ziehe eine Meile, zwei Meilen weiter – immer nur Steppe und wieder Steppe, man hätte eine Kugel darüber rollen können. Endlich stoßen wir auf die Spuren irgend eines Dörfleins; es war so gegen Abend. Ich blicke umher; da und dort liegt ein Kohlenhaufen, sonst nur graue Asche; also wieder nichts! Auf einem kleinen Hügel aber stand noch ein Kreuz aus Eichenholz, das offenbar vor kurzem erst verfertigt worden war, denn das Holz war noch nicht vom Wetter dunkel geworden und erglühte wie Feuer in der Abendröte. Daran war ein aus Blech geformter Christus befestigt, der so geschickt bemalt war, daß man erst seitwärts treten und das dünne Blech sehen mußte, um nicht zu glauben, dort hänge ein wirklicher Leib. Von vorn angesehen war das Antlitz wie lebend, etwas bleich, wie vor Schmerz; das Haupt trug die Dornenkrone, die Augen waren gen Himmel gewandt mit dem Ausdruck unendlicher Trauer und tiefen Schmerzes. Als ich das Kreuz erblickte, flog mir der Gedanke durch den Kopf: da ist ja ein gezimmertes Holz; ein anderes ist nicht vorhanden! Allein ich erschrak darüber. Im Namen des Vaters und des Sohnes! An das Kreuz werde ich sie doch nicht hängen!

Dann aber stellte ich mir die Sache so vor, daß es Christi Augen wohlgefällig sein werde, wenn ich vor seinem Antlitz die töten lasse, die so viel unschuldiges Blut vergossen hatten, und ich sprach die Worte: »Gütiger Gott! Laß Dich bedünken, daß es jene Hebräer seien, die Dich ans Kreuz genagelt, denn diese sind nicht besser, als jene waren!« Hierauf befahl ich meinen Leuten, einen der Gefangenen nach dem andern auf den Hügel unter das Kreuz zu schleppen und dort zu enthaupten. – Es waren darunter alte, ergraute Leute und halbwüchsige Bursche. Der erste, den sie brachten, rief: »Um der Leiden des Heilandes um Christi willen, erbarmt Euch über mich!« Und ich antwortete: »Nur zugehauen!« Ein Dragoner führte den Streich und hieb den Kopf ab. Man brachte den zweiten, und der beginnt wieder: »Im Namen des barmherzigen Christus, erbarme Dich!« Und ich sagte abermals: »Nur zugehauen!« Und dasselbe geschah bei dem dritten, dem vierten, dem fünften; vierzehn waren es, und ein jeder beschwor mich im Namen des Heilandes. Die Abendröte war erloschen, als wir zu Ende waren. Ich ließ sie im Kreis um den Fuß des Kreuzes herumlegen. Thor, der ich war! Ich glaubte, Gottes Sohn mit diesem Schauspiel zu erfreuen. Sie alle regten noch eine Zeitlang bald die Hände, bald die Füße, manchmal warf sich einer hin und her, wie ein aus dem Wasser gezogener Fisch, aber das dauerte nicht lange; bald erlöschte der letzte Lebensfunke in ihren Leibern, und sie lagen ruhig im Kreise ...

Da es völlig dunkel geworden war, beschloß ich, daß wir die Nacht über hier lagern wollten, obwohl es an Holz fehlte, um Feuer zu machen. Gott gab eine milde Nacht und meine Leute legten sich auf ihre Pferdedecken nieder. Ich aber kehrte zum Kreuz zurück, um das Vaterunser zu Füßen des Heilandes zu beten und mich seiner Barmherzigkeit zu empfehlen. Und ich dachte, mein Gebet werde umso besser aufgenommen, weil ich den Tag mühevoll und mit solchen Thaten verbracht, die ich mir als Verdienst anrechnete.

Es geschieht häufig, daß den ermüdeten Soldaten während des Abendgebetes der Schlaf übermannt. So geschah auch mir. Die Dragoner, welche mich mit an das Kreuz gelehntem Kopf knien sahen, glaubten mich in fromme Betrachtung versunken, und keiner wollte mich darin stören. Meine Augen hatten sich jedoch alsbald geschlossen, und ein wundersamer Traum senkte sich vom Kreuze auf mich hernieder. Ich sage nicht, ich hätte eine Vision gehabt, denn ich war und bin ihrer nicht würdig. Aber obwohl ich fest schlief, sah ich doch, als wäre es Wirklichkeit, das ganze Leiden Christi vor mir. Der Anblick der Folterqualen des schuldlosen Opferlammes zerriß mir das Herz, und Thränen stürzten mir aus den Augen, und unendliches Mitleid erfüllte mich. »O Herr,« sagte ich, »ich gebiete über eine Schar wackerer Krieger. Willst Du sehen, was unsere Reiterschar vermag? Neige nur Dein Haupt, und alle diese Nichtswürdigen, Deine Henker, sind im Augenblick der Vernichtung geweiht.« Kaum hatte ich diese Worte gesprochen, als plötzlich alles meinen Blicken entschwand. Nur das Kreuz allein blieb zurück und an ihm Christus, blutige Thränen weinend.

Da umschlang ich den Fuß des heiligen Kreuzes und schluchzte. Wie lange dies währte, weiß ich nicht; aber als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, sagte ich abermals: »O Herr, o Herr! Warum verkündetest Du Deine heiligen Lehren unter den verstockten Juden? Wärst Du aus Palästina in unsere Republik gekommen, wir hätten Dich nicht ans Kreuz genagelt, sondern Dich herzlich ausgenommen, Dich mit allerlei Gütern ausgestattet und Dir zu Deines göttlichen Namens größerer Ehre das Indigenat verliehen. Warum thatest Du nicht so, o Herr?«

Nach diesen Worten hebe ich meine Augen auf – es geschah dies alles im Traum, wie Ihr, wohledle Herren, Euch erinnern werdet – und was sehe ich? Mit strengem Blick schaut der Herr auf mich nieder, runzelt die Brauen und spricht also mit mächtiger Stimme:

»Wohlfeil ist Euer Adel jetzt; jeder niedere Geselle konnte ihn während des Krieges kaufen; doch was liegt daran! Ihr und das Raubgesindel, Ihr seid einander wert, und jeder von Euch ist schlechter als die Juden, denn täglich werd' ich von Euch an das Kreuz geschlagen ... Habe ich Euch nicht Liebe selbst dem Feind gegenüber gelehrt und Vergebung aller Schuld! Ihr aber zerrt einander gleich wütenden Tieren die Eingeweide aus dem Leibe, ein Anblick, der mir unerträgliche Qualen bereitet. Ja selbst Du, der Du gern die Kreuzigung ungeschehen gemacht und mich in die Republik geführt hättest, was thatest Du! Siehe, Leichen liegen rings um das Kreuz, dessen Fuß mit Blut besudelt ist, und es waren doch Unschuldige unter ihnen, unwissende Knaben oder bethörte Männer, die, ohne jede Ueberlegung, gleich dummen Schafen den andern folgten. Hast Du Dich ihrer erbarmt? Hast Du sie auch nur vor ein Gericht geladen? Nein! Du befahlst, sie zu enthaupten, und dachtest noch, mir dadurch wohlgefällig zu sein! Fürwahr, ein anderes ist es, zu rügen und zu züchtigen, wie ein Vater den Sohn züchtigt, oder wie ein älterer Bruder dem jüngeren Rüge erteilt, ein anderes aber, Rache auszuüben und ohne Urteil, maßlos und grausam zu strafen. Es ist in diesem Lande so weit gekommen, daß die Wölfe barmherziger sind als die Menschen, daß das Gras mit Blut betaut ist, daß die Winde nicht wehen, sondern heulen, daß die Thränen in Strömen fließen, und daß die Menschen sehnsüchtig ihre Arme nach dem Tod ausstrecken und sagen: Du bist unsere Zuflucht.«

»O Herr!« rief ich aus, »sind denn jene besser als wir? Wer hat denn die größten Grausamkeiten begangen, wer hat das Heidenvolk ins Land gebracht?«

»Liebt sie, auch wenn Ihr sie züchtigt,« sagte der Herr, »dann wird es wie Schuppen von ihren Augen fallen, die Verstocktheit wird aus ihren Herzen weichen und meine Gnade wird mit Euch sein. Wenn Ihr aber anders handelt, so werden Tatarenhorden einziehen und Euch und sie in Fesseln legen, und Ihr werdet gezwungen sein, dem Feinde in Gram und Elend und Schmach und Thränen zu dienen, bis zu dem Tage, an welchem Ihr einander liebet. Wenn Ihr in Eurem wechselseitigen Haß über alles Maß hinausgeht, dann wird keinem von Euch Gnade zuteil, und dies Land geht für Zeit und Ewigkeit in den Besitz der Heiden über.«

Ich wurde von Schrecken ergriffen, als ich diese Worte vernahm, und ich war lange Zeit unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen, bis ich mich endlich auf mein Antlitz niederwarf und rief: »Herr, was soll ich thun, um meiner Sünden Schuld zu tilgen?« Darauf erwiderte der Herr: »Gehe hin, verbreite meine Lehre, verkündige die Liebe!« Nach diesen Worten schwand mein Traumgesicht.

Die Sommernächte sind kurz und ich erwachte, vom Tau ganz durchnäßt, als der Morgen dämmerte. Ich schaute um mich: rings um das Kreuz lagen die Köpfe; sie waren schon blau geworden. – Wunderlich! Gestern noch erfreute mich dieser Anblick, heute aber faßte mich Entsetzen, besonders beim Anblick des Kopfes eines jungen Burschen von kaum siebzehn Jahren, der von außerordentlicher Schönheit war.

Ich befahl den Soldaten, die Leichen in gehöriger Weise unter dem Kreuze zu begraben. Von diesem Tage an war ich ein anderer Mensch.

Zuerst dachte ich wohl bei mir selbst, ein Traum ist nur ein Hirngespinst. Aber dieser Traum haftete in meinem Gedächtnis und ergriff mehr und mehr mein ganzes Wesen.

Ich wagte nicht anzunehmen, der Herr selbst habe zu mir gesprochen, denn wie ich schon gesagt – dessen fühlte ich mich unwürdig. Aber das war möglich, daß mein Gewissen, welches während des Krieges wie ein Tatar im Steppengrase sich verborgen gehalten hätte, nun plötzlich sich kundgab und mir den Willen Gottes offenbarte. Ich ging zur Beichte und der Geistliche bestätigte mich in meiner Meinung. »Offenbar,« sagte er, »hat Gott Dich gewarnt und Dir seinen Willen kundgethan. Gehorche, sonst wird es Dir übel ergehen.«

Von nun an verkündete ich das Gebot der Nächstenliebe.

Allein die Leute lachten mir ins Gesicht und die Offiziere sagten: »Bist Du ein Geistlicher, der uns gute Lehren erteilen will? Haben jene Hundsfötter Gottes Abscheu durch ihre Missethaten nicht verdient? Haben sie nicht Kirchen niedergebrannt und das Kreuz verhöhnt? Sollen wir sie dafür lieben? Kurzum, niemand achtete meiner Worte! Also legte ich nach der Affaire von Berestecko das geistliche Gewand an, um das Wort und den Willen Gottes mit größerem Gewicht verkünden zu können. Seit mehr als zwölf Jahren wirke ich unablässig in diesem Berufe ... Schon ist mein Haar ergraut ... Gott ist barmherzig; er wird mich nicht dafür strafen, daß meine Worte wie die Stimme des Predigers in der Wüste verhallte. – Ihr liebwerten Herren! Liebet Eure Feinde, züchtiget sie, wie ein Vater züchtigt, erteilt ihnen Rüge, wie ein älterer Bruder dem jüngeren, sonst wehe ihnen, wehe aber auch Euch, wehe der ganzen Republik!

Schaut umher! Was sind die Folgen dieses Krieges und des unversöhnlichen Hasses zwischen Bruder und Bruder? Dies Land ist zur Wüste geworden. Grabhügel fand ich in Uszyc, aber keine Gemeinde, Kirchen, Städte und Dörfer liegen in Schutt und Trümmern, die Macht des Heidentums aber ist im Wachsen und breitet sich aus wie ein Meer, das auch Dich, Du Felsenveste von Kamieniec zu verschlingen droht.«

Herr Nienaszyniec lauschte den Worten des Geistlichen mit so tiefer Erregung, daß Schweißperlen auf seine Stirne traten; dann sprach er unter allgemeiner Stille wie folgt:

»Daß es unter den Kosaken auch würdige Kavaliere giebt, dafür ist uns der gegenwärtig hier anwesende Herr Motowidlo, den wir alle lieben und ehren, ein Beweis. Aber was die allgemeine Liebe anbelangt, von welcher der geistliche Herr in so beredter Weise gesprochen hat, so gestehe ich offen, daß ich bisher in dieser Hinsicht sehr sündhaft gelebt habe, da ich sie nicht im Herzen trug und auch nicht bestrebt war, sie in mich aufzunehmen. Herr Kaminski hat mir nun die Augen geöffnet, allein ohne die besondere Gnade Gottes kann jene Liebe nicht in mein Herz einziehen, weil ich die Erinnerung an ein schreckliches Unrecht in mir trage, welches ich jetzt in kurzen Worten erzählen will.«

»Wollen wir uns nicht an einem warmen Trunk laben?« fragte Zagloba.

»Legt Holz in den Kamin,« befahl Basia den Dienern.

Bald darauf erglänzte die Stube von dem Widerschein des Feuers, und die Diener setzten einem jeden der Ritter einen Becher warmen Bieres vor. Alle versenkten willig ihre Schnurrbärte hinein, und nachdem sie einen und den andern Zug gethan, ergriff Herr Nienaszyniec abermals das Wort, und seine wie ein Wagen dahinrollende Rede lautete also:

»Meine Mutter empfahl mir im Sterben die Fürsorge für meine Schwester. Halszka war ihr Name. Ich hatte weder Weib noch Kind, also liebte ich dieses Mädchen wie meinen Augapfel. Sie war zwanzig Jahre jünger als ich, und ich trug sie auf den Händen. Kurz gesagt, sie war mir wie mein eigenes Kind. Ich machte einen Kriegszug mit, sie aber geriet unterdessen in tatarische Gefangenschaft. Nach meiner Rückkehr rannte ich mit dem Kopfe gegen die Wand. – Mein Besitz ging infolge der Invasion verloren, was noch mein eigen war, das letzte Pferdegeschirr verkaufte ich und machte mich mit Armeniern auf den Weg, um meine Schwester loszukaufen. Ich fand sie in Bachczysarai. Sie war Haremsdienerin, doch nicht im Harem selbst, denn sie zählte erst zwölf Jahre. Niemals, o Halszka, werd' ich des Augenblicks vergessen, da ich Dich fand! Wie Du meinen Hals umschlangst, wie Du meine Augen küßtest. Aber ach! es zeigte sich, daß die Summe, welche ich brachte, zu gering war. – Schön war das Mädchen. – Jehu Aga, dessen Sklavin sie war, verlangte das dreifache! Ich wollte auch noch mich für sie hingeben, auch das half nichts. Auf offenem Markte, unter meinen Augen kaufte sie Tuhay-Bey, der vielgenannte Feind des Vaterlandes, der sie drei Jahre in seinem Harem behalten, dann zu seinem Weibe nehmen wollte. Mir die Haare ausraufend, trat ich den Rückweg an. Unterwegs erfuhr ich, in einem Landhause nahe am Meere wohne eine der Frauen Tuhay-Beys mit dessen Lieblingssöhnlein Azya. Tuhay-Bey hatte in allen Städten und vielen Dörfern Weiber, so daß er überall unter eigenem Dache ruhen konnte. Als mir von jenem Söhnlein Kunde wurde, hielt ich das für einen Fingerzeig Gottes, der mir das letzte Mittel zu Halszkas Rettung zeige. Sogleich faßte ich den Entschluß, diesen Sohn zu rauben, um ihn später gegen meine Schwester umzutauschen; aber allein vermochte ich dies nicht auszuführen. Es war nötig, in der Ukraine oder in den wilden Wäldern eine Bande aufzubringen, was nicht so leicht war, denn erstens hatte der Name Tuhay-Bey im ganzen Ruthenenland einen schrecklichen Klang, und zweitens half er den Kosaken gegen uns. Gleichwohl gab es in den Steppen Leute genug, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht, der Beute wegen überall zu haben waren. Solcher Leute brachte ich eine bedeutende Anzahl zusammen. Was ich alles durchzumachen hatte, bis die Kosakenkähne ins Meer stachen, das kann keine Zunge aussprechen, denn auch vor den Kosakenanführern mußten wir uns hüten. Aber Gott segnete uns. Ich entführte Azya und machte zu gleicher Zeit auch reiche Beute. Die Verfolger holten uns nicht ein, und so erreichten wir glücklich die wilden Felder, von welchen aus ich Kamieniec erreichen und sofort durch dortige Kaufleute Unterhandlungen einleiten wollte.

Die sämtliche Beute verteilte ich unter meine Mannschaft und behielt nur Tuhays Söhnlein für mich. Und weil ich ehrlich und freigebig mit ihnen verfuhr, weil ich mit ihnen gemeinsam allerlei Ungemach erlitten und, wie sie, schwer gehungert und sie oft mit der eigenen Brust beschützt hatte, war ich der Meinung, jeder von ihnen würde für mich durchs Feuer gehen und ihre Herzen seien für immer mein.

Dies Vertrauen mußte ich binnen kurzem schwer büßen. Es kam mir nicht in den Sinn, daß sie ihre eigenen Atamans in Stücke reißen, um deren Beute unter sich zu teilen; ich vergaß, daß unter diesen Leuten weder Treue, Tugend, Dankbarkeit noch Gewissen etwas gilt. In der Nähe von Kamieniec versuchte die Hoffnung auf ein reiches Lösegeld für Azya meine Verfolger. Des Nachts überfielen sie mich gleich Wölfen, würgten mich mit einer Schnur, stachen mich mit Messern, und als sie mich endlich tot glaubten, ließen sie mich in der Wüste zurück und flohen mit dem Kinde.

Gott sandte mir Rettung und gab mir die Gesundheit wieder, allein meine Halszka war für immer verloren. Möglich, daß sie dort noch irgendwo lebt, vielleicht kam sie nach dem Tode Tuhay-Beys in die Hand eines andern Heiden; vielleicht hat sie den muhammedanischen Glauben angenommen, vielleicht den Bruder vergessen. Möglich, daß einst ihr Sohn mein Blut vergießen wird. Das ist meine Geschichte.«

Herr Nienaszyniec schwieg und schaute düsteren Blickes zur Erde.

»Welche Ströme von Blut und von Thränen sind schon für dieses Land geflossen!« sprach Herr Muszalski.

»Liebet Eure Feinde!« warf hier Vater Kaminski ein.

»Habt Ihr nach Wiedererlangung Eurer Gesundheit nicht nach jenem jungen Hündchen geforscht?« fragte Herr Zagloba.

»Wie ich späterhin erfuhr,« entgegnete Herr Nienaszyniec, »wurden meine Räuber von einer andern Räuberbande überfallen und bis auf den letzten Mann niedergemacht. Mit der Beute muß auch das Kind fortgeschleppt worden sein. Ich habe es allerorts gesucht, allein es blieb verschwunden wie der Stein im Wasser.«

»Möglicherweise trefft Ihr später wieder mit ihm zusammen, ohne es zu kennen!« ergriff Frau Basia das Wort.

»Das Kind konnte höchstens drei Jahre zählen, es wußte kaum noch seinen Namen, Azya, zu nennen. Aber ich würde es doch leicht wieder erkannt haben, denn man hatte ihm über jeder Brust einen Fisch tätowiert.«

Da mit einemmale ließ sich Mellechowicz, der bis dahin stumm in einer Ecke der Stube gesessen hatte, in eigentümlichem Tone also vernehmen:

»An dem Fische würden Euer Liebden das Kind kaum haben erkennen können, denn gar viele Tataren tragen dies Merkzeichen, vornehmlich aber die, welche am Meere wohnen.«

»Das ist durchaus nicht der Fall,« bemerkte jetzt der greise Herr Hromyka. »Nach dem Treffen bei Berestecko untersuchten wir das Aas des Tuhay-Bey, das auf dem Schlachtfelds lag, und dadurch weiß ich ganz gewiß, daß nur er das Merkzeichen eines Fisches trug, während alle anderen Erschlagenen auf die verschiedenste Weise gezeichnet waren.«

»Ich aber sage den gnädigen Herrschaften, daß fast alle das Zeichen des Fisches tragen.«

»Ja, ja! Aber nur die, welche dem verteufelten Geschlechte des Tuhay-Bey entstammen.«

Das weitere Gespräch wurde durch den Eintritt des Herrn Lelczyc unterbrochen, der von Herrn Wolodyjowski am frühen Morgen auf einen Streifzug ausgeschickt worden und nun wieder zurückgekommen war.

»Herr Kommandant,« begann er schon auf der Schwelle, »Herr Kommandant, bei Sierocy-Brod, nach der Moldauischen Seite zu, steht irgend eine Bande, die etwas gegen uns im Schilde führt.«

»Was für Leute sind es?« fragte Herr Wolodyjowski.

»Nichts wie Raubgesindel, aus Wallachen, Ungarn, zum größten Teile aber aus Nachzüglern von Tatarenhorden zusammengewürfelt, wohl gegen zweihundert Mann.«

»Das sind sicherlich die gleichen, von denen man mir schon gemeldet hat, daß sie das Land, die Moldauische Seite, plündernd und raubend durchziehen,« erklärte Wolodyjowski. »Die Perkulaber müssen ihnen wohl heiß zugesetzt haben, weil sie sich gegen uns wenden. Doch die Tataren allein sollen ja gegen zweihundert Mann zählen. In der Nacht werden sie über den Fluß setzen, und bei Tagesanbruch können wir ihnen den Weg verlegen. Herr Motowidlo und Herr Mellechowicz werden von Mitternacht an bereit sein. Als Lockspeise muß man ihnen eine kleine Rinderherde entgegentreiben, und jetzt begebt Euch in Euer Quartier.«

Die Krieger gingen auseinander, aber noch hatten nicht alle die Stube verlassen, als Basia auf ihren Gatten zulief und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Er lächelte und schüttelte verneinend das Haupt, sie aber drang offenbar in ihn, indem sie seinen Hals fest mit ihren Armen umschlang. Als Zagloba dies sah, sagte er:

»Erweise ihr doch einmal diesen Gefallen, und dann werde ich alter Mann mich auch mit Euch fortschleppen.«


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