Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V

Am folgenden Morgen läutete Zagloba an der Klosterpforte auf Monte Regius. Er war mit einem Schreiben des Primas versehen und hatte zusammen mit Ketling einen vollständigen Verhaltungsplan entworfen. Das Herz schlug ihm heftig bei dem Gedanken, wie ihn Wolodyjowski empfangen werde, und obwohl er vorbereitet hatte, was er sagen wollte, gestand er sich doch, daß nicht wenig von dem ersten Empfang abhängen würde. In solchen Gedanken verloren, zog er wiederholt die Glocke; und als der Schlüssel im Schlosse knarrte, und die Thüre sich ein wenig öffnete, da zwängte er sich fast mit Gewalt hinein und sagte zu dem etwas betroffenen jungen Mönch:

»Ich weiß wohl, daß man zum Eintritt hier einer besonderen Erlaubnis bedarf, allein ich habe einen Brief des Erzbischofs bei mir, welchen Ihr, carissime frater, Seiner Eminenz übergeben wollt.«

»Es soll geschehen, wie Euer Liebden wünschen,« sagte der Pförtner, der sich beim Anblick des Siegels des Primas verbeugt hatte. Dann setzte er den Glockenschwengel mittels eines daran befestigten Riemens in Bewegung und schlug zweimal an, um jemanden herbeizurufen, denn er selbst durfte die Pforte nicht verlassen. Auf das Glockenzeichen erschien ein zweiter Mönch, welcher den Brief in Empfang nahm und sich schweigend damit entfernte. Herr Zagloba aber legte ein Bündel, das er bei sich hatte, auf die Bank nieder und begann gewaltig zu schnauben.

»Frater,« sagte er nach einer Weile, »wie lange seid Ihr schon im Orden?«

»Seit fünf Jahren,« antwortete der Pförtner.

»Der Tausend, so jung und schon seit fünf Jahren! Dann ist es zu spät auszutreten, selbst wenn Ihr das wünschtet. Es verlangt einem doch wohl manchmal nach den Freuden der Welt, geschätzten Freuden, denn einer mag den Krieg, ein anderer Gastereien, ein dritter die Weiber ...«

» Apage,« sagte der Mönch, sich andächtig bekreuzend.

»Wieso das? Kam Euch nie die Versuchung an, auszutreten?« fuhr Zagloba fort.

Der Mönch aber schaute mißtrauisch auf den so wunderliche Reden im Munde führenden erzbischöflichen Sendboten und sprach:

»Hinter wem sich hier diese Klosterpforten einmal geschlossen haben, der geht nie mehr hinaus.«

»Das werden wir noch sehen! – Wie steht es denn mit Herrn Wolodyjowski? ist er gesund?«

»Es ist keiner hier, der so heißt.«

»Bruder Michael?« sagte Zagloba versuchsweise, »Früher Oberster der Dragoner, welcher noch nicht lange hier ist.«

»Wir nennen ihn Bruder Jerzy; aber er hat noch kein Gelübde abgelegt und kann es auch nicht vor dem bestimmten Termin.«

»Auch wird er es überhaupt nicht thun; denn Ihr könnt Euch nicht denken, Bruder, welch ein Schürzenjäger er gewesen ist. Ein zweiter, aller Weibertugend so gefährlicher Mann dürfte in keiner Abteilung des ganzen regulären Heeres mehr zu finden sein.«

»Es ziemt mir nicht, derlei Dinge zu hören,« sagte der Mönch, dessen Verwunderung wuchs und der immer mehr Aergerniß an diesen Reden nahm.

»Hört doch, Frater! Ich weiß nicht, wo Ihr die Leute zu empfangen pflegt, sollte es jedoch hier sein, so rate ich Euch, so der Bruder Jerzy hierher kommt, Euch dorthin, nächst der Pforte zu begeben, weil wir hier von überaus weltlichen Dingen verhandeln werden.«

»Ich ziehe vor, mich gleich wieder zu entfernen,« sagte der Mönch. –

Mittlerweile erschien Wolodyjowski, oder besser gesagt Bruder Jerzy, allein Zagloba erkannte ihn nicht, denn Herr Michal hatte sich gänzlich verändert. Er sah in dem langen, weißen Mönchsgewand größer aus, als im Dragoner-Koller, sein früher so kühn aufstrebender Schnurrbart hing traurig herab, und sein Versuch, einen Vollbart stehen zu lassen, hatte nur zwei blonde, einen halben Finger lange Haarbüschel ergeben; überdies sah er sehr mager und elend aus und seine Augen hatten ihren früheren Glanz verloren. Er kam langsam, die Hände auf der Brust unter dem Gewände verborgen, mit gesenktem Haupte näher.

Zagloba, der ihn noch immer nicht erkannte, dachte, es sei vielleicht der Prior selbst; darum erhob er sich von der Bank und sagte: » Laudetur –« Plötzlich genauer hinschauend, öffnete er die Arme und rief: »Herr Michal, Herr Michal!«

Bruder Jerzy ließ sich umarmen; etwas wie ein Schluchzen erschütterte seine Brust, aber seine Augen blieben trocken. Lange hielt ihn Zagloba in seinen Armen fest, endlich aber begann er:

»Du hast nicht allein über Dein Unglück geweint. Auch ich weinte und die Skrzetuskis und die Familie Kmicic. – Es war Gottes Wille! Ergieb Dich in ihn, Freund Michal. Möchte der Allerbarmer Dich trösten und bewahren. Es war weise von Dir, für einige Zeit Dich in diesen Mauern zu bergen. Nichts besser im Unglück, als Gebet und fromme Betrachtungen. Komm, laß Dich nochmals umarmen! Ich kann Dich vor Thränen kaum recht sehen!«

Und Herr Zagloba weinte wirklich, tief bewegt durch den Anblick Wolodyjowskis, aus vollem Herzen. »Vergieb,« sagte er endlich, »daß ich Deine frommen Betrachtungen gestört, aber ich konnte nicht anders, und Du wirst mir Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn Du meine Gründe kennst. Ei, Freund Michal, wie viel gute und schlimme Zeiten haben wir schon gemeinsam durchgemacht! Hast Du wohl Trost hinter diesen Mauern gefunden?«

»Ich fand ihn,« erwiderte Herr Michal, »in jenen Worten, welche ich hier täglich höre und wiederhole und die ich bis an mein Lebensende wiederholen will: » memento mori.« Der Gedanke an den Tod ist mein Trost!«

»Hm! Der Tod ist viel leichter auf dem Schlachtfeld als im Kloster, wo das Leben doch dahin schleicht, als ob einer langsam den Zwirn von einem Knäuel abwickle.«

»Hier giebt es kein Leben im gewöhnlichen Sinn, denn hier giebt es keine irdischen Fragen; noch bevor die Seele den Leib verläßt, lebt sie schon gleichsam in einer anderen Welt.«

»Wenn dem so ist, dann will ich lieber nicht davon reden, daß sich die Bialogroder Horden zu einem Hauptschlag gegen die Republik rüsten; denn für Dich kann das kein Interesse mehr haben!«

Herr Michal, dessen Schnurrbart plötzlich in Bewegung geriet, fuhr unwillkürlich mit seiner rechten Hand nach der rechten Seite; da er jedoch keinen Säbel fand, zog er die Hände unter das Gewand zurück, senkte das Haupt und sagte: » memento mori

»Ganz recht, ganz recht!« meinte Zagloba, indem er mit einer gewissen Ungeduld auf dem gesunden Auge blinzelte. »Erst gestern sagte der Hetman, Herr Sobieski: »Wenn nur Herr Wolodyjowski gegen den Ansturm des Feindes noch dies eine Mal dienen wollte; dann könnte er sich ja in irgend ein Kloster zurückziehen. Der Himmel würde solchem Thun nicht zürnen; im Gegenteil, ein solcher Mönch hätte um so größere Verdienste!« Allein man darf sich darüber nicht wundern, daß Du den eigenen Frieden dem Wohl des Vaterlandes voranstellst, denn prima charitas ab ego

Ein langes Stillschweigen folgte; nur Herrn Michals Schnurrbarthaare sträubten sich und begannen sich leicht zu bewegen.

»Du hast doch wohl noch kein Gelübde abgelegt?« fragte Zagloba endlich, »und könntest zu jeder Zeit das Kloster verlassen?«

»Ich bin noch nicht Ordensbruder, denn ich harrte der Gnade Gottes und des Augenblicks, da jeder schmerzliche Gedanke aus meiner Seele entweiche. Und seine Gnade ist über mir; der Friede kehrt mir wieder. Ich könnte austreten, aber ich will es nicht, denn die Zeit ist nahe, da ich reinen Gewissens und frei von weltlichen Begierden ein Gelübde ablegen kann.«

»Fern sei es von mir, Dich davon abzulenken, im Gegenteil, ich finde Deinen Entschluß nur löblich. Allein ich denke daran, daß Skrzetuski, als er die Absicht hatte, Mönch zu werden, damit wartete, bis das Vaterland von der feindlichen Invasion befreit war. Aber handle, wie es Dir gut dünkt. Fürwahr, ich bin es nicht, der Dich von Deinem Wege ablenken will; denn ich selbst habe seinerzeit den Beruf zum klösterlichen Leben in mir verspürt. Vor fünfzig Jahren habe ich sogar mein Noviziat angetreten; ein Schurke will ich sein, wenn es nicht so ist! Nun, Gott hat es anders gewollt. Nur eins will ich Dir sagen, Freund Michal, Du mußt jetzt mit mir für wenige Tage das Kloster verlassen!«

»Warum muß ich es verlassen? Laß mich doch in Ruhe,« sagte Wolodyjowski.

Zagloba führte den Saum seines Obergewandes an die Augen und begann zu schluchzen.

»Ich verlange ja keinen Beschützer für mich,« sagte er mit gebrochener Stimme, »obwohl Fürst Boguslaw Radziwill mich mit seiner Rache verfolgt und durch seine Mordgesellen mir auflauern läßt und ich alter Mann schutz- und hilflos bin. Ich dachte, daß Du – doch was liegt daran! Ich werde Dich immer lieben, auch wenn Du Dich von mir lossagst. Bete für meine Seele, denn ich werde Boguslaws Hand sicher nicht entgehen! ... Mag über mich kommen, was über mich verhängt ist. Aber ein anderer Deiner Freunde, welcher jeden Bissen Brotes mit Dir teilte, liegt im Sterben und verlangt darnach, Dich zu sehen. Er kann nicht sterben, ohne Dich gesehen zu haben; denn er hat Dir Bekenntnisse abzulegen, von welchen der Friede seiner Seele abhängt.«

Herr Michal, welcher schon in tiefer Erregung der Nachricht von Zaglobas gefahrvoller Lage gelauscht hatte, fuhr auf, faßte ihn bei den Armen und fragte: »Ist es Skrzetuski?«

»Nicht Skrzetuski, sondern Ketling.«

»Um Gotteswillen, was ist ihm begegnet?«

»Er wurde durch Fürst Boguslaws Leute verwundet, als er mich verteidigen wollte; ich weiß nicht, ob er den Tag überleben wird. Um Deinetwillen, Freund Michal, gerieten wir beide in diese Lage, denn wir kamen nur nach Warschau, um Dir irgend welchen Trost zu bringen. Nur für zwei Tage komme und tröste einen Sterbenden. Später kannst Du zurückkehren ... um ein Mönch zu werden. Ich brachte ein Schreiben des Primas an den Prior, auf daß man Dir keine Schwierigkeiten mache. Aber spute Dich, denn jeder Augenblick ist kostbar.«

»Um Gotteswillen,« rief Wolodyjowski, »was mußte ich hören! Hindernisse kann man mir keine bereiten, da ich mich hier bis jetzt nur zur Recollection befinde ... So wahr Gott lebt, die Bitte eines Sterbenden ist heilig. Ich kann sie nicht abschlagen.«

»Es wäre eine Todsünde,« rief Zagloba.

»So ist es! – Immer und ewig dieser Verräter Boguslaw! – Doch möge ich nie mehr hierher zurückkehren, wenn ich Ketling nicht räche. Diese Schurken werde ich schon zu finden wissen, und dann geht's an ein Schädelspalten! – Großer Gott! schon überkommen mich sündhafte Gedanken! Memento mori! Warte nur so lange, bis ich mein altes Gewand angelegt habe, denn es ist nicht erlaubt, im Ordenskleid auszugehen.«

»Was! – altes Gewand!« rief Zagloba, indem er nach dem Bündel griff, das neben ihm auf der Bank lag. »Habe alles vorausgesehen, alles vorbereitet ... Hier sind Stiefel, hier ein Rapier, hier ein Oberrock.«

»Komm mit mir in die Zelle,« sagte der kleine Ritter in Hast.

Beide gingen; aber als sie wiederkamen, schritt neben Zagloba nicht ein weißes Mönchlein, sondern ein Offizier in hohen gelben Reiterstiefeln, mit einem Rapier an der Seite, über der Schulter ein weißes Wehrgehänge. Zagloba blinzelte mit den Augen und schmunzelte unter seinem Schnurrbart beim Anblick des Bruder Pförtners, der ihnen die Thür öffnete und offenbar an dem Vorgang Aergernis nahm.

Nicht weit unterhalb des Klosters stand Zaglobas Wagen mit zwei Dienern. Einer saß auf dem Kutschbock und hielt die Zügel eines trefflichen Viergespanns, auf welches Herrn Wolodyjowskis Kennerauge fiel; der andere stand neben dem Wagen, eine staubige, dickbäuchige Flasche in einer Hand, zwei Becher in der anderen.

»Es ist ein weites Stück Wegs bis nach Mokotow,« sagte Zagloba; »am Krankenlager Ketlings aber warten Trauer und Schmerz auf uns. Trinke, Freund Michal, um Kräfte zu sammeln für all die Schmerzen, denn Du siehst sehr heruntergekommen aus.«

So sprechend, nahm Zagloba die Flasche aus der Hand des Dieners und füllte beide Becher mit sehr altem, dunkelflüssigen Ungarwein.

»Das ist ein guter Trunk,« sagte er, die Flasche auf den Boden stellend und die Becher erfassend: »Auf Ketlings Wohl!«

»Auf sein Wohl!« wiederholte Wolodyjowski. »Beeilen wir uns!«

Sie leerten die Becher bis zur Neige.

»Beeilen wir uns!« wiederholte Zagloba. – »Schenk ein, Bursche! – Auf das Wohl Skrzetuskis! Beeilen wir uns!«

Sie leerten abermals die Becher, denn Eile war in der That geboten.

»Steigen wir ein!« rief Wolodyjowski.

»Und auf meine Gesundheit willst Du nicht trinken?« fragte Zagloba in wehmütigem Ton.

»Wenn es rasch geschieht.«

Und rasch ward ausgetrunken. Zagloba leerte den Becher, der ein halbes Quart faßte, auf einen Zug und rief dann, ohne seinen Schnurrbart erst abzuwischen:

»Ich wäre undankbar, tränke ich nicht auch auf Dein Wohl! Eingeschenkt, Bursche!«

»Vielen Dank,« erwiderte der Bruder Jerzy.

Der Boden der Flasche kam nun zum Vorschein, und Zagloba, der den Anblick leerer Gefäße nicht ertragen konnte, faßte sie beim Hals und zerschmetterte sie in tausend Stücke. Dann bestiegen sie den Wagen und fuhren davon.

Das edle Getränk erfüllte gar bald ihre Adern mit behaglicher Wärme und ihre Herzen mit Mut. Die Wangen des Bruder Jerzy übergoß eine leichte Scharlachröte, und sein Blick hatte den früheren Glanz wieder gewonnen. Unwillkürlich fuhr er mit der Hand schon zum zweitenmal nach dem Schnurrbart und drehte ihn aufwärts gleich einer Ahle, bis er fast die Augen berührte. Dann blickte er mit solchem Interesse um sich, als sähe er die Gegend zum erstenmal.

Plötzlich schlug sich Zagloba mit beiden Händen auf die Kniee und rief ohne rechten Anlaß: »Ha, ho! ich hoffe, daß Ketling genesen wird, sobald er Dich erblickt. Ha! Ho!«

Und Herrn Michal umhalsend, drückte er ihn mit aller Kraft an sich. Wolodyjowski wollte ihm nichts schuldig bleiben und erwiderte herzlichst seine Umarmung. Während einer Weile fuhren sie schweigend weiter, aber es war ein seliges Schweigen. Inzwischen tauchten zu beiden Seiten der Straße die kleinen Häuser der Vorstadt auf. Vor den Häusern herrschte ein reges Leben und Treiben. Da und dorthin bewegten sich Bürger, Diener in verschiedenfarbigen Livreen, Soldaten und Edelleute, oftmals in prächtiger Kleidung.

»Eine Unzahl von Edelleuten hat sich zum Reichstag zusammengefunden, denn auch die, welche nicht Landboten sind, wollen dabei sein und alles sehen und hören. Ueberall sind die Häuser und die Herbergen derart besetzt, daß es schwer ist, eine Unterkunft zu finden, und wie viele adelige Fräuleins in den Gassen umherspazieren, das könntest Du nicht an Deinen Barthaaren abzählen. – Und sie sind schön, die Schelminnen, so daß einem zuweilen die Lust befällt, mit den Händen zu schlagen, wie Gallus mit seinen Flügeln, und zu krähen. Aber schau! schau diese Braune, welcher der Haiduk die grüne Pelzjacke nachträgt. Ist sie nicht herrlich? Wie?«

Dabei stieß er Herrn Wolodyjowski in die Seite, und dieser schaute hin und strich seinen Schnurrbart mit glänzenden Augen – allein plötzlich fühlte er sich beschämt, zog seine Hand zurück, senkte das Haupt und sagte nach kurzem Schweigen: » Memento mori

Zagloba umfaßte wieder seinen Hals: »Wenn Du mich liebst, per amicitiam nostram, wenn Du Achtung vor mir hast, dann heirate. Es giebt so viele gute Frauen, – Heirate!«

Bruder Jerzy schaute verwundert auf seinen Freund. Zagloba konnte doch nicht berauscht sein, denn er hatte schon häufig das Dreifache getrunken, ohne daß man irgend welche Wirkung hätte merken können; also mußte seine Rede bloß seiner inneren Aufregung entspringen. Alle Gedanken an eine Heirat aber lagen Herrn Michal so fern, daß sein Erstaunen im ersten Augenblick über die Entrüstung siegte. Dann sah er Zagloba streng in die Augen und sagte: »Euer Liebden sind wohl berauscht!«

»Aus vollem Herzen sage ich Dir: Heirate!«

Herrn Wolodyjowskis Miene wurde noch strenger. » Memento mori

Aber Zagloba war nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. »Michal, wenn Du mich wirklich liebst, thue es um meinetwillen und hol' der Geier Dein ewiges » mementoRepeto, Du kannst thun, was Dir gut dünkt, allein ich denke, jedermann soll Gott mit dem dienen, wofür er ihn geschaffen, und Dich hat ja Gott für das Waffenhandwerk geschaffen. Darin hat sich sein Wille sichtbarlich kund gethan, denn sonst hättest Du nicht eine solche Vollendung darin erreicht. Hätte er Dich zum Priester bestimmt, so würde er Dich in ganz anderer Weise geistig begabt und Dein Herz mehr den Büchern und dem Latein zugewendet haben. Und bedenke auch, daß heilige Krieger nicht minderes Ansehen im Himmel genießen als heilige Mönche, daß sie gegen die höllischen Legionen Krieg zu führen haben und von Gott Auszeichnungen erhalten, wenn sie mit erbeuteten Fahnen zurückkehren ... All das ist die volle Wahrheit und Du kannst sie nicht leugnen.«

»Ich leugne sie nicht und ich weiß auch, daß es schwer ist, gegen Euer Liebden Verstand anzukämpfen; aber auch Du wirst nicht leugnen, daß für den Gram das Kloster besser taugt als die Welt.«

»Bah, taugt es besser für den Gram, so muß es um so eher gemieden werden ... Ein Thor, wer den Gram nährt, anstatt ihn auszuhungern, damit die Bestie so schnell als möglich zu Grunde geht.«

Herr Wolodyjowski, um eine Antwort verlegen, schwieg. Erst nach einer Weile sagte er mit trauriger Stimme:

»Sprechen Euer Liebden doch nicht von Heirat, denn das erweckt mir nur neuen Gram. Mein alter Wunsch lebt nicht wieder auf, denn eine Thränenflut hat ihn begraben. Auch ist mein Alter nicht mehr das geeignete dazu. Mein Haar beginnt sich zu lichten; zweiundvierzig Jahre, und fünfundzwanzig Jahre Kriegsdienst, das ist kein Spaß, wahrlich kein Spaß!«

»O Herr, strafe ihn nicht ob solcher Lästerung! Zweiundvierzig Jahre! Ich habe mehr als zweimal so viel auf dem Rücken und doch muß ich mich zuweilen geißeln, um die Hitze aus dem Blut herauszutreiben, wie man den Staub aus den Kleidern schüttelt. Ehre doch das Andenken jener teuern Verstorbenen, Michal! Für sie bist Du also gut genug gewesen? Und für andere bist Du zu gering? zu alt?«

»Laß mich in Frieden! Laß mich in Frieden!« sagte Wolodyjowski in schmerzlichem Tone.

Und große Thränen rollten über seine Wangen.

»Ich sage nichts mehr, kein Wort!« rief Zagloba, »gieb mir nur Dein Ehrenwort, daß Du einen Monat bei uns bleibst, was auch mit Ketling vorgehen mag. Auch mußt Du mit Skrzetuski sprechen ... Willst Du dann später die Mönchskutte wieder anlegen, so wird Dich niemand daran hindern.«

»Ich gebe mein Ehrenwort!« sagte Herr Michal.

Und sie begannen von anderen Dingen zu reden. Zagloba berichtete von der Zusammenberufung des Reichstages, auch davon, daß er die Wahlprüfung des Fürsten Boguslaw veranlaßt hatte, sowie von Ketlings Unfall. Zuweilen unterbrach er seine Erzählung und versank in Gedanken. Doch konnten es keine trübseligen Gedanken sein, denn von Zeit zu Zeit schlug er sich mit den Händen auf die Kniee und rief:

»Hei! Ho! Hei! Ho!«

Als sie jedoch in die Nähe von Mokotow kamen, malte sich eine gewisse Unruhe auf Herrn Zaglobas Gesicht. Er wendete sich plötzlich zu Wolodyjowski und fragte:

»Du gabst Dein Wort, weißt Du, daß Du einen Monat bei uns bleibst, was auch mit Ketling vorgehen mag.«

»Ich gab mein Wort und werde bleiben,« antwortete Wolodyjowsky.

»Hier ist Ketlings Landhaus,« rief Zagloba – »Eine schöne Wohnung!«

Dann schrie er dem Kutscher zu:

»Nun lasse Deine Peitsche knallen! Ein Festtag wird heute in diesem Hause sein!«

Lauter Peitschenknall ertönte.

Aber der Korbwagen war noch nicht in das Thor eingefahren, als aus der Vorhalle mehrere Offiziere herausstürzten, die Herrn Michal bekannt waren. Darunter befanden sich sowohl einige seiner alten Kriegskameraden aus Chmielnickis Zeiten, als auch jüngere aus neuerer Zeit, unter anderen Herr Wasilewski und Herr Nowowiejski, junge Bürschlein zwar, aber feurige Kavaliere, welche, im Knabenalter aus der Schule entflohen, seit einigen Jahren schon unter Herrn Wolodyjowskis Führung das Kriegshandwerk ausgeübt hatten. Diesen war der kleine Ritter außerordentlich zugethan.

Zu den älteren zählte Herr Orlik mit dem Nowina-Wappenschilde, der eine Goldplatte auf der Hirnschale trug, weil eine schwedische Granate sie ihm seinerzeit gespalten hatte, auch Herr Ruszczyc, ein halbwilder Ritter aus der Steppe, ein unvergleichlicher Führer von Streifzügen, der, was den Ruhm anbelangte, einzig nur Herrn Wolodyjowski nachstand, und noch einige andere. Als sie die beiden Männer in dem Wagen sahen, schrien alle: »Er ist es! Er ist es! Vivat Zagloba! Er ist es!«

Und auf den Korbwagen zustürzend, nahmen sie den kleinen Ritter auf ihre Arme und trugen ihn in die Vorhalle, indem sie unablässig riefen: »Willkommen, teurer Kamerad, lebe nun für uns! Nun haben wir Dich und lassen Dich nicht mehr von uns! Vivat Wolodyjowski, der erste Kavalier, der Stolz des ganzen Heeres! Komm mit uns in die Steppe, Bruder! In die Wüstenei! Dort, inmitten des Sturmwindes, wird Dein Kummer vergehen!«

Erst in der Vorhalle ließen sie ihn frei. Er begrüßte sie alle herzlich, denn er war tief gerührt durch diesen Empfang, dann aber fragte er sogleich:

»Wie geht es Ketling? Lebt er noch?«

»Er lebt! Er lebt!« antworteten alle im Chore, während ein nervöses Lachen die Lippen der alten Haudegen bewegte, so daß ihre Schnurrbärte gar seltsam zuckten. – »Gehe zu ihm, sonst bleibt er nicht liegen, denn er erwartet Dich ungeduldig.«

»Also ist er dem Tode nicht so nahe wie Herr Zagloba sagte,« antwortete der kleine Ritter.

Mittlerweile waren sie in den Hausflur und von dort in ein geräumiges Zimmer getreten. In der Mitte stand ein Tisch mit einem vollständigen Gastmahle bereit, in einer Ecke aber befand sich ein mit einem weißen Felle bedecktes Feldbett, worauf Ketling lag.

»O, mein Freund!« rief Herr Wolodyjowski, auf ihn zu eilend.

»Michal!« rief auch Ketling, und so rasch emporspringend, wie wenn er im Vollbesitz seiner Kräfte wäre, zog er den kleinen Ritter in seine Arme.

Sie umschlangen sich so fest, daß Ketling zuerst Wolodyjowsky, und Wolodyjowski dann Ketling in die Höhe hob.

»Man hieß mich den Kranken, den Toten spielen, aber bei Deinem Anblick vermochte ich es nicht durchzuführen,« sagte der Schotte. »Ich bin so gesund wie ein Fisch im Wasser und kein Unfall hat mich betroffen. Aber es handelte sich darum, Dich dem Kloster zu entreißen ... Verzeihe, Michal! ... Aus Liebe zu Dir gebrauchten wir diese List.«

»In die Steppe, in die Wüstenei mit uns!« schrien die Ritter abermals und schlugen mit ihren wetterharten Händen an die Säbel, so daß es laut klirrte.

Doch Herr Michal war nicht wenig erstaunt. Eine Weile schwieg er, dann schaute er sie alle der Reihe nach an und besonders auf Herrn Zagloba blieb sein Blick haften. Schließlich sagte er:

»O, Ihr Verräter! Ich dachte, Ketling sei auf den Tod verwundet.«

»Wie, Michal,« rief Zagloba, »Du ärgerst Dich darüber, daß Ketling ganz wohl ist? Du mißgönnst ihm seine Gesundheit und wünschest seinen Tod herbei? Dein Herz ist demnach so verhärtet, daß Du froh wärest, alle auf der Totenbahre zu sehen, Ketling und Herrn Orlik und Herrn Ruszczyc und diese Jünglinge und mich, mich, welcher Dich wie einen Sohn liebt!«

Hier drückte Zagloba die Augen zu und rief in noch wehmütigerem Tone:

»So ist denn unser Leben wertlos, Ihr liebwerten Herrn! Undank ist der Welt Lohn und es giebt nur Härte und Verstocktheit.«

»Um Gotteswillen!« entgegnete Wolodyjowski, »ich wünsche Euch ja nichts Böses, aber meine Trauer habt Ihr nicht zu ehren gewußt.«

»Er mißgönnt uns das Leben!« erklärte Zagloba abermals.

»Laßt das, Euer Liebden!«

»Er behauptet, wir wüßten seine Trauer nicht zu ehren, und welche Thränenströme haben wir schon über sein Unglück vergossen, Ihr liebwerten Herrn! In Wahrheit! Ich rufe Gott zum Zeugen darüber auf, Michal, daß wir gern alles thun würden, um Deinen Kummer zu lindern, denn dies wäre ja nur Freundespflicht. Und da Du uns Dein Wort gegeben hast, einen Monat bei uns zu verweilen, so hoffe ich, daß Du uns wenigstens während dieser kurzen Zeit gewogen bleibst.«

»Euer Liebden und Euch, Ihr liebwerten Herrn, werde ich mein Leben lang treue Liebe bewahren,« antwortete Michal.

Durch den Eintritt eines neuen Gastes wurde das Gespräch unterbrochen. Die mit Herrn Wolodyjowski beschäftigten Offiziere hatten nicht gehört, daß ein Wagen angefahren war und erblickten den Ankömmling erst, als er schon an der Thüre stand. Es war ein hochgewachsener, starker Mann, mit majestätischer Gestalt und Haltung. Er hatte das Antlitz eines römischen Imperatoren, Kraft und Energie, zugleich aber auch eine wahrhaft fürstliche Güte und Milde drückten sich darin aus. Gänzlich verschieden von all den Offizieren, sie an Größe bedeutend überragend, stand er ihnen gegenüber wie der König der Vögel, der Adler, der sich plötzlich unter Habichten, Falken und Kibitzen zeigt.

»Der Großhetman!« schrie Ketling und eilte ihm entgegen, um ihn zu begrüßen.

»Herr Sobieski!« riefen die andern.

Alle neigten sich in tiefster Verehrung.

Außer Wolodyjowski wußte zwar ein jeder, daß der Hetman kommen werde, da sein Besuch Ketling angekündigt worden war, nichtsdestoweniger machte aber sein Erscheinen einen so mächtigen Eindruck, daß eine Weile niemand ein Wort zu äußern wagte. Es war auch ein Zeichen ungewöhnlicher Gnade. Doch Herr Sobieski liebte die Krieger über alles, vornehmlich diejenigen, welche mit ihm schon so oft die Tatarenhorden niedergeritten hatten. Er betrachtete sie als seine Familie und hatte deshalb beschlossen, Wolodyjowski zu begrüßen, ihn zu trösten und ihn schließlich durch besondere Gunstbezeugungen zum Verbleiben in den Reihen des Heeres zu bestimmen.

Nachdem er Ketling begrüßt hatte, streckte er daher sogleich dem kleinen Ritter die Hand entgegen, und als dieser sich näherte und seine Kniee umschlang, faßte er dessen Kopf mit beiden Händen.

»Nun, alter Krieger!« sagte er, »Gottes Hand hat Dich schwer darniedergedrückt, doch er wird Dich auch wieder aufrichten und trösten ... Gott sei mit Dir! Und bleibe jetzt bei uns!«

Ein Schluchzen erschütterte Wolodyjowskis Brust.

»Ich bleibe!« sagte er unter Thränen.

»Das ist gut! Männer solcher Art habe ich am meisten nötig. Und jetzt, mein alter Kriegsgefährte, laß uns der alten Zeiten gedenken, da wir in den russischen Steppen unter den Zelten bei Gastereien saßen. Vorwärts, Herr Gastgeber, vorwärts!«

» Vivat Joannes dux!« schrien alle Stimmen.

Das Mahl begann und währte lange. Am andern Morgen sandte der Hetman Herrn Wolodyjowski ein isabellenfarbiges, arabisches Roß von großem Werte.


 << zurück weiter >>