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XX

Auf diese glückliche Nacht, so voll der siegverheißendsten Zeichen, folgte der sechsundzwanzigste August, der wichtigste Tag in der Geschichte dieses Krieges. Im Schlosse erwartete man eine große Anspannung der Kräfte von Seiten der Türken. Und in der That, bei Sonnenaufgang hörte man das unterirdische Hämmern auf der linken Seite des Schlosses so laut und kräftig, wie noch nie. Offenbar wurde eine neue Mine gebohrt, die größte unter allen bisherigen. Starke Truppenabteilungen waren in der Nähe zur Sicherung dieser Arbeit aufgestellt. In den Laufgräben regte sich's wie in einem Ameisenhaufen. Die Menge buntfarbiger Sandzaks, von welchen das Feld auf der Seite von Dluzka wie in Blütenpracht erglänzte, zeigten an, der Großvezier werde in eigener Person den Sturmangriff leiten. Die Janitscharen armierten die Schanzen mit neuen Geschützen, und zahllose Scharen besetzten das neue Schloß und deckten sich in dessen Gräben und Ruinen, um zum Sturmangriff bereit zu sein.

Wie schon erwähnt, hatte das alte Schloß zuerst den Geschützkampf begonnen, und das in so wirksamer Weise, daß die Besatzung der Schanzen im ersten Augenblick die Flucht ergriff. Allein die Bimbaschas stellten sofort die Ordnung unter den Janitscharen wieder her, und zu gleicher Zeit eröffneten sämtliche türkische Geschütze das Feuer. Bomben, Granaten und Kartätschen sausten durch die Luft, und Ziegelsteine, Schutt und Mörtel flogen um die Köpfe der Verteidiger; Staubwolken und Pulverdampf, Feuersglut und Sonnenhitze vermengten sich miteinander. Den Lungen fehlte es an Luft, die Augen vermochten nicht mehr zu sehen. Der Donner der Geschütze, das Platzen der Granaten, das Aufschlagen der Kanonenkugeln auf den Felsen, das Geschrei der Türken, die Zurufe der Verteidiger, das alles klang in einer furchtbaren Weise zusammen und erweckte in den Felsen ein vielfaches Echo. Das Schloß wurde mit Geschossen überschüttet, ebenso die Stadt, alle Thore und Basteien. Allein die Feste verteidigte sich grimmig, erwiderte Donnerschlag mit Donnerschlag, erbebte, flammte auf, rauchte, dröhnte und spie Feuer, Tod und Verderben, als ob Jovis Zorn aus ihr spräche, als habe sie inmitten der Flammen in ihrem rasenden Ingrimme sich selbst vergessen, als hege sie nur den Wunsch, das Brüllen der türkischen Feuerschlünde zu übertönen und zu siegen oder unterzugehen.

Im Schloß eilte der kleine Ritter inmitten der sausenden Geschosse und des Feuers, durch Staub und Pulverdampf, von Kanone zu Kanone, von einer Bastion, von einer Ecke zur andern – selbst einer verheerenden Flamme gleich! – Er schien sich zu verdoppeln und zu verdreifachen, er war überall, eiferte an, schrie; fiel irgendwo ein Kanonier, so trat er an dessen Stelle, und wenn er die Leute aufs neue ermutigt, eilte er wieder an einen andern Ort. – Das Feuer seiner Begeisterung teilte sich seinen Soldaten mit. Und sie dachten, es sei dies der letzte Sturm, und ein ruhmreicher Friede werde folgen; ihre Brust war von Siegeshoffnung geschwellt, hart und entschlossen waren ihre Herzen und Kampfeswut beherrschte ihren Sinn. Ausrufungen und herausfordernde Reden entrangen sich alle Augenblicke ihren Kehlen. Manche wurden von solcher Raserei erfaßt, daß sie darnach strebten, außerhalb der Mauern mit den Janitscharen handgemein zu werden.

Diese stürmten, von Rauchwolken ganz umgeben, in dichten Massen gegen die Bresche; zweimal jedoch wurden sie in völliger Verwirrung zurückgeworfen, ganze Reihen von Leichen hinterlassend. Um die Mittagszeit sandte man ihnen neue Scharen aus dem Heerbann und von den Jamaks zu Hilfe, allein diese wenig geschulten Truppen, die man durch Speere vorwärts treiben mußte, stießen nur ein furchtbares Geheul aus und weigerten sich, gegen das Schloß vorzugehen. Der Kajmakam ritt an sie heran, aber ohne Erfolg. Jeden Augenblick mußte man Unordnung und wahnsinnige Fluchtversuche fürchten. Schließlich zog man die Leute wieder zurück, und nur die Geschütze nahmen ihre rastlose Arbeit wieder auf, donnernd und blitzend und Geschoß auf Geschoß aus ihren Feuerschlünden schleudernd.

Und in dieser Weise floß Stunde um Stunde dahin. Die Sonne hatte bereits den Zenithpunkt überschritten und schaute glanzlos, rot, von Rauch verschleiert auf den Kampf hernieder. Gegen drei Uhr des Nachmittags wurde der Kanonendonner so gewaltig, daß man selbst laut ins Ohr geschriene Worte auf den Basteien nicht mehr verstehen konnte. Die Luft im Schlosse wurde so heiß wie in einem Ofen. Das Wasser, womit man die erhitzten Geschütze begoß, verwandelte sich in Dampf, der sich mit dem Rauch vermischte und jeden Ausblick erschwerte; aber der Kanonendonner währte fort.

Gleich nach drei Uhr wurden die zwei größten türkischen Feldschlangen zerstört. Einige Vaterunser später zersprang der Mörser neben ihnen durch einen Bombenschlag. Wie Fliegen wurden die Kanoniere zu Boden geschlagen. Mit jedem Augenblick wurde es klarer, daß diese unbezwingbare Feste im Kampf die Oberhand gewinne, daß sie die türkischen Geschütze niederdonnern und schließlich auch das letzte Wort sagen werde ... Sieg!

Das Feuer der Türken begann allmählich schwächer zu werden.

»Bald ist's zu Ende!« schrie Wolodyjowski mit aller Macht Ketling ins Ohr, um trotz des Getöses gehört zu werden.

»So glaube auch ich,« antwortete Ketling. »Werden sie nur bis morgen Ruhe geben oder noch für längere Zeit?«

»Vielleicht für längere Zeit. Heute ist der Sieg mit uns!«

»Und durch uns errungen!«

»Die neue Mine dürfen wir nicht vergessen!«

Das Feuer der Türken nahm immer mehr ab.

»Laßt die Geschütze weiter spielen!« rief Wolodyjowski.

Und mit einem Satze war er bei den Kanonieren. »Feuert, Bursche!« schrie er, »bis die letzte türkische Kanone verstummt, zu Ehren Gottes und der heiligen Jungfrau, zum Ruhme der Republik.«

Die Soldaten aber, wahrnehmend, daß auch dieser Sturmangriff seinem Ende nahe, brachen in kräftige Jubelrufe aus und feuerten mit um so größerer Begeisterung auf die türkischen Schanzen.

»Die Abend-Kindya wollen wir Euch aufspielen, Ihr Hundesöhne, die Kindya!« so riefen viele Stimmen.

Plötzlich geschah etwas Wundersames. Es verstummten wie mit einem Schlag sämtliche türkischen Geschütze. Auch das Knattern der Janitscharenflinten in dem neuen Schlosse hörte plötzlich auf. Während einiger Zeit donnerte es noch vom alten Schlosse her; zuletzt aber schauten die Offiziere einander verwundert an und frugen sich gegenseitig: »Was ist das? Was ist geschehen?«

Ketling, einigermaßen beunruhigt, stellte gleichfalls das Feuer ein.

Da sagte einer der Offiziere mit lauter Stimme:

»Möglich, daß sich unter uns eine Mine befindet, die gleich explodieren wird!«

Wolodyjowski schaute den Mann mit durchbohrendem Blicke drohend an und sprach:

»Die Mine ist noch nicht fertig, und wäre sie's auch, so würde sie nur die linke Seite des Schlosses in die Luft sprengen und in den Trümmern werden wir uns bis zum letzten Atemzuge verteidigen! Versteht Ihr mich?«

Eine Stille folgte, die weder durch einen Schuß aus der Feste noch aus den Schanzen unterbrochen wurde. Nach dem Donnergetöse, welches die Mauern und die Erde hatte beben machen, lag etwas Feierliches in dieser Stille, aber auch zugleich etwas Unheilverkündendes. Aller Augen schauten über die Wälle hinaus, aber die Rauchwolken verhüllten die Aussicht. Plötzlich hörte man von der linken Seite her die regelmäßigen Schläge der Spitzhauen.

»Ich sagt' es Euch, daß sie erst an der Mine arbeiten,« bemerkte Wolodyjowski. Dann wandte er sich zu Lusnia: »Wachtmeister, nimm zwanzig Mann und rekognosziere das neue Schloß.«

Lusnia gehorchte sofort, nahm zwanzig Mann mit sich und war rasch mit ihnen hinter der Bresche verschwunden.

Und wieder trat Stille ein, nur dann und wann unterbrochen durch Laute des Röchelns, durch die letzten Atemzüge der Sterbenden, oder auch durch den Klang der Spitzhauenschläge.

Es währte ziemlich lange, bis der Wachtmeister zurückkehrte.

»Herr Kommandant,« berichtete er, »in dem neuen Schloß ist keine lebende Seele mehr.«

Wolodyjowski, aufs höchste erstaunt, schaute Ketling an.

»Haben sie die Belagerung schon aufgegeben, oder was bedeutet das eigentlich? Wegen der dichten Rauchwolken kann man nichts sehen!«

Aber diese Wolken wurden durchsichtiger und der Wind zerriß sie endlich ganz über der Stadt. In demselben Augenblick ertönte ein furchtbarer gellender Aufschrei von der Bastei her:

»Ueber den Thoren sind weiße Fahnen aufgesteckt! Wir kapitulieren!«

Und die Mannschaft und die Offiziere wandten sich gegen die Stadt, als sie das hörten. Entsetzen lag auf allen Gesichtern, die Worte erstarben allen auf den Lippen; zwischen den weiterziehenden Rauchstreifen schauten sie auf die Stadt.

Ueber dem reußischen und über dem polnischen Thore wehten weiße Fahnen; weiter hin wehte eine auf der Batory-Bastion.

Das Antlitz des kleinen Ritters wurde so weiß, wie diese Flaggen, die im Wind wehten.

»Ketling, siehst Du das!« flüsterte er, sich dem Freunde zuwendend.

Auch Ketling war erbleicht: »Ich sehe es!« antwortete er.

Und sie schauten einander in die Augen, und in diesem langen Blick lag Alles, was zwei Krieger ohne Furcht und Tadel, wie diese, sich zu sagen hatten, – sie, die niemals in ihrem Leben ihr Wort gebrochen, und die am Altare den feierlichen Eid geschworen hatten, eher zu sterben, als dem Feinde die Festung zu überliefern. Und nun, nach einer Verteidigung gleich dieser, nach Kämpfen, welche an die ruhmreichen Tage von Zbaraz gemahnten, nach einem zurückgeschlagenen Sturme, nach einem Sieg befahl man ihnen, ihren Eid zu brechen, die Feste zu übergeben und weiter zu leben.

Gleich den unheilkündenden Geschossen, die noch nicht lange zuvor über ihren Häuptern dahingeflogen waren, so flogen jetzt unheilkündende Gedanken durch ihren Sinn. Und ein unendliches Weh zerriß ihre Herzen, der Schmerz um zwei heißgeliebte Wesen, die Trauer um das verlorene Glück und das verlorene Leben. Sie schauten einander mit irren, toten Augen an, und zuweilen wandten sich ihre Blicke verzweiflungsvoll nach den weißen Fahnen, als wollten sie sich überzeugen, daß sie sich nicht täuschten, daß ihre Stunde auch wirklich geschlagen habe. –

Jetzt ließ sich der Hufschlag eines Pferdes von der Stadtseite her vernehmen und einen Augenblick später kam Horaim, der Adjutant des Generals von Podolien, angesprengt.

»Ein Befehl an den Kommandanten!« rief er, sein tatarisches Pferd anhaltend.

Wolodyjowski nahm das Schreiben in Empfang, überlas es schweigend und sprach inmitten einer Grabesstille zu den versammelten Offizieren:

»Meine Herren, die Kommissäre sind in einem Boot über den Fluß gefahren und haben sich nach Dluzek begeben, um die Vertragsbedingungen zu unterzeichnen. Binnen kurzem werden sie hierher kommen ... Bis zum Abend müssen wir die Truppen aus dem Schloß herausgeführt haben, die weiße Fahne aber soll sofort aufgesteckt werden ...«

Niemand gab auch nur einen Laut von sich. Man hörte nur rasche, keuchende Atemzüge.

Endlich sagte Kwasiebrodzki: »Wir müssen die Fahne aufstecken; ich will die Mannschaft mustern! ...«

Da und dort ließen sich Kommandorufe hören. Die Soldaten traten in Reih und Glied und schulterten das Gewehr. Das Klirren der Musketen und das taktmäßige Marschieren der Leute gab einen lauten Widerklang in dem stillen Schlosse.

Ketling trat an Wolodyjowski heran.

»Ist es Zeit?« frug er.

»Warten wir die Kommissäre ab, um die Bedingungen zu erfahren! ... Uebrigens will ich selbst hinabgehen.«

»Nein! Ich will gehen! Ich kenne diese unterirdischen Plätze besser; ich kenne genau ihre Lage.«

Ihr Gespräch wurde durch den Ruf unterbrochen: »Die Kommissäre kommen, die Kommissäre kommen!«

Die drei unglückseligen Abgesandten erschienen in der That auf dem Schloß. Es waren dies der podolische Richter Gruszecki, der Truchseß Rzewuski und der Czernihower Bannerherr Mysliszewski. Mit düsteren Mienen, gesenkten Hauptes schritten sie einher; auf ihren Rücken glänzten die Kaftans von Goldbrokat, welche sie von dem Großvezier als Geschenk erhalten hatten.

Wolodyjowski erwartete sie, an eine heiße, noch rauchende Kanone gelehnt, die auf Dluzek gerichtet war. Alle drei begrüßten ihn mit stummer Verbeugung; er aber frug: »Wie lauten die Bedingungen?«

»Die Stadt wird nicht geplündert werden: Leben und Eigentum werden den Einwohnern zugesichert. Jeder, der hier nicht bleiben will, hat das Recht, auszuwandern und sich niederzulassen, wo es ihm beliebt.«

»Und Kamieniec?«

Die Kommissäre senkten die Häupter:

»Geht auf den Sultan über ... für jetzt und immerdar!«

Die Kommissäre gingen ihres Weges weiter, wandten sich jedoch nicht der Brücke zu, wo Menschenmassen den Uebergang versperrten, sondern seitwärts gegen das südliche Thor. Unten angelangt, bestiegen sie ein Boot, das sie zu dem polnischen Thore bringen sollte. In den Niederungen zwischen den Felsen längs des Flusses sah man bereits Janitscharen auftauchen. – Aus der Stadt strömten immer größere Menschenmassen und füllten den Platz gegenüber der alten Brücke. Viele wollten nach dem Schlosse eilen, allein auf Befehl des kleinen Ritters wurden sie von den ausziehenden Regimentern zurückgehalten.

Als Wolodyjowski die Truppen gemustert hatte, rief er Herrn Muszalski und sagte zu ihm:

»Alter Freund, erweise mir noch einen Dienst. Begieb Dich sofort zu meinem Weibe und sage ihr in meinem Namen ...«

Für eine Weile versagte dem kleinen Ritter die Stimme.

»Und sage ihr –« er stockte abermals und fügte dann hastig hinzu: »Das will nichts heißen!«

Der Bogenschütze ging. Nach ihm zogen die Truppen langsam ab. Wolodyjowski stieg zu Pferd und überwachte den Abmarsch. Dieser vollzog sich darum nur langsam, weil die umherliegenden Schutthaufen und Mauertrümmer den Schritt hemmten. Aber allmählich ward das Schloß leerer.

Ketling trat zu dem kleinen Ritter. »Ich will hinunter gehen!« sagte er, die Zähne zusammenbeißend.

»Geh! Aber laß die Truppen erst völlig abziehen ... Geh!« Sie umfaßten einander und hielten sich lange umschlungen. – Beider Augen strahlten in ungewöhnlichem Glanze ... Endlich eilte Ketling fort und hinunter in die Gewölbe.

Wolodyjowski nahm den Helm von seinem Haupte. Noch eine Weile ruhten seine Blicke auf der Ruine, diesem Feld seines Ruhmes, auf dem Schutt, den Leichen, den Mauerblöcken, auf den Wällen und den Kanonen, – dann hob er die Augen gen Himmel und begann zu beten ...

Seine letzten Worte waren: »Gieb ihr, o Herr, die Kraft, dies Schicksal geduldig zu ertragen, gieb ihrer Seele Frieden!«

Ach! ... Ketling hatte sich beeilt und nicht einmal den völligen Abzug der Regimenter abgewartet: denn nun gerieten plötzlich die Bastionen ins Schwanken, ein furchtbares Krachen ertönte, und Zinnen, Türme, Mauern, Pferde, Kanonen, Lebende und Tote, Erdmassen, all das von Flammen umgeben und in einem wirren Chaos, wie zu einer grauenhaften Ladung zusammengepreßt, flog in die Luft ...

* * *

In solcher Weise endete Wolodyjowski, der Hektor von Kamieniec, der erste Krieger der Republik.

* * *

In dem Mittelschiff der Stiftskirche zu Stanislaw stand ein hoher Katafalk, rings von Kerzen dicht umgeben; darauf ruhte in zwei Särgen, einem bleiernen und einem hölzernen, Herr Wolodyjowski. Die Sargdeckel waren bereits geschlossen; die Leichenfeier fand soeben statt. – Es war der einzige Herzenswunsch der Witwe, die Leiche in Chreptiow zu bestatten; weil jedoch ganz Podolien in Feindeshand lag, sollte unterdessen die Beerdigung zu Stanislaw stattfinden, nach welcher Stadt die Kamieniecer » exules« unter türkischer Eskorte transportiert und den Truppen des Hetman ausgeliefert wurden. –

In der Stiftskirche läuteten sämtliche Glocken; die Kirche war überfüllt von Edelleuten und Soldaten, welche einen letzten Blick auf den Sarg des »Hektor von Kamieniec,« des ersten Kavaliers der Republik werfen wollten. Man flüsterte sich zu, daß der Hetman selbst zum Begräbnis eintreffen werde; weil er aber noch nicht erschienen war, dagegen jeden Augenblick der Ueberfall tatarischer Horden befürchtet werden mußte, wurde beschlossen, die Ceremonie nicht aufzuschieben.

Alte Soldaten, Freunde oder Untergebene des Verstorbenen, standen in einem Kreise um den Katafalk, unter ihnen Herr Muszalski, der Bogenschütze, desgleichen die Herren Motowidlo, Snitko, Hormyka, Nienaszymiec und Nowowiejski, sowie mehrere andere Offiziere des Standquartiers. Wunderbarer Weise fehlte fast keiner von denen, die einst auf den Bänken um das Chreptiower Herdfeuer so traulich bei einander gesessen hatten. Alle waren unversehrt aus diesem Kriege hervorgegangen, nur der Eine nicht, der ihr Führer und Vorbild gewesen. Dieser gute und gerechte Ritter, der ein Schrecken des Feindes, ein Liebesquell der Seinen, dieser Kämpfer ohnegleichen mit dem Herzen einer Taube – er lag hier hochgebettet inmitten strahlenden Lichtes, umflossen von der Glorie der Unsterblichkeit, aber in den Armen des Todes. – Die im Kriege gestählten Herzen der rauhen Soldaten zuckten vor Schmerz bei diesem Anblick; der gelbliche Schein der Kerzen umleuchtete strenge, vergrämte Gesichter und spiegelte sich in den Thränen, welche aller Augen entströmten.

Inmitten des Kreises der Soldaten lag Basia wie in Kreuzesgestalt ausgestreckt auf der Erde und neben ihr der alte, unbehilflich gewordene Herr Zagloba. Sie war von Kamieniec zu Fuß hierhergekommen, hinter dem Wagen schreitend, welcher den ihr so teuren Sarg führte, und jetzt kam der Augenblick heran, sich von ihm zu trennen und ihn der Erde zu übergeben.

Sie hatte den ganzen Weg wie geistesabwesend, wie nicht dieser Erde angehörend zurückgelegt und jetzt am Katafalk wiederholten ihre Lippen unbewußt die Worte: »Das will nichts heißen!« Sie wiederholte sie, weil der geliebte Mann ihr diese Worte hatte sagen lassen, weil es die letzte Botschaft war, die er ihr gesandt; allein die Wiederholung dieser Worte war nur ein leerer Schall für sie, ohne Inhalt, ohne Wahrheit, ohne Bedeutung, ohne jede Hoffnung, Nein, jenes »Nichts« war für sie ein Etwas voll tiefen Leides, voll Finsternis, Verzweiflung, Erstarrung, es bedeutete für sie ein unermeßliches Unglück, ein zerstörtes, gebrochenes Dasein; sie hatte das dumpfe Gefühl, daß es weder Barmherzigkeit noch Hoffnung für sie gebe, nur eine trostlose, ungeheure Leere, welche erst dann ausgefüllt werde, wenn Gott ihr den Tod sende.

Die Glocken läuteten; am Hochaltar war die Messe zu Ende. Zuletzt erklang die hohle Stimme des Priesters, die wie aus einem Abgrund hervor die Worte rief: » Requiescat in pace!« Ein konvulsivisches Zucken erschütterte Basias Körper und nur der einzige Gedanke kam ihr klar zum Bewußtsein: »Jetzt, jetzt werden sie ihn mir entreißen!« Allein die Ceremonie war noch nicht zu Ende. Man hatte in der Ritterschaft zahlreiche Reden vorbereitet, welche beim Hinabsenken des Sarges gehalten werden sollten. Auf der Kanzel aber erschien jetzt Vater Kaminski, er, der früher oft in Chreptiow zu Gast gewesen und der Basia während ihrer schweren Krankheit die letzte Oelung gereicht.

Die Leute in der Kirche begannen, wie gewöhnlich vor der Predigt, sich zu räuspern und zu husten, dann ward es stille und aller Augen wandten sich nach der Kanzel.

Jetzt erscholl von dort plötzlich Trommelgewirbel.

Die Zuhörer waren überrascht. Vater Kaminski schlug die Trommel, als ginge es zum Sturm; mit einemmale aber hielt er inne und Totenstille herrschte. Hierauf erscholl die Trommel zum zweiten- und zum drittenmale. Und plötzlich schleuderte der Geistliche die Trommelschlägel auf den Boden der Kirche nieder und rief:

»Herr Obrist Wolodyjowski!«

Ein krampfhafter Aufschrei Basias antwortete ihm. In der Kirche herrschte eine geradezu furchtbare Stimmung. Herr Zagloba hatte sich erhoben und trug mit Hilfe des Herrn Muszalski die ohnmächtig gewordene Frau aus der Kirche.

Mittlerweile rief der Priester mit schallender Stimme:

»Im Namen Gottes, Herr Wolodyjowski! Es wird Alarm geblasen! Der Krieg ist da! der Feind im Lande! Du aber springst nicht auf, greifst nicht zum Schwerte, besteigst nicht Dein Roß? Was ist mit Dir, Du tapferer Krieger? Hast Du Deiner alten Tugenden vergessen, daß Du uns so allein in Schmerz und Bangigkeit zurücklässest?«

Jetzt erfaßte tiefe Rührung die Herzen der Ritter und ein allgemeines Schluchzen brach in der Kirche aus und ließ sich mit immer wieder neuer Heftigkeit vernehmen, als der Priester die Tugenden, die Vaterlandsliebe und die Tapferkeit des Toten rühmte und pries.

Und der Prediger wurde durch seine eigenen Worte mit fortgerissen. Sein Antlitz erbleichte, seine Stirne bedeckte sich mit Schweiß, seine Stimme zitterte. Das Leid um den kleinen Ritter überwältigte ihn, das Leid um Kamieniec, das Leid um die Republik, welche durch die Bekenner des Islam dem Untergang geweiht schien, und er schloß seine Rede mit dem Gebet:

»O Herr! Sie werden die Kirchen in Moscheen umwandeln und den Koran lesen, wo bisher das heilige Evangelium verkündet wurde. Tief darnieder gebeugt hast Du uns, o Herr! Du hast Dein Antlitz von uns abgewendet und uns in die Gewalt der verruchten Türken gegeben. Unerforschlich sind Deine Wege! Doch wer, o Herr! soll jetzt dem Feinde Widerstand leisten? Welche Truppen sollen ihn an den Grenzen bekämpfen? Du, dem in der Welt kein Ding verborgen ist, Du weißt am besten, daß unsere Reiterei nicht ihresgleichen hat! Welche Reiterei könnte zu Deinem Preise vollführen, was die unsere vermag? Und dennoch nimmst Du uns die Verteidiger, welche der Schutz der ganzen Christenheit waren, so daß sie ruhig Deinen Namen preisen konnte? Gütiger Vater! Verlaß uns nicht! Erbarme Dich unser! Sende uns einen Helden! Laß uns dem verruchten Muhamed gegenüber einen Rächer erstehen! Laß ihn hierherkommen! Laß ihn unter uns erscheinen, daß er unseren gesunkenen Mut wieder aufrichte! Sende ihn, o Herr!«

In diesem Augenblick gab die Menge Raum an der Eingangspforte und in die Kirche trat der Hetman, Herr Sobieski. Aller Augen richteten sich auf ihn; ein Schauer ergriff die Menge, er aber schritt mit klirrenden Sporen auf den Katafalk zu, majestätisch, gewaltig, mit der Miene eines Cäsar ...

Ein Gefolge eisengepanzerter Ritter schritt hinter ihm her. –

»Salvator!« rief in prophetischer Begeisterung der Priester.

Er aber kniete nieder am Katafalk und betete für das Seelenheil Wolodyjowskis.

* * *


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