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IV

Einige Tage später fand die Eröffnung der Wahlprüfungen des Reichstages statt, in welcher, wie Ketling vorausgesagt, der damalige Smolensker Kämmerer und nachherige Witoyoker Wojwode, Herr Chrapowicki, zum Vorsitz berufen ward. Da es sich nur um die Festsetzung des Zeitpunktes der Königswahl handelte und um die Zusammensetzung des obersten Wahl-Kapitels – ein für Parteiintriguen nicht sehr dankbares Gebiet – so nahm die Versammlung einen ziemlich ruhigen Verlauf. Zu Anfang nur, während der Wahlprüfungen, ging es etwas heißer her. Als der Landbote Ketling die Rechtsgiltigkeit der Wahl des Herrn Kronintendanten von Bielsk und von dessen Amtsgenossen, des Herrn Fürsten Boguslaw Radziwill beanstandete, da rief aus der Zuhörerschaar eine gewaltige Stimme: »Ein Verräter! In fremdem Sold!« Auf diese Stimme folgten noch andere; einige Landboten schlossen sich ihnen an, und mit einem Male spaltete sich der Reichstag in zwei Parteien, von welchen die eine die Wahl der Bielsker Landboten für ungiltig erklärten, die andere diese Wahl bestätigen wollte. Schließlich einigte man sich, die Sache durch ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen, und es erkannte die Wahl an. Dennoch war dies Ereignis ein schwerer Schlag für den Fürsten Boguslaw. Allein schon der Umstand, daß darüber beraten ward, ob der Fürst würdig sei, im Reichstag zu sitzen, sowie die Thatsache, daß von all seinen Verrätereien und Treulosigkeiten zur Zeit des schwedischen Krieges öffentlich gesprochen wurde, bedeckte sein Haupt mit neuer Schmach in den Augen der Republik und mußte seine ehrgeizigen Pläne von Grund aus vernichten.

Er hatte berechnet, daß der Kampf zwischen den Condéschen, Neuenburgischen und Lothringischen Parteigängern, abgesehen von den kleineren Parteien, leicht dazu führen könne, die Wahl auf einen Inländer zu lenken. Seine Schmeichler und sein eigener Hochmut aber flüsterten ihm ein, wenn das geschehe, so könne dieser Inländer niemand anders sein, als ein Mann von hohem Genie und aus einem mächtigen, berühmten Geschlecht – mit einem Wort – er selbst.

Er wollte seine Absichten bis zu geeigneter Stunde geheim halten, hatte vorsorglich einstweilen sein Fanggarn über Litthauen ausgeworfen und war eben daran, auch in Warschau seine Netze auszuwerfen, als er plötzlich erkennen mußte, daß man sie ihm gleich zu Anfang zerriß und so stark durchlöcherte, daß alle gefangenen Fische mit leichter Mühe entweichen konnten. So knirschte er denn mit den Zähnen so lange die Wahlprüfungen währten. An Ketling konnte er nicht Rache nehmen, denn diesen schützte die Unverletzlichkeit des Landboten; darum verkündete er nun seinen Begleitern, wer ihm jenen Zuschauer nennen könne, der bei Ketlings Rede »Verräter! Judas!« gerufen, der erhalte eine Belohnung.

Zagloba war zu bekannt, als daß sein Name lange Zeit hätte verborgen bleiben können. Er hatte auch gar nicht die Absicht, ihn geheim zu halten. Der Fürst schlug immer größeren Lärm, geriet aber nicht wenig aus der Fassung, als er vernahm, daß sein Gegner ein so populärer Mann wie Herr Zagloba sei, mit dem anzubinden gefährlich war.

Zagloba war sich seiner Macht bewußt, denn als Drohungen gegen ihn laut wurden, ließ er sich bei einer größeren Adelsversammlung also vernehmen: »Ich weiß nicht, ob ein gewisser Jemand sich noch sicher fühlen könnte, würde mir auch nur ein Haar auf dem Haupte gekrümmt. Die Königswahl ist nahe, und wenn Hunderttausende von Schwertern brüderlich zusammenhalten, dann könnte es leicht zu einem blutigen Tanze kommen.«

Diese Worte erreichten das Ohr des Fürsten. Er biß sich auf die Lippen und lächelte dann höhnisch; aber in seinem innersten Herzen wußte er, Herr Zagloba habe nicht unrecht. Am folgenden Tage schon änderte er sein Verfahren dem alten Ritter gegenüber. Als Jemand an der Tafel des fürstlichen Kämmerers von Zagloba sprach, sagte Boguslaw:

»Dieser Edelmann ist ein großer Gegner von mir, wie ich höre, allein ich habe eine solche Vorliebe für ritterliche Degen, daß ich ihm selbst dann noch gut wäre, wenn er weiter versuchen sollte, mir zu schaden.«

Und eine Woche später wiederholte er das Gleiche Herrn Zagloba selbst gegenüber, als sie sich in dem Hause des Großhetman Sobieski trafen. Obwohl Zaglobas Antlitz ruhigen Gleichmut zeigte, war er doch innerlich erregt beim Anblick des Fürsten; denn Boguslaws Hand reichte weit und war allgemein gefürchtet. Der Fürst indeß rief über die ganze Tafel hinüber: »Mein Herr Zagloba, man hat mir berichtet, daß Ihr, obwohl Ihr kein Landbote seid, darnach trachtetet, mich unschuldigen Mann vom Reichstage auszuschließen; aber ich vergebe Euch dies nach Christenpflicht und ich stehe zu Euren Diensten, solltet Ihr eine Beförderung nötig haben.«

»Ich habe nur die Verfassung verteidigt,« erwiderte Zagloba, »wozu ich als Edelmann verpflichtet bin; quod attinet die Protektion, so ist mir wohl die Gottes am nötigsten, denn ich bin nicht mehr weit von den Neunzigen.«

»Ein schönes Alter, wenn es ebenso reich an Tugenden als an Jahren ist, woran ich übrigens nicht zweifeln will.«

»Ich diente meinem Vaterlande und meinem rechtmäßigen Herrn, ohne fremde Götter zu suchen.«

Der Fürst runzelte ein wenig die Stirn:

»Euer Liebden dienten auch gegen mich, ich weiß das wohl. Allein laßt uns endlich Frieden schließen – alles sei vergessen, auch das, daß Ihr dem Privathaß eines andern contra me behülflich waret. – Mit diesem andern werde ich noch Abrechnung halten; aber Euer Liebden reiche ich die Hand und biete Euch meine Freundschaft an.«

»Ich bin nur ein armer Mann und diese Freundschaft ist zu hoch für mich. Ich müßte mich zu weit zu ihr emporrecken oder zu ihr hinaufspringen, und im Alter fällt einem das schwer. Wenn Euer fürstliche Gnaden aber an eine Abrechnung mit meinem Freund, Herrn Kmicic denken, so würde ich ernstlich raten, von einer solchen Arithmetik abzusehen.«

»Aber warum das, wenn ich bitten darf?« frug der Fürst.

»Weil es in der Arithmetik vier Species giebt. – Obgleich Herr Kmicic ein hübsches Vermögen hat, ist es doch nur winzig klein im Vergleich zu dem Vermögen Eurer fürstlichen Gnaden und darum wird er sich zu einer Division nicht verstehen. Er selbst ist mit der Multiplikation beschäftigt und subtrahieren läßt er sich auf keinen Fall etwas. Höchstens wird er andern etwas addieren und ich weiß nicht, ob es Euer fürstliche Gnaden darnach gelüstet.«

Obgleich Boguslaw Gewandtheit im Wortgefecht besaß, so versetzte ihn entweder diese Art von Folgerung oder diese Dreistigkeit in ein solches Erstaunen, daß ihm das Wort im Munde stecken blieb. Die Anwesenden schüttelten sich vor Lachen; Herr Sobieski aber, laut auflachend, sagte: »Er ist ein alter Krieger von Zbaraj! Er führt eine gute Klinge und weiß auch die Zunge im Gefecht zu brauchen. Laßt ihn lieber in Ruhe!«

In der That, nachdem Boguslaw gemerkt, daß er es mit einem Unversöhnlichen zu thun habe, versuchte er nicht weiter, Zagloba zu gewinnen; er begann mit einem anderen zu sprechen und warf nur dann und wann über die Tafel giftige Blicke auf den alten Ritter.

Aber Sobieski, in froher Laune, fuhr fort: »Ihr seid ein Meister, Herr Bruder, wahrhaftig ein Meister! Habt Ihr in der Republik je Eures Gleichen gefunden?«

»Was den Säbel anbelangt,« erwiderte befriedigt über dies Lob Zagloba, »so hat mir's darin Wolodyjowski gleich gethan; und auch Kmicic hat von meiner Fechtkunst nicht übel gelernt.«

Bei diesen Worten schielte er nach Boguslaw, allein dieser that, als habe er nichts gehört und sprach sehr eifrig mit seinem Nachbar. »Ei,« sagte der Hetman, »den Wolodyjowski sah ich mehr als einmal an der Arbeit und würde mich für ihn verbürgen, auch wenn das Los der ganzen Christenheit auf dem Spiel stände. Es ist nur zu bedauern, daß ein solcher Schlag diesen Krieger betroffen hat.«

»Was ist ihm denn zugestoßen?« fragte Sarbiewski, der Schwertträger aus Ciechanow,

»Ihm starb auf einer Reise das Mädchen, welches er liebte,« antwortete Zagloba; »das Schlimmste aber ist, daß ich über seinen jetzigen Aufenthalt nirgends etwas erfahren konnte.«

»Beim Himmel,« rief der Krakauer Kastellan, Herr Warszycki, »ich habe ihn ja auf der Reise nach Warschau unterwegs getroffen; auch er reiste hierher, und er sagte mir, daß er aus Abscheu vor der Welt und ihren vanitates sich für Monte Regius vorbereite, um in Gebet und frommer Betrachtung sein kummervolles Dasein zu beschließen.«

Zagloba packte sich verzweiflungsvoll an den Ueberresten seines Haares: »Er ist unter die Kamaldulenser gegangen, so wahr mir Gott helfe!« schrie er ganz außer sich.

In der That, die Mitteilung des Kastellans übte auf alle eine mächtige Wirkung aus. Herr Sobieski, welcher die Krieger liebte und am besten wußte, wie nötig sie dem Vaterlande waren, war davon schmerzlich betroffen und sagte nach einer Weile: »Man soll sich der freien Selbstbestimmung eines Menschen und dem Willen der Allmacht nicht widersetzen, aber dieser Verlust ist schwer zu beklagen, und ich kann Euer Liebden nicht verhehlen, daß er mich schmerzt. Das war ein aus der Schule des Fürsten Jeremi hervorgegangener, vorzüglicher Krieger jedem Feind gegenüber, ganz unvergleichlich aber im Kampfe gegen Tatarenhorden und Raubgesindel. Es giebt nur einige wenige solcher Führer für Streifzüge in den Steppen, wie zum Beispiel den Herrn Piwo bei den Kosaken, oder den Herrn Ruszczyc bei den Binnentruppen; aber sogar diese stehen dem Herrn Wolodyjowski nach.«

»Es ist ein Glück, daß die Zeiten jetzt etwas ruhiger sind,« sagte der Schwertträger aus Ciechanow, »und daß die Heiden die durch das unbesiegbare Schwert meines gnädigsten Herrn erzwungenen Vertrage von Podhajce getreulich einhalten.«

Hierbei verneigte er sich vor Herrn Sobieski. Von Herzen erfreut über solch öffentliches Lob erwiderte dieser: »Das ist in erster Reihe der Gnade des Himmels zu danken, welcher mir gestattete, die Schwelle der Republik als Cerberus zu bewachen und den Feind ein wenig meine Zähne fühlen zu lassen – in zweiter Reihe aber der mutigen, zu allem bereiten Entschlossenheit tüchtiger Krieger. Daß der Khan gerne die Verträge halten möchte, das weiß ich wohl; aber in der Krim selbst revoltiert man gegen ihn und die Belgrader Horde hat ihm den Gehorsam gekündigt. Soeben habe ich die Nachricht erhalten, daß an der Moldauer Grenze Gewitterwolken aufsteigen und daß man den Einbruch feindlicher Raubzüge befürchtet. Ich habe Befehl gegeben, die Straßen sorgfältig zu bewachen, aber es fehlt mir an Soldaten. Wenn ich sie nach dem einen Platze sende, so wird eine Straße an dem andern frei. Ich hätte hauptsächlich Männer nötig, welche mit der Kampfesweise der Horden vertraut sind; darum kann ich auch den Wolodyjowski nicht so leicht verschmerzen.«

Jetzt erhob Zagloba den Kopf, den er zuvor zwischen seine Fäuste gepreßt hatte und rief: »Aber er darf kein Mönch werden, und wenn ich auf Moute Regius Sturm laufen und ihn mit Gewalt entführen müßte! Er wird doch wohl meinen Vorstellungen Gehör schenken; wenn aber nicht, dann wende ich mich an den Primas, an das Haupt der Kamaldulenser! Und müßte ich nach Rom reisen – ich fahre hin. Fern sei es von mir, Gott einen Diener abwendig machen zu wollen, aber wie soll der einen Kamaldulenser vorstellen, dessen Kinn so wenig mit Haaren bewachsen ist wie meine Faust! So wahr mir Gott helfe, er wird nie im Stande sein, eine Messe zu singen; thut er's aber doch, so werden alle Ratten aus der Kirche laufen, in der Meinung, einen alten Kater miauen zu hören. Verzeiht, meine gnädigen Herrn, diese Reden, welche mir der Schmerz auf die Zunge legt! Hätte ich einen Sohn, ich könnte ihn nicht mehr lieben, als ich diesen Mann geliebt habe, Gott sei mit ihm! Gott sei mit ihm! Wenn er noch Bernhardiner geworden wäre! Aber ein Kamaldulenser! So wahr ich lebe, das darf nicht sein. Gleich morgen will ich bei Sr. Eminenz, dem Primas, vorsprechen und mir ein Schreiben an den Prior erbitten.«

»Er kann noch kein Gelübde abgelegt haben,« warf der Großhetman ein. »Aber möchten ihn Euer Liebden nicht allzu sehr drängen, er könnte sonst nur um so hartnäckiger werden. Und man muß auch das in Rechnung ziehen: hat sich nicht in seinen Absichten der Wille Gottes geoffenbart?«

»Der Wille Gottes? Der Wille Gottes nimmt sich Zeit, sagt ja schon das alte Sprüchwort. Gut Ding will Weile haben. Wäre es Gottes Wille, so hätte ich solche Neigungen längst in ihm wahrgenommen. Aber er war kein Priester, sondern ein Dragoner. Wenn er zu einem solchen Entschluß mit ruhiger Vernunft und bei voller Ueberlegung gekommen wäre, so würde ich kein Wort darüber verlieren. Aber der Wille Gottes erfaßt einen verzweifelten Menschen nicht so wie ein Geier eine Ente. Ich will ihn nicht drängen. Ehe ich gehe, will ich mir vorher wohl überlegen, was ich ihm sagen kann, um ihn nicht gleich zu Anfang kopfscheu zu machen; aber ich vertraue auf Gott! Hat doch der kleine Ritter früher immer mehr meinem Witz vertraut als dem seinigen, und ich hoffe, daß es noch so ist, es wäre denn, daß er sich völlig verändert hätte.«


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