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XV

Sofort nach dem Verlöbnis machte sich der junge Herr Nowowiejski auf den Weg nach Raszkow, um daselbst eine Unterkunft für Frau und Fräulein Boski ausfindig zu machen und bis zu deren Ankunft wohnlich herrichten zu lassen, zwei Wochen später aber brach die ganze Karawane der bisherigen Gäste in Chreptiow auf. Diese bestand aus dem Herrn Nowiragh, den beiden Anardraten, den zwei Frauen Nerewicz und Kieremowicz, aus Seferowicz und aus dem alten Herrn Nowowiejski, ganz abgesehen von den armenischen Kaufleuten aus Kamieniec, der zahlreichen Dienerschaft und der bewaffneten Eskorte zur Bewachung der Wagen, der Lastfuhrwerke und der Saumtiere. Herr Piotrowicz, sowie die Abgesandten des Uzmiadzniker Patriarchen beabsichtigten in Raszkow nur so lange Rast zu machen, bis die nötigen Erkundigungen darüber eingezogen waren, ob an die Möglichkeit eines weiteren Fortkommens zu denken sei, um dann im bejahenden Falle die Reise nach der Krim unverweilt anzutreten. Alle andern wollten vorerst in Raszkow bleiben und wenigstens bis zum Beginn des Frühlings auf die Rückkehr der Gefangenen warten, war doch aufs neue Hoffnung auf deren Befreiung in die Herzen der darniedergebeugten Angehörigen eingezogen.

Die Reise nach Raszkow ließ sich für gewöhnlich recht beschwerlich an, führte doch der Weg durch eine öde Wildnis, über tiefe, steile Schluchten. Glücklicherweise war aber jetzt alles weithin mit reichlich gefallenem, trockenem Schnee bedeckt, wodurch das Weiterkommen unendlich erleichtert wurde. Die Wachsamkeit der Militärposten in Mohilow, Jampol und Raszkow gewährleistete überdies die persönliche Sicherheit, zumal Azba-Bey getötet und mit dem Raubgesindel aufgeräumt worden war; die Tataren aber unternahmen zur Winterszeit aus Mangel an Weideplätzen keine Einfälle.

Zudem hatte auch noch Adam Nowowiejski das Versprechen gegeben, mit wenigstens zwanzig Leuten den Ankommenden entgegenzureiten, falls er die Erlaubnis von Herrn Ruszczyc dazu erhalten sollte. So fuhr man denn in verhältnismäßig heiterer Stimmung dahin. Zosia wäre ja bereit gewesen, Herrn Adam bis ans Ende der Welt zu folgen, während Frau Boski und die beiden armenischen Frauen vertrauensvoller der Zukunft entgegensahen. Wohl lag zwar Raszkow in grausiger Einöde an der äußersten Grenze der Christenheit, doch man wollte ja nicht das ganze Leben dort verbringen, man wollte ja nur einen kurzen Aufenthalt daselbst nehmen. Es handelte sich jetzt vor allem darum, den Loskauf der Gefangenen so rasch wie möglich zu bewerkstelligen, um mit ihnen noch vor Ausbruch des drohenden Krieges in die Heimat zurückkehren zu können.

Ewa war bei Frau Wolodyjowski in Chreptiow geblieben, worüber sich der alte Herr Nowowiejski sehr glücklich fühlte, denn in solch ehrenwertem Hause wußte er seine Tochter gut aufgehoben.

»Ich werde sie Euch unter sicherer Obhut nachschicken oder sogar vielleicht selbst bringen,« hatte ihm Basia gesagt. »Das letztere ist sogar noch wahrscheinlicher, denn für's Leben gern möchte ich einmal jenen schauerlichen Landstrich sehen, über welchen ich von meiner frühesten Jugend an so viel gehört habe. Im Frühjahr, wenn die Wege von Tatarenhorden schwarz sind, wird mir mein Gatte kaum die Erlaubnis dazu geben, da aber Eva jetzt bei mir bleibt, kann ich schon einen Vorwand finden, um meinen Wunsch auszuführen. In etwa vierzehn Tagen fange ich zu bitten an, und in ungefähr drei Wochen habe ich die Zustimmung erhalten.«

»Ich hoffe auch, daß Euer Gatte, wohledle Frau, Euch selbst im Winter nicht ohne starke Bedeckung reisen lassen wird.«

»Möglicherweise bringt er mich selbst dahin, im entgegengesetzten Falle jedoch begleitet uns Azya mit wenigstens zweihundert Reitern, der ja, wie ich vernommen habe, ohnedies nach Raszkow kommandiert werden soll ...«

Der eigentliche Grund, weshalb Basia das Fräulein Nowowiejski bei sich zu behalten wünschte, war indessen bei dieser Unterredung nicht zur Sprache gekommen. Ihr lag hauptsächlich daran, Azya eine Annäherung an Ewa zu erleichtern, da sie das Wesen des jungen Tataren zu beunruhigen begann. Er hatte ihr zwar bei jedem Zusammentreffen auf ihre Frage geantwortet, er liebe Ewa, seine frühere Neigung für sie sei nicht erloschen, sobald er aber dem jungen Mädchen gegenüberstand, blieb er stumm. In der Chreptiower Einöde jedoch entbrannte Ewas Herz in immer wahnsinnigerer Liebe für ihn. Seine wilde, aber stolze Schönheit, seine fürstliche Herkunft, das Geheimnisvolle seines bisherigen Lebens, sein mächtiger Kriegsruhm, all dies übte, verbunden mit der Erinnerung an die gemeinsam verbrachten Kinderjahre, einen unendlichen Zauber auf sie aus. Unruhevoll harrte sie daher des Augenblickes, in dem sie ihm ihr flammendes Herz erschließen, in dem sie ihm, in die Arme sinkend und ewige Treue schwörend, sagen konnte: »Azya, ich habe Dich von Kindheit an geliebt!« Azya aber biß die Zähne zusammen und schwieg.

Ewa war anfänglich der Meinung gewesen, die Anwesenheit ihres Vaters und ihres Bruders habe Azya von einer Erklärung zurückgehalten. Allmählich ward sie aber von schwerem Bangen erfaßt, denn selbst bei der Annahme, daß Vater und Bruder besonders so lange Einsprache erheben würden, als sich der junge Tatar noch nicht im Besitze des Indigenats befand, hätte doch dieser ihr seine Liebe gestehen müssen, ja, er hätte sich ihr umso eher erklären sollen, je mehr Hindernisse sich ihm entgegentürmten.

Doch er verharrte nach wie vor in Schweigen.

Qualvolle Zweifel schlichen sich natürlicherweise in Ewas Herz, und sie klagte Basia ihr Unglück, die sie denn auch sofort zu beruhigen trachtete.

»Ich will durchaus nicht leugnen,« ließ sich Frau Wolodyjowski vernehmen, »daß Azya ein verschlossener, wunderlicher Mensch ist. Von seiner Liebe für Dich bin ich jedoch überzeugt, denn erstens hat er sich mir gegenüber selbst schon darüber geäußert, und zweitens schaut er Dich mit ganz andern Blicken an wie mich oder andere Menschen.«

Doch Ewa schüttelte traurig das Köpfchen und meinte:

»Daß er mich mit merkwürdigen Blicken ansieht, das ist sicher, nur weiß ich nicht, ob sie Haß oder Liebe bedeuten.«

»Meine liebe Ewa, wie Du nun wieder redest! Weshalb sollte er Dich denn hassen?«

»Weshalb sollte er mich denn lieben?«

»Warum liebt Michal denn mich, warum liebte Dein Bruder die Zosia Boski vom ersten Augenblicke an, da er sie zu Gesicht bekam?«

»Adam ist in allem sehr rasch.«

»Azya dagegen ist stolz und zurückhaltend, weil er fürchtet, von Deinem Vater, ja, selbst von Deinem Bruder abgewiesen zu werden, der, trotzdem er selbst so verliebt ist, vielleicht die Qualen eines unglücklich Liebenden nicht zu begreifen vermag. Das ist die alleinige Ursache! Sei nicht thöricht, Ewa, ängstige Dich nicht. Ich werde Azya tüchtig ausschelten, und Du sollst sehen, wie energisch er vorgehen wird.«

Thatsächlich führte auch Basia an dem gleichen Tage ein Zusammentreffen mit dem jungen Tataren herbei, und kaum hatte sie sich mit diesem ausgesprochen, so eilte sie spornstreichs zu Ewa.

»Alles in Ordnung!« rief sie schon auf der Schwelle.

»Wieso denn?« fragte Ewa errötend.

»Ich sprach folgendermaßen zu ihm: ›Was glauben denn Euer Liebden? Glauben vielleicht Euer Liebden, mir mit Undank lohnen zu dürfen? Absichtlich hielt ich Ewa hier zurück, um Euch Gelegenheit zu einer Erklärung zu geben. So Ihr Euch aber nicht bald erklärt, dann schicke ich Fräulein Boski entweder in zwei oder drei Wochen nach Raszkow, oder ich begleite sie selbst dahin. Dies sage ich Euch ganz offen. Und Euer Liebden haben dann das Nachsehen.‹ Kaum berührte ich aber nur die beabsichtigte Reise nach Raszkow, da veränderte sich plötzlich sein Gesichtsausdruck, und er neigte sich so tief vor mir, daß seine Stirne den Boden berührte. Da frage ich ihn natürlich, warum er mir nicht erwidere, worauf er sich sofort zum Reden anschickt. ›Unterwegs (sagte er) will ich alles bekennen, was meine Brust bewegt. Unterwegs (sagte er) bietet sich mir die beste Gelegenheit dazu, unterwegs wird sich all das erfüllen, was des Schicksals Wille ist. Alles (sagte er) will ich bekennen, alles offenbaren, denn nicht länger ertrage ich diese Qualen.‹ Fürwahr, er konnte kaum sprechen, so bebten seine Lippen, denn er war ohnehin schon sehr erregt, da ihm heute in der Frühe irgendwelche ungünstige Nachrichten aus Kamieniec zugegangen sind. Er setzte mir nun gleich auseinander, es sei schon lange geplant, daß er sich nach Raszkow begeben solle, mein Gatte habe die betreffende Weisung des Hetmans längst schon in Händen. Nur der Zeitpunkt sei bis jetzt noch nicht bestimmt gewesen, da man diesen von dem Erfolge der Unterhandlungen mit den Rittmeistern habe abhängig machen müssen. ›Nun aber,‹ sagte er weiter, ›nun aber ist der richtige Augenblick nahe! Mein Ziel liegt noch weiter entfernt, wie Raszkow, doch auf meinem Wege dahin kann ich Euer Gnaden, kann ich Fräulein Eva schützend geleiten.‹ Selbstverständlich teilte ich ihm nun mit, es sei noch gar nicht sicher, daß ich nach Raszkow reisen werde, es käme noch darauf an, ob Michal seine Einwilligung dazu gebe. Wie erschrak er aber, als er dies hörte! Ach, Du thörichte, thörichte Ewa, Du glaubst, er liebe Dich nicht! Zu Füßen fiel er mir, er bat, er flehte mich an, ich möge mit nach Raszkow reisen, ja er bettelte darum in solch ergreifendem, leidenschaftlichem Tone, daß mir die Thränen in die Augen traten. Und kannst Du den Grund hierfür erraten? Nun, er gestand mir ihn. ›Gern (sagte er) will ich mein Herz offenbaren, allein ohne Eure Fürbitte, wohledle Frau, werde ich bei dem Herrn Nowowiejski nichts ausrichten, im Gegenteile, die gegenseitige Erbitterung wird nur noch wachsen. In den Händen der gnädigen Frau ruht daher mein Los, von Euch hängt mein Gluck, meine Seligkeit ab. Die Erde möge mich verschlingen, das lebendige Feuer mich verzehren, so Ihr, wohledle Frau, auf die Reise nach Raszkow verzichtet!‹ Ja, so leidenschaftlich liebt er Dich! Diese Glut vermag man sich gar nicht vorzustellen. Du hättest Dich schön geängstigt, wenn Du ihn in dieser Erregung gesehen haben würdest.«

»Nein, nein, ich hätte mich nicht vor ihm geängstigt!« warf Ewa ein, indem sie Basias Hände mit Küssen bedeckte. »O, reise mit uns, reise mit uns!« rief sie hierauf in beschwörendem Tone, »Du allein kannst uns beistehen, Du allein besitzest den Mut, mit dem Vater zu reden, Du allein vermagst etwas auszurichten! Bitte, bitte, reise mit uns! Einen Fußfall will ich vor Herrn Wolodyjowski thun, damit er seine Erlaubnis erteile. Ohne Dich werden der Vater und Azya mit dem Messer aufeinander losgehen! Reise mit uns, reise mit uns!«

Bei diesen Worten glitt sie zu den Füßen Basias nieder und umfaßte schluchzend deren Knie.

»Gott gebe, daß ich mit Euch reisen kann!« rief Basia. »Ich werde Michal alles genau darstellen, ich werde unausgesetzt ihn um seine Einwilligung bestürmen. Ohne irgendwelche Besorgnis könnte man jetzt ganz allein reisen, geschweige also unter einer solch sicheren Bedeckung. Vielleicht schließt sich Michal auch uns an, thut er dies aber nicht, so ist er viel zu gutherzig, um mir die Erlaubnis zu verweigern. Im ersten Augenblick freilich wird er auffahren, sieht er aber erst meine Betrübnis, dann geht er so lange um mich herum und schaut mir in die Augen, bis er seine Zustimmung giebt. Gar gern möchte ich, daß er mit uns geht, denn sonst wird mich die Sehnsucht nach ihm verzehren, doch da ist eben nichts zu machen – ich muß auch ohne ihn reisen, ich muß Euch beistehen. Ich komme hier nicht in Betracht, handelt es sich doch um das Geschick von Euch beiden. Michal liebt Dich sehr, ist sehr für Azya eingenommen – er giebt seine Einwilligung.«

Nach der Unterredung mit Basia eilte der Sohn von Tuchay-Bey in solch freudiger Erregung, in solch gehobener Stimmung auf seine Stube, als ob er plötzlich von einer schweren Krankheit genesen sei. Denn bevor er mit Basia gesprochen hatte, war seine Seele von wilder Verzweiflung ergriffen gewesen, hatte er doch in der Frühe einen wenig erfreulichen Brief des Herrn Bogusz erhalten, worin dieser schrieb:

»Mein lieber Azya! Ich bleibe in Kamieniec und komme nicht nach Chreptiow aus zweierlei Gründen. Erstens fühle ich mich zu ermüdet dazu, und zweitens habe ich dort gar nichts zu suchen. In Jaworow bin ich gewesen. Der Herr Hetman weigert sich indessen nicht nur, Dir eine schriftliche Vollmacht zu erteilen und durch seinen Namen Deinen wahnwitzigen Plänen Vorschub zu leisten, sondern er gebietet Dir strenge und bei Verlust seiner Gnade, davon abzustehen. Auch ich bin zu der Erkenntnis gelangt, daß alles, was Du mir sagtest, wertlos ist. Fürwahr, sündhaft wäre es für ein verfeinertes, christliches Volk, sich mit Heiden in solche Praktiken einzulassen, wie es auch eine Schmach vor der ganzen Welt sein würde, Diebe, Räuber und Mordgesindel, durch das so viel unschuldiges Blut geflossen ist, mittelst Adelsprivilegien auszuzeichnen. In Anbetracht alles dessen beschränke Dich in Deinen Anforderungen, hoffe nicht auf die Würde eines Hetmans, welche Dir nie zu teil werden wird, trotzdem Du der Sohn von Tuchay-Bey bist. So Du Dir aber die Gunst des Hetmans rasch wieder erwerben willst, bescheide Dich, das zu bleiben, was Du bist, und trachte darnach, die Verhandlungen mit Kryczynski, Tworowski, Andorowicz und mit all den andern zu einem befriedigenden Abschluß zu führen. Damit kannst Du Dich hoch verdient machen.

Die Weisungen des Hetmans bezüglich Deines Vorgehens in der betreffenden Angelegenheit sende ich Dir mit diesem Schreiben, wie auch den Befehl des Oberfeldherrn an Herrn Wolodyjowski, Dir in keiner Weise entgegenzutreten, so Du es in irgend einer Zeit für angemessen erachten solltest, Dich mit Deinen Leuten nach Raszkow aufzumachen. Es wird wohl geboten sein, daß Du Dich zur Besprechung mit jenen Rittmeistern dahin begiebst. Dringende Eile ist wünschenswert. In Kamieniec erwarte ich eingehende Nachrichten von Dir. Indem ich Dich der Obhut Gottes empfehle, verbleibe ich mit unverändertem Wohlwollen

Marcin Bogusz von Zieblic,
Untertruchseß aus Nowogrod.«

Nach Empfang dieses Briefes war der junge Tatar in einen wahren Wutanfall geraten. Bald zerknitterte er das Schreiben in seinen Händen, bald stieß er seinen Dolch mit aller Gewalt in den Tisch, schließlich aber wollte er nicht nur sich selbst das Leben nehmen, sondern bedrohte Halim, der ihn auf den Knien anflehte, sich zu beherrschen, sich in seinem wilden Zorn, in seiner leidenschaftlichen Verzweiflung zu keiner Unthat hinreißen zu lassen. Jener Brief war aber auch für Azya ein entsetzlicher Schlag. Die Luftschlösser, die er in seinem Ehrgeiz, in seiner Hoffart errichtet hatte, sie stürzten zusammen, all sein Hoffen war vernichtet. Sein Trachten, als dritter Hetman das Schicksal der Republik gewissermaßen in der Hand zu haben und nach Gutdünken lenken zu können, es war gescheitert, er blieb nach wie vor der unbedeutende Offizier, dessen Ehrgeiz in der Erlangung des Indigenats gipfelte. Was hatte er sich nicht schon alles in seiner feurigen Phantasie ausgemalt! Ganze Volksscharen hatte er vor sich erscheinen sehen, die sich alle vor ihm bis zur Erde neigten, und nun, nun mußte er andern diese Ehrenbezeugung erweisen. Welchen Wert hatte es nun für ihn, daß er der Sohn von Tuchay-Bey war, daß das Blut dieses gewaltigen Kriegers in seinen Adern rollte, was nützten ihm die himmelstürmenden Gedanken, die seine Seele bewegten – nichts, nichts! Von der Welt vergessen, wird er dereinst in einem entlegenen Fort sterben! Das eine Wörtchen »nein« hat ihm die Flügel zerschmettert! Nicht mehr frei wie der Adler wird er hinfürder in den Höhen kreisen, auf der Erde wird er kriechen wie ein elender Wurm.

Doch wollte dies alles nichts bedeuten im Vergleiche zu dem noch schwereren Geschicke, das ihn bedrohte. Sie, für die er freudig sein Leben, seine ewige Seligkeit hingegeben hätte, sie, um die er sich in glühender Leidenschaft verzehrte, die er mit seinem ganzen Sinn, die er über alles liebte – sie blieb ihm nun verloren. Durch jenen Brief, der ihn des Feldherrnstabs beraubte, war auch sie ihm geraubt worden. Hatte nicht Chmielnicki das Weib des Czaplinski entführt, weshalb hätte es dem mächtig gewordenen Azya, dem Hetman Azya nicht gelingen sollen, das Weib von Wolodyjowski zu entführen und dessen Besitz gegen die ganze Republik zu behaupten? Was aber konnte der unbedeutende Offizier Azya ausführen, er, der mit seiner Schwadron von Lipkern unter dem Kommando Wolodyjowskis stand?

Wild stürmten alle diese Gedanken auf ihn ein, düster und traurig erschien ihm die Welt rings umher. Ob es nicht besser sei, zu sterben, als solch ein Dasein zu führen, als zu leben ohne Glück, ohne Hoffnungsstrahl, ohne das geliebte Weib? so fragte sich der Sohn von Tuchay-Bey. Mußte ihn denn nicht der Entschluß des Hetmans, der ihn so unerwartet traf, der ihn aus allen seinen Himmeln riß, völlig darniederbeugen? Alle seine Hoffnungen entschwanden wie der Nebel vor dem Winde. Was blieb ihm übrig? Auf Ruhm, auf Größe, auf das Glück sollte er verzichten! Nein, dessen war er nicht fähig! Im ersten Augenblick überwältigten ihn die Wut, die Verzweiflung. Wie Feuer rann es ihm durch die Adern, ein brennender Schmerz zehrte ihm am Mark, er heulte, er knirschte mit den Zähnen. Flammende Rachegedanken durchkreuzten sein Gehirn – Rache wollte er nehmen an dem Hetman, an Wolodyjowski, ja, selbst an Basia. Er wollte sich mit seinen Lipkern erheben, die ganze Besatzung, alle Offiziere niedermachen, Chreptiow zerstören, den Kommandanten töten, Basia entführen und mit ihr, über die Moldau flüchtend, weit, weit fort nach der Dobrucza, nach Carogrod oder gar nach der asiatischen Wildnis fliehen.

Allein der treue Halim wachte über ihn, und Azya selbst erkannte, nachdem der erste Zornesausbruch vorüber war, die Unausführbarkeit seiner Rachepläne. Azya ähnelte auch darin dem Chmielnicki, daß er, wie dieser, den Mut des Löwen mit der Klugheit der Schlange in sich vereinigte. Was erreichte er denn, wenn er Chreptiow mit seinen getreuen Lipkern überfällt? Ist es überhaupt möglich, den wie einen Kranich wachsamen Wolodyjowski unverhofft zu überfallen? Und gesetzten Falles, es gelänge dies, wäre selbst dann auch nur ein Schein der Möglichkeit vorhanden, diesen ruhmreichen Führer der Streifzüge zu überwältigen, diesen tapferen Krieger, der zudem über bedeutende Streitkräfte verfügte und die große Erfahrung voraushatte? Doch angenommen, er, Azya, bliebe der Sieger, was stünde ihm dann bevor? Zieht er mit dem Laufe des Flusses gen Jahorlik zu, so muß er unterwegs die Militärposten in Mohilow, Jampol und Raszkow aufheben, begiebt er sich aber, den Fluß überschreitend, in die Moldau, so stößt er auf die Perkulaber, welche dem Wolodyjowski in Freundschaft zugethan sind, und auf Habareskul aus Chocim, der diesen verbrüdert ist, und will er sich mit Doroszenko vereinigen, hat er die Militärposten in dem Gebiete bei Braclaw in Betracht zu ziehen, ganz abgesehen von den polnischen Streifzügen, die zur Winterszeit stets in der Steppe zu finden sind. Angesichts all dieser Umstände erkannte der Sohn von Tuchay-Bey seine Ohnmacht, und während ihn zuvor glühende Leidenschaft, wilder Rachedurst durchglüht hatten, versank er jetzt, gleich dem verwundeten Raubtiere, das sich in dunkler Höhle verbirgt, in dumpfe Verzweiflung.

Und wie auf jeden maßlosen Schmerz eine apathische Ruhe, eine gewisse Erstarrung folgt, so überkam auch jetzt Azya diese Ruhe, diese Erstarrung.

In diesem Augenblick aber wurde gemeldet, die Frau Obristin wünsche ihn zu sprechen, und als er von dieser Unterredung zurückkehrte, da war er so verändert, daß Halim ihn kaum wieder erkannte. Die Starrheit war von seinem Antlitz gewichen und hatte dem Ausdruck grimmiger Freude Platz gemacht, seine Augen funkelten wie die einer Wildkatze, unter dem Schnurrbart blitzten die Spitzzähne hervor, kurz, noch nie zuvor hatte er in seiner wilden Schönheit dem schrecklichen Tuchay-Bey so ähnlich gesehen.

»Mein Herr und Gebieter,« fragte Halim, »auf welche Weise hat Dir der Himmel Trost gespendet?«

»Halim!« antwortete Azya darauf, »nach finsterer Nacht schafft Gott den Tag und gebietet der Sonne aus dem Meere zu steigen. Halim (hier packte er den Tataren an den Schultern), noch wenig Wochen, und sie ist auf ewig die Meine.«

Und bei diesen Worten erstrahlte das dunkle Antlitz Azyas in solcher Schönheit, daß sich Halim vor ihm, zum Zeichen der Verehrung, bis zur Erde neigte.

»Sohn des Tuchay-Bey, Du bist groß und mächtig, und die Bosheit der Ungläubigen kann Dir nichts anhaben.«

»Höre mich!« sagte Azya.

»Ich höre, Sohn des Tuchay-Bey.«

»Wir ziehen an das blaue Meer, woselbst nur die Gipfel der Berge mit Schnee bedeckt sind, und kehren wir jemals in diese Gegend zurück, dann sei es an der Spitze von Heerscharen, so zahlreich, wie der Sand am Meere, wie die Blätter in dieser ungeheuren Wildnis, dann sei es, um alles rings umher mit Feuer und Schwert zu verheeren. Du, Halim, Sohn des Kurdluk, Du machst Dich noch heute auf den Weg. Du suchst den Kryczynski auf und sagst ihm, er möge sich von der anderen Seite gen Raszkow heranschleichen. Adurowicz aber, Morawski, Aleksandrowicz, Grocholski, Tworkowski und wer nur immer von den Lipkern und den Czeremisen lebt, sie alle mögen mit ihren Scharen gegen die Militärposten vorrücken. Die Horden jedoch, die sich unter Doroszenko in den Winterquartieren befinden, sollen in dem Gebiete um Humanj Unruhen erregen, damit die Besatzungen von Mohilow, Jampol und Raszkow gegen sie in die fern gelegene Steppe ausziehen müssen. Auf dem Wege, den ich nach Raszkow einschlage, dürfen sich keine Kriegsscharen mehr befinden, denn in Asche und Trümmer soll alles verfallen, was hinter mir bleibt.«

»Gott stehe Dir bei, o Herr!« rief Halim, sich vor Azya niederwerfend.

Dieser aber beugte sich zu jenem nieder und befahl ihm nochmals in eindringlichem Tone:

»Boten schicke aus, Boten schicke aus! Denn kaum einen Monat haben wir noch Zeit!«

Nachdem er Halim entlassen hatte, fing er inbrünstig zu beten an, strömte doch seine Brust über von Glückseligkeit, von Dankbarkeit gegen Gott.

Und während er betete, fiel sein Blick unwillkürlich durch das Fenster auf seine Lipker, welche ihre Pferde zur Tränke an die Brunnen führten. Auf dem Waffenplatze herrschte geradezu ein Gewimmel. Ihre eintönigen Gesänge leise vor sich hinsingend, zogen die Lipker die knarrenden Brunnenschwengel, um dann das Wasser in die Tröge zu schütten. Der aus den Nüstern der schnaubenden Pferde emporsteigende Dampf verhüllte gleich einem Nebelschleier zeitweise das Bild. Plötzlich trat Herr Wolodyjowski im Pelz und mit kalbsledernen Stiefeln bekleidet, aus dem Hauptgebäude, und begann, auf die Leute zueilend, mit diesen zu reden. In strammer Haltung und ganz gegen die orientalische Sitte ihre Häupter entblößend, lauschten die Lipker den Worten ihres Obristen.

Bei diesem Anblick hielt Azya in seinem Gebet inne und murmelte vor sich hin:

»Wohl bist Du ein Falke, allein Du vermagst mich doch nicht in meinem Fluge einzuholen, in Schmerz und Gram bleibst Du in Chreptiow zurück.«

Nachdem Herr Wolodyjowski einige Zeit mit den Soldaten gesprochen hatte, kehrte er wieder in das Hauptgebäude zurück, und aufs neue erschollen auf dem Waffenplatze die Gesänge der Lipker, das Schnauben der Pferde und das wehmütige, aber gleichzeitig auch durchdringende Knarren der Brunnenschwengel.


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