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VI

Noch während einer ganzen Woche lag Basia so schwer darnieder, daß ohne die beruhigende Erklärung des Arztes sowohl der kleine Ritter als Herr Zagloba ein Erlöschen der schwachen Flamme ihres Lebens für möglich gehalten hätten. Nach Ablauf dieser Zeit aber trat eine merkliche Besserung ein; sie war wieder völlig bei Bewußtsein, und wenn auch der Arzt voraussah, daß sie noch einen Monat oder auch noch einen halben Monat länger das Bett werde hüten müssen, so war es doch außer Zweifel, daß sie völlig genesen und ihre frühere Gesundheit wiedererlangen werde.

Wolodyjowski, der während ihrer Krankheit nicht einen Schritt von ihrem Bette wich, liebte sie jetzt, da die Gefahr überstanden war, womöglich noch inniger als zuvor und vergaß um ihretwillen die ganze Welt. Wenn er an ihrem Lager saß und in dies blasse, abgezehrte und doch fröhliche Gesichtchen blickte, und in diese Augen, in welche allmählich das frühere Feuer wiederkehrte, da hätte er lachen und weinen und vor Entzücken aufschreien mögen: »Meine einzige Basia wird genesen, sie wird genesen!«

Und er beugte sich leidenschaftlich über ihre Hände und küßte zuweilen die armen kleinen Füßchen, welche so tapfer durch den tiefen Schnee nach Chreptiow gewandert waren; mit einem Worte, seine Liebe und Verehrung für sie kannte keine Grenzen. Und sein Dankgefühl gegen die Vorsehung war ein so überströmendes, daß er einmal in Gegenwart Zaglobas und der Offiziere sagte:

»Ich bin nur ein armer Teufel, aber wenn ich mir die Hände bis an den Ellbogen abarbeiten müßte, ein Kirchlein will ich errichten, und wenn es auch nur von Holz wäre. Und so oft seine Glocken läuten, will ich der Barmherzigkeit Gottes gedenken, und das Herz in der Brust wird mir in tiefer Dankbarkeit zerfließen.«

»Gebe Gott, daß wir zunächst diesen türkischen Krieg glücklich überstehen,« sagte Herr Zagloba.

Da bewegte sich das Schnurrbärtchen des kleinen Ritters, und er sagte:

»Der liebe Gott weiß am besten, was ihm dienen mag. Wenn er das Kirchlein will, dann wird er mich beschützen, will er aber mein Blut, so werde ich auch damit nicht geizen, so wahr mir Gott lieb ist.«

Basia gewann mit der Gesundheit auch ihren Humor wieder. Nach zwei Wochen befahl sie eines Abends, die Thüre ihres Zimmers ein wenig zu öffnen, und als die Offiziere sich in der Gaststube versammelt hatten, da erklang plötzlich eine silberne Stimme:

»Guten Abend, meine Herren! Diesmal ist's nichts mit dem Sterben, aha!«

»Dank sei dafür dem allerhöchsten Gott,« antworteten im Chor die Offiziere.

»Gepriesen sei der Herr, liebliches Kind,« Anmerk. d. Uebersetzerinnen: in ruthenischer Sprache. rief Herr Motowidlo, welcher Basia mit der Liebe eines Vaters liebte; im Augenblicke tiefer Erregung sprach er ruthenisch.

»Denkt, Ihr Herren, was alles geschehen ist! Wer hätte das erwartet! Ein Glück, daß die Sache solchen Ausgang nahm!«

»Der Himmel stand der Unschuld bei,« so erschallte es im Chor wieder durch die Thüre.

»Wie oft lachte Herr Zagloba über mich, weil ich mehr den Säbel als den Spinnrocken liebe. Jawohl! Ein Spinnrocken oder eine Nadel hätte mir da viel geholfen! Und ich habe mich doch ganz ritterlich aus der Sache gezogen? Nicht?«

»Ein Engel hätte es nicht besser machen können!«

Die weitere Unterhaltung schnitt Herr Zagloba durch das Schließen der Thüre ab, denn er fürchtete, Basia werde sich zu sehr ermüden. Allein sie pfauchte wie eine kleine Katze, als er das that, denn sie hätte gern noch weiter geplaudert und besonders noch gern weitere Lobpreisungen ihrer Tapferkeit und Männlichkeit vernommen. Jetzt, nachdem die Gefahr vorüber war und nur noch die Erinnerung daran blieb, erwachte in ihr der Stolz über die Art, wie sie Azya gegenüber gehandelt, und sie trug ein gewaltiges Verlangen darnach, gelobt zu werden. Mehr als einmal wandte sie sich an den kleinen Ritter, und an seine Brust mit dem Finger tippend, sagte sie mit der Miene eines verwöhnten Kindes:

»Lob für die Tapferkeit!«

Und er, der Gehorsame, pries und hätschelte sie und küßte ihre Hände und Augen, so daß Herr Zagloba, obwohl er selbst innerlich ein Uebermaß zärtlicher Gefühle für sie hegte, mit erkünsteltem Aerger brummte:

»Ha! Jetzt geht man mit ihr so sanft um, wie der Großvater mit der Peitsche!«

Die allgemeine Freude über Basias Genesung wurde nur durch den Gedanken an den Nachteil getrübt, welchen Azyas Verrat der Republik brachte, und an das entsetzliche Schicksal des alten Herrn Nowowiejski, der Frauen Boski und Ewas. Basia grämte sich nicht wenig darüber, und die andern grämten sich mit ihr; die Ereignisse in Raszkow waren jetzt in ihren Einzelheiten bekannt geworden, und nicht allein in Chreptiow, sondern auch in andern Orten. Vor einigen Tagen noch hatte Herr Mysliszewski in Chreptiow vorgesprochen, und ungeachtet der Verrätereien Azyas, Kryczynskis und Adurowiczs hegte er noch die Hoffnung, die übrigen Führer auf Polens Seite zu ziehen. Nach Herrn Misliszewski kam auch Herr Bogusz, und nach ihnen langten direkte Nachrichten von Mohilow, Jampol und selbst aus Raszkow an.

In Mohilow hatte sich Herr Gorzenski, der offenbar tüchtiger als Krieger denn als Redner war, nicht hintergehen lassen. Er fing Azyas Befehl an die zurückgelassenen Lipker auf und überfiel diese nun selbst mit einer Handvoll masurischen Fußvolkes und machte sie zum Teil nieder, zum Teil nahm er sie gefangen; überdies sandte er ein Warnungsschreiben nach Jampol und rettete dadurch auch diesen Ort vor dem Verderben. Die Besatzungstruppen kehrten bald nachher zurück; so war denn Raszkow das einzige Opfer.

Herr Michal erhielt einen Brief von Herrn Byaloglowski, worin dieser über die dort stattgehabten Begebenheiten und sonstige, die gesamte Republik betreffenden Angelegenheiten sich äußerte:

»Es war ein Glück, daß ich dorthin kam, – schrieb Herr Byaloglowski unter anderem –, da Nowowiejski, der meine Stelle vertrat, jetzt nicht imstande ist, seinen Dienst zu versehen. Er gleicht mehr einem Skelett als einem Menschen, und sicherlich droht uns der Verlust dieses tüchtigen Kavaliers, denn Gram und Kummer beugen ihn maßlos darnieder. Sein Vater wurde hingemordet, seine Schwester unter den schmählichsten Mißhandlungen an Adurowicz durch Azya verschenkt, welcher sich selbst das Fräulein Boski zueignete. Wir erfuhren alles dies durch einen Lipker, welcher sich bei einem Flußübergang die Schulter verrenkte, von unseren Leuten gefangen wurde und unter den Qualen der Kohlenfeuertortur solches aussagte. Azya, der Sohn des Tuchay-Bey, Kryczynski und Adurowicz sind weit fort, bis nach Adrianopel gezogen. Nowowiejski will ihnen mit aller Gewalt nachfolgen, denn er sagt, daß er den Azya, und wäre es auch aus des Sultans Hoflager, herausholen und Rache haben müsse für das, was er ihm angethan. Er war immer hartnäckig und entschlossen, und jetzt ist auch kein Grund vorhanden, sich darüber zu verwundern, da es sich um Fräulein Boski handelt, deren trauriges Los wir alle bitter beweinen, denn sie war ein liebes Mädchen, und ich kenne keinen Mann, dessen Herz sie nicht gewonnen hatte. Allein ich suche Nowowiejski zurückzuhalten, indem ich ihm vorstelle, daß Azya ihm selber gegenübertreten wird, denn der Krieg ist gewiß, und ebenso gewiß ist es, daß die Horden ins erste Treffen kommen. Wir haben Nachrichten aus der Moldau von den Perkulabs, ja, sogar von türkischen Kaufleuten, daß sich schon Truppen bei Adrianopel zusammenziehen; darunter die Tatarenhorden in ungeheurer Anzahl. Auch die türkische Reiterei, welche sie »Spahis« nennen, sammelt sich, und der Sultan selbst kommt mit seinen Janitscharen herangezogen. Euer Liebden, das wird ein unabsehbares Gewimmel sein, denn der ganze Orient ist in Bewegung, und wir haben nur eine Handvoll Truppen. – Unsere ganze Hoffnung ruht auf dem Felsen von Kamieniec, welche Veste, gebe es der Himmel, genügend mit Vorräten versehen werden möge. In Adrianopel ist bereits der Frühling eingezogen, und bei uns ist es nahe daran, denn es sind starke Regengüsse eingetreten und die Wiesen beginnen zu grünen. Ich gehe nach Jampol, denn Raszkow ist nur noch ein Aschenhaufen, und es giebt dort keinen Platz, wo man sein Haupt niederlegen könnte oder wo Nahrungsmittel zu finden wären. Ueberdies glaube ich, daß man binnen kurzem uns alle mit unseren Mannschaften abberufen wird.«

Der kleine Ritter hatte Nachrichten über den unvermeidlichen Ausbruch des Krieges, die ebenso sicher, wenn nicht noch sicherer waren, denn sie stammten aus Chosim. Er hatte sie erst kürzlich dem Hetman zugesandt. Gleichwohl machte Byaloglowskis Brief, der aus der äußersten Grenzstation kam, durch seine Bestätigung jener Nachrichten einen mächtigen Eindruck auf ihn. Nicht den Krieg fürchtete der kleine Ritter, seine Befürchtungen galten lediglich Basia.

»Der Befehl des Hetmans, die Besatzungen abzuberufen,« sagte er zu Herrn Zagloba, »kann jeden Tag eintreffen und – Dienst ist Dienst – es kann ein sofortiger Aufbruch nötig werden. Aber Basia muß noch das Bett hüten, und das Wetter ist schlecht.«

»Und wenn zehn Befehle kämen,« erwiderte Herr Zagloba, »Basia ist die Hauptsache; wir bleiben hier, bis sie vollends genesen ist. Ueberdies kann der Krieg nicht vor Ende des Winters, noch vor Ablauf des Tauwetters beginnen, umsoweniger als sie zu der Belagerung von Kamieniec schweres Geschütz mitbringen müssen.«

»In Dir steckt doch immer noch der alte Volontär,« sagte der kleine Ritter ungeduldig, »Du glaubst, ein Befehl könne um persönlicher Angelegenheiten willen hintangesetzt werden!«

»Ha! Wenn der Befehl Dir werter ist als Basia, dann lade sie auf einen Wagen und mach Dich auf den Weg. Ich weiß schon, ich weiß, Du wärst dem Befehl zulieb imstande, sie mit einer Mistgabel aufs Fuhrwerk zu heben, wenn es sich zeigen würde, daß ihre eigenen Kräfte nicht ausreichten, es zu besteigen. Hol Euch der Geier mit Eurer Disziplin! – In früherer Zeit that ein Mann, was möglich war, und was nicht möglich war, das ließ er bleiben ... Da führt Ihr Barmherzigkeit im Mund, – aber es braucht nur der Ruf zu erschallen: Vorwärts gegen die Türken! dann spuckt Ihr sie aus wie einen Fruchtkern und führt das arme Weib an einem Sattelstrick neben dem Pferd einher.«

»Ich hätte kein Mitleid mit Basia? Bei den Wundmalen Christi, das ist doch zu viel!« rief der kleine Ritter.

Herr Zagloba atmete noch eine Weile heftig und hörbar in seinem Zorn, bis er in des kleinen Ritters kummervolles Antlitz schaute; dann sagte er:

»Michal, Du weißt, wenn ich etwas sage, so sage ich es aus wirklicher väterlicher Liebe für Basia. Würde ich sonst hier unter dem türkischen Beil sitzen, anstatt in einem sicheren Winkel der Ruhe zu pflegen, was mir in meinem Alter niemand verdenken könnte? Und wer hat Dir Basia zum Weib gegeben? Wenn ich es nicht war, dann laßt mich ein Faß voll puren Wassers austrinken, ohne irgend eine Beimischung, die ihm Geschmack giebt.«

»Mein ganzes Leben genügt nicht, Dir dafür zu danken!« rief der kleine Ritter.

Und nun umarmten sie sich und die schönste Eintracht herrschte wieder unter ihnen.

»Ich habe mir die Sache so ausgedacht,« sprach der kleine Ritter, »daß Du im Fall des Krieges Basia mit Dir nimmst und sie zu Skrzetuskis in das Lukower Gebiet führst. So weit werden die Tatarenhorden doch nicht kommen!«

»Das will ich Dir zulieb gern thun, wiewohl ich große Lust hätte, gegen die Türken zu ziehen, denn für mich giebt es nichts Niederträchtigeres, als dieses Sauvolk, das nichts vom Wein wissen will!«

»Ich fürchte nur das Eine, daß nämlich Basia darauf bestehen wird, nach Kamieniec zu gehen, um in meiner Nähe zu sein. Mir schaudert die Haut bei diesem Gedanken, aber so wahr Gott lebt, sie wird darauf bestehen!«

»Dann gestatte es nicht! Ist denn nichts Schlimmes daraus erwachsen, daß Du ihr in allem nachgegeben hast und sie mit der Expedition nach Raszkow gehen ließest, wiewohl ich gleich von Anfang an dagegen war!«

»Ah, das ist nicht wahr! Du sagtest damals, Du wolltest Dich jeden Wortes enthalten!«

»Sobald ich sage, daß ich mich des Rates enthalten will, dann bedeutet das noch mehr, als wenn ich abgeraten hätte.«

»Wohl könnte jetzt Basia klüger geworden sein, aber man richtet mit ihr nichts aus! Wenn sie das Schwert über meinem Haupt sieht, wird sie auf ihrem Sinn bestehen!«

»Dann gestatte es eben nicht, wiederhole ich! Beim Himmel, was ist das für eine Strohpuppe von einem Ehemann!«

»Ich gestehe, wenn sie die Fäustchen an die Augen preßt und zu weinen beginnt, oder auch nur so thut, als ob sie weine, so schmilzt gleich mein Herz wie Butter in der Pfanne. Es ist nicht anders möglich, sie hat mir irgend einen Zaubertrank eingegeben. – Sie fortschicken, das will ich schon, denn ihre Sicherheit ist mir mehr wert als mein eigenes Leben; allein wenn ich daran denke, daß ich ihr weh thun soll, dann, bei Gott, stockt mir der Atem in der Brust.«

»Michal, faß Dir doch ein Herz! Laß Dich nicht an der Nase herumführen.«

»Bah, faß Dich an Deiner eigenen Nase! Wer hat denn gesagt, ich hätte kein Mitleid mit ihr?«

»Was?« sagte Zagloba.

»Dir fehlt es nicht an Scharfsinn, aber jetzt kratzest Du Dich selbst hinter den Ohren!«

»Ich denke darüber nach, wie man's ihr am besten ausreden könnte!«

»Aber wenn sie nun mit einemmal die Fäustchen an die Augen drückt?«

»Sie drückt sie an die Augen, so wahr Gott lebt!« sagte mit offenbarer Angst Herr Zagloba.

Und beide waren sehr in Sorge darüber, denn, in Wahrheit, Basia regierte den einen wie den andern. Während ihrer Krankheit hatten beide sie über die Maßen verwöhnt, und sie liebten sie so sehr, daß die Notwendigkeit, ihren Herzenswünschen entgegenzuhandeln, beide mit Furcht erfüllte. Daß Basia einem festen Beschluß Widerstand leisten und sich nicht fügen werde, das glaubten beide nicht; aber ganz abgesehen von Herrn Wolodyjowski, hätte sich auch Herr Zagloba lieber ganz allein auf ein Regiment Janitscharen gestürzt, als zugeschaut, wie sie ihre kleinen Fäuste an die Augen drückte.


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