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IX

Als das Erdreich getrocknet war und das Gras üppig sprießte, da setzte sich der Khan in höchsteigener Person an der Spitze der fünfzigtausend Mann starken Horde aus der Krim und aus Astrachan in Bewegung, um dem Doroszenko und den aufständigen Kosaken Hilfe zu bringen. Und sowohl der Khan selbst, als seine Verwandten, die kleinen Sultane, wie auch sämtliche hervorragende Mursen und Beys trugen Kaftans, Geschenke des Padischah, und sie zogen nun gegen die Republik, aber nicht wie gewöhnlich um der Beute und der Sklaven willen, nein, sie zogen in einen heiligen Krieg um »Kesim« (Tod) und »Pohybel« (Verderben) ganz Polen und der Christenheit zu bringen.

Ein zweites, noch schrecklicheres Ungewitter zog sich bei Adrianopel zusammen, und dieser Sündflut boten einzig und allein die Kamieniecer Felsen Trotz; denn sonst lag die Republik gleich einer offenen Steppe da, oder gleich einem kranken Manne, der nicht nur unfähig ist, sich zu verteidigen, sondern nicht einmal im stande, sich auf seine Beine zu stellen. Die früheren, wenn auch schließlich siegreichen Kriege gegen die Schweden, Preußen, Russen, Kosaken, Ungarn hatten die Republik erschöpft; auch die militärischen Konföderationen und der durch den unseligen Lubomirski hervorgerufene Aufstand hatte zu dieser Erschöpfung beigetragen, nun aber erreichte sie den höchsten Grad durch innere Zwistigkeiten, durch die Unfähigkeit des Königs, durch den Zwiespalt der Machthaber und durch die Gefahr des Bürgerkrieges. Vergebens warnte der große Sobieski vor dem drohenden Verderben – niemand wollte an den Krieg glauben, und man traf keine Vorkehrungen zur Verteidigung; der Staat hatte kein Geld, der Feldherr keine Truppen. Einer Macht, welcher das allgemeine Bündnis aller christlichen Völker kaum hätte standhalten können, hatte der Hetman kaum einige tausend Mann gegenüber zu stellen.

Im Orient dagegen, wo der Wille des Padischah ausschließlich galt, und die Völker gleichsam das Schwert in der Hand eines Mannes waren, lagen die Verhältnisse ganz anders. In dem Augenblick, als die heilige Fahne des Propheten entfaltet wurde und man den Roßschweif an das Thor des Serails heftete, und die »Ulemas« den heiligen Krieg zu predigen begannen, setzte sich halb Asien und ganz Nord-Afrika in Bewegung. Der Padischah selbst war im Frühling in der Kuczunkaurischen Ebene erschienen und versammelte dort eine Macht, wie sie die Welt seit langer Zeit nicht mehr gesehen. Hunderttausend Spahis und Janitscharen, die Elite des türkischen Heeres, umgaben seine geheiligte Person; und von den entlegensten Gegenden und Besitzungen zogen immer neue Truppenmassen heran. Am frühesten trafen die ein, welche in Europa ihre Sitze hatten: es kamen die Reiterscharen des Beys von Bosnien, an Farbe der Morgenröte, an Schnelligkeit dem Blitz vergleichbar; es kamen die wilden Krieger von Albanien, ein zu Fuß mit dem Handschar kämpfendes Volk; es kamen die Streithaufen der Muhamedaner gewordenen Serben, die an den Ufern der Donau und noch südlicher wohnten, dann solche, die jenseits des Balkan und weit in den Gebirgen Griechenlands ihre Wohnsitze hatten. – Ein jeder Pascha führte ein ganzes Heer, das allein schon im stande gewesen wäre, die wehrlose Republik zu überfluten. – Auch die Moldauer und Wallachen kamen, und in gleicher Stärke die Bialogroder und Dobruczer Tataren, desgleichen einige Tausend Lipker und Czeremisen unter Führung des schrecklichen Azya, Sohn des Tuchay-Bey, und diese waren zu Führern in dem ihnen wohlbekannten unglückseligen Lande auserkoren worden.

Nach diesen kam das Hauptheer aus Asien gezogen. Die Paschas von Suwa, Brussa, Aleppo, Damaskus und Bagdad führten außer den regulären Truppen noch bewaffnete Kriegshaufen herbei, von den wilden Bewohnern der mit Cedernwäldern bedeckten Gebirge Kleinasiens an bis zu den dunkeln Eingeborenen der Euphrat- und Tigrisufer. Und auf den Ruf des Kalifen hatten sich auch die Araber aufgemacht, deren weiße Burnuse die Kuczunkaurischen Ebenen wie mit Schnee bedeckten; unter ihnen Nomaden aus der sandigen Wüste und Bewohner der Städte von Medina bis Mekka. – Aegyptens tributpflichtige Macht war nicht zurückgeblieben am heimischen Herd. Die das volkreiche Kairo bewohnten, die auf die im Abendrot erglühenden Pyramiden schauten, die durch die Ruinen von Theben Wandernden, die in den dunkeln Ländern wohnten, wo der heilige Nil entspringt und jene, deren Haut die Sonne tief schwarz gefärbt – sie alle standen jetzt waffenstarrend auf den Gefilden von Adrianopel und sandten allabendlich Gebete zum Himmel für den Sieg des Islam und den Untergang des Reiches, welches ganz allein seit Jahrhunderten die übrige Welt vor den Bekennern des Propheten geschützt hatte.

Hunderttausende bewaffneter Männer waren dort versammelt; hunderttausende von Pferden wieherten auf den Feldern, hunderttausende von Büffeln, Schafen und Kameelen weideten neben den Roßherden. Man hätte denken können, auf Gottes Geheiß habe ein Engel Asiens Völker wie einst den Adam aus dem Paradiese vertrieben und ihnen befohlen, in die Länder zu ziehen, wo der Sonne Glanz erbleicht und der Winter die Ebenen mit Schnee bedeckt.

So zogen mit ihren Herden zahllose Scharen von weißen, braunen und schwarzen Kriegern dorthin. – Wie viele Sprachen klangen hier durcheinander, wie verschiedenartig waren die Trachten, die in der Frühlingssonne erglänzten! – Verwundert schaute ein Volk auf das andere; fremd waren einem jeden die Sitten des andern, fremd und unbekannt die Waffen, die Art der Kriegführung – nur der Glaube allein verband diese wandernden Stämme, und sie wandten, sobald die Muezzins den Ruf zum Gebet erschallen ließen, alle das Antlitz gen Osten und riefen trotz aller Vielsprachigkeit einstimmig Allah an.

Am Hofe des Sultans war die Zahl der Bediensteten größer als die Zahl aller Truppen der Republik. – Hinter dem Heer und hinter den bewaffneten Freiwilligen zogen Scharen von Kaufleuten, die in ihren Bazaren die verschiedensten Waren feil hielten; ihre Fuhrwerke sowie auch die der Truppen bewegten sich wie ein Strom dahin.

Zwei Paschas von drei Roßschweifen, deren jeder eine Heeresabteilung führte, hatten nur die Aufgabe, für diese ungeheure Anzahl von Menschen Lebensmittel zu beschaffen; und es war alles im Ueberfluß vorhanden. Der Sandzak von Sangrytan hatte über den gesamten Vorrat an Schießpulver zu wachen. Das Heer führte zweihundert Kanonen mit sich, unter diesen zehn Belagerungsgeschütze von solchem Kaliber, wie sie kein König der Christenheit besaß. Die Beglerbeys Asiens bildeten den rechten Flügel, die Europas den linken. Die Lagerzelte nahmen einen so weiten Flächenraum ein, daß im Vergleich damit Adrianopel wie ein unbedeutender Flecken erschien. Die Zelte des Sultans allein, in purpurner Seide, Atlas, Seidenschnüren und Goldstickerei erglänzend, bildeten gleichsam eine Stadt für sich. Um sie her wimmelte es von bewaffneten Wächtern, von schwarzen Eunuchen aus Abyssinien in gelben und blauen Kaftans, von riesenhaften Hamalen aus den Stämmen Kurdistans, die zu Lastträgern bestimmt waren, von Knaben aus dem Stamm der Usbeken mit ungewöhnlich schönen, unter seidenen Franzen verhüllten Gesichtern, von einer Menge anderer Diener, die in bunte Farben gekleidet waren, wie die Blumen des Feldes. Manche hatten den Marstall, andere den Tafeldienst zu versorgen, noch andere waren Lampenträger oder waren zur Bedienung der vornehmen Höflinge bestimmt.

Auf dem weiten Platze rings um das Hoflager des Sultans, welches in seiner üppigen Pracht und Schönheit die Gläubigen an das Paradies gemahnte, erhoben sich die weniger pomphaften, aber immer noch königlichen Lager des Großveziers, der Ulemas und des Paschas von Anatolien, des jungen Kaimakam Kara Mustapha, auf dem nicht nur des Sultans Augen, sondern aller Augen als auf die künftige »Sonne des Krieges« schauten.

Vor dem Zelt des Sultans erblickte man dessen geheiligte Leibwache, Podlachisches Fußvolk in glänzender Ausrüstung und mit so hohen Turbans, daß die Träger Riesen glichen. Sie waren mit Wurfspießen an langen Schäften und mit kurzen, gebogenen Schwertern bewaffnet. Ihre Leinenzelte standen dicht an den Zelten des Sultans. Weiterhin zog sich das Lager der furchtbaren, mit Musketen und Speeren ausgerüsteten Janitscharen, die den Kern der türkischen Macht bildeten. Weder der deutsche Kaiser noch der König von Frankreich konnten sich eines so zahlreichen und kriegsgeübten Fußvolkes rühmen. Jedoch konnte sich das im allgemeinen minder standhafte und abgehärtete Kriegsvolk des Sultans bei gleicher Stärke mit den regulären Truppen der Republik nicht messen und nur durch eine ungeheure, erdrückende Ueberzahl den Sieg erringen. Die Janitscharen hatten übrigens den Mut, selbst der regulären polnischen Reiterei die Stirne zu bieten. Sie waren der Schrecken der ganzen Christenheit und sogar in Zarogrod gefürchtet. Oft zitterte selbst der Sultan vor solchen Prätorianern und gewöhnlich war der »Aga« dieser »Lämmer« einer der höchsten Würdenträger des Divan.

Nach den Janitscharen kamen die Spahis; nach diesen die regulären Truppen der Paschas, dann das übrige Heer.

Dieses Lager stand seit einigen Monden in der Nähe von Konstantinopel, wartend bis die aus den entferntesten Teilen des türkischen Reiches heranziehenden Scharen angelangt und bis die Frühlingssonne durch Aufsaugen der Erdfeuchtigkeit den Marsch nach »Lechistan« Anmerk. d. Uebersetzerinnen: Lechistan – Polen. erleichtern werde.

Und die Sonne leuchtete hell, als sei auch sie dem Willen des Sultans unterthänig. Von Anfang April bis Mai hatte kaum einige Male ein warmer Regen die Kuczunkaurischen Gefilde benetzt; während der übrigen Zeit war das blaue Himmelszelt wolkenlos über dem Zelt des Sultans ausgespannt. Die leuchtenden Sonnenstrahlen spielten auf der weißen Leinwand, auf den hochgewölbten Turbans, auf den vielfarbigen Trachten, auf den Helmspitzen, Fahnen und Speeren und überfluteten Lager und Zelte, Menschen und Tiere mit einem Meer von Licht.

Am Abend erglänzte an dem klaren, wolkenlosen Himmel der Mond in sichelförmiger Gestalt und bewachte still jene Tausende, die unter seinem Zeichen auszogen, um immer wieder neue Länder zu erobern; immer höher stieg er am nächtlichen Himmel empor, aber sein Licht schien durch den hellen Schein der Wachtfeuer zu erblassen.

Als diese auf der ganzen, unermeßlichen Ebene erstrahlten, und als das arabische Fußvolk aus Damaskus und Aleppo, »Massala Dzilarow« genannt, grüne, rote, gelbe und blaue Lampen an den Zelten des Sultans und des Großveziers anzündete, da hatte es den Anschein, als sei ein Stück Himmel mit seinen flimmernden und glitzernden Sternen zur Erde herabgefallen.

Musterhafte Ordnung und Disziplin herrschte in diesem Heer. Dem Rohr im Winde gleich beugten sich die Paschas dem Willen des Sultans. Ihnen gehorchten blindlings die Truppen. An Lebensmitteln für die Menschen war ebensowenig Mangel, als an Futter für die Herden. Alles wurde im Ueberfluß, alles zur rechten Zeit herbeigeschafft. In ebenso musterhafter Ordnung wurde die Zeit der militärischen Uebungen, die der Erholung und die des Gebetes eingehalten. Sobald die Muezzins von den rasch erbauten hölzernen Türmen zum Gebet riefen, wandte sich das ganze Heer mit dem Antlitz nach Osten, ein jeder breitete vor sich ein Tierfell oder einen kleinen Teppich auf der Erde aus, und alle fielen wie ein Mann auf die Knie. Beim Anblick dieser Ordnung und dieses Gehorsams aber wurden die Herzen aller von Mut und sicherer Siegeshoffnung erfüllt.

Der Sultan, der Ende April im Lager eingetroffen war, setzte sich noch nicht gleich mit dem Heere in Bewegung. Er wartete über einen Monat, bis das Erdreich ganz getrocknet sei; während dieser Zeit fanden Truppenübungen statt, wurde das Heer an das Lagerleben gewöhnt, wurden Regierungsmaßregeln getroffen, Gesandte empfangen und unter dem purpurnen Baldachin diplomatische Verhandlungen geführt. – Die wie ein Traumbild schöne erste Gemahlin des Sultans, Kasseka, begleitete ihn auf seinem Zuge, und sie führte einen Hofstaat mit sich, der gleichfalls einem paradiesischen Traume glich.

Die Gemahlin des Sultans fuhr in einem vergoldeten, mit purpurfarbener Seide überspannten Zeltwagen, dem andere Wagen folgten. Dann kamen weiße syrische Kameele, gleichfalls mit Purpur bedeckt, Saumsättel oder Lasten auf ihrem Rücken tragend. Eine Schar von Houris und von Bajaderen sangen unterwegs für die Herrin ihre Lieder. Wenn sie, von der Reise ermüdet, die Augen mit den seidenen Wimpern schloß, ertönten sofort Musikinstrumente in süßen, gedämpften Tönen und wiegten sie in Schlummer. Während der drückenden Hitze des Tages fächelten ihr Fächer aus Straußfedern und Pfauenfedern Kühlung zu; kostbares Rauchwerk brannte in indischen Schalen vor ihren Zelten und verbreitete die herrlichsten Wohlgerüche des Orients. Sie war von allen Schätzen, Wundern und Reichtümern umgeben, welche das Morgenland und die Macht des Sultans darzubieten vermochten – von Houris, Bajaderen, schwarzen Eunuchen, engelschönen dienenden Knaben, syrischen Kameelen, Pferden aus Arabiens Wüsten, und das zahlreiche Gefolge schimmerte von Perlengehängen, Brokat, Gold- und Silberstoff, leuchtete wie ein Regenbogen von Diamanten, Rubinen, Smaragden und Saphieren. Und es warfen sich die Völker davor nieder im Gefühl der Unwürdigkeit, in jenes Antlitz schauen zu dürfen, dessen Anblick nur für den Padischah war; und dieser Hofstaat schien entweder eine überirdische Erscheinung zu sein, oder eine Wirklichkeit, von Allah selbst aus dem Reich der Träume und Gesichte auf die Erde übertragen.

Die Wärme der Sonnenstrahlen nahm täglich zu, und endlich kamen die heißen Tage heran. Eines Abends wurde vor dem Zelte des Sultans auf einem hohen Mast die Fahne aufgehißt, und ein Kanonenschuß verkündete dem Heere und den Völkerschaften, daß der Marsch nach »Lechistan« beginne. Die große, heilige Trommel erdröhnte, und alle andern Trommeln wurden laut; es erklangen die schrillen Töne der Querpfeifen, die frommen nackten Derwische heulten, und als es Nacht wurde, setzte sich der Menschenstrom in Bewegung, um die Sonnenhitze des Tages zu vermeiden. Das Heer selbst sollte erst einige Stunden nach dem ersten Signal aufbrechen. Zuerst rückte die Wagenburg vor unter Führung der Paschas, welche für die Lebensmittel des Heeres Sorge trugen; diesen folgten eine ganze Legion Handwerker, welche die Zelte aufzuschlagen hatten, dann kamen ganze Herden von Lasttieren, dann Herden von Schlachtvieh. Der Marsch sollte in dieser, wie in der folgenden Nacht sechs Stunden lang währen und in solcher Weise vor sich gehen, daß die Truppen beim Haltmachen stets die nötige Nahrung und Ruhestätte vorfanden.

Als endlich die Zeit für den Abmarsch des Heeres herangekommen war, ritt der Sultan auf eine Anhöhe, um von da aus seine ganze Heeresmacht zu überschauen und sich an deren Anblick zu weiden. In seiner Begleitung waren der Großvezier, die Ulemas, der junge Kaimakam Kara Mustapha, »die aufgehende Sonne des Krieges«, und die aus einer Kompagnie Podlachier bestehende Leibwache. Die Nacht war klar und heiter, der Mond schien sehr hell. Der Sultan hätte sein ganzes Heer überschauen können, wäre es für ein menschliches Auge möglich gewesen, alles auf einmal zu umfassen; die langgestreckten und dabei gedrängten Kolonnen breiteten sich jedoch während des Marsches über einen Raum von mehreren Meilen aus.

Und er freute sich in seinem Herzen, und während er die duftenden Sandelholzperlen seines Rosenkranzes durch die Finger gleiten ließ, erhob er die Augen gen Himmel, Allah dafür dankend, daß er ihn zum Herrscher über solch ein Heer und über so viele Völker erkoren. Plötzlich, als die Spitze der Heeressäule am fernen Horizont beinahe verschwunden war, unterbrach er sein Gebet und wandte sich an den jungen Kaimakam, Kara Mustapha, mit der Frage:

»Wer führt die Vorhut? Ich habe es vergessen.«

»Leuchte des Paradieses!« antwortete Kara Mustapha, »die Lipker und Czeremisen bilden die Vorhut, und es führt sie Dein treuer Hund Azya, Sohn des Tuchay-Bey ...«


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