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XIX

Sogleich nach der Kindya erbebten die Stadt und die Schlösser von Kanonendonner. Schon hatten die Türken längs des Schlosses einen Graben von etwa fünfhundert Ellen Länge angelegt, und an einer Stelle, dicht an der Schloßmauer, war die Tiefe schon eine beträchtliche geworden. Von diesem Graben aus ward ein fortwährendes Musketenfeuer gegen die Basteien unterhalten. Die Belagerten suchten sich durch Ledersäcke, welche mit Wolle gefüllt waren, zu decken, da aber von den Schanzen unaufhörlich Bomben und Granaten geworfen wurden, fielen die Leute bei den Kanonen scharenweise. Bei einem Geschütze wurden auf einmal sechs Leute vom Fußvolke Wolodyjowskis getötet, und auch bei den andern wurden unzählige Kanoniere hinweggerafft. Gegen Abend ward es den Kommandanten klar, daß sie sich nicht länger zu halten vermochten, zumal die Minen jeden Augenblick explodieren konnten. Während der Nacht traten nun die verschiedenen Abteilungen unter ihren Rittmeistern zusammen, und trotz der fortwährenden Beschießung waren, ehe der Morgen anbrach, sämtliche Geschütze, die Munition, sowie die Vorräte an Lebensmitteln in das alte Schloß überführt. Dieses, auf Felsen erbaut, konnte sich länger halten und war insbesondere schwerer zu unterminieren. Im Kriegsrate darüber befragt, erklärte Wolodyjowski, wenn niemand sich auf Unterhandlungen einlasse, sei er bereit, es ein Jahr lang zu verteidigen. Sein Ausspruch ward in der Stadt bekannt und neuer Mut drang in aller Herzen, da jeder wußte, der kleine Ritter werde sein Wort halten, und wenn es auch sein Leben kosten solle.

Nach der Räumung des neuen Schlosses wurden starke Minen unter beide Basteien und unter die Front gelegt. Die Minen explodierten mit furchtbarem Getöse um die Mittagszeit, ohne jedoch den Türken namhaften Schaden zuzufügen, denn der am Tage zuvor erhaltenen Lehre eingedenk hatten sie nicht gewagt, das verlassene Gebäude zu besetzen. Jetzt aber bildeten die beiden Basteien, die Front und der größere Teil des neuen Schlosses nur noch einen einzigen riesigen Trümmerhaufen. Diese Trümmer erschwerten zwar den Zugang zum alten Schlosse, gewährten indessen den Feinden eine treffliche Deckung und, was noch schlimmer war, auch den Minierern, welche, ohne sich von dem Anblick der mächtigen Felswände abschrecken zu lassen, neue Minen zu legen begannen. Diese Arbeiten wurden von tüchtigen italienischen und ungarischen, im Dienste des Sultans stehenden Ingenieuren geleitet und schritten rasch vor. Die Belagerten konnten dem Feind weder durch Kanonen, noch durch Musketen Schaden zufügen, da er nicht zu sehen war. Nun dachte Herr Wolodyjowski an einen Ausfall, doch war es unmöglich, einen solchen sogleich zu unternehmen, die Soldaten waren noch allzu erschöpft. Zudem hatten die Dragoner vom Anlegen des Gewehrkolbens eine große bläuliche Geschwulst an der Schulter davongetragen, und manche vermochten kaum den Arm zu bewegen. Mittlerweile zeigte es sich auch, daß das Hauptthor des Schlosses unfehlbar in die Luft gesprengt werden würde, wenn die Minierarbeiten noch einige Zeit ununterbrochen fortdauerten. Dies voraussehend, ließ Herr Wolodyjowski hinter dem Thore einen hohen Wall errichten und sagte:

»Was liegt daran! Fliegt das Thor in die Luft, so werden wir uns hinter dem Wall verteidigen, ehe der Wall gesprengt wird, führen wir einen zweiten auf – und so machen wir fort, so lange wir noch ein wenig Grund unter unseren Füßen fühlen.«

Doch der General von Podolien, welcher bereits jede Hoffnung aufgegeben hatte, fragte:

»Und wenn wir auch keinen Grund mehr unter unseren Füßen fühlen?«

»Dann sind wir auch nicht mehr am Leben!« antwortete der kleine Ritter.

Unterdessen ließ er den Feind mit Handgranaten bewerfen, welche viel Schaden anrichteten. Am geschicktesten bei dieser Arbeit zeigte sich der Leutnant Debinski, welcher eine Unzahl Türken tötete, bis eine zu früh entzündete Granate in seiner Hand explodierte und diese wegriß. Auf gleiche Weise kam auch Hauptmann Szmit um. Viele erlagen dem Artilleriefeuer, viele den Flintenschüssen, welche durch die zwischen den Trümmern des neuen Schlosses verborgenen Janitscharen abgefeuert wurden. Während dieser Zeit waren die Geschütze des alten Schlosses wenig in Thätigkeit, was die Herren Räte in der Stadt über die Maßen erschreckte. »Das Schießen ist eingestellt, offenbar zweifelt also selbst Wolodyjowski an der Möglichkeit einer Verteidigung.« Das war die allgemeine Meinung. Von den Offizieren wagte es keiner, zuerst die Ansicht laut werden zu lassen, daß nichts mehr übrig bleibe, als sich unter den günstigsten Bedingungen zu ergeben, aber der Fürstbischof, welcher keinen ritterlichen Ehrgeiz kannte, sprach dies unverhohlen aus. Ehe dies geschah, war jedoch Herr Wasilkowski zu dem General entsandt worden, damit dieser seine Ansicht über den Stand der Sache kundgebe. Er antwortete schriftlich: »Meiner Ueberzeugung nach kann sich das Schloß nicht mehr bis zum Abend halten, allein hier denkt man anders darüber.«

Nachdem sie dies gelesen, sprachen sogar auch einige Krieger: »Wir thaten, was wir konnten, keiner schonte sich, aber was unmöglich ist, das ist unmöglich – und man muß sich wegen der Bedingungen zu verständigen suchen.«

Diese Worte verbreiteten sich in der Stadt und veranlaßten einen Zusammenlauf von Menschen. Erregt, aber schweigsam stand die Menge vor dem Rathause, sie war einer Unterhandlung eher abgeneigt, als daß sie zugestimmt hätte. Einige reiche armenische Kaufleute freuten sich zwar schon im Stillen darüber, daß die Belagerung aufhöre, daß wieder Handel und Wandel beginne. Wieder andere Armenier hingegen, die längst schon in der Republik ansässig und ihr treu ergeben waren, sowie die Polen und Rusinen wollten nichts von einer Kapitulation wissen. »Wenn die Feste übergeben werden soll, so wäre es besser gewesen, es gleich anfangs zu thun,« flüsterte man da und dort. »Damals hätte man viel erreichen können, jetzt aber werden die Bedingungen nicht günstig sein, darum ist's besser, daß wir unter den Trümmern zu Grunde gehen.«

Und das Murren wurde immer lauter, plötzlich aber verwandelte es sich in Vivatrufe und Ausbrüche der Begeisterung.

Was bedeutete dies? Auf dem Ringplatze war Herr Wolodyjowski in Gesellschaft des Herrn Humiecki erschienen, denn der General hatte die beiden absichtlich ausgesandt, um Rechenschaft über das abzulegen, was im Schlosse vorging. Ein wahrer Feuereifer ergriff nun die Menge. Manche machten einen solchen Lärm, als ob die Türken schon in die Stadt gedrungen wären, gar vielen traten Thränen in die Augen beim Anblick des vergötterten Ritters, aus dessen Zügen die ungewöhnlichen Strapazen tiefe Spuren zurückgelassen hatten. Sein Antlitz war abgemagert und von Pulverrauch geschwärzt, die Augen gerötet und eingesunken, doch blickte er heiter in die Welt. Als er und Humiecki sich schließlich ihren Weg durch die Menschenscharen gebahnt hatten und in die Ratsversammlung eintraten, wurden sie auch hier freudig begrüßt. Der Fürstbischof aber begann sofort:

»Liebe Brüder! Nec Hercules contra plures! Der Herr General hat uns geschrieben, daß Ihr die Feste übergeben müßt!«

Darauf erwiderte Humiecki, ein Mensch von lebhafter Gemütsart, welcher aus einer mächtigen Adelsfamilie stammte und wenig Rücksicht auf andere nahm, in scharfem Tone:

»Der Herr General hat den Kopf verloren, seine einzige Tugend besteht darin, daß er ihn der Gefahr aussetzt. – Was die Verteidigung des Schlosses anbelangt, mag aber Herr Wolodyjowski das Wort ergreifen, da er besser darüber zu reden weiß als ich.«

Aller Augen wendeten sich auf den kleinen Ritter, dessen Schnurrbärtchen heftig zitterte.

»Um Gotteswillen!« rief er, »wer spricht hier von Kapitulation? Haben wir denn nicht bei dem Allmächtigen geschworen, uns bis zum letzten Atemzuge zu halten?«

»Wir gelobten feierlich, das zu thun, was in unserer Macht steht, und haben es auch gethan!« entgegnete der Fürstbischof.

»Möge jeder für das einstehen, wofür er sich verpflichtet hat! Ich und Ketling schworen, das Schloß zu verteidigen bis zu unserm letzten Atemzuge, und wir werden es auch verteidigen, denn wenn ich verpflichtet bin, jedem Menschen gegenüber mein Wort als Kavalier zu halten, wie viel mehr bin ich verpflichtet, es Gott zu halten, der so hoch erhaben über uns alle ist!«

»Aber wie steht es mit dem Schlosse? Wir hörten, es sei eine Mine unter dem Thore. Könnt Ihr Euch noch lange halten?« fragten zahlreiche Stimmen.

»Die Mine ist schon gelegt oder wird noch gelegt werden, doch hinter dem Thore erhebt sich auch schon ein starker Wall, auf dem ich Feldschlangen aufpflanzen ließ. Liebe Brüder, fürchtet den allmächtigen Gott, bedenkt, daß mit der Uebergabe des Schlosses notwendigerweise auch die Kirchen in die Hände der Heiden übergehen müssen, welche sie in Moscheen verwandeln und durch ihre Barbarei entweihen werden. Wie kann man denn nur mit leichtem Herzen von einer Uebergabe sprechen? Seid Ihr im stande, mit gutem Gewissen dem Feinde die Pforten in das Herz des Vaterlandes zu öffnen? Ich bin im Schlosse selbst und fürchte keine Mine, und Euch, die Ihr in der Stadt und weit entfernt davon seid, bangt davor? Beim ewigen Gott! Wir werden nicht kapitulieren, so lange noch ein Blutstropfen in uns ist! Möge die Verteidigung dieser Feste eine ebenso glorreiche Erinnerung für die Nachwelt sein, wie die Verteidigung von Zbaraz.«

»Die Türken werden das Schloß in einen Schutthaufen verwandeln!« rief eine Stimme.

»Dann sollen sie es thun! Auch auf einem Schutthaufen kann man sich verteidigen!«

Hier verließ den kleinen Ritter offenbar die Geduld.

»Und ich werde mich auch auf einem Trümmerhaufen verteidigen, so wahr mir Gott helfe! Kurz und gut, ich übergebe das Schloß nicht! Hört Ihr?«

»Wollt Ihr die Stadt zu Grunde richten?« fragte der Fürstbischof.

»Eher soll sie zu Grunde gehen, als daß sie in die Hände der Türken fällt. Ich habe einen Schwur geleistet! Doch will ich nicht noch mehr Worte verschwenden, sondern zurückkehren zu meinen Kanonen, denn diese verteidigen die Republik, anstatt sie zu verraten!«

Mit diesen Worten entfernte er sich, gefolgt von Humiecki, welcher die Thüre hinter sich zuwarf. Beiden war es darum zu thun, so rasch wie möglich fortzukommen, da beide sich in Wahrheit wohler inmitten der Trümmer, zwischen den Leichnamen und dem Kugelregen, als unter diesen kleinmütigen Menschen fühlten. Unterwegs gesellte sich Herr Makowiecki zu ihnen.

»Michal,« begann er, »sprich offen, hast Du nur, um den Verzagten neuen Mut einzuflößen, von weiterem Widerstand gesprochen, oder bist Du wirklich im stande, das Schloß noch zu behaupten?«

Der kleine Ritter zuckte die Achseln.

»So wahr mir Gott helfe! Wird die Feste nicht übergeben, so kann ich sie noch ein Jahr verteidigen!«

»Weshalb habt Ihr das Schießen eingestellt? Das versetzt die Leute in Schrecken, und deshalb reden sie von Uebergabe.«

»Wir haben das Schießen eingestellt, weil wir mit Handgranaten werfen, welche den Minierern großen Schaden zufügen.«

»Höre, Michal, hast Du im Schlosse solche Vorkehrungen getroffen, daß Ihr nötigenfalls auch das hinter Eurem Rücken liegende russische Thor verteidigen könnt? Denn sollten, was Gott verhüten möge, die Türken den Damm durchbrechen, dann gelangen sie an dies Thor. Ich bewache es mit all meinen Streitkräften, aber allein mit den Bürgern ohne Soldaten werde ich mich doch nicht behaupten können!«

Darauf erwiderte der kleine Ritter:

»Seid nur unbesorgt, lieber Bruder. Habe ich doch schon fünfzehn Kanonen nach jener Seite richten lassen. Des Schlosses wegen könnt Ihr auch ruhig sein. Wir sind nicht nur im stande, uns selbst zu verteidigen, sondern wenn nötig, werden wir Euch auch Verstärkung an die Thore senden.«

Als Herr Makowiecki dies vernahm, war er hoch erfreut, und er stand schon im Begriff, sich zu entfernen, als der kleine Ritter ihn zurückhielt und fragte:

»Sage mir, da Du doch häufiger jenen Beratungen beigewohnt hast, will man uns nur auf die Probe stellen, oder besteht wirklich die Absicht, Kamieniec in die Hände des Sultans auszuliefern?«

Makowiecki senkte das Haupt. »Michal,« sagte er, »wenn wir ehrlich die Wahrheit sagen wollen, wird denn dies nicht das Ende sein? Einige Zeit noch werden wir Widerstand leisten können, eine Woche, zwei Wochen, einen Monat, zwei Monate lang, aber das Ende wird immer das gleiche sein!«

Finster schaute Wolodyjowski ihn an und rief dann, seine Hände erhebend:

»Auch Du, Brutus, gegen mich? Ha! Dann nehmt Eure Schande allein über Euch; ich bin dergleichen nicht gewöhnt!«

Und sie schieden mit Bitterkeit im Herzen voneinander.

Die Mine unter dem Haupteingang des alten Schlosses entlud sich bald nach Wolodyjowskis Rückkehr. Trümmer von Ziegeln und Steinen flogen umher, und Rauch und Staubwolken stiegen auf. Einen Augenblick lang waren die Kanoniere von Schrecken erfaßt. Die Türken drängten sich durch die Bresche wie eine Herde Schafe, welche von des Hirten Peitsche getrieben, durch das offene Thor in den Stall dringt. Allein jetzt schleuderte Ketling aus seinen vorsorglich auf dem Wall aufgepflanzten sechs Geschützen Kartätschen in den Haufen; einmal, zweimal, dreimal feuerte er mitten hinein und in einem Nu war der Hof reingefegt. Und Wolodyjowski, Humiecki, Mysliszewski kamen mit ihrem Fußvolk und ihren Dragonern herbei, und ihre Leute besetzten den Wall so dicht, wie Fliegen an einem heißen Sommertag das Aas eines Ochsen oder eines Pferdes bedecken.

Nun begann ein Kampf zwischen Musketen und Janitscharenflinten. Wie ein dichter Regen, oder wie Getreidekörner, die ein Bauer mit der Schaufel in die Höhe wirft, fielen die Kugeln auf den Wall nieder. In den Rinnen des neuen Schlosses wimmelte es von Türken; in jeder Vertiefung, hinter jedem Bruchstück einer Mauer, hinter jedem Stein, in jeder Trümmeröffnung kauerten und hockten ihrer zwei, drei, fünf, zehn, und sie feuerten ohne jede Unterbrechung. Aus der Gegend von Chocim kamen ihnen immer wieder neue Verstärkungen zu. Ein Regiment folgte auf das andere, setzte sich in den Ruinen fest und begann sofort zu feuern. Das neue Schloß war wie mit Turbanen bepflastert. Zuweilen sprangen diese Turbanmassen plötzlich mit furchtbarem Geschrei empor und stürmten in die Bresche; aber sofort ließ Ketling seine Stimme erschallen; der Baß der Kanonen übertönte das Geknatter des Kleingewehrfeuers, und mit schrecklichem Pfeifen und Sausen fuhren die Kartätschen in die Massen, streckten ganze Reihen nieder und verstopften die Bresche mit Haufen von zuckenden menschlichen Körpern. Viermal wiederholten die Janitscharen den Ansturm, viermal warf sie Ketling zurück und stäubte sie auseinander, wie der Sturmwind dürres Laub auseinanderstäubt. Inmitten des Feuers, des Rauches, der umherfliegenden Erdstücke, der platzenden Granaten stand er wie der Engel des Krieges da. Seine Augen waren unablässig auf die Bresche gerichtet, und seine heitere Stirn schien auch nicht der Schatten einer Sorge zu trüben. Manchmal entriß er dem Kanonier die Lunte und legte sie selbst an, manchmal beobachtete er, die Augen mit der Hand schützend, die Wirkung des Schusses; dann wieder wandte er sich mit einem Lächeln zu den polnischen Offizieren und sagte:

»Sie werden nicht hereinkommen!«

Niemals noch war ein so wütender Angriff auf eine so furchtbare Verteidigung gestoßen. Offiziere und Mannschaften wetteiferten miteinander in Waffenthaten. Es schien, als ob diese Leute auf alles andere mehr achteten, als auf den Tod; und dieser hielt reiche Ernte. Herr Humiecki fiel, und Herr Mokoszycki, der Kommandant der Kijanen. Stöhnend griff der silberhaarige Herr Kaluszowski nach der Brust, er, der sanft wie ein Lamm, aber als Soldat furchtbar wie ein Löwe und ein alter Freund Wolodyjowskis war. Dieser faßte den Sinkenden in seine Arme. »Reich' mir die Hand, reich' mir schnell die Hand!« sagte Kaluszowski und fügte dann hinzu: »Gelobt sei Gott!« Sein Antlitz war so weiß wie sein Bart geworden. – Eben jetzt begann der vierte Sturm. Eine Abteilung Janitscharen drang in die Bresche ein, und das hageldichte Niederfallen der Geschosse machte es ihnen unmöglich, den Rückweg anzutreten. Nun fiel Herr Wolodyjowski an der Spitze seines Fußvolkes über sie her, und im Augenblick waren alle mit Gewehrkolben und Messern niedergemacht. Stunde auf Stunde verrann; aber das Feuern wurde nicht schwächer. Mittlerweile hatte sich die Kunde von dieser heldenmütigen Verteidigung in der Stadt verbreitet und dort Begeisterung und Kriegslust geweckt. Die polnischen Einwohner, besonders die jungen Leute, liefen in der Stadt zusammen und schauten sich mit Blicken an, die ihrem Mut Flügel gaben. »Aufs Schloß! Ziehen wir aufs Schloß zur Hilfe! Vorwärts! Vorwärts! Wir lassen unsere Brüder nicht zu Grunde gehen! Vorwärts, Kameraden!« so rief es auf dem Ringplatz und an den Thoren, und bald darauf bewegten sich einige hundert Leute der Brücke zu, freilich nur ungenügend bewaffnet, aber mit Mut im Herzen. Sofort richteten die Türken ein mörderisches Feuer auf sie, und bald war die Brücke mit Leichen bedeckt. Einem Teil der Leute jedoch gelang es, hinüberzukommen, und mit dem größten Eifer nahmen sie auf dem Walle an dem Kampfe gegen die Türken teil.

Der vierte Angriff wurde mit einem furchtbaren Verlust für die Türken zurückgeworfen, und es hatte den Anschein, als werde nun endlich ein Augenblick der Ruhe eintreten. Vergebliche Hoffnung! Das Knattern der Janitscharenflinten währte noch bis zum Abend. Erst als die Abend-Kindya gespielt wurde, verstummte der Lärm der Geschütze, und die Türken zogen sich aus den Ruinen des neuen Schlosses zurück. Jetzt stiegen die noch am Leben gebliebenen Offiziere über die äußere Böschung des Walles hinab.

Der kleine Ritter gab, ohne eine Minute zu verlieren, den Befehl, die Bresche mit allem Material, was gerade vorhanden war, zu schließen, mit Holzklötzen, mit Faschinen, mit Schutt und Erde. Fußvolk und Reiter, gemeine Soldaten und Offiziere wetteiferten ohne Unterschied des Ranges miteinander in der Arbeit. Man mußte jeden Augenblick gewärtig sein, daß die türkischen Geschütze wieder ihren ehernen Mund aufthun würden; einstweilen aber war dieser Tag ein Tag des Sieges der Belagerten über die Belagerer. Allerwärts sah man strahlende Gesichter, und die Herzen waren von Hoffnung entflammt und von dem Wunsch nach neuen Siegen.

Ketling und Wolodyjowski wandelten nach vollbrachtem Werke Arm in Arm über den Waffenplatz und die Basteien, beugten sich über die Zinnen, um in den Hof des neuen Schlosses zu schauen und sich des großen Erfolges zu freuen.

»Dort liegt Leiche an Leiche!« sagte der kleine Ritter, auf die Ruinen weisend, »an der Bresche aber liegen sie so hoch, daß man eine Leiter nötig hätte, um hinüberzukommen. Das ist das Werk Deiner Geschütze, Ketling!«

»Das Beste ist,« erwiderte dieser, »daß es uns gelungen ist, die Bresche wieder zu schließen, so daß den Türken das Eindringen unmöglich ist und sie von neuem Minen graben müssen. Wohl ist ihre Macht unendlich wie das Meer, aber eine solche Belagerung muß in einem Monat oder in zwei Monaten bitter für sie werden!«

»Mittlerweile wird der Hetman zum Entsatz herankommen. Aber komme, was kommen mag, wir beide sind durch unsern Eid gebunden!« sprach der kleine Ritter.

Ihre Blicke trafen sich in diesem Augenblick, und Wolodyjowski fragte mit gedämpfter Stimme: »Hast Du gethan, was ich Dir gesagt?«

»Alles ist vorbereitet,« flüsterte Ketling, »aber ich glaube, dazu wird es nicht kommen, denn wir können uns hier sehr lange halten und noch manchen Tag wie den heutigen erleben.«

»Gebe uns Gott morgen einen solchen!«

»Amen!« erwiderte Ketling.

Kanonendonner unterbrach ihre Unterredung. Granaten flogen abermals nach dem Schloß. Viele aber platzten in der Luft und erloschen gleich einem Blitz im Sommer.

Ketling betrachtete dies alles mit Kennerblicken. »Auf jener Schanze, von welcher aus soeben gefeuert wird,« bemerkte er, »sind die Zünder der Granaten zu stark geschwefelt.«

»Auch von den andern Schanzen steigt jetzt Rauch auf,« sagte Wolodyjowski.

Und so war es in der That. So wie in der Stille der Nacht in das Gebell eines Hundes auch die andern Hunde einstimmen, bis endlich das ganze Dorf von Hundegekläff widerhallt, so weckte auch das eine Geschütz auf der Schanze alle Feuerschlünde in der Nachbarschaft, und bald war die belagerte Feste von einem Kranz von Granaten umgeben. Diesmal richtete sich das Feuer hauptsächlich auf die Stadt und nicht auf das Schloß. Allein von drei Seiten ließ sich hier das Hämmern der Minierarbeiter vernehmen. Obwohl dieser harte Felsboden den Minierern fast unüberwindliche Schwierigkeiten entgegensetzte, so schienen doch die Türken fest entschlossen zu sein, koste es, was es wolle, dies Felsennest in die Luft zu sprengen.

Auf Ketlings und Wolodyjowskis Befehl warfen die Verteidiger abermals Handgranaten dorthin, woher der Schall der Spitzhauen ertönte. Aber es war nicht leicht möglich, zur Nachtzeit zu erkennen, ob den Belagerern daraus Schaden erwuchs. Ueberdies waren aller Augen und Sorgen der Stadt zugewandt, wohin ganze Schwärme flammender Vögel flogen. Manche Geschosse platzten in der Luft, andere aber beschrieben erst feurige Bogen am Firmament und fuhren dann auf die Dächer nieder. Mit einemmale schlug an mehreren Stellen eine feurige Lohe empor und erleuchtete den nächtlichen Himmel. Die St. Katharinenkirche brannte, desgleichen die St. Georgskirche in der reußischen Vorstadt, und kurze Zeit darauf stand auch die armenische Kathedrale in Flammen, die schon während des Tages in Brand geraten war und nun unter der Einwirkung der Granaten dem Feuer neue Nahrung bot. Die Feuersbrunst wurde von Minute zu Minute gewaltiger und erhellte die ganze Umgebung. Der Lärm in der Stadt drang bis zum alten Schlosse. Man hätte denken können, die ganze Stadt stehe in Flammen.

»Das ist schlimm!« sagte Ketling. »Die Einwohner werden den Mut verlieren.«

»Mag alles niederbrennen,« sprach der kleine Ritter, »wenn nur der Fels nicht zusammenbricht, von welchem aus wir uns verteidigen können.«

Jetzt nahm der Lärm mehr und mehr zu. Das Feuer der Kathedrale entzündete auch die Häuser am Ringplatz, in welchen die armenischen Kaufleute ihre kostbaren Waren aufgestapelt hatten. Große Schätze an Gold, Silber, Teppichen, Lederwaren und wertvollen Stoffen gingen dadurch zu Grunde. Da und dort züngelten die Flammen über den Dächern der Häuser empor.

Wolodyjowski war sehr bestürzt. »Ketling,« sagte er, »überwache Du das Werfen der Granaten und suche den Minierern möglichst großen Schaden zuzufügen. Ich will in die Stadt eilen, denn mein Herz ist in großer Sorge um die Dominikanerinnen. Gott sei Dank, daß sie das Schloß in Ruhe lassen und ich mich für eine Weile entfernen kann!«

Im Schloß war in der That augenblicklich nicht viel zu thun, und so bestieg der kleine Ritter sein Pferd und ritt davon. Erst nach zwei Stunden kehrte er in Gesellschaft des Herrn Muszalski zurück, welcher von der ihm durch Hamdi-Bey zugefügten körperlichen Verletzung wieder genesen war und nun in der Absicht nach dem Schlosse kam, den Heiden beim Stürmen mit seinem Bogen beträchtlichen Schaden zuzufügen und sich neuerdings großen Ruhm zu erwerben.

»Seid mir gegrüßt!« sagte Ketling. »Schon war ich sehr beunruhigt. – Wie steht es bei den Dominikanerinnen?«

»Alles in Ordnung!« antwortete der kleine Ritter. »Nicht eine einzige Granate ist dort geplatzt. Der Ort ist still und liegt sicher.«

»Gott sei Dank dafür! Ist Krzysia nicht beunruhigt?«

»Sie ist so ruhig, als wäre sie zu Hause. Sie und Basia sind in einer Zelle beisammen, und Herr Zagloba leistet ihnen Gesellschaft. Auch Nowowiejski fand ich dort; er ist wieder zu sich selbst gekommen. Er wünschte mit mir auf das Schloß zu gehen, aber ist noch nicht im stande, sich lange auf den Beinen zu halten. Ketling, gehe Du jetzt dorthin, ich will Dich hier vertreten.«

Freudig umarmte Ketling den Freund, denn sein Herz zog ihn mächtig zu Krzysia, und sogleich gab er den Befehl, daß man sein Pferd vorführe. Ehe es gebracht wurde, frug er den kleinen Ritter, wie es in der Stadt stehe.

»Die Bürger suchen mutig das Feuer zu löschen,« erwiderte Wolodyjowski, »aber als die reichen armenischen Kaufleute ihre Waren brennen sahen, sandten sie eine Deputation an den Bischof mit dem dringenden Ersuchen, die Stadt zu übergeben. Sobald ich davon hörte, ging ich, trotz meiner früheren Absicht, ihren Beratungen nicht mehr beizuwohnen, ihnen nach. Einem, der die Kapitulation am dringendsten forderte, versetzte ich eine Ohrfeige, was mir Seine Eminenz, der Bischof, übel nahm. Schlecht steht's, lieber Bruder! Die Feigheit greift dort mehr und mehr um sich, und unsere Bereitwilligkeit zur Verteidigung wird immer geringer geschätzt. Statt Lob hört man nur Tadel, denn sie meinen, wir setzten die Stadt vergeblich all diesen Gefahren aus. Ich vernahm auch, Makowiecki sei mit Vorwürfen überhäuft worden, weil er gegen jede Unterhandlung war. Der Bischof selbst apostrophierte ihn mit den Worten: »Wir werden weder unserem Glauben, noch unserem Könige untreu; und welchen Nutzen hat ein weiterer Widerstand? Denkt doch daran, was später kommen wird: entweihte Kirchen, entehrte Jungfrauen, unschuldige Kinder, die man in Sklaverei schleppt. Durch einen Vertrag jedoch, sagte er, können wir ihr Los sicherstellen und für uns selbst freien Abzug erlangen! So sprach der Bischof, und der Herr General nickte dazu mit dem Kopf und bemerkte: ›Möge ich zu Grunde gehen, wenn dies nicht die Wahrheit ist!‹«

»Gottes Wille geschehe!« sprach Ketling.

Wolodyjowski aber rang die Hände.

»Wenn es noch wenigstens wahr wäre, was sie sagen!« rief er. »Aber Gott ist mein Zeuge, daß wir uns noch verteidigen können!«

Das Pferd wurde vorgeführt und Ketling bestieg es rasch; Wolodyjowski gab ihm noch den Rat auf den Weg:

»Nur mit Vorsicht über die Brücke, denn die Granaten fallen dort dicht hernieder.«

»In einer Stunde bin ich zurück,« sagte Ketling, und er ritt davon.

Wolodyjowski machte mit Muszalski einen Rundgang um die Basteiwälle. Von drei Plätzen aus wurden Handgranaten geworfen, denn an drei Orten hörte man das Hämmern. An der linken Seite des Schlosses leitete Lusnia das Granatenwerfen.

»Nun, wie steht's mit Euch?« fragte Wolodyjowski.

»Schlecht, Herr Kommandant!« antwortete der Wachtmeister, »die Halunken sitzen schon drin im Felsen, und kaum daß einer von so einem Splitter gestreift wird. Wir haben nicht viel zu stande gebracht.«

An den andern Plätzen stand es noch schlimmer, besonders als sich nun der Himmel verdüsterte und Regen niederfiel, durch welchen die Zünder der Granaten feucht wurden. Auch die Dunkelheit war einem Erfolg hinderlich.

Wolodyjowski zog Muszalski etwas beiseite, hielt dann still und sagte plötzlich: »Hört, wie wär's, wenn wir versuchten, jene Maulwürfe in ihren Löchern zu vernichten.«

»Das scheint mir der sichere Tod zu sein, denn sie werden ja durch ganze Regimenter von Janitscharen bewacht! Ha! wir wollen's versuchen!«

»Wohl werden sie durch ganze Regimenter bewacht; aber die Nacht ist finster, und sie sind sehr leicht in Verwirrung zu bringen. Bedenkt, daß man in der Stadt viel von Kapitulation spricht, und weshalb? Weil man sagt: Ihr seid unterminiert und könnt Euch doch nicht halten! Wie würden wir den Leuten den Mund stopfen, wenn noch heute Nacht die Kunde in die Stadt dränge: es giebt keine Minen mehr! Eine solche Sache ist's doch wohl wert, daß man seinen Kopf aufs Spiel stellt! Oder etwa nicht?«

Herr Muszalski besann sich eine Weile, dann rief er aus:

»Sie ist es wert, bei Gott, sie ist's!«

»An einer Stelle haben sie erst vor kurzem zu minieren begonnen,« sagte Wolodyjowski, »und dort wollen wir sie in Ruhe lassen. Von dieser Seite hier und von jener dort sind sie aber schon tief eingedrungen. Nehmt fünfzig Dragoner, ich nehme ebenso viel, und wir wollen versuchen, sie unschädlich zu machen. Habt Ihr Lust?«

»Nun ja doch! sie wächst immer mehr! Ich nehme einige krumme Nägel im Gürtel mit, zum Vernageln der Kanonen; vielleicht stößt man unterwegs auch auf irgend ein Hakenrohr!«

»Ob wir just auf ein solches stoßen, das möchte ich bezweifeln, wiewohl einige Hakenrohre in der Nähe aufgestellt sind. Aber nehmt immerhin die Nägel mit. Wir wollen nur noch den Ketling abwarten. Er versteht es besser als andere, wie man uns im Falle plötzlicher Gefahr zu Hilfe kommen kann.«

Ketling kehrte, wie er es versprochen, pünktlich auf die Minute zurück. Eine halbe Stunde später näherten sich zwei Abteilungen Dragoner zu je fünfzig Mann der Bresche, schlichen sich rasch und in aller Stille hinüber auf die andere Seite und verschwanden in der Dunkelheit. Ketling ließ noch kurze Zeit das Granatenwerfen fortsetzen; dann aber befahl er, aufzuhören und verhielt sich wartend. Sein Herz pochte in unruhigen Schlägen, denn er wußte, wie waghalsig das Unternehmen war. Eine Viertelstunde ging vorüber, eine halbe Stunde. Dem Anschein nach hätten sie schon ihr Ziel erreichen und beginnen müssen; aber wenn man das Ohr an den Boden legte, konnte man ganz deutlich das ruhige, gleichmäßige Hämmern vernehmen.

Plötzlich fiel am Fuße des Schlosses, auf der linken Seite, ein Pistolenschuß, welcher jedoch infolge der Luftfeuchtigkeit und bei dem fortwährenden Feuer aus den Schanzen nur schwach widerhallte und die Aufmerksamkeit der Besatzung nicht erregt haben würde, wäre er nicht von einem furchtbaren Geschrei begleitet gewesen.

»Sie sind angelangt,« dachte Ketling, »aber werden sie zurückkehren?« Und nun ließ sich Geschrei menschlicher Stimmen vernehmen, Trommelgerassel, schrille Pfeifentöne, endlich das rasche, ungleichmäßige Geknatter der Janitscharenflinten. Von allen Seiten fielen Schüsse; offenbar eilten ganze Abteilungen den Minierern zu Hilfe, aber, wie Herr Wolodyjowski richtig vorausgesehen, die Janitscharen waren bestürzt und gerieten in Verwirrung; sie fürchteten, sich wechselseitig zu beschießen, riefen einander mit lauter Stimme zu, schossen aufs Geratewohl und oft auch in die Luft. Der Lärm und das Geschrei wuchs immer mehr. So wie der blutgierige Marder, der in stiller Nacht schlafende Hühner überfällt, in dem ruhigen Hühnerstall plötzlich einen schrecklichen Aufruhr, ein Lärmen und Gegacker hervorruft, so wurde jetzt um das Schloß herum ein tosender Wirrwarr entfesselt. Von den Schanzen warf man Granaten gegen die Mauern, um die Nacht zu erhellen. Ketling, der seine Geschütze auf die türkische Schutzwache gerichtet hatte, antwortete mit Kartätschen. Sowohl die türkischen Laufgräben als auch die Mauern der Festung standen im Geschützfeuer. In der Stadt ward Sturm geläutet, denn es hieß allgemein, die Türken seien schon in die Festung eingedrungen. In den Schanzen dagegen glaubte man an einen gewaltigen Ausfall der Belagerten, und alles geriet in Alarm.

Die Nacht begünstigte das tollkühne Unternehmen der Herren Wolodyjowski und Muszalski. Sie wurde immer finsterer, Kanonenschüsse und Granaten erhellten nur für Augenblicke die Dunkelheit, die nachher noch viel schwärzer erschien. Zuletzt öffnete auch der Himmel seine Schleusen, und gewaltige Regenströme stürzten hernieder, Donner übertönte die Geschütze und erweckte an den Felsenabhängen ein furchtbares Echo. Ketling sprang nun vom Walle herab, eilte mit etwa zwanzig Mann zur Bresche und wartete.

Er mußte nicht lange warten. Bald darauf zeigten sich dunkle Gestalten zwischen den Balken, mit welchen die Oeffnung verrammelt war.

»Wer da?« rief Ketling.

»Wolodyjowski!« klang es zurück. Und einen Augenblick später fielen die beiden Ritter einander in die Arme.

»Wie steht es?« riefen die Offiziere, deren immer mehr zur Bresche heraneilten.

»Gott sei Dank, die Minierer sind alle bis auf den letzten Mann niedergemacht; ihre Werkzeuge sind zerbrochen und zerstreut. Ihre Arbeit ist vergeblich gewesen.«

»Gott sei Dank! Gott sei Dank!«

»Und ist Muszalski mit seinen Leuten auch schon zurückgekehrt?«

»Er ist noch nicht zurück!«

»Wir wollen ihm zu Hilfe eilen! Ihr Herren, wer will mit dabei sein?«

In diesem Augenblick jedoch drängten sich abermals Menschen in die Bresche herein. Es waren Muszalskis Leute, welche hastig und in bedeutend verminderter Anzahl zurückkehrten, denn viele waren durch die feindlichen Kugeln gefallen. Aber sie kehrten freudig zurück, denn sie hatten einen gleich günstigen Erfolg erlangt. Einige der Soldaten brachten Spitzhauen, Bohrer, Stemmeisen zum Brechen des Gesteines mit, als Zeichen, daß sie in den Minen selbst gewesen.

»Aber wo ist Herr Muszalski?« fragte Wolodyjowski.

»Wahrhaftig! Wo bleibt Muszalski?« wiederholte eine Anzahl von Stimmen.

Die dem Befehl des berühmten Bogenschützen untergeordnete Mannschaft schaute sich an; dann ließ sich ein schwerverwundeter Dragoner mit schwacher Stimme vernehmen:

»Herr Muszalski ist gefallen! Ich sah ihn niedersinken. Ich fiel an seiner Seite; ich richtete mich wieder auf, er blieb liegen ...«

Diese Kunde von Muszalskis Tod schmerzte die Ritter tief, denn er war einer der hervorragendsten Kavaliere im Heer der Republik. Sie wollten von dem Dragoner genauen Bericht über das Ereignis haben, allein der Blutverlust hatte diesen so geschwächt, daß er keine Antwort mehr zu geben vermochte; schließlich fiel er um wie eine Garbe.

Die Ritter aber brachen über den Tod des Herrn Muszalski in Wehklagen aus. »Das Heer wird das Andenken an ihn bewahren,« sprach Herr Kwasiebrodzki, »und ein jeder wird seinen Namen preisen!«

»Ein zweiter Bogenschütze wie der wird nicht wieder geboren!« ließ sich eine Stimme vernehmen.

»Er hatte eine stärkere Kraft in den Händen als irgend ein Mann in Chreptiow,« sagte der kleine Ritter. »Er war im stande, mit den Fingern einen Thaler in ein neues Brett hineinzudrücken. Herr Podbipienta, ein Litthauer, war der einzige, der ihn an Kraft übertraf, aber Podbipienta fand bei Zbaraz den Tod; unter den Lebenden könnte ihm höchstens Nowowiejski an Kraft der Hände gleichkommen.«

»Ein großer, großer Verlust!« sagten andere.

»Nur in alten Zeiten gab es solche Ritter wie er.«

In solchen Worten dem Andenken des Bogenschützen Ehre erweisend, begaben sie sich auf den Wall. Herr Wolodyjowski sandte sofort an den General und an den Bischof einen Boten mit der Nachricht, daß durch einen Ausfall die Minen zerstört und die Minierer niedergemacht seien. Diese Kunde wurde in der Stadt mit großem Erstaunen aufgenommen, aber auch – und wer hätte das erwarten sollen – mit geheimem Unwillen. Der General und der Bischof waren der Meinung, daß diese augenblicklichen Erfolge Kamieniec nicht retten könnten, wohl aber den grausamen Löwen noch mehr erbittern würden. Nur in dem Fall, daß man trotz derselben wegen der Uebergabe unterhandle, konnten sie sich nützlich erweisen; darum beschlossen diese beiden Hauptleiter der Stadt, weiter zu unterhandeln.

Weder Wolodyjowski noch Ketling hatten auch nur für einen Augenblick vorausgesetzt, daß die übersandten günstigen Nachrichten eine solche Wirkung haben könnten. Nein, sie wiegten sich sogar in der sicheren Hoffnung, daß nun auch die Mattherzigsten Mut fassen würden, und daß in allen die begeisterte Lust zum hartnäckigsten Widerstande erwachen werde. Es war unmöglich, die Stadt einzunehmen, ehe man das Schloß erobert; wenn dieses sich also nicht nur verteidigte, sondern sogar noch Siege davontrug, so war für die Belagerten nicht die geringste Notwendigkeit vorhanden, an eine Uebergabe zu denken. Vorrat an Lebensmitteln und an Pulver hatte man im Ueberfluß, so galt es denn nur, die Thore zu verteidigen und das Feuer in der Stadt zu löschen.

Während der ganzen Belagerung war diese Nacht sowohl für den kleinen Ritter, als für Ketling die freudevollste. Niemals noch war ihre Hoffnung, der türkischen Umzingelung glücklich zu entgehen und die Häupter ihrer Lieben in Sicherheit zu bringen, so groß.

»Noch einigemal solch ein Sturm,« sagte der kleine Ritter, »und so wahr Gott im Himmel lebt, die Türken werden den Mut verlieren und uns auszuhungern suchen. Proviant aber giebt's noch zur Genüge. – Der September ist vor der Thüre; in zwei Monaten wird Regen und Kälte eintreten; jene Truppen aber sind nicht abgehärtet; packt sie einmal tüchtig die Kälte, so ziehen sie ab.«

»Viele der Truppen stammen aus Aethiopien,« bemerkte Ketling, »oder aus solchen Ländern, wo der Pfeffer wächst, und diese halten auch schwache Fröste nicht aus. Im schlimmsten Fall können wir uns, selbst bei Sturmangriffen, noch zwei Monate lang halten. Auch können wir kaum annehmen, daß nicht mittlerweile Entsatz kommt. Die Republik wird sich doch endlich aufraffen, und wenn auch der Herr Hetman nicht im stande sein sollte, eine größere Truppenmacht zusammenzubringen, so wird er doch den Türken durch Streifzüge zu schaden suchen.«

»Ketling, mich dünkt, unsere Stunde hat noch nicht geschlagen!«

»Das steht in Gottes Hand! Allein auch ich meine, daß es noch nicht dazu kommt.«

»Es wäre denn, daß einen das Schicksal des Herrn Muszalski ereilte. Je nun! Dagegen giebt es keine Hilfe! Aber schade ist es um ihn, wenngleich er auf dem Felde der Ehre starb.«

»Möge uns der Himmel keinen schlimmeren Tod bestimmen, wenn nur noch nicht in nächster Zeit, denn offen gestanden, Michal, das wäre mir sehr leid um ... Krzysias willen.«

»Ach, und mir wegen Basia ... Nun denn, mühen wir uns mit aller Kraft, vielleicht schützt uns Gottes Barmherzigkeit! Ich bin in innerster Seele froh. Auch morgen wollen wir irgend eine bedeutende That vollführen.«

»Die Türken haben hölzerne Courtinen errichtet. Mir ist dabei die Art in den Sinn gekommen, wie man Schiffe in Brand steckt; schon werden Tücher in Teer eingeweicht, und so hoffe ich bis morgen Mittag alle jene Arbeiten verbrennen zu können.«

»Ha!« sagte der kleine Ritter, »dann will ich wieder einen Ausfall machen. Während der Feuersbrunst wird ohnedies Verwirrung herrschen, und es wird ihnen nicht in den Sinn kommen, daß ein Ausfall bei Tag stattfinden könne. Das Morgen kann besser sein als das Heute, Ketling ...«

So sprachen sie von dem, wessen ihr Herz voll war, und dann gingen sie zur Ruhe, denn sie waren sehr ermüdet. Aber der kleine Ritter hatte kaum drei Stunden geschlafen, als Lusnia ihn weckte.

»Herr Kommandant,« sagte er, »ich habe Neues zu melden!«

»Was giebt's?« rief der allzeit bereite Krieger und stand in einem Augenblick auf den Füßen.

»Herr Muszalski ist hier!«

»Um Gotteswillen, was redest Du?«

»Ja, er ist hier! Ich stand an der Bresche und plötzlich höre ich Jemanden in unserer Sprache rufen: »Nicht schießen, ich bin's!« Ich sehe hin, 's ist der Herr Muszalski, der als Janitschare verkleidet zurückkehrt.«

»Gott sei gelobt!« sagte der kleine Ritter.

Und er eilte fort, den Bogenschützen zu begrüßen. Schon war der Tag angebrochen. Herr Muszalski stand diesseits des Walles und sah in der weißen Kapuze und dem Ringelpanzer täuschend einem Janitscharen gleich. Als er den kleinen Ritter erblickte, lief er auf ihn zu, und beide begrüßten sich voll Freude.

»Wir hatten Euch schon beweint!« rief Wolodyjowski.

Mittlerweile kamen noch andere Offiziere herbei, unter ihnen Ketling. Alle waren über die Maßen erstaunt und unterbrachen einander mit ihren Fragen an den Bogenschützen, welchem Zufall er die türkische Verkleidung verdanke; er aber sprach:

»Als ich auf dem Rückweg war, fiel ich über die Leiche eines Janitscharen und schlug mit dem Kopf auf eine Kanonenkugel, die am Boden lag. Obgleich meine Mütze mit Draht durchnäht war, verlor ich dennoch die Besinnung, denn seit dem Schlag, den Hamdi mir versetzte, ist mein Hirn gegen dergleichen Erschütterungen noch sehr empfindlich. Endlich erwache ich aus meiner Betäubung: Da lieg' ich denn auf dem toten Janitscharen wie auf einem Bett. Ich greife nach dem Kopf; er schmerzt wohl ein bißchen, doch ist nicht einmal eine Beule daran. Ich nehme die Mütze ab; der Regen kühlt mir den Kopf, und ich denke, das ist gut dafür. Jetzt fällt mir plötzlich ein, wie wär's, wenn Du die volle Montur des Janitscharen anlegtest und Dich unter die Türken mengtest? Spreche ich doch türkisch eben so gut wie polnisch, und niemand kann mich an der Sprache erkennen, und auch mein Gesicht ist nicht verschieden von dem eines Janitscharen. Ich will gehen und hören, was sie reden. Zuweilen überkam mich die Furcht, wenn ich mich meiner ehemaligen Sklaverei erinnerte; aber ich ging. Die Nacht war finster, kaum war hie und da ein Licht bei ihnen zu sehen. Ich sage Euch, werte Herren, ich wandelte unter ihnen einher, als ob sie meines Volkes seien. Viele von ihnen lagen in Decken gehüllt in den Laufgräben; auch dort ging ich hin. Der und Jener fragt mich: Warum strolchst Du herum? – Weil ich nicht schlafen kann, antwortete ich. Andere saßen in Haufen beisammen und sprachen über die Belagerung.

Es herrschte große Bestürzung unter ihnen. Ich hörte mit meinen eigenen Ohren, wie sie unseren hier anwesenden Chreptiower Kommandanten schmähten (dabei verneigte sich Herr Muszalski vor Wolodyjowski). Ich will ihre ipsissima verba wiederholen, da ja doch des Feindes Tadel das höchste Lob bedeutet! So lange, sagten sie, jener kleine Hund (dieses Prädikat haben die Hundesöhne Euer Liebden beigelegt) so lange jener kleine Hund das Schloß verteidigt, werden wir es niemals erobern! Andere meinten: An ihm prallen Kugeln und Eisen ab, und ein Todeshauch wie die Pest geht von ihm aus. Und nun begannen sich alle zu beklagen: Wir allein müssen kämpfen, sagten sie, und andere Truppen thun gar nichts. Die Jamaks liegen ausgestreckt auf dem Rücken, die Tataren gehen auf Raub aus, die Spahis ziehen in den Lagern umher. Zu uns sagt der Padischah: Meine teueren Lämmer, aber es ist klar, daß wir ihm nicht allzu teuer sind, denn er schickt uns hier auf die Schlachtbank. Noch halten wir aus, sagten sie, aber nicht lange mehr, dann kehren wir zurück nach Chocim, und verweigert man uns die Erlaubnis dazu, so dürften wohl einige hohe Häupter fallen!«

»Hört Ihr's, meine Herren!« rief Wolodyjowski. »Wenn Meuterei unter den Janitscharen ausbricht, dann erschrickt der Sultan und giebt die Belagerung auf.«

»So wahr Gott lebt, ich sage die reine Wahrheit,« sprach Muszalski. »Aufruhr ist unter den Janitscharen keine Seltenheit und schon beginnen sie zu murren. Ich glaube, sie werden noch den einen und den andern Sturm versuchen, dann aber werden sie dem Janitscharen-Aga, dem Kajmakam, bah, dem Sultan selbst die Zähne weisen.«

»So wird es sein!« riefen viele Offiziere.

»Mögen sie noch zwanzig Stürme versuchen, wir sind bereit!« sagten andere.

Und sie schlugen an ihre Säbel und warfen glühende Blicke nach den Schanzen und schnauften vor Ingrimm, und der kleine Ritter dies wahrnehmend, flüsterte voll Begeisterung Ketling zu: »Ein zweites Zbaraz! ein zweites Zbaraz!« ...

Und Herr Muszalski erhob abermals seine Stimme:

»Das also habe ich gehört. Nur ungern entfernte ich mich von dort, denn noch gar manches wäre zu hören gewesen. Aber ich fürchtete, vom Tag überrascht zu werden. Ich ging dann zu den Schanzen, von welchen nicht gefeuert wurde, um mich im Finstern durchzuschleichen. Ich schau' mich um, da sehe ich, daß dort kein ordentlicher Wachtposten aufgestellt ist, und daß die Janitscharen dort wie überall nur so haufenweise herumschlendern. Ich schleiche mich an eine gewaltige Kanone heran; kein Mensch denkt daran, mich anzurufen. Der Herr Kommandant wissen ja, daß ich zum Vernageln der Geschütze Nägel mitgenommen hatte. Da schieb ich denn rasch einen ins Zündloch – er geht aber nicht hinein; ein Hammerschlag wäre nötig gewesen. Da mir nun der liebe Gott einige Kraft in den Händen verliehen hat (vielleicht hatten die Herren öfters Gelegenheit, meine Experimente zu sehen), so drücke ich mit der flachen Hand darauflos; es krachte wohl ein wenig, aber der Nagel drang bis an den Kopf hinein! ... Darüber hatte ich eine ungeheure Freude!« ...

»Ums Himmelswillen! Das habt Ihr vollbracht? Ihr habt die große Kanone vernagelt?« so frug man von allen Seiten.

»Ich hab' sie vernagelt und noch eine andere; denn weil die Arbeit das erstemal so glücklich ablief, wär's schade gewesen, sie gleich aufzugeben, und so machte ich mich denn über die zweite Kanone her. Die Hand schmerzt mich zwar ein wenig, aber die Nägel stecken in den Kanonen drin.«

»Ihr Herren!« rief Wolodyjowski. »Keiner hier hat Größeres geleistet, keiner sich mit solchem Ruhm bedeckt! Vivat Herr Muszalski!«

»Vivat! Vivat!« wiederholten die Offiziere. Den Beifallsrufen der Offiziere folgten die der Soldaten. Die Türken in den Schanzen erschraken, als sie diese Jubelrufe hörten und verloren noch mehr den Mut. Der Bogenschütze aber verneigte sich dankend gegen die Offiziere und zeigte seine gewaltige, einer Schaufel gleichende Hand, an welcher zwei blaue Flecken sichtbar waren. »Bei Gott, es ist wahr,« sagte er, »hier seht Ihr den Beweis, meine Herren!«

»Wir glauben Euch,« riefen alle. »Gelobt sei Gott, daß Ihr glücklich zurückgekehrt!«

»Ich schlich mich durch die Courtinen hindurch,« fuhr der Bogenschütze fort. »Gerne hätt' ich sie in Brand gesteckt, allein es fehlte mir das dazu nötige Material.«

»Höre doch, Michal,« rief Ketling, »meine Teerlappen sind bereit. Ich denke eben an diese Courtinen! Sie sollen merken, daß wir zuerst angreifen.«

»Thu's nur, thu's!« rief Wolodyjowski. Er selbst eilte nach der Kaserne und sandte neue Nachrichten nach der Stadt: »Herr Muszalski ward bei dem Ausfalle nicht getötet; er ist glücklich zurückgekehrt, nachdem er zwei große Geschütze vernagelt hat. Er trieb sich unter den Janitscharen umher und vernahm, daß sie an Meuterei denken. In einer Stunde werden wir die Courtinen, die sie errichtet, in Brand stecken, und wenn es möglich ist, zu gleicher Zeit einen Ausfall zu machen, so werde ich ihn machen.«

Der Bote hatte noch nicht die Brücke überschritten, als schon die Mauern vom Kanonendonner erbebten. Diesmal war es das Schloß, welches das dröhnende Zwiegespräch begann. In dem fahlen Licht des anbrechenden Morgens flogen die flammenden Laken gleich feurigen Fahnen durch die Lüfte und fielen auf die hölzernen Courtinen nieder. Die Feuchtigkeit, mit welcher der nächtliche Regen das Pfahlwerk durchdrungen hatte, half wenig. In kurzer Zeit fingen die Balken Feuer und brannten lichterloh. Nach den geteerten Laken sandte Ketling einen Granatregen aus.

Die ermüdeten Janitscharenhaufen ließen schon im ersten Augenblick ihre Schanzen im Stich. Die Kindya wurde nicht gespielt. Der Großvezier selbst erschien an der Spitze frischer Heeresmassen, doch offenbar war auch in sein Herz der Zweifel eingezogen, denn die Paschas hörten, wie er murmelte:

»Der Kampf ist diesen Leuten süßer als die Ruhe. Was sind das für Menschen, die in dieser Feste leben!«

Unter den Truppen aber hörte man von allen Seiten die ängstlichen Rufe:

»Der kleine Hund beißt schon wieder! Der kleine Hund beißt schon wieder!«


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