Oscar A. H. Schmitz
Bürgerliche Bohème
Oscar A. H. Schmitz

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56

Frau Dr. Cornelius war in den letzten Wochen wieder nervös geworden. Jede Kritik ihres Buches regte sie auf. Waren beim Loben nur die mindesten Einschränkungen gemacht, daß z. B. die Sprache hie und da zu wünschen übriglasse, so reizte sie das derart, daß sie weder essen noch schlafen konnte.

Der Baron fand das albern und sagte es ganz offen. Das erstaunte Amalie. Hie und da zeigte er jetzt eine Rücksichtslosigkeit des Benehmens, die ihr neu war. Er befahl z. B. geradezu, wann gegessen werden sollte. Seit einiger Zeit wohnte er fast bei ihr und zahlte die Hälfte der Wirtschaft. Nur der Form halber hatte er noch ein Zimmer in der Stadt.

»Du weißt, Amélie, ich muß ins Geschäft,« sagte er bisweilen kurz, »danach muß sich der Haushalt richten.«

Sie war dann ganz still und fügte sich. Er ging auch wirklich ins Geschäft und arbeitete. Kam er nach Hause, so war er meist guter Laune und abends zum Ausgehen aufgelegt. Paßte es ihm aber nicht, dann erklärte er einfach:

»Heute bleiben wir zu Hause, Amélie, ich bin müde.«

Er nannte sie stets Amélie wie früher, die neuerliche Aenderung des Namens in Amalie machte er nicht mit, wendete aber im übrigen nichts dagegen ein.

Mitten im Winter erkrankte die alte Lene. Oft saß sie ganze Nachmittage lang in der Küche, die Lippen fest aufeinander gepreßt, während die Kieferwände bebten wie bei einem kohlzerkauenden Kaninchen. Bald konnte sie das Bett nicht mehr verlassen. Eines Nachts wurde Amélie von dem Mädchen geweckt, das zitternd erklärte, es glaube, mit der Alten gehe es zu Ende. Amélie weckte den Baron. Beide eilten in das Zimmerchen der alten Dienerin. Diese lag dürr und wachsgelb da, sie konnte kaum die Hände aufheben, die sie Amélie entgegenstrecken wollte. Mit einer furchtbaren Anstrengung und einem matten Glanz in den erstorbenen Augen setzte sie noch die Worte zusammen:

»Melychen – Melychen – heiratet – euch.«

»Ja, ja, alte Lene,« sagte Erich, »das wird bald geschehen.« Frierend hielt er mit der Linken seinen Schlafrock zusammen, mit der Rechten nahm er ihre knochige, kraftlose Hand.

So verschied sie.

Das Mädchen drückte der Toten mit ihren roten Fingern die Augen zu und sagte: »I' hab's meiner Großmutter auch dun miss'n.«

Mit Lene war die letzte Erinnerung an Amélies Kindheit tot. Erich führte die leis Wimmernde hinaus und saß noch lange an ihrem Bett, ihre Hand haltend.

Beide gaben der Alten das Geleit. Als sie an dem Wintermorgen allein von dem Friedhof nach der Wohnung zurückkehrten, begann Erich plötzlich:

»Hast du ihre letzten Worte verstanden?«

»Ja,« erwiderte sie. »Deine Antwort hat mich, offen gestanden, etwas erstaunt. Ich nehme an, du hast sie wohl nur beruhigen wollen.«

»Nein, es war mein Ernst,« sagte Erich ruhig, im Schnee neben ihr hergehend, ohne sie anzusehen.

»Und ich? Werde ich nicht gefragt?«

»Für dich ist es auch höchste Zeit, daß du in geordnete Verhältnisse kommst.«

Sie schwieg empört, bis sie nach Hause kamen. Man war im Schlafzimmer. Erich wusch sich die Hände und sah im Spiegel, wie sie das Kleid auszog.

»Was nennst du eigentlich geordnete Verhältnisse?« nahm sie das Gespräch in gereiztem Ton wieder auf. »Als Künstlerin brauche ich meine Freiheit.«

»In deinen Büchern kannst du so frei sein wie du willst,« sagte er, die langen Nägel bedächtig feilend, »nie werde ich mir erlauben, da hineinzureden, aber im Leben vertraust du dich wohl besser der Führung deines Mannes an.«

»Bist du das etwa?« rief Amélie voll Hohn, wieder in den Ton von einst zurückfallend. Sie stand mit bloßen Armen vor ihm. »Ein Hanswurst bist du.«

Bei diesen Worten schnellte Erich plötzlich herum, warf die Nagelfeile weg, stürzte sich auf sie, packte sie derb an beiden Armen und sagte mit verhaltener Erregung:

»Nimmst du das zurück?«

»Fällt mir ja gar nicht ein,« sagte sie bebend und ihre großen fragenden Augen blickten ihn unter den rundgewölbten Brauen trotzig an. Da ließ er sie los, nahm seine Reitgerte vom Nagel und versetzte ihr damit einen Schlag auf den Oberarm, so daß sie aufs Bett sank. Voll Angst blieb sie liegen und bedeckte den Kopf mit den Armen, stieß aber keinen Ton aus. Das war etwas ganz anderes gewesen als die symbolische Ohrfeige des Dr. Cornelius im Englischen Garten.

Erich ging hinaus. Nach einer Weile kehrte er zurück und sagte ruhig: »Steh auf, Amélie. Ich denke, so etwas wird sich in unserer Ehe nicht wiederholen. Du wirst die Achtung, die du deinem Manne schuldest, nicht wieder vergessen.«

»Verzeih' mir,« flüsterte sie.

»Schon gut, schon gut,« antwortete er. Er nahm ein Taschentuch aus der Schublade, befeuchtete es am Waschtisch und legte es auf Amélies Arm, wo man einen roten Striemen sah.

Amélie war den ganzen Tag fast sprachlos vor Verwunderung, daß ein »Kulturmensch« im zwanzigsten Jahrhundert den Mut zu einer solchen Brutalität besaß und dies dann mit einer so banalen Redensart zu erklären wagte. »Die Achtung, die du deinem Manne schuldest,« wiederholte sie sich immer wieder; aber noch nie im Leben hatte ihr etwas solchen Eindruck gemacht.

Nach zwei Monaten bezogen der Baron Erich und die Baronin Amélie von Wietersheim, die nun in ihr dreißigstes Jahr ging, eine neue, viel größere Wohnung und versandten Einladungskarten für die erste Gesellschaft, die sie dort zu geben beabsichtigten.


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