Oscar A. H. Schmitz
Bürgerliche Bohème
Oscar A. H. Schmitz

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54

Eines Abends, als Frau Dr. Cornelius aus dem Theater zurückkam, das Auto eben umdrehte, und sie im Begriff stand, ihre Haustür zu öffnen, trat ein schlanker, blasser Herr mit aufgeklapptem Pelzkragen auf sie zu, ergriff ihre Hand und sagte:

»Amélie, ich bin's.«

Sie erschrak erst, aber als sie in das etwas verwitterte, bartlose Gesicht schaute, erkannte sie den Baron Erich Wietersheim. Sie starrte ihn sprachlos an.

»Ich bin's,« wiederholte er, »der alte, unverändert.«

»Wie kommen Sie denn hierher?« fragte Amalie nach einigen Augenblicken. Sie sah seine schlechten Zähne, die jetzt, wo er keinen Schnurrbart mehr trug, etwas mehr auffielen als früher. Seine Züge waren härter geworden.

»Ich habe erfahren, daß Sie wieder frei sind und hier in München leben, und so bin ich denn gekommen und suche schon seit längerer Zeit eine Annäherung an Sie. Heute bin ich den ganzen Abend im Theater in Ihrer Nähe gewesen und habe Sie beobachtet und mir dann gesagt: heute mußt du sie sprechen. Darf ich Ihnen die Tür aufschließen?« setzte er galant hinzu.

Amalie war von dieser Sicherheit derartig betreten, daß sie ihm ruhig den Schlüssel ließ; wie selbstverständlich trat er mit ihr ein, nach einigen Minuten saß er ihr in ihrem weiß-rot-goldenen Salon gegenüber.

»Ist das nicht die alte Lene?« fragte er, während diese Amalies Kleider abnahm.

»Ach, der Herr Baron!« rief die spindeldürr gewordene Alte wie aus den Wollen gefallen.

»Ja, der läßt sich auch einmal wieder blicken,« erwiderte Erich leutselig.

»Das ist aber recht!« sagte die Lene und fragte: »Trinken gnädige Frau noch Tee?«

Die Alte bediente und erlaubte sich vor Freude die Bemerkung:

»Das ist aber lange her, daß ich die Herrschaften nicht zusammen bedient habe!«

»Zusammen, nein, aber mich haben Sie noch vor vier Jahren bedient,« sagte der Baron freundlich. »Wir haben uns ja noch bis in die letzten Tage der Großmama gesehen,« erklärte er, zu Amalie gewandt.

»Sie waren noch bei der Großmama?« fragte diese erstaunt.

»Ja, gewiß, ich konnte doch die alte Dame nicht ganz sich selbst überlassen.«

Amalie wunderte sich immer mehr, und als Lene draußen war, konnte sie sich zunächst nicht enthalten, wohl hauptsächlich aus Neugier zu fragen:

»Und warum sind Sie denn nicht nach Großmamas Tod einmal gekommen, als ich zu Hause war?«

»Das war unmöglich, Amélie,« sagte er mit der Feierlichkeit, die er noch immer annahm, wenn er sein eigenes Leben als tragisch empfand, und mit der er schon einmal seine Sünden vor Amalie zu rechtfertigen verstanden hatte, als ihr Mädchengemüt sein Verhalten nicht begriff. »Damals bin ich in einem derartigen Sumpf gewesen, daß ich es nicht wagte, an Sie heranzutreten. Jetzt aber habe ich mich daraus befreit, ja, das darf ich wohl behaupten; ich habe von meiner Familie doch noch etwas geerbt, und nun möchte ich ernstlich irgend etwas unternehmen, und wenn du dich jetzt ein wenig meiner annimmst, Amélie, dann werde ich nicht wieder unter Wasser kommen.«

Er kniete plötzlich vor ihr nieder und ergriff ihre Hände. Amalie fühlte wieder die leichte Feuchtigkeit seiner Hand und das erinnerte sie an die heißesten Schauer ihres Lebens. Plötzlich sprang er auf, nahm sie in die Arme und küßte sie heftig. Ihr war, als ob der Abgrund mehrerer Jahre sich schlösse. Alles, was sie seit dem Abschied von ihm erlebt hatte, war wie ein Zug von Schatten an einer Wand verschwunden, und wieder erlag sie der Macht seiner Küsse.

Von jetzt ab lebte Amalie wieder ohne nachzudenken in einem Zustand vollkommener, oft trunkener, oft dumpfiger Passivität. Bei Tag unternahm sie wie früher, was die Stunde verlangte; ihre Unzufriedenheit und Gleichgültigkeit war verschwunden, sie tat alle Dinge wie in einem bewußten Traum; nachts kam Erich, und in diesen Stunden führte sie ein Leben, das mit dem des Tages nichts gemein hatte. Hie und da schlug er vor, sie wollten zusammen eine Reise machen, aber sie lehnte es ab, denn sie fürchtete, daß der Bann im Augenblick gebrochen wäre, wo ihre Beziehungen diese abenteuerliche Form verlieren würden. Er aber drängte sich mehr und mehr in ihr Leben, und so geschah es, daß sie ihn schließlich doch in ihrem Salon als ein«« alten Jugendfreund einführte. Er war ungemein gewandt und unterhaltend und bezauberte alle.

Amalie war stolz auf ihn. Glich er nicht mehr und mehr jenem Kavaliertypus, den sie auf ihren Auslandsreisen gesucht und nie zu fesseln gewußt hatte? Merkwürdig, daß sie ihn einst so hatte verkennen können. Sie fühlte zu ihrem Staunen, daß sie sogar Achtung vor ihm hatte. Es war eine kühle Überlegenheit in ihm. Sie gewöhnte sich nun an, nach seinem Beispiel ihr mißliebige Menschen nicht mehr Idioten, sondern Proleten zu nennen. Wenn er ihr auch nach wie vor mit vollendeter Ritterlichkeit huldigte, so war er doch nicht mehr wie einst Wachs in ihrer Hand. Sie durchschaute ihn nicht mehr ganz und etwas in ihm war ihr rätselhaft. Aber gerade das reizte sie. Sie wußte, daß ihre Instinkte bei ihm noch eine Ueberraschung erleben würden.

Sie hätte gerne über sein Leben in den letzten Jahren etwas mehr erfahren, aber er ging nicht darauf ein.

»Es war nicht schön, Amélie, warum also davon sprechen?«

Einmal berichtete die Zeitung ausführlich von einem Falschspielerprozeß. Während der Verhandlung wurde deutlich, daß der Angeklagte, ein junger Aristokrat, von einem unersättlichen Frauenzimmer auf die schiefe Ebene gebracht worden war. Amalie verfolgte den Prozeß mit großer Teilnahme. Eines Morgens sah sie Erich beim Frühstück in den letzten Bericht vertieft. Er reichte ihr das Blatt hinüber und sagte:

»Ich verstehe den Mann nicht, so eine Person peitscht man doch einfach, wenn sie nicht gehorcht.«

Amalie war von dieser Bemerkung wie erschüttert.

»Hast du so etwas schon einmal getan?« fragte sie zusammenschauernd.

»Du weißt, Amélie, ich bin kein Marquis de Sade,« erwiderte er mit seiner etwas hohen Stimme, »aber wenn sich so ein Frauenzimmer zu mausig macht, was bleibt da übrig?«

Amalie vertiefte sich in die Zeitung.

Man gewöhnte sich bald daran, Frau Dr. Cornelius stets in Gesellschaft des Barons Wietersheim, ihres Jugendfreundes, zu sehen. Er erschien mit ihr im Theater, er speiste mit ihr bisweilen im Gasthaus, Oesterots forderten ihn auf, sie zu besuchen, und wenn man zu Amalie kam, war der Baron gewöhnlich da. Er gab ihrem Hause ganz entschieden Charakter. Am zufriedensten war die alte Lene.

»Das hätte Mme. Sanders erleben müssen,« rief sie ein über das andere Mal aus, »daß nun doch noch alles gut wird.«

Amalie lehnte es ab, auf derartige Anspielungen einzugehen; den Gedanken, den Baron zu heiraten, schob sie weit von sich weg, und er war auch klug, vorläufig diesen Punkt niemals zu berühren. Wenn er hie und da einmal einen Augenblick mit Lene allein war, fühlte er indessen deren Wohlwollen, und da sie auch ihm gegenüber ihre Anspielungen nicht unterließ und immer davon sprach, wie sehr Mme. Sanders seinerzeit eine Ehe Melys mit ihm gebilligt hätte, merkte er wohl, daß er hier eine Bundesgenossin hatte.

»Nun, alte Lene,« sagte er einmal, ihr auf die Schulter klopfend, »kommt Zeit, kommt Rat. Man darf nichts überstürzen. Nur nicht unvorsichtig reden, das ist bei einer Natur, wie Mely, gefährlich. Damit verdirbt man sich alles. Das haben wir doch schon erlebt.«

»Ja, ja, ja,« sagte die Alte kichernd und freute sich, daß der Baron die Sache so richtig ansah.


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