Oscar A. H. Schmitz
Bürgerliche Bohème
Oscar A. H. Schmitz

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8

Nach ihrer Rücklehr von der Riviera besuchte Mely die Meisterwerkstatt des Professors Stettner in der Kunstschule der Stadt. Der Professor war ein mittelgroßer Mann mit leicht ergrauendem, rötlichblondem Bart und braunen, hellen Augen. Ueber einer zwar hohen, aber etwas leeren Stirn bäumte sich starkes Haar nach rückwärts. Er war sorgfältig, stets dunkel gekleidet, trug aber helle Westen und dunkelblaue Foulardhalsbinden à la Lavallière. Ein breitkrempiger, weicher Filzhut gehörte dazu. Er galt für einen schönen Mann und echten Künstlertypus, aber mit leicht weltmännischer Note. Einst hatte er in Italien und Paris studiert, auch eine Studienreise nach Nordafrika gemacht, von der er viel und gern sprach. Er unterrichtete vier Schülerinnen, hübsche Mädchen, die ihn eifersüchtig verehrten und »Meister« nannten. Sie legten ihm Blumen hin, bereiteten Tee, schenkten ihm Wein ein und dies ziemlich oft im Laufe eines Tages. Er kam selten vor elf Uhr morgens, grüßte etwas feierlich: »Guten Morgen, meine Damen,« tat etwas zerstreut, ließ sich den Mantel abnehmen, ergriff dann plötzlich die Hand des Mädchens, das ihm geholfen hatte, drückte sie mit beiden Händen und sagte mit umflorter Stimme:

»Ich danke Ihnen, mein liebes Fräulein, ja, ich danke Ihnen.« Dann beugte er sich über die arbeitenden Mädchen, verbessert«, machte auch hie und da einen Scherz, zupfte eine am Ohr oder schlug ihr auf die Finger. Dann ging er selbst an sein großes Werk »Marius auf den Trümmern von Karthago«, das bis zur nächsten Ausstellung fertig werden mußte.

Mely war berauscht, in einer richtigen Meisterwerkstätte die reine Luft wahrer Kunst zu atmen. Professor Stettner war besonders liebenswürdig gegen sie.

»Kommen Sie einmal her, Sie junges, strahlendes Menschenkind,« hatte er am ersten Tage gesagt und sie am Handgelenk vor einige Kopien alter Meister gezogen. »Sehen Sie, das sind die Götter, zu denen wir hier beten. Wenn nur das heilige Feuer der Begeisterung in Ihnen loht, dann soll es an mir nicht fehlen, Sie in das Allerheiligste unseres Tempels zu führen.«

Mely zitterte. Sie dachte: er ist ein ebenso edler Mensch, wie ein großer Künstler. Aber als er in diesem Tone weitersprach, fühlte sie auf einmal einen kaum zu beherrschenden Lachreiz. Sie errötete und hätte sich selbst dafür schlagen können. Sie wollte ernst sein, sie wollte dieses Lebens würdig werden. Sie arbeitete nun mit großem Fleiß. Schon nach einigen Wochen stellte der Meister fest, daß es ihr an Begabung durchaus nicht fehle.

Bald kam die Zeit des frühen Dunkelwerdens. Professor Stettner behielt seine Schülerinnen zum Tee da, und während ein Paar zierlicher Hände das Getränk bei einer Spiritusflamme bereitete, ein Paar anderer Hände die Lampe anzündete, holte er ein Manuskript hervor, an dem er, wie er sagte, in seinen häufig schlaflosen Nächten schrieb. Jetzt kam die Feierstunde des Tages, der Lohn für fleißige Arbeit. Der Meister las aus seiner Lebensgeschichte vor, die er »Wahrheit ohne Dichtung« benannte. Er war zwar bloß in Pirna unweit Leipzig geboren, aber wie sollte das Schicksal diesen Pirnioten herumstoßen! Schon als Kind hatte sich in ihm der Künstler gezeigt, so z. B. beim Aepfelstehlen, das er nur dann mitmachte, wenn er als Herkules galt, und die Früchte die Aepfel der Hesperiden bedeuteten. Er ließ bei dieser Schilderung fein verstehen, daß er das Aesthetische über das eng Moralische stelle. Und mit was für bedeutenden Menschen war Stettner zusammengekommen! Sein Lehrer war der große Obertimpfl gewesen, der in den siebziger Jahren in Rom geblüht hatte. Zu ihm war Stettner als lockiger Jüngling, das Ränzlein auf dem Rücken und Gott im Herzen, gepilgert. Mit Behagen schilderte er den schäumenden Uebermut des lockeren Künstlervölkchens im Café Greco und Turco, ehrfürchtig verweilte er bei dem Besuch des deutschen Kronprinzen in Rom. Die Frauen hatten im Leben des großen Pirnioten keine geringe Rolle gespielt. Da war z. B. eine russische Fürstin gewesen, die er beinah geheiratet hätte, aber noch rechtzeitig wurde ihm ihre leere Weltlichkeit und herzlose Gefallsucht deutlich. So waltete stets ein schützendes Schicksal über dem Genius.

Mit Verehrung hingen die Mädchen an des Meisters Mund, und Mely konnte es noch gar nicht fassen, daß sie bei so etwas dabei sein durfte.

Unter ihren neuen Mitschülerinnen fand Mely die magere kleine Jüdin Lea Knapp wieder, dieselbe, der einst Hermann als Gymnasiast den Hof gemacht hatte, die aber dann zu Erwin Dorn abgeschwenkt war. Sie hatte sich inzwischen zu einem sehr überlegenen Wesen entwickelt, dem man auf den ersten Blick die »Gescheitheit« ansah. Die großen, lebhaften, doch etwas stechenden, dunklen Augen ließen einen im ersten Augenblick ganz Leas ausgesprochene Häßlichkeit vergessen; während der Bewegtheit ihres Gesprächs blickte man immer nur in diese Augen und übersah die braune Gesichtsfarbe und die große Hakennase, wenn einen auch manchmal die Spitzigkeit des dünnen Mundes erschreckte. Sobald aber das Mienenspiel ruhte, entdeckte man, wie hart und unliebenswürdig dieses magere Geschöpf war, dessen etwas zu lange Arme beim Sprechen fahrig in der Luft umherfuchtelten, als wollten sie der Eindringlichkeit des Gesagten noch nachhelfen und alles aus dem Wege räumen, was die Ueberzeugungskraft der Worte hemmte. So mußte man sie wohl oder übel beachten. Kein Mann konnte sich ihr entziehen, er mußte ihr Rede stehen, wenn ihr Auge ihn erst einmal erwählt und ihre Zunge ihn auf ein Thema festgebannt hatte. Auf Mely machte sie einen sehr großen Eindruck, wie die Eingeweihte auf die Novize. Ihr irgendwie zu widersprechen, kam Mely überhaupt nicht in den Sinn, denn Lea wußte offenbar alles, und hatte in ihrer Art immer recht. Die beiden Mädchen gingen oft den Heimweg zusammen und schlossen sich bald aneinander an. Lea war schon über ein Jahr Professor Stettners Schülerin. Sie bemutterte Mely, und diese erfuhr von ihr sehr überraschende Dinge. Lea versicherte z. B. mit unbeirrter Bestimmtheit, Professor Stettner sei kein großer Künstler, aber darum eben ein guter Lehrer. Bei ihm könne man das Technische lernen, seine Eigenart müsse man dann selber finden. Mely war starr über diese Eröffnung. Der Meister kein großer Künstler! Sie wollte es erst nicht glauben. Das Bild »Marius auf den Trümmern von Karthago« nannte Lea einen »Schinken«; das war ein Münchner Malerausdruck, der Mely geradezu erschütterte. Lea, die auf Alpenreisen mit ihren Eltern jährlich einmal durch München kam und dort unter der Führung eines entfernten Vetters, eines Malers, die Kunstausstellungen zu besuchen pflegte, warf überhaupt mit solchen Ausdrücken um sich. Raffael, von dem eine kleine Madonna in der städtischen Galerie war, ein Bild, das Mely »süß und herzig« fand, erschien Lea als ein »Kitsch«. Auch manche Bauten der Stadt, das prächtige Opernhaus z. B. oder Kleider eleganter Damen fand Lea »kitschig«, unpersönlich. Sie wandte das Wort »Kitsch« sogar hie und da auf die Natur an. Als Mely von der Riviera schwärmte, nannte Lea Italien einen großen »Kitsch« und sprach von Oeldruckbuntheit. Auf Mely wirkte diese Sicherheit zwingend, obwohl ihre eigenen Empfindungen und Ansichten denen Leas genau entgegengesetzt waren; sie meinte schüchtern, sie sei doch weniger anspruchsvoll, ihr gefiele Italien noch sehr gut. Das würde anders werden, prophezeite Lea, wenn sich erst Melys eigene Persönlichkeit einmal entwickelt habe. Melys Lieblingsoper war Mignon, wofür Lea nur Hohn hatte. Sie verehrte nur Wagner, Liszt und neuerdings Richard Strauß.

Im Lauf dieses Winters fand Lea, die ihre Persönlichkeit längst entdeckt hatte, dazu auch noch ihren »Stil«. Nach den Weihnachtsferien erschien sie äußerlich vollkommen verändert. Während man sich bei ihrer früheren unauffälligen Kleidung ihrer Häßlichkeit nie so recht bewußt geworden war – auch das etwas krause, lose um den Kopf gelegte Haar wirkte mildernd –, hatte sie nun gerade diese Häßlichkeit als ihren Stil erkannt und tat alles mögliche, sie zu unterstreichen. Indem sie ihr schwarzes Haar glatt scheitelte und eng um den Kopf legte, hinten durch ein paar straff geflochtene Schnecken befestigt, wurde man erst ihre harten Züge und die grobe Nase recht gewahr. Außerdem kam nun zum Vorschein, daß sie überhaupt keinen Hinterkopf besaß, was jedoch ihrem Schädel eine Linie gab, von der sie als von seiner Silhouette bisweilen selber sprach. Sie trug nun ausschließlich Kleider, zu denen sie selbst den Grundriß entworfen hatte, und deren Ausstattung vom Standpunkt einer Zimmereinrichtung aus einen gewissen Farbensinn bekundete, auf einem Kleide jedoch zu heftige Gegensätze hervorbrachte. Immer öfter führte sie spitzfindige Erörterungen herbei, bei denen sie gerne ihre starre Logik zur Schau stellte, und häufig mußte der gute Professor Stettner dazu herhalten. Er war der modernen Kunst ziemlich abgeneigt und meinte, die Persönlichkeit müsse auf dem Altare der Schönheit geopfert werden. Lea dagegen behauptete, wenn ein Bild auch noch so unvollkommen gemalt und unschön anzusehen sei, aber sie spüre darin die ringende Persönlichkeit eines Künstlers, so sei ihr das mehr wert. Auf das Leben käme es in erster Linie an. Solche Gespräche endeten immer damit, daß der sehr bequeme Professor Stettner Lea Schmeicheleien über ihren scharfen Geist, ihre umfassenden Kenntnisse und über ihre garantiert große Zukunft machte, was sie lächelnd hinnahm, während er bei seinen gemütlichen Ansichten blieb, auf die nun einmal sein Dasein und sein Behagen begründet waren.

Lea nannte sich auch eine Anhängerin der Frauenbewegung. Sie war empört, daß man gerade die Frau unlogisch nannte. Ihre Gespräche mit Professor Stettner bewiesen doch wahrhaftig das Gegenteil. Sie meinte, die Frau sei bisher die »Hörige« des Mannes gewesen, z. B. könne eine Ehefrau nicht ohne Einwilligung des Gatten ein Theaterengagement annehmen. Die Ehe nannte sie eine unwürdige Schmach, zur Knechtung des Weibes ersonnen. Zu Mely sagte sie, sie habe eine tiefe Verachtung gegenüber allen Menschen, die es für notwendig hielten, ihre freiwillige Verbindung durch den Staat oder die Kirche abstempeln zu lassen, das sei Feigheit. Ueberhaupt der Staat! Wozu der nur da sei! Mely konnte daß durchaus nicht begreifen, aber als Lea ausführte, allein die persönliche Neigung oder Abneigung dürfe für einen Bund zweier Menschen oder für die Trennung ausschlaggebend sein, kein Mensch habe sich da hineinzumischen, weder Familie noch Oeffentlichkeit, noch dürfe je die gesellschaftliche Stellung irgendeine Rolle spielen, da war es Mely, als fiele ihr ein Schleier von den Augen. Natürlich, das war ganz richtig. Hatte sie nicht selbst schon unter solchem Zwange gelitten? Sie dachte an die Großmutter, die ihr immer vorhielt, was eine junge Dame – für diesen Begriff hatte Lea immer einen ganz besonderen Spott übrig – tun dürfe und was nicht. Wie lästig war auch ihr immer der Zwang gewesen! Was lag ihr denn an den Leuten, an der Gesellschaft? Eine Moral, die das freie Recht des Herzens verfocht, hatte etwas, was ihr einleuchtete, und mit wachsender Bewunderung blickte Mely zu der strengen, gescheiten Lea auf, die diese Moral verkündigte. Einmal fragte Lea sie, ob sie schon einmal geliebt habe, und ohne daß sie wußte wie, zuckte etwas in Mely, was sie zwang, im Hinblick auf ihr Erlebnis mit Erwin Dorn, ja zu sagen.

»Nun, und war Ihre Familie mit Ihrer Wahl einverstanden?« fragte Lea begierig.

»O nein, man zwang mich, zu verzichten.«

»Und Sie haben nachgegeben?«

»Ja, leider. Ich war damals noch eine ganz unentwickelte« – hier zögerte Mely ein wenig, dann aber faßte sie Mut und sagte: »Persönlichkeit.«

Es war zum erstenmal, daß sie dieses Wort auf sich anzuwenden wagte, und dies war ein Markstein in ihrer Entwicklung.

»Sagen Sie einmal, wie heißen Sie eigentlich richtig?« fragte Lea, »Mely ist doch kein Name, sondern ein Kosewort für Kinder.«

Mely errötete. Sie hieß Amelie.

»Ja, warum nennen Sie sich dann nicht so? Sie sind doch kein Kind mehr. Es ist unwürdig, daß man uns Frauen zeitlebens mit solchen Namen belegen will, wie junge Katzen und Hunde.«

Mely liebte ihren Namen. Die Erinnerung an ihre sonnige Kindheit lag darin, aber sie fand, Lea habe doch recht. Eine erwachsene Persönlichkeit dürfe nicht länger Mely heißen.

Nach diesem Gespräch ging sie, im Inneren tief erregt, nach Hause. Welch ein Glück war es doch, daß ihr ein solcher Mensch wie Lea auf ihrem Wege begegnete! Nun war sie im Strom, jetzt ging es mit ihr vorwärts: Erst die Offenbarung der Kunst durch Professor Stettner, der ihr, was man auch über ihn sagen mochte, doch vieles Neue gegeben hatte, und nun gleich darauf noch eine Stufe höher, die Freundschaft dieser weiblichen Persönlichkeit Lea Knapp! Ob diese selbst schon einmal geliebt hatte? dachte Mely oft; man konnte es sich gar nicht recht vorstellen. Wahrscheinlich hatte sie alles dies schon hinter sich, und darum vermochte sie so klar über alles zu urteilen.


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