Oscar A. H. Schmitz
Bürgerliche Bohème
Oscar A. H. Schmitz

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9

Mely besuchte noch häufig die alten gesellschaftlichen Kreise, obwohl sie sich, seit Leas Lehren in ihr zu »eigenen Ansichten« geworden waren, über jene sehr erhaben fühlte. Aber das war es vielleicht gerade, was sie hinzog. Dort wurde sie anerkannt und vergöttert, während sie in der Umgebung des Professors Stettner nur eine bescheiden Empfangende war. Unter den alten Freunden huldigte man ihr als der Künstlerin, der interessanten jungen Dame, zu deren kühnen Meinungen sich emporzuringen einen die erlebte, freilich enge Wirklichkeit hinderte, und hier gewann sie auch langsam die Sicherheit, sich selbst, ohne wie Lea gegenüber in der Sprache zu stocken, als eine Persönlichkeit zu bezeichnen; in diesen Kreisen zweifelte auch kein Mensch daran, daß sie es war. Hier wagte sie es zum ersten Male, sich Amélie Sanders zu nennen und bestand darauf, daß der Name Mely nicht mehr angewendet werden dürfe. Den jungen Assessoren und Leutnants bereitete sie damit gewiß einen tiefen Schmerz, denn die, welche ihr zugetan waren, hatten sich in das blonde Melykindchen verliebt, das nun in die Ecke geschoben und durch die Persönlichkeit des Fräulein Amélie Sanders verdrängt war. Aber die Kurmacher verschwanden deshalb nicht. Mancher trug vielleicht das Bild der kleinen Mely noch im Herzen, während er der interessanten Amélie den Hof machte und sich bewundernd, wenn auch etwas erstaunt, ihren Ansichten beugte. Besonders aber wurde Amelies Selbstbewußtsein dadurch gehoben, daß nun junge Mädchen für sie zu schwärmen begannen und ihre Freundschaft suchten, ja, sie um Rat fragten. Da kamen Amelie die Erinnerungen an ihre Gespräche mit Lea Kapp sehr zustatten, und sie verstand es, dieselben Ansichten, die sie noch vor wenigen Monaten so außerordentlich überrascht hatten, nun selbst als Eingeweihte den Jüngeren, Lauschenden vorzutragen und sich über deren Aengstlichkeit und Befangenheit nicht schlecht lustig zu machen. Der Kreis, in dem sie sich so anerkannt fühlte, bestand aus tüchtigen, einfachen Menschen aus gutem Hause, die der Kunst mehr oder weniger fernstanden, so daß Mely hier bald als die Prinzessin aus Genieland wirkte, die eigentlich nach München oder sonstwohin in ein geistigeres Leben gehörte. Man konnte froh sein, daß man sie hier hatte, ohne sie wäre es noch öder und langweiliger gewesen, sie brachte, wie man sagt«, »Leben in die Bude«. Nichtsdestoweniger gerieten die Herren etwas mehr in Abstand zu ihr. Mancher, der vielleicht gehofft hatte, sie demnächst um ihre Hand bitten zu können, fühlte doch, wie dieser Wunsch in ihm verblaßte, ohne daß er es darum aufgab, für einen ihrer Verehrer zu gelten. Viele waren zu bescheiden, andere zu ängstlich, um zu glauben, Amelies Anforderungen an die Ehe genügen zu können; wieder andere dachten zu nüchtern für das Wagnis, ein so sehr an Bewunderung gewöhntes Mädchen ins eigene Haus zu führen; die älteren aber waren sich wohl ganz klar, daß Fräulein Amelie Sanders sich trotz ihren Vorzügen nicht zur Hausfrau eines geordneten Mannes in mittlerer sozialer Stellung eignete. Um ein solches Mädchen zu befriedigen, brauchte man sehr viel Geld, und da sie selbst nicht eigentlich für reich galt, war es besser, sich mit der Bewunderung ihrer Gaben aus der Ferne zu begnügen. Alle waren außerdem überzeugt, daß Amelie gewiß schon manche Körbe verteilt hatte, und niemand wollte sich einer derartigen Erniedrigung aussetzen. Hier und da versuchten es allerdings einige mit Amelie von Liebe und Ehe zu reden, aber sie antwortete darauf nur mit einem spottenden Lachen, indem sie Leas Lehren andeutete.

»Sie haben wirklich Mut,« rief sie ausgelassen, wenn jemand damit anfing.

»Wieso Mut?« fragte dann der schüchterne Bewerber.

»Gehört dazu nicht Mut, sein ganzes Leben lang mit einer fremden Persönlichkeit Tag und Nacht unter einem Dach sein zu wollen?«

Oder aber sie stellte halb ernst Bedingungen.

»Gewiß, ich habe gar nichts gegen die Ehe, wenn man die Hälfte des Jahres getrennt lebt und sich nur von Zeit zu Zeit sieht.« – »Ich würde nur einen Marineoffizier heiraten,« rief sie einmal aus, »den man nur selten zu Hause hat, und wenn er einmal kommt, beginnen immer wieder die Flitterwochen.«

Leider gab es in der Stadt keine Marineoffiziere.

Alles dies wurde für sehr geistreich gehalten, schreckte aber die Bewerber immer mehr ab, während die Zahl der Verehrer wuchs.


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