Oscar A. H. Schmitz
Bürgerliche Bohème
Oscar A. H. Schmitz

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55

Von Cornelius hatte Amalie in den letzten Jahren nichts anderes gehört, als was jeder wußte, daß er sich noch immer im Ausland aufhielt. Da erschien plötzlich ein Roman seiner Feder, der viel Beachtung fand. Die ernsthafte Kritik begrüßte in dem Verfasser einen der kommenden Männer, und überall hörte man von dem erfolgreichen Buche sprechen.

Amalie bestellte es in der Buchhandlung und verschlang es. Anfangs war sie von der Jugendgeschichte des Romanhelden angenehm berührt, und manchmal glaubte sie, Cornelius vor sich zu sehen, so wie sie ihn einst gern gehabt hatte. Dann aber fühlte sie, obwohl sie persönlich in keiner Weise bloßgestellt war, wie sehr er den Geist dieses Buches aus dem Zusammenleben mit ihr geschöpft, und sie erkannte Lagen wieder, die er mit ihr erlebt hatte. Das erweckte ihren Widerspruchsgeist und schließlich eine ohnmächtige Wut. Soundso oft warf sie das Buch in die Ecke, nahm es aber dann wieder auf, um neugierig weiterzulesen und die Auslegung zu erfahren, die nun Cornelius ihrer einstigen Liebe gab. Zwar hatte er alles verwischt, woraus Draußenstehende sie hätten erkennen können, aber sie selber fühlte sich dargestellt als eine hohle und wirre, wenn auch begabte, als eine haltlose, wenn auch an Charakter ursprünglich gut veranlagte Frau, die widerstandslos allen törichten Theorien der Zeit unterliegt und dadurch für das Leben und besonders für die Ehe unbrauchbar wird. Amalie mußte sich mehrere Tage ins Bett legen, um das zu verwinden.

»Diese Gemeinheit,« schrie sie ein über das andere Mal, »diese Unverschämtheit!«

Nur der Baron durfte zu ihr. Sie schmiedete allerlei Pläne. Sie wollte eine Entgegnung in die Zeitung setzen und aller Welt den wahren Sachverhalt ihrer Ehe entschleiern. Aber schließlich mußte sie auf das Zureden des Barons erkennen, daß sie damit die Menschen erst auf die Angelegenheit aufmerksam machte. Um ihr zu gefallen, bot ihr Erich an, Cornelius zu fordern; aber darauf legte sie keinen Wert.

»Irgend etwas muß geschehen,« rief sie, und irgend etwas geschah.

Unter den jüngeren Leuten ihres Salons befand sich ein Herr Siegfried Baruch, der aus Galizien oder der Bukowina mit literarischem Ehrgeiz nach Deutschland gekommen war. Er beherrschte die deutsche Sprache nicht ganz, wollte auch nicht selber schreiben, sondern lieber irgend etwas gründen, eine Zeitschrift oder einen Verlag. Einiges Geld stand ihm zur Verfügung. Sein Aeußeres war wenig ermutigend. Er hatte zwei linke Beine und ein Gesicht von übertrieben jüdischem Ausdruck, den er dadurch verbergen wollte, daß er mehrmals versuchte, sich einen Vollbart stehen zu lassen. Der aber geriet immer wieder so dünn und sah so zerfetzt aus, daß es den Anschein hatte, die Motten hätten darin gefressen; so nahm er ihn wieder ab, nachdem er seine Hoffnungen nicht erfüllt hatte. Wie dieser Siegfried Baruch eigentlich zu ihr gekommen war, wußte Amalie selbst nicht mehr. Irgend jemand hatte ihn mitgebracht; es war ihr nicht gerade recht gewesen, aber nun war er da und gab keinen Grund, ihn vor die Tür zu werfen. Baron Erich wartete vergeblich auf einen Vorwand. Nun ließ sich Amalie diesen Baruch einmal kommen, da er in literarischen und Verlagsangelegenheiten erfahren zu sein schien. Er kam mit einer erregten Bereitwilligkeit und überstürzte sich in Höflichkeiten, wobei man merkte, daß es für ihn ein großer Augenblick war, von der schönen Frau zu einem besonderen Besuch in dem weiß und goldenen Salon aufgefordert zu sein. Amalie begann das Gespräch mit der Frage:

»Wie finden Sie den Roman von Cornelius?«

Baruch fühlte, daß er sich auf dem Glatteis befand, zuckte mit den Achseln, setzte dann ein gescheites Lächeln auf und sagte:

»Nun, ich hab' schon schlechtere gelesen.«

»Also etwas Besonderes ist es Ihrer Meinung nach nicht?«

»Wenn Sie wollen, ist es was Besonderes,« sagte er, sicherer werdend, »eine besondere Unverschämtheit.«

»Sehen Sie, das finde ich auch,« rief Amalie, »was kann man aber dagegen tun? Sie verstehen doch von diesen Dingen etwas. Was kann man dagegen tun?«

»Am besten gar nix,« sagte Baruch, »totschweigen.« Er blickte sich in dem Raum um, den er bisher nur von vielen Menschen erfüllt gesehen hatte.

»Nein!« rief Amalie erregt, »das halte ich nicht aus! Wissen Sie, daß alles falsch ist, alles entstellt, was er dann erzählt?«

»Kunststück!« erwiderte Baruch und schaute sich wieder um, als taxiere er die Einrichtung.

»Ja, aber das kann ich doch nicht auf mir sitzen lassen, da muß ich doch erwidern.«

»Was, erwidern wollen Se?« sagte er, scheinbar gar nicht bei der Sache. »Wie woll'n Se das machen?«

Er griff sich in den Hemdkragen und verzerrte dabei das Gesicht.

»Ich dachte erst, man könnte einen Artikel in die Presse setzen, in dem die einzelnen Lügen dieses Buches aufgedeckt werden; aber der Baron hat mir dringend davon abgeraten.«

Amalie machte seine fahrige, zerstreute Art nervös.

»Hören Sie denn, was ich sage, Herr Baruch?«

»Recht hat der Herr Baron,« erwiderte Baruch schnell, während Erich in Reithosen ins Zimmer trat.

»Bleiben Sie sitzen, Baruch,« begann dieser gönnerhaft, während jener aufgestanden war und Bücklinge machte.

»Also Sie wissen auch keinen Rat?« fragte Amalie enttäuscht.

»Ich wüßt' einen Rat,« erwiderte Baruch schlau, »einen sehr guten Rat sogar, den ich schon längst der gnädigen Frau hab' geben wollen. Schreiben Se Ihren Roman, so wie Sie' s auffassen; für den Erfolg garantier' ich. Bekenntnisromane von schönen Frauen aus guter Familie, das ist gerade das, was heute das Publikum will. E' bißchen erotisch, verstehen Se? Ich such' schon lange nach einer Spezialität. Da hab'n mer die Spezialität: eine Serie moderner Bekenntnisromane von Damen. Wenn Se wollen, fang' ich mit Ihnen an. Ich kauf' Ihnen die Arbeit vom Halm ab.«

Amalie war tief überrascht.

»Ja, glauben Sie denn, daß ich so ohne weiteres einen Roman schreiben kann?«

»Kunststück,« sagte Baruch wieder, »man braucht Sie doch bloß erzählen zu hören. So, wie Se erzählen, so schreiben Se's hin. Wenn Se wollen, les' ich das Manuskript durch und korrigier' es auf die Fehler, die Sie vielleicht in der deutschen Sprach' machen.«

»Ja, ist denn das möglich?« fragte Amalie ein über das andere Mal.

»Na, lesen Se doch das Zeug, wo die anderen Frauen schreiben. Warum sollen grad Sie das nicht können? Sie werden's noch besser können. Außerdem haben Se doch die Vorlage von Herrn Dr. Cornelius; schreiben Se nach der Vorlage, nur in Ihrer Auffassung. Die Komposition is ja so gut wie gemacht.«

Amalie hörte unentschlossen zu. Halb war sie entzückt, halb war sie noch überzeugt von ihrer Unzulänglichkeit. Der Baron aber rief, die Reitgerte durch die Luft ziehend:

»Baruch, Sie sind ein Prachtkerl! Das ist eine glänzende Idee! Ich bin sicher, wenn die gnädige Frau den Gedanken noch etwas überlegt hat, dann wird sie's tun, und wenn ich Sie recht kenne, Amélie, so haben Sie schon am Ende der Woche ein paar Seiten des Manuskripts fertig.«

Amalie stand auf und sagte, fast feierlich:

»Ich will es probieren.«

Sie griff nach dem Corneliusschen Buch, das auf dem Schreibtisch lag, und blätterte ein wenig darin. Ihr Blick fiel gleich auf eine Stelle, die sie besonders reizte, und mit einer wilden Entschlossenheit rief sie:

»Ja, ich werde es tun. Ich will dem Publikum zeigen, wie die Dinge sich in Wirklichkeit verhalten haben.«

»Nun sagen Sie mal, Baruch,« meinte der Baron, »zu diesem Zweck müssen Sie doch erst einen Verleger besorgen.«

»Ich versteh' besorgen? Besorgen is gut. Ich besorg' mich selbst. Solang' die gnädige Frau schreibt, wird der Verlag für sie gegründet.«

»Haben Sie denn Kapital?« fragte Erich.

»Gewiß hab' ich Kapital, Herr Baron, aber natürlich wär's gut, wenn sich noch jemand beteiligt. Ich brauch' einen Verlagsdirektor, der gut aussieht, Beziehungen in der Gesellschaft hat und selber was einschießt. Wissen der Herr Baron vielleicht einen?«

Baruch schaute nun auf einmal den Baron gönnerhaft an, wie ein großer Bankier, der einen kleinen Minister etwas zappeln läßt, ehe er die Anleihe gewährt.

»Was hat er denn zu tun?« fragte Erich aufmerksam.

»Nu', er muß vor allen Dingen repräsentieren und dem Verlag äußerlich en vornehmes Gepräge geben. Er muß auch kaufmännische Vorkenntnisse haben, vom Literarischen selber braucht er nix zu versteh'n. Das mach' ich.«

»Wieviel muß er einschieben?« fragte Erich, einen kurzen smarten Ton anschlagend.

»Nu, wenn er vierzig bis fünfzig Mille dazu gibt, das genügt.«

»Und sein Gehalt?«

»Aber wenn ich Sie so anschau', Herr Baron,« fuhr Baruch fort, »wie Se so in Ihrer Reithos' vor mir stehn, möcht' ich Se fragen, ob Se nicht selber Lust hätten, der Verlagsdirektor zu werden?«

Erich schaute fragend auf Amalie.

»Sie sind doch in 'nem Bankgeschäft gewesen, Herr Baron. Dazu haben Se 'n adligen Namen, das ist Gold wert in unserem demokratischen Zeitalter; und jetzt haben Se fünfzig Mille geerbt; wenn Se die einschieben, so zahl' ich Ihnen en Gebalt von in Worten fünftausend Mark im Jahr; dafür müssen Se jeden Tag vier Stunden ins Bureau kommen; wenn Se wollen, einmal die Woch' in Reithosen.«

Erich schaute immer wieder fragend auf Amalie, höchst verwundert, daß Baruch seine Verhältnisse so genau kannte.

»Was halten Sie davon?« fragte er sie.

»Wie Sie meinen, das sind Dinge, von denen verstehe ich nichts.«

Sie dachte schon an die ersten Kapitel ihres Romans.

»Wissen Se, Herr Baron,« fuhr Baruch fort, »der Verlag muß en mondänes Gepräge haben, die erste Gesellschaft muß interessiert werden, versteh'n Se? Ich wollt' mich schon längst deshalb taufen lassen und meinen Namen ändern, das werd' ich gleich bei der Gelegenheit tun.« »Da haben Sie recht, Herr Baruch, das ist unbedingt notwendig.«

»Und wenn der Herr Baron sonst noch einige Ratschläge in der Richtung geben will, so bin ich immer sehr dankbar dafür.«

»Na, wenn Sie's nicht übelnehmen,« sagte Erich, an Baruch herabblickend, »dann gehen Sie zu 'nem anderen Schneider. Ich bin sicher, Ihre Beine sind gar nicht so krumm wie Ihre Hosen. Ich werde Ihnen eine Adresse geben.«

So wurde der Erosverlag gegründet. Baron Erich wurde zum Verlagsdirektor ernannt, wodurch er sich sehr würdig vorkam. Amalie begann inzwischen mit Fiebereifer ihr Manuskript.

Während sie die Kindheitsgeschichte der Heldin erzählte, hielt sie sich ziemlich an Erlebtes, und gab, wie das heute Sitte ist, eine Reihe ihrer Ungezogenheiten zum besten, wobei sie sich als einen kleinen Brausekopf darstellte, der den Eltern manche Nuß zu knacken gab. Dann aber begann sie langsam zu färben. Aus dem zweideutigen Verhältnis mit Erich machte sie eine trotzige Herausforderung an die Gesellschaft, als habe sie sich ihm wirklich in Freiheit gegeben, sei aber dann über ihn hinausgewachsen, überhaupt über den Mann hinaus. (Erich verstand die künstlerische Notwendigkeit dieser Steigerung, erkannte überhaupt die Rechte der Dichtung an. Es war ihm gleich, welche Rolle er in dem Roman spielte, da er sich in der Wirklichkeit nun fest im Sattel fühlte.) Dann füllte sie ganze Kapitel damit, wie das goldene Haar ihrer Heldin in München und später »in der großen Welt da draußen« die Herzen der Männer berauschte, wie alle ihr zu Füßen lagen, und viele um ihre Hand warben. Man sah Oesterot, der bereit war, sich um ihretwillen scheiden zu lassen, den Fürsten Kraminsky, der sich nach vielen Enttäuschungen in der Einsamkeit ein reiches Leben begründet hatte, nun aber plötzlich bereit war, dies alles aufzugeben, nur um sie besitzen zu können, und vor allem Erwin Dorn, den großen Lebenskünstler, der alle seine Kunst von ihr besaß, dem sie die weise Egeria war. Aber alle diese glänzenden Männer verschmähte sie einem jungen, strebenden Menschen zuliebe – man erkannte Cornelius –, für dessen werdendes Werk sie sich begeisterte, und dem sie sich tatsächlich verband, um ihn zu großem Ruhm und zu freier Künstlerschaft zu erheben. Dies schien auch anfangs zu gelingen, aber da zeigte er sich als ein Unwürdiger. Sein Talent war klein, seine Eitelkeit groß, sein Charakter schwach, und das suchte er durch Brutalität zu verbergen. So machte sie die furchtbarsten Enttäuschungen ihres Lebens durch und fand schließlich in der Einsamkeit eines Schweizer Gebirgsdorfes Läuterung und den Entschluß, sich von dem Gatten zu befreien. Immer mehr entwickelte sie sich nun von dem Manne weg, um in freier Selbstbestimmung und reinem, künstlerischem Schaffen Genugtuung zu finden, die weltlichen Freuden sowie den Mann nur als ein äußerliches Nebenbei des Daseins zu betrachten, den wahren Wert des Lebens aber in sich selber zu suchen. Rings um diesen starken, modernen Frauentyp, der sich aus eigener Kraft trotz allen Ungerechtigkeiten der Gesellschaft aus der Hörigkeit des Geschlechts erlöst hatte, schuf sie eine Reihe kämpfender Frauen, die in Bewunderung vor der Heldin ihr nachzueifern suchten, aber weil sie nicht so groß waren, auch nicht so hoch stiegen. Aus deren Leiden begründete sie furchtbare Anklagen gegen die Gesellschaft.

Abends las sie das Geschriebene dem Baron und Siegfried Baruch vor, der sich, da seine Taufe kurz bevorstand, nun Barthmann nannte. Die beiden Männer zollten lebhaften Beifall. Erich war stolz auf Amalies Talent. Herr Barthmann konnte sich kaum still auf dem Stuhl halten vor Entzücken über den Erfolg, den er voraussah. Hier und da schlug er kleine Aenderungen vor, besonders fügte er bisweilen wirkungsvolle Bosheiten ein oder warf wirtschaftliche und soziale Streiflichter auf die Geschehnisse, was Amalie mit Vergnügen gestattete. In sechs bis acht Wochen war das Manuskript fertig, den Gipfel bildete der Titel. Barthmann hatte Amalie gesagt, der Titel sei die Hauptsache, und so nannte sie ihren Roman: »Wenn wir Frauen erwachen ...«

Er erschien unter dem Pseudonym Amalasunta. Kurz vorm Erscheinen entfaltete Barthmann eine geschickte Propaganda und gab viel für Reklame aus. In der »Zukunft« erschien eine große Anzeige mit Amalasuntas Bildnis. Eines Morgens wurde ihr eine Belegnummer auf die Bettdecke gelegt, fiebernd schlug sie die Seite auf, wo in übertreibenden Lobsprüchen der Wert ihres Romans der Welt verkündigt wurde. Aber für alles das hatte sie keinen Sinn, sie sah nur ihr Bild, und davor war die Frau in ihr entsetzt. Nein, nein, so sah sie nicht aus, so wollte sie nicht vor der Welt aussehen. Das Bild war vollkommen verunglückt. Ein ganz fremder Zug lag in dem alten Gesicht. Ausgesprochen spießbürgerlich sah sie aus, dazu etwas schmachtend. Sofort telephonierte sie an Barthmann und erklärte ihm, unter keinen Umständen dürfte diese Nummer verbreitet werden. Es war aber zu spät. Schon war sie in allen Buchhandlungen. Amalasunta raste vor Wut. Sie sagte Barthmann durch den Fernsprecher, er sei ein Kretin, dann fuhr sie zu einem Rechtsanwalt mit der Nummer der »Zukunft« in der Hand.

Sie wurde von dem freundlichen alten Herrn, der einen Schädel hatte, so glatt wie ein Globus, liebenswürdig empfangen und ließ ihn gar nicht zu Worte kommen. Sie schlug vor ihm das Heft der »Zukunft« auf, stellte sich hinter ihn und sagte:

»Gibt es irgendein juristisches Mittel, daß diese Nummer der »Zukunft« eingestampft wird?«

Der Anwalt verstand nicht.

»Wie meinen Sie das?« fragte er.

Sie mußte immer auf den Globus blicken, der dicht unter ihren Augen war, fast konnte man sich darin spiegeln.

»Nun, die »Zukunft« ist doch schon oft konfisziert worden, aus allen möglichen Gründen, läßt es sich nicht juristisch bewirken, daß auch die letzte Nummer konfisziert wird?«

»Aber gnädige Frau, wie stellen Sie sich denn das vor?«

»Wenn man sucht, findet man vielleicht eine Majestätsbeleidigung in dem Heft oder irgend etwas.«

»Aber was haben denn gnädige Frau für ein Interesse daran?«

»Es befindet sich eine Anzeige meines Buches darin mit einer Photographie, die für mich geradezu eine Beleidigung bedeutet. Läßt sich vielleicht daraufhin das Blatt beschlagnahmen, wenn nicht strafrechtlich, dann zivilrechtlich?« Aus der Zeit ihrer Scheidung waren ihr einige juristische Begriffe halbvertraut.

Der alte Herr brach in ein gutmütiges Gelächter aus, ergriff Amalasuntas behandschuhtes Händchen und sagte:

»Liebe gnädige Frau, ich wünsche Ihrem Roman recht großen Erfolg. Seien Sie versichert, daß dieses Bildnis nichts daran ändern wird. Uebrigens sind Sie doch auf dem Bild ganz hübsch. Freilich das Original selbst wird nicht erreicht. Das wäre aber auch zuviel verlangt.«

Amalasunta fuhr nach Haus, im Innern von neuem empört gegen Barthmann, Maximilian Harden, den Globusschädel und über die Rechtlosigkeit der Frauen in unserer Zeit.

Der Fürst Kraminsky hatte durch den Tod eines Vetters ein Schloß in der Nähe von Krakau geerbt und war schon im Sommer dorthin gereist, um es nach seinem Geschmack instandzusetzen und dort seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Im Herbst hatte er nun die seiner Münchener Freunde eingeladen, mit denen er die Beziehungen fortzusetzen wünschte.

An einem milden Abend saß der Fürst mit der Baronin Wernitz, dem Ehepaar Oesterot und Erwin Dorn, der von einer Balkanreise zurückgekehrt war, auf einer Terrasse, die nach dem Park ging, von wo die herben Gerüche des welkenden Laubes aufstiegen. Der Fürst stand zwischen den beiden üppigen Karyatiden der Tür, wie früher in schwarzem Samtflaus, und kaum gealtert. Er hörte Oesterot zu, der sich in gewohnter nervöser Lebhaftigkeit über ein Buch ereiferte, das er in der Hand hielt. Es war Amalasuntas Roman, den er am Morgen erhalten hatte.

»Ich bin wirklich ihr Freund und habe sie lieb,« sagte er in fast naivkindlicher Bekümmerung, »aber so etwas geht doch nicht.«

»Wie kann man an ein Buch einer Frau so hohe Anforderungen stellen?« warf Dorn ein. »Ich kenne Amélie seit ihrer Kindheit. Sie war immer ein reizendes, ein bißchen albernes Geschöpfchen. Kleine Sünden muß man den Frauen verzeihen.«

»Das ist aber keine kleine Sünde, sondern eine große,« meinte Frau Thea ärgerlich. »Ob das Buch schlechter ist als andere, weiß ich nicht, aber ich finde es als Tat widerwärtig. Ich verstehe das gar nicht. Amélie ist doch im Privatleben ein anständig empfindender Mensch. Dafür habe ich Beweise, aber dieses Buch ...«

Sie reichte Dorn das Buch. Er las Sätze, in denen Amalie ihr Recht begründete, Anklage gegen die Tyrannei der Gesellschaft, besonders der Ehe, zu erheben, und sagte:

»Man merkt, gnädige Frau, daß Sie in der modernen Frauenliteratur nicht bewandert sind. Das ist ganz und gar der heute übliche Stil. Fabelhaft, wie sicher die kleine Frau die Note trifft. Das hätte ich ihr gar nicht zugetraut.«

Ein Diener trat heraus und meldete dem Fürsten, es sei angerichtet. Dieser reichte den Arm der Baronin, an deren rechter Seite Oesterot ging. Ihnen folgten Dorn und Frau Thea. Man durchschritt einige mit Oberlicht versehene, jetzt düstere Räume, an deren Wänden sich Terrarien hinzogen. In dem gespenstischen Dämmerlicht der künstlichen Landschaften hinter dem Glas sah man dunkle, schlummernde Wesen. Das Speisezimmer war im Stil eines Jagdhauses gehalten, mit vielen Geweihen an den Wänden. Man saß um einen runden Tisch in hohen Armstühlen.

Es gibt Unternehmungen in dieser Welt, die aller Vernunft so widersprechend begonnen werden, daß jeder Verständige ihren sicheren tragikomischen Untergang vorauszusehen glaubt. So wenn z. B. ein des Deutschen nicht mächtiger Galizier in München einen Verlag gründet, einen deklassierten Baron, dessen Reithose es ihm angetan hat, als Direktor erwählt, im Glauben, dadurch Fühlung zur »Gesellschaft« zu gewinnen, und mit dem Roman einer jungen Frau heraustritt, die selbst dem Leben in verständnislos verwunderter Passivität gegenübersteht, vielleicht niemals selber ein Buch ernsthaft zu Ende zu lesen vermochte und nun aus persönlicher Rache selber Papier schwarz gemacht hat. So etwas, glauben verständige Leute, kann nur in Lächerlichkeit enden. Sie irren. Das Leben ist anders.

Ganz verschieden von der Tafelrunde des Fürsten urteilte die Öffentlichkeit über Amalasuntas Roman. Es war Barthmann gelungen, für Amalies »symbolisches Frauenschicksal und ihre faszinierende Persönlichkeit« Stimmung zu machen, und schon in den ersten Wochen erschienen in verschiedenen größeren Blättern lange Besprechungen des Buches, und zwar fast alle günstig. In einem Artikel: Amalasunta, die Bekennerin, wurde »der unerschrockene, alle Heuchelei verabscheuende Mut« der Verfasserin, eines weiblichen Jean Jacques Rousseau gelobt, in einem anderen die Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Schlichtheit, in einem dritten gar die tiefgründige Psychologie und das milde Verstehen alles Menschlichen; kein Mann hätte je ein solches Buch des Herzens schreiben können. Die »satten Farben«, mit denen das Münchener Künstlerleben geschildert sei, fanden Anerkennung, das »blutvolle Erleben«, aus dem das Buch hervorgegangen und das herbe Ringen einer eigenwilligen Kämpfernatur, die »kein Blatt vor den Mund nimmt«, wurden besonders betont. Für Kinder allerdings sei das Buch ebensowenig geschrieben wie für die Apostel einer rückständigen Moral, vielmehr sei es eine Lektüre für freie Geister. Eine bekannte weibliche Kritikerin sagte, dieser schlanke Band enthalte eine stille Geschichte, einfach hinerzählt von einer Frau, die, fast zusammengebrochen unter ihrem Schicksal, ganz kunstlos, aber um so ergreifender, die alte und ewig neue Leidensgeschichte des modernen Weibes »aus sich heraus stellte«. Innerlich bereichert lege man das Buch aus der Hand, um es in stillen Stunden der Einkehr wieder hervorzuholen und Trost darin zu finden. In ähnlichem Ton schrieben die frauenrechtlerischen Blätter der verschiedensten Grade. Die gemäßigteren rühmten vor allem das echt Weibliche (im guten Sinne) des Buches, dessen Verfasserin nicht dem Mann« nacheifern wolle, sondern die spezifisch weiblichen Elemente des künstlerischen Schaffens zum Ausdruck bringe, die ebenso tief im Menschlichen begründet, wenn auch anders geartet seien als die männlichen. Vielfach wurde prophezeit, daß Amalasuntas Name bald unter denen der ersten Schriftstellerinnen genannt werden würde. Parallelen mit bekannten Verfasserinnen wurden gezogen, die Amalasunta teils schon erreicht« oder bald erreichen würde, und das war vielleicht auch ganz zutreffend.

Daraufhin wurden gleich mehrere neue Auflagen notwendig, während von Cornelius' Roman erst das dritte Tausend gedruckt wurde. Die Wirkung auf die so breite Masse des entwurzelten Mittelstandes, der »bürgerlichen Bohème«, war ungeheuer. Viele Männer lasen mit Lüsternheit die Enthüllungen der anmutigen Verfasserin, sie erhielt Zuschriften; Leidensgefährtinnen telephonierten und wünschten sie zu sprechen, vor allen Dingen gerieten die jungen Mädchen geradezu in einen Taumel. Die älteren, welche ihre besten Jahre tugendhaft dahingebracht hatten, sagten sich bitter:

»Das hätte man vorher wissen müssen, daß ein so freies Leben möglich ist; hier kann man sehen, daß die ganze Moralpredigerei Schwindel ist, denn diese Frau, die gelebt hat, wie sie wollte, ist dabei doch nicht heruntergekommen, sondern steht jetzt auf der Höhe.«

Amalasunta erhielt Anfragen von Zeitungen, die bereits Anspruch darauf erhoben, daß ihr nächster Roman zuerst in ihren Spalten erscheinen sollte. Barthmann telephonierte jeden Tag, wieviel Exemplare bestellt worden waren. Baron Erich lag bewundernd zu den Füßen seiner Geliebten, draußen zeigte er sich mit Stolz an dem Arm der bekannten Schriftstellerin, die nach allgemeinem Urteil bald zu den »ganz großen« gehörte.


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