Oscar A. H. Schmitz
Bürgerliche Bohème
Oscar A. H. Schmitz

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44

Nach der Trennung von Cornelius lebte Amélie in einer Pension zunächst in einem Zustand vollkommener Dumpfheit. Es war, als ob ihr Lebensdrang erloschen sei. Cornelius hatte, um sie nicht mehr als nötig zu demütigen, dafür gesorgt, daß in ihren Augen die Ehescheidung wie eine freie Tat zweier über dem Leben stehender Menschen erschien, und in diesem Sinne sprach sie auch darüber. Sie fühlte sich in ihrem bewußten Leben keineswegs als die Verstoßene, vielmehr fand sie äußerlich alles ganz in der Ordnung, wenn auch das dauernde Unbehagen und die tiefe Traurigkeit im unbewußten Grund ihrer Seele sie niemals verließen. Selbstverständlich würde sie nun mit der Malerei wieder beginnen, doch schob sie das von Woche zu Woche hinaus. Sie schlief lang, las ein wenig, sah ihre Bekannten, und es gewährte ihr eine gewisse Genugtuung, daß man ihr als geschiedener Frau doch in einer gehalteneren, ja achtungsvolleren Weise den Hof machte, als früher. Hie und da kam sie sich sogar ziemlich großartig vor, wenn sie abends in Gesellschaft Erfolg gehabt und von irgendeinem Bewunderer nach Hause gebracht worden war. An Cornelius dachte sie mit gemischten Gefühlen. Er schrieb von Zeit zu Zeit in einem freundlichen Ton, jedenfalls immer teilnahmevoll, und wenn sich auch etwas in ihr gegen diese abgeklärte Freundschaft empörte, so tat sie ihr doch auch wieder wohl, und ohne seine Briefe fieberhaft zu erwarten, freute sie sich darüber. Dazwischen aber kamen auch Tage, an denen sie stundenlang weinte und sogar Sehnsucht nach ihm empfand. Ach, wenn er jetzt in die Tür träte und sie irgendwohin mitnähme! Wie schön war es doch oft gewesen, zum Beispiel am Ortasee! Alles erschien ihr jetzt in rosigem Licht. Dann folgten wieder Augenblicke des Zorns und der Auflehnung gegen seine Ueberlegenheit, in denen sie ihn zu hassen glaubte. Er sei ganz einfach ein Egoist, der das sehr geschickt mit großen Redensarten zu verhüllen wisse. Sicher hatte er sie auch betrogen. Nur um ungestörter mit anderen Frauen zu verkehren, war er von ihr gegangen. Das würde ihr doch niemand einreden, daß er jetzt auf Reisen wie ein Josef lebte. Der? Niemals. Meistens waren solche Anfälle der Traurigkeit und des Zorns von kurzer Dauer, und sie verfiel wieder in ihre Gleichgültigkeit zurück.

Sie kam öfters zu Hermann und Lina, die nach wie vor in ihrem Pensionszimmer hausten, aber sie ging nicht gern hin, denn es war immer ein mürrischer Ton der Gereiztheit zwischen diesen beiden Menschen. Amelie fühlte wohl, daß auch dort das Glück nicht eingekehrt war. Aber Hermann war so verschlossen, daß sie sich kein Bild von dieser Ehe machen konnte, und mit Lina verband sie kein tieferes Verständnis.

Eines Nachmittags sagte sich Lina bei ihr zum Tee an, sie habe etwas Wichtiges mit ihr zu sprechen. Amélie befand sich gerade in einer ihrer traurigen Stimmungen. Es war ein trostloser, windiger Novembernachmittag, das letzte Laub wurde draußen im Garten der Pension von den Bäumen geweht. Lina erschien um fünf Uhr in Amélies freundlichem Zimmer.

»Ach wie nett ist es hier bei dir,« sagte sie, »viel netter als bei uns. Du hast wohl Zimmerparfüm?«

»Kein eigentliches Parfüm,« sagte Amélie müde, »eine englische Essenz.«

Die beiden Frauen tranken Tee, und dann begann Lina zögernd:

»Sag' einmal, ist eigentlich eine Scheidung sehr unangenehm?«

Amélie mußte über diese Frage etwas lächeln.

»Wie meinst du denn das?«

»Ach, du hast es doch nun durchgemacht, und ich glaube, um es gleich herauszusagen, für uns ist es auch das beste. Wir passen gar nicht zusammen.«

Amélie schwieg.

»Du hast es gewiß auch schon gemerkt,« fuhr Lina fort. »Ja,« erwiderte Amélie, »daß ihr nicht besonders glücklich seid, das fühlt man, wenn man bei euch ist. Aber woher kommt es denn bloß?«

»Denk' dir nur, du kannst es wohl kaum glauben, wir sind eigentlich gar nicht, was man verheiratet nennt.«

Amélie verstand nicht. »Was heißt denn das?«

Lina schaute verschämt in eine Ecke und sagte plötzlich in einem ganz anderen, amtlichen, aktenmäßigen Ton:

»Hermann entzieht sich seinen ehelichen Pflichten.«

Ein genauerer Beobachter als Amélie hätte aus dieser Wortwahl geschlossen, daß Lina bereits mit einem Rechtsanwalt gesprochen hatte, aber Amélie war nur durch die Feierlichkeit dieses Ausdrucks betroffen, und sie zitterte ein wenig, als ob hier eine große Schuld vorläge.

»Weißt du, was ich glaube,« fuhr Lina fort, »er ist durch frühere Ausschweifungen bereits erschöpft.«

Amélie dachte nach. Dann sagte sie:

»Das glaube ich nicht. Wir haben doch immer zusammengelebt, er hat zwar so allerlei getrieben, wovon ich nichts Rechtes weiß, aber wenn er ein richtig unsolides Leben geführt hätte, das wäre mir nicht entgangen.«

»Wie würdest du dich denn zu einer Scheidung stellen?«

Amélie war peinlich berührt, sie sagte:

»Wie soll ich mich dazu stellen? Ihr müßt selbst wissen, was ihr zu tun habt; und wenn ihr nicht glücklich seid, nun, so werdet ihr es machen, wie wir es gemacht haben.«

»Also d u bist einverstanden?« fragte Lina wie erleichtert.

»Aber wieso einverstanden? Ich habe doch da gar nichts zu sagen.«

»Da ist nun aber noch ein Punkt,« fuhr Lina etwas verlegen fort, »weißt du, so einfach, wie bei euch, ist es nicht. Ich habe doch kein Vermögen.«

»Was hat denn das damit zu tun?« fragte Amélie naiv, »die Kosten wird Hermann doch gewiß tragen. Das hat Paul auch getan.«

»Darum handelt es sich nicht,« erklärte Lina wohlunterrichtet, »was soll denn aus mir werden, wenn wir geschieden sind; wovon soll ich denn leben?«

»Aber du hast doch auch früher gelebt,« sagte Amélie harmlos.

»Ich kann doch jetzt nicht mehr meinen Eltern zur Last liegen, wo ich nun einmal verheiratet bin.« Ihre Stimme klang weinerlich. Amélie wurde nachdenklich.

»Hast du schon einmal mit Hermann darüber gesprochen?«

»Nein, das hab' ich eben noch nicht. Ich dachte, es wäre vielleicht besser, du würdest mit ihm darüber sprechen.«

»Aber ich verstehe doch wirklich gar nichts von solchen geschäftlichen Sachen.«

»Ach nein, so meine ich's auch nicht. Das macht später der Anwalt. Du kannst dir vorstellen, wie peinlich es mir ist, mit Hermann diesen Punkt zu berühren. Sprich nur einmal so allgemein mit ihm, um zu erfahren, wie er darüber denkt. Er ist vormittags immer zu Hause; ich werde morgen ausgehen, da triffst du ihn bestimmt allein. Willst du das tun?«

»Warum nicht?« sagte Amélie, nicht gerade sehr entzückt von diesem Auftrag, aber sie sah auch keinen Grund, Linas Wunsch abzuschlagen.

Diese gab ihr noch einige Aufklärungen. Der Gedanke an Scheidung sei allerdings bereits zwischen ihr und Hermann angedeutet worden, nur das Geschäftliche hätten sie noch nicht berührt.

Am folgenden Tage begab sich Amélie zu Hermann, den sie allein fand. Er saß in eine dicke blaue Wolke gehüllt über einer Broschüre, die eine Neubelebung der Astrologie versuchte.

»Das ist schön, daß du wieder einmal nach mir siehst,« sagte er und reichte der Schwester die Hand. »Ich lese da gerade etwas kolossal Interessantes; da will einer aus dem Lauf der Gestirne ...«

Amélie war nicht imstande auf dieses Gespräch einzugehen.

»Es tut mir schrecklich leid,« sagte sie, »daß du auch nicht glücklich bist.«

»Woher weißt du denn das?« fragte er erstaunt, mit seiner bleichen, etwas fetten Hand über die Stirn fahrend.

»Lina ist bei mir gewesen, und sie hat mich gebeten, einmal mit dir über alles zu sprechen.«

Hermanns sonst unklares Gesicht bekam einen harten, fast bösen Ausdruck.

»Was soll denn nun geschehen?«

»Gott, was soll da geschehen?« sagte Hermann achselzuckend, »wir werden wieder auseinanderlaufen, so wie wir zusammengelaufen sind.«

»Hast du denn schon nachgedacht, wie das alles werden soll?«

»Was soll da viel werden?«

»Nun, ich meine, was Lina anfangen soll? Sie kann doch nicht mehr zu ihren Eltern zurück.«

»Ach, das ist eine bloße Geldfrage,« meinte Hermann gleichgültig, »sie hat, ehe wir uns heirateten, einmal die Absicht gehabt, photographieren zu lernen, das kann sie ja noch tun.«

»Aber sie hat doch kein Geld,« meinte Amélie schüchtern.

»Das werde ich doch selbstverständlich bezahlen. Dafür wird das, was ich übrig habe, noch reichen.«

»So schrecklich viel kann das ja nicht werden,« meinte Amélie. »In drei Jahren glaube ich, kann sie leicht so weit sein, um auf eigenen Füßen zu stehen.«

Beim Abschied umarmte und küßte sie ihn besonders zärtlich und sagte:

»Es tut mir furchtbar leid um dich, aber wir haben alle viel Schweres durchzumachen.«

Als Lina gegen Mittag nach Hause kam, sagte Hermann:

»Amélie ist bei mir gewesen.«

»So?« fragte Lina gespannt.

»Nun, alles ist in Ordnung. Wenn du willst, können wir uns jetzt scheiden lassen. Sie sagte mir, daß du dich über deine Zukunft geängstigt hast, aber das wird alles geordnet.«

Er sprach mit auffallender Sicherheit und zeichnete dabei lauter kleine Dreiecke auf den Rücken seiner Broschüre über Astrologie.


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