Oscar A. H. Schmitz
Bürgerliche Bohème
Oscar A. H. Schmitz

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42

Die nächsten Monate gingen qualvoll dahin. Nach Neujahr beschloß Cornelius, den es nach ungestörter Arbeit drängte, sich probeweise auf einige Wochen von seiner Frau zu trennen. Er begab sich an einen kleinen Ort an der italienischen Riviera. Amélies Briefe kamen unpünktlich und ergingen sich in beängstigenden Andeutungen. Eines Tages las er, sie habe sich während der Ehe ein Frauenleiden zugezogen; sie erwähnte das nur so nebenher und ließ verstehen, daß sie ihm daran die Schuld beimaß. Cornelius war außer sich vor Erregung, er fragte sich:

»Sollte ich, ohne es zu ahnen, ein Unglück angerichtet haben? Es sollen ja schon Menschen solche Krankheiten verbreitet haben, von denen sie selber nichts wußten.«

Auf seine Telegramme antwortete Amelie ausweichend: »Werde dieser Tage zum Arzt gehen«, öder »Telegramm ganz unnötig«.

Nun drahtete Cornelius dem Hausarzt. Die umgehende Antwort lautete: »Hysterie. Kommen unnötig.«

Diese Tage hatte Cornelius wie in einer Hölle verbracht. Er irrte in den Anlagen und den Straßen umher, und glaubte in jedem Menschen in uniformartiger Kleidung einen Postboten zu sehen. Von Zeit zu Zeit ging er in den Gasthof und fragte, ob kein Telegramm da sei. Den blonden deutschen Portier, der anfangs unterwürfig gewesen war, schien das zu ärgern. Er sagte, seinen gelben Schnurrbart streichend: »Wenn etwas kommt, lege ich es ins Gefach.« Er tat es aber nicht. Das erste Telegramm fand Cornelius zufällig auf einem Tisch in der Halle, das zweite war angeblich von einem Hausdiener auf das Zimmer gelegt worden; der war aber gerade bei Tisch und brachte es schließlich, während er sich noch den Mund wischte. Er habe geglaubt, er gäbe es besser dem Herrn persönlich. Das dritte war versehentlich von einem russischen Professor geöffnet worden. Er hieß zwar nicht Cornelius, aber ähnlich, nämlich Groschin.

Cornelius schien einen Augenblick vollkommen entschlossen, Amélie die Scheidung vorzuschlagen. Aber am nächsten Tage fühlte er wieder eine solche Sehnsucht nach ihr, daß er glaubte, doch nicht ohne sie weiterleben zu können. Er schrieb ihr einen Brief, in dem er ihr die Unverantwortlichkeit ihres Benehmens vorhielt. Daraufhin fragte Amélie, ob er etwa beifolgende Ansichtspostkarte rechtfertigen könne. Die Karte war von einem Freund Cornelius' an ihn gerichtet und trug den Poststempel eines Schweizer Ortes, wo sich Lissy öfters aufhielt. Die Namensunterschrift war nicht zu entziffern und die Schrift hatte in der Tat etwas Weibliches. Auf diese Umstände hatte Amélie ihren Verdacht gebaut und gestand, sich deshalb zu ihrer Handlungsweise als einer erlaubten Rache berechtigt gefühlt zu haben. Nun fragte sich Cornelius ernstlich, sich in den Bergen müde laufend, ob er nicht die Pflicht gegen sich selbst und seine Lebenspläne habe, sich möglichst schnell von einer solchen Frau zu trennen. Ueber eine Frage vermochte er jedoch schwer Klarheit zu finden. Waren das vielleicht alles nur Symptome der kinderlosen Frau? Würde nicht die Mutterschaft ihre zerfahrene Natur wieder auf wesentlichere Dinge richten? Der Arzt hatte gesagt, nur ihre Blutarmut stünde im Augenblick dem Mutterwerden im Weg. Sei diese etwas gehoben, so würde das Ereignis vermutlich eintreten und ihr wahrscheinlich gut bekommen. Mit Grauen dachte er indessen an ihre Theorien über Erziehung, auf die er nie recht eingegangen war, da die Gegenwart schon genug Anlaß zu Mißhelligkeiten bot. Wie sollte er sie aber hindern, in einem Kind frühzeitig alle natürlichen Begriffe zu verwirren? Er stellte sich etwaige Kämpfe mit ihr um die Seele seines Kindes vor. Da fühlte er, daß er sich jetzt noch in der Vorhölle befand, aus der es eine Rückkehr gibt. Durch ein Kind aber verpfändete er sich mit seinem Fleisch und Blut, dann begänne erst die wahre Ehehölle, über deren Tür geschrieben steht: »lasciate ogni speranza voi chi entrate«. Mit einem Schauer blickte er in diesen Abgrund, und ein unheimliches Glücksgefühl überkam ihn bei dem Gedanken, daß er noch zurück konnte.

In ihrem nächsten Brief sprach Amélie vom Fasching, der wieder begonnen hätte und von einem Fest, auf das sie demnächst mit Hermann und Lina zu gehen beabsichtigte. Der Gedanke, sie wieder allein auf diesen Festen zu wissen, gab Cornelius den Anstoß, schnell seine Koffer zu packen und nach Hause zurückzukehren. Er wußte selbst nicht, war es Liebe, Eifersucht oder nur Zorn, was ihn trieb. Der Gedanke an Scheidung hatte in ihm zwar immer festere Wurzel gefaßt, aber während er, allein in dem dämmerigen Eisenbahnwagen, gegen abend in die Dörfer blickte, wo die ersten Lichter aufglommen, ertappte er sich wieder bei sehnsüchtigen Wünschen nach ihr und seinem Heim, nach den Abenden, wenn er, von einem Ausgang zurückkehrend, sie mit dem Essen auf ihn wartend fand.


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