Oscar A. H. Schmitz
Bürgerliche Bohème
Oscar A. H. Schmitz

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Siebentes Kapitel

Hölle

39

Die Geschwister heirateten am selben Tage im Mai. Von einer kirchlichen Trauung sah man »selbstredend« ab. Hermann und Lina fuhren donauabwärts nach Passau und Linz, Cornelius und Amélie donauaufwärts nach Augsburg und Ulm.

Als Cornelius gegen Abend mit seiner jungen Frau in Ulm auf einer Höhe oberhalb der dort flachen Donau mit der freien Aussicht in das sandige Flußtal entlang ging, da glaubte er, an der Seite Amélies das Höchste leisten zu können und den Mut zu gewinnen, jedem Schicksalsschlage des Lebens entgegenzutreten. Er sagte es ihr; Amélie gelobte sich, alles zu tun, um dieses gesteigerte Dasein dauernd zu erhalten. Alle Irrtümer ihres Lebens lagen weit hinter ihr, und als sie mit Cornelius in der kleinen Laube saß, da konnte sie sich des Weinens nicht enthalten, warf sich an seine Brust und sagte:

»Ach, wenn du nur wüßtest, wie wenig ich dieses Glück verdiene, und wie dankbar ich dir bin, daß du mich aus all' der Verwirrung herausgerissen hast, in die ich geraten war.«

Sie schoben die Rückkehr von Tag zu Tag hinaus, vielleicht in dem dunklen Gefühl, daß sie ihrem großen Glück ein schnelles Ende bereiten würde.

 

Das junge Paar, das, heimgekehrt, noch in Cornelius' kleiner Junggesellenwohnung hauste, weil es die Absicht hatte, viel zu reisen und später erst eine größere Wohnung zu nehmen, hatte in vollster Eintracht gefrühstückt; Amélie fühlte sich sehr wohl als Herrin der reizenden kleinen Räume, in denen sie früher nur als Gast gewesen war. Sie küßte Cornelius, der noch am Tisch saß, und sagte, es sei nun Zeit, zur Schneiderin zu gehen. Cornelius solle nicht vergessen, sie pünktlich um halb zehn Uhr dort abzuholen, um einige gemeinsame Einkäufe in der Stadt mit ihr zu machen. Die alte Wirtschafterin, Frau Schrecken, die man vorläufig behalten hatte, half ihr in die Jacke, und Amélie ging, glücklich in dem Gefühl, eine junge Frau zu sein, das ganze Leben rosig sehend, die Leopoldstraße hinunter, wo sie die Trambahn bestieg. Sie ahnte nicht, daß dies die letzten glücklichen Minuten ihrer Ehe waren.

Die Schneiderin war Cornelius von einer alten Freundin, Lissy von Landeck, empfohlen worden, einer geschiedenen Frau, bei der er als Junggeselle viel verkehrt hatte. Als Amélie das Haus, wo die Schneiderin wohnte, betrat, legte sich auf einmal eine Wolke des Unmutes über sie, und plötzlich wurde ihr klar, daß sie eigentlich ungern hierherging. Lissy hatte sie nur flüchtig kennengelernt, und sie war ihr in ihrer konventionellen Eleganz und etwas leichtfertig mondänen Gesprächigkeit fremd geblieben. Jetzt aber erinnerte sie sich, daß ihr der Gedanke, bei der Schneiderin dieser Dame arbeiten zu lassen und dadurch etwa unter ihren Geschmackseinfluß zu kommen von Anfang an unangenehm war. Plötzlich erwachte in ihr der Gedanke:

»Gewiß ist diese Lissy seine Geliebte gewesen.«

Oh, sie war keine kleinliche Frau, danach fragte sie nicht, was ihr Mann vor der Ehe getan hatte; aber das schien ihr doch ein bißchen stark, daß sie, die Künstlerin, nun bei der Schneiderin der Geliebten, einer Modedame, arbeiten lassen sollte, vermutlich, um ihr ähnlich zu werden.

Die Schneiderin Deiglmayer bewohnte ein elegantes Stockwerk; ein kleines Lehrmädchen, dem hie und da weiße Fäden an der schwarzen Bluse hafteten, öffnete und führte Amélie in das Empfangszimmer, das mit nachgeahmten Rokokomöbeln konventionell ausgestattet war. Rundherum hingen einige fertige Kleider an Ständern. Die Schneiderin kam herein, eine etwa vierzigjährige, große, sorgfältig toupierte Dame von außerordentlich abwechslungsreicher Figur. Die starke Büste verengte sich herzförmig zu einer Wespentaille, dann folgten rundliche Vorsprünge, die nach den Füßen zu wiederum spitz verliefen. Sie verband Weltgewandtheit mit einer etwas ungebildeten Aussprache. Amélie fühlte plötzlich Haß und Verachtung in sich gegen dieses Wesen, das soviel sicherer als sie, und ihr doch offenbar an Bildung weit unterlegen war.

Die Schneiderin ging sofort mit einem höflichen Lächeln, das ihren goldplombenreichen Mund nie ganz verließ, zu der sachlichen Besprechung über, und Amélie kam es vor, als ob ihr Blick mißbilligend ihre Schwabinger Kleidung von unten nach oben streifte, und als ob sie dabei dachte:

»Nun, dich wollen wir hier bald ganz anders herrichten, du wirst Augen machen.«

Mit hochmütigem Lächeln, das ihr Sicherheit geben sollte, betrachtete Amélie die Modebilder und ärgerte sich über die Puppengesichter.

»Nein, von alledem kann ich gar nichts gebrauchen,« sagte sie kurz.

Die Deiglmayer erschöpfte sich in Vorschlägen, aber Amélie lehnte alles ab. In ungeschickter Weise schlug sie selbst einiges vor, wogegen jene stets technische Einwendungen hatte.

Wenn die Schneiderin sagte, so etwas trüge aber kein Mensch, dann erwiderte Amélie:

»Nun, dann werde ich es tragen.«

Inzwischen hatte das Lehrmädchen Stoffe herbeigebracht, deren an Herrenkleidung erinnernde Muster eher Amélies Beifall fanden. Die Deiglmayer rühmte einen Einsatz aus einem farbigen, geblumten Seidestoff, der Amélie auch zu gefallen schien. Um sie zur Entscheidung zu bringen, sagte jene:

»Akkurat denselben Einsatz hat auch die Frau von Landeck gewählt.«

Da warf Amélie plötzlich den Einsatz beiseite und griff nach einem anderen Stoff. Die Schneiderin war ratlos, während Amélie mit ihrem trotzigen Kindergesichtchen dasaß und eine Freude daran fand, die Person in Verwunderung zu setzen. Schließlich mußte diese an ihre Arbeit gehen und sagte:

»Vielleicht überlegen sich gnä' Frau noch einmal allein, was Sie wählen wollen; ich gehe einen Augenblick hinüber zu einer Kundin.«

Nun saß Amélie ratlos zwischen den Stoffen und den Rokokomöbeln, und ein Gefühl tiefster Niedergeschlagenheit lastete auf ihr. Sie dachte an Cornelius; die alte Wut gegen ihn stieg in ihr auf. Ihre Eigenart würde sie sich in der Ehe bewahren. Darin verstand sie keinen Scherz. Und sie wappnete sich mit Mut und Entschlossenheit und hatte schon einige treffende Antworten bereit, falls er ihr widersprechen würde.

Es klingelte, Cornelius wurde hereingeführt. Er hatte einen heiteren Ausdruck im Gesicht, ergriff Amélies Hände, die er küßte, dann fragte er:

»Nun? Hast du etwas, was dir gefällt?«

»Nein,« erwiderte Amélie kurz, »hier finde ich überhaupt nichts.«

»Aber sie hat doch versprochen, alles nach deinen Angaben zu machen,« beruhigte Cornelius.

»Hier bleibe ich nicht länger. Ich begreife gar nicht, warum ich mich nach dem Geschmack deiner früheren Geliebten anziehen soll.«

Cornelius traute seinen Ohren nicht. Eine Stimme in seinem Innern warnte ihn davor, auf diesen Angriff gleich zu antworten. Er setzte sich nieder, und eine Traurigkeit kam über ihn, als wüßte er nun nach dieser Bemerkung, daß zwischen ihm und Amélie kein Glück mehr sein könnte. Sein Schweigen reizte sie.

»Nun? Warum sagst du nichts?«

»Was soll ich auf eine solche Ungeheuerlichkeit sagen?« Beide schwiegen, dann sagte er: »Ein Kleid mußt du doch haben. Wenn wir zu einer anderen Schneiderin gehen, so wird sie vielleicht einen Termin in zwei bis drei Wochen ansetzen, denn jetzt im Frühling haben doch alle die Hände voll zu tun.«

»Nun, du hast es ja gut verstanden, mich in diese Zwangslage zu bringen.«

Cornelius lächelte. Im Grunde kam ihm das alles auf einmal furchtbar kindisch vor.

Inzwischen kam die Deiglmayer wieder herein, begrüßte Cornelius und fragte:

»Nun, haben sich die Herrschaften für etwas entschieden?«

Als sie noch die Unentschlossenheit Amélies sah, trat sie an Cornelius mit einigen Vorschlägen heran. Er sagte:

»Ja, das finde ich sehr hübsch. Wenn es dir gefällt?«

»Mir ist es gleich, wähle du nach deinem Geschmack, ich füge mich dann. Was bleibt mir denn anderes übrig?«

Die Schneiderin wendete sich nun dauernd an Cornelius, aus Amélie war weder ein Wort der Billigung noch der Mißbilligung herauszubekommen; wie ein armes Opferlamm unterzog sie sich dem Maßnehmen und ging mit Märtyrermiene auf alles ein.

In diesen Tagen sprach Amélie kein Wort zu Cornelius, wenn er sie nicht fragte, und auch dann immer in einem kurzen, schnippischen Ton. Als er ihr am ersten Abend gute Nacht sagte und sie küssen wollte, ließ sie es nicht geschehen. Am nächsten Abend aber sagte er ihr, während sie im Kerzenlicht in ihrem spitzenbesetzten Nachthemd neben ihm lag:

»Amélie, das geht nicht. Ich habe dich zu lieb, als daß ich noch einmal unversöhnt mit dir einschlafen könnte. Das darf in unserer Ehe nicht wieder geschehen, wie wir uns gestern gute Nacht gesagt haben. Wir wollen uns vornehmen, nie mehr mit einem bösen Gedanken gegeneinander einzuschlafen.«

»Ich habe keine bösen Gedanken.« Sie drehte ihre Bettlampe aus.

Nun beschwor er sie, doch diese Kleinlichkeiten zu vergessen.

»Das find keine Kleinlichkeiten, es handelt sich nicht um das lumpige Kleid, sondern ganz einfach darum, daß ich nach deiner Art gemodelt werden soll. Bitte, drehe dein Licht aus, ich will schlafen.«

Diese Unterhaltung dehnte sich in der Dunkelheit bis tief in die Nacht hinein, und, als schon bläulicher Schimmer durch die Spalten zwischen Vorhängen und Wand ins Schlafzimmer fiel, verzichtete Cornelius in tiefstem Schmerz wieder darauf, sich vor dem Einschlafen mit ihr zu versöhnen. Er ahnte nicht, daß solche Nächte nun bezeichnend für seine Ehe werden sollten.

Am dritten Tag sollte die letzte Anprobe sein, Amélie ging nach Tisch zur Schneiderin. Am Abend schien sie wie umgewandelt. Sie war heiter, ihr Ton freundlich, und offenbar legte sie es darauf an, sich mit Cornelius wieder zu versöhnen. Als er beim Abendessen fragte:

»Nun, wie ist denn das Kleid geworden?« sagte sie:

»Ach, ganz nett. Nichts Besonderes, aber es geht.«

Cornelius verlangte keine weiteren Aufklärungen, schlug vielmehr vor, nach dem Essen durch den Englischen Garten zu gehen und beim chinesischen Turm etwas zu rasten. Sie kehrten dann durch die feuchten, von nächtlichem Laub umrauschten Wege zurück, und dieses Mal sagten sie sich sehr zärtlich gute Nacht.

In der Frühe wurde das Kleid abgegeben. Amelie konnte gar nicht abwarten, bis sie es anziehen würde, es gefiel ihr ausgezeichnet, und sie war glücklich darin.

»Nun siehst du,« sagte Cornelius lachend, »wozu war nun alle diese Aufregung nötig?«

»Bitte, fang nicht wieder an,« erwiderte sie, und er zog vor zu schweigen.

 

Derartige Auftritte kamen nun bei jeder Gelegenheit. Es war, als ob Amélie sich gegen alles auflehnte, was mit Cornelius' Dasein zusammenhing. Sie war einverstanden gewesen, daß man noch einige Monate seine alte Wohnung behielt, da sie eine lange Reise planten. Nun klagte sie plötzlich über die Enge der Wohnung, und daß es doch für sie eigentlich kein Vergnügen sei, in Räumen zu leben, in denen sich ein Teil des Junggesellenlebens ihres Mannes abgespielt habe. Außerdem wolle sie malen, dazu brauche sie Nordlicht, er solle nicht glauben, daß sie auf die Dauer diese inhaltlose Untätigkeit aushalte.

Sie begann in ihren alten Pinseln und Malsachen zu kramen, die im »Tirol« seit langen Monaten müßig gelegen waren. »Bitte drück' nicht an der Tube, das ist Schweinfurter Grün.«

»Wenn du willst, können wir ja unsere Reisepläne aufgeben und eine andere Wohnung nehmen. Bisher war aber deine Absicht anders gewesen.«

»Komm mir nur nicht immer mit deiner Logik, die kann ich schon gar nicht vertragen. An Gründen fehlt es dir ja niemals.«

Sie schmiß einen blechernen Farbenkasten hin und eilte hinaus. Nach einigen Minuten stürmte sie mit verweinten Augen herein, raffte ihre Malsachen zusammen, riß ihm die Tube aus der Hand und eilte mit diesen Gegenständen hinaus, als müßte sie die einzigen Erinnerungen an ein unwiederbringlich verlorenes Glück vor seinen rohen Händen in Sicherheit bringen.

Mit der alten Wirtschafterin lebte sie in gespanntestem Verhältnis. Sie behauptete, die halte immer zu Cornelius und glaube, sie sei hier Herrin im Haus. Cornelius sah bald ein, daß der Zustand unhaltbar war, und Frau Schrecken, die sich in der Tat hie und da nachlässig zeigte und auf Zurechtweisungen nicht immer einen höflichen Ton bewahrte, mußte gehen. Zwei Tage nach ihrer Entlassung fand Amélie eine Brosche in ihrem Schreibzeug. Sie hatte sie vor einigen Tagen vermißt und unter Cornelius' Einspruch vor ihm Frau Schrecken des Diebstahls bezichtigt. Nachdem sie von dieser Entdeckung erst tief niedergeschlagen war, fühlte sie plötzlich alle ihre guten Instinkte in sich wach werden, und als Cornelius nach Hause kam, gestand sie ihm schon auf dem Vorplatz, wie ein reuiges Kind zu Boden blickend, daß die Brosche sich gefunden hätte.

»Ich schäme mich ganz entsetzlich,« sagte sie.

Cornelius war von diesem Bekenntnis gerührt. Es bewies ihm wieder, was für einen guten Charakter Amélie im Grunde besaß, wenn auch ihre Nerven sie hie und da zu Widersprüchen mit sich selber verleiteten.

Trotzdem schien es Cornelius, als er ihr beim Essen gegenübersaß, als ob Amèlie durch die Art, wie er die Sache aufnahm, nicht zufrieden war. Am Abend gab es wieder einen Streit, und als Cornelius sie beim Gutenachtsagen küssen wollte, ließ sie es nicht geschehen. Nun wurde ihm klar, daß sie seine allzu große Zärtlichkeit nicht vertrug, und er überlegte sich, ob es nicht angebracht sei, ihr gegenüber härter zu sein. Er erinnerte sich, daß sie hier und da, nicht geradezu, aber doch mittelbar zu verstehen gegeben hatte, sie traue ihm nicht allzuviel »Schneid« zu. Die unbegründete Verdächtigung der alten Wirtschafterin war allerdings keine Kleinigkeit gewesen. Sollte Amélies eigenes Gerechtigkeitsgefühl unbefriedigt gewesen sein, weil er ihre Schuld, durch seine liebe schwach geworden, zu leicht nahm? Solche Gedanken beschäftigten ihn, wenn er nachts schlaflos neben ihr lag, vergeblich auf ein Wort oder eine versöhnliche Gebärde von ihr wartend.

Cornelius bat sie eines Abends während des gewohnten Spaziergangs im Englischen Garten, doch etwas freundlicher gegen die Menschen zu sein, mit denen sie verkehrten. Er sei ferne davon, ihr irgendeinen vertrauten Umgang mit Leuten aufzuzwingen, die ihr nicht angenehm seien, aber gewisse äußere Rücksichten müsse man doch nehmen.

»Ich weiß nicht, warum ich auf solche Idioten Rücksicht nehmen soll,« erwiderte Amélie im dunklen Schatten einer allein stehenden, mächtig duftenden Linde.

In diesem Augenblick fühlte Cornelius eine maßlose Wut in sich aufsteigen und die Gespanntheit der letzten Wochen entlud sich plötzlich durch ein Ohrfeige. Amélie war davon wie niedergeschmettert.

»Das ist aber – nein, das – das ist aber der Schluß!« rief sie ein paarmal aus.

Cornelius antwortete nicht und ging im Dunkel ruhig neben ihr her. Schweigend kamen sie nach Hause. Dort wurden nur die notwendigsten Dinge in kurzen Worten und gedrücktem Ton gesprochen. Als sie zu Bett lagen, und das Licht gelöscht war, verzichtete Cornelius auf den gewohnten Gutenachtkuß, löschte das Licht und versuchte zu schlafen, da fühlte er im Dunkel plötzlich ihren Kuß mit einer Leidenschaftlichkeit, die er bei ihr noch nicht gekannt hatte. Dann folgte eine Reihe so ungetrübter Tage, wie sie seit der Rückkehr nach München noch nicht vorgekommen waren.

Nach einigen Wochen schlug Amélie beim Abendessen, währenddessen sie zum erstenmal wieder verstimmt erschienen war, vor, wieder in den Englischen Garten zu gehen. Sie blieb genau an der Stelle, wo sie neulich die Ohrfeige bekommen hatte, stehen und sagte wie ein ungezogenes Kind, ohne jede Veranlassung:

»Ich bin heute deiner Freundin Lissy begegnet, sie ist doch nichts anderes als eine blöde Gans.«

Aber die erhoffte Ohrfeige kam diesmal nicht, Cornelius blickte sie nur kopfschüttelnd an und ging in tiefstem Schmerz neben ihr her. Amélie kochte vor Wut; als sie nach Hause kamen, verfiel sie plötzlich in einen ganz eigentümlichen Zustand von Zittern und Stöhnen; Cornelius zündete erschreckt Licht an und sah, daß sie eine richtige Nervenkrise hatte. Der Schaum trat ihr vor den Mund. Er machte ihr einen kalten Umschlag, redete ihr beruhigend zu, ihre Arme zuckten; schließlich griffen ihre Hände nach den seinen, und als sie sich beruhigt hatte, nahm sie seinen Kopf, drückte ihn an ihre Brust und sagte wie in tiefer Befriedigung:

»Laß uns so ein bißchen ganz ruhig liegen.«

Er ließ sich nun auf Auseinandersetzungen mit ihr nicht mehr ein; sobald sie aber zu Handlungen überging, wie z. B. zum Packen ihrer Koffer, um auf und davon zu gehen, nahm er sie am Handgelenk, führte sie ins Schlafzimmer, warf sie mit einem kräftigen Ruck aufs Bett und sagte:

»Jetzt ruhst du dich zwei Stunden aus, damit du wieder zur Vernunft kommst. Die Koffer schließe ich ein.«

Das tat er dann, und es hatte auch meist eine günstige Wirkung. Wenn er abends nach Hause kam und nicht mehr auf das Vorgefallene einging, konnte es sehr leicht kommen, daß sie ihm bald zärtlich in die Arme sank.

Bei alledem erblühte Amelie körperlich immer mehr. Sie wurde etwas üppiger, frauenhafter, und Cornelius' Gefühle zu ihr ließen in keiner Weise nach. Wenn er sie gelegentlich außer dem Hause traf, sie auf der Straße von weitem kommen sah, oder in Gesellschaft beobachtete, dann freute es ihn manchmal, sie wie ein Unbekannter ganz objektiv zu betrachten, und sich zu gestehen, wie schön sie war und wie stolz er auf sie sein konnte. Aber je mehr er ihr huldigte und ohne vorherige Auftritte zärtlich zu ihr war, desto mehr mißhandelte sie ihn. Bei jeder Kleinigkeit fühlte sie das tiefste Wesen ihrer Persönlichkeit angegriffen; wenn es sich nur darum handelte, ob sie hier oder dort einen Besuch machen würden, sofort war eine Weltanschauungsfrage daraus gemacht, und sie rief aus:

»Es gibt keine Kleinigkeiten, sondern alles hat Bedeutung. Wer mich nicht so nimmt, wie ich bin, mit dem kann ich nichts anfangen.«

Derartige Antworten gab sie besonders, wenn Cornelius sie bat, bei Gesprächen über geschlechtliche Fragen, die in der Schwabinger Gesellschaft nicht zu den Seltenheiten gehörten, doch etwas zurückhaltender in ihren Urteilen zu sein. Das erbitterte sie, besonders daß er ihr die eigenen Erfahrungen absprach; und nun suchte sie aus allen möglichen kleinen Abenteuern ihres Mädchenlebens wichtige Geschichten zu machen, über die sie sich in geheimnisvollen Andeutungen erging, wobei sie aber ihre ernsthaften Erlebnisse, nämlich die Demütigungen, die sie durch Rittmeier und Erwin Dorn erlitten hatte, wohlweislich verschwieg. Vielmehr sprach sie auf einmal häufig von Baron Erich; über ihre einstige Verlobung mit ihm war Cornelius, dem sie nun Erich gegenüberstellte, unterrichtet. Ja gewiß, Erich war ein Taugenichts, wenn man will, ein Lump, das gab sie zu, aber er war der erste und einzige Mann gewesen, der in ihr die tiefsten weiblichen Instinkte erweckt hatte. So liebe man nur einmal im Leben, und man könne ja auch nicht verlangen, daß sich das wiederhole. Derartige Bemerkungen machte sie mit Vorliebe, nachdem sie gerade einige gute Tage mit Cornelius verbracht hatte und diesen darüber allzu glücklich sah.


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