Oscar A. H. Schmitz
Bürgerliche Bohème
Oscar A. H. Schmitz

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Achtes Kapitel

»Wenn wir Frauen erwachen ...«

48

Das Haus der Sanders war vollkommen verödet; dort wohnte noch die alte Mme. Sanders mit der Lene. Die Villa in dem nahen Landstädtchen hatte sie verkauft. Lorrain war an Altersschwäche gestorben. Tagelang saß die alte Dame allein in den nach altem feinen Holz duftenden Räumen; sie war dick geworden, aber die Fülle schien eingefallen und wässerig. Ihre Züge dagegen waren schärfer geworden, besonders die etwas gebogene Nase trat stärker hervor. Ihr Ausdruck hatte etwas Majestätisches bekommen, wie der Kopf eines einsam horstenden Adlers. Hie und da wurde ihre Einsamkeit durch Besuche von Bekannten unterbrochen, welche die Pflicht fühlten, bisweilen nach der alten Dame zu sehen, die von ihren eigenen Angehörigen so vernachlässigt wurde. Die Nachrichten von München waren äußerst spärlich und hatten ganz aufgehört, seitdem die beiden Geschwister den unglücklichen Ausgang ihrer Ehen zu verheimlichen suchten. So wußte die Großmutter überhaupt nicht, was in München geschah. Große Verlegenheit bereitete es ihr, wenn Bekannte nach den Enkeln fragten, denn sie schämte sich, so ganz ohne Nachricht zu sein. So erwiderte sie auf Fragen immer:

»Oh, es geht ganz gut; sie studieren und das dauert eine Weile, bis man Erfolg sieht.«

In schlaflosen Nächten schlich sie durch die verödeten Räume und ging oft im Nachtgewand mit einer Kerze an den alten Kassenschrank, aus dem sie vergilbte Papiere und Urkunden nahm. In diese versenkte sie sich. Sie erinnerten an ihren toten Mann und ihren toten Sohn, mit denen sich ihre Gedanken nun mehr beschäftigten, als mit der erst vor wenigen Jahren verstorbenen Schwiegertochter. Da war noch das Verzeichnis ihres eigenen Heiratsgutes mit altmodischer Schrift in französischer Sprache von ihrer Mutter geschrieben. Ja, richtig, sie hatte drei Dutzend Damasttücher mit in die Ehe gebracht. Eines lag übrigens noch, ganz zerrissen, im Schrank. Da war auch die Rechnung für eine Miniatur, die ihr Mann kurz nach der Ehe von ihr hatte machen lassen, zweihundert Gulden. Und dies waren zwei blonde Büschel Haar, von Mely und Hermann, als sie zwei und drei Jahre alt waren. Dann kamen Kauf- und Pachtverträge, dann Geschäftsbücher mit der Handschrift ihres Mannes, ihres Sohnes und zuletzt von ihrer eigenen sicheren Hand. Wer würde sie fortsetzen? Weder Hermann mit seiner unleserlichen, noch Mely mit ihrer gekünstelten Schrift. Wer weiß, was die in diesem Augenblick trieben, wieviel sie noch von ihrem Vermögen besaßen und was aus dem ganzen Sandersschen Besitz nach ihrem Tode werden würde!

Hie und da kam noch Baron Erich zu ihr, und ihm schüttete sie bisweilen ihr Herz aus, ohne zu ahnen, was er für ein Leben führte. Er war langsam wieder seinem Bummelleben verfallen. Als er die Heirat Amélies erfahren hatte, war er zunächst in Verzweiflung geraten, legte sich vierzehn Tage ins Bett, ging nicht mehr in die Bank und fand auch dorthin den Weg nie zurück. Inzwischen war er der Liebhaber galanter und gut ausgehaltener Damen geworden, von denen er lebte. Längst hatte er alle Beziehungen zu der Gesellschaft verloren, nur die alte Mme. Sanders, die nichts von diesen Dingen ahnte und auch vorzog, von seinen Besuchen mit niemand zu sprechen, empfing ihn nach wie vor, und ihm schmeichelte es, daß ihn wenigstens noch dies eine Band mit einer besseren Vergangenheit verknüpfte. So geschah es, daß an manchen Sonntagen dieser Beschützer von Halbweltlerinnen an dem Tische dieses Bürgerhauses saß und die Geständnisse der alten Dame anhörte.

Noch immer verstand er es, sich auserlesen zu kleiden; wenigstens besaß er immer einen Anzug, in dem er, wenn es galt, gute Figur machen konnte. Dadurch hielt er sich, wie er wohl wußte, dauernd an die Leiter des Glückes geklammert, wenn auch nur an die unterste Sprosse. Winkte doch noch einmal die Gelegenheit zum Aufstieg, so durfte er nicht an der Garderobe scheitern. Er war immer bereit. Inzwischen trommelten die schmalen manikürten Finger noch manchen Marsch auf der goldenen Zigarettendose, die oft versetzt, aber nie verkauft worden war.

Der Baron zeigte nach wie vor Verständnis für den Kummer der alten Mme. Sanders und mißbilligte das Leben der beiden Enkel, denn seine alten Grundsätze über das, was sich gehört, hatte er wohl bewahrt, und es machte ihm nicht viel Kopfzerbrechen, daß er selbst im Augenblick nicht danach lebte. Hätte man ihm dies vorgehalten, so wäre er vielleicht in Verlegenheit geraten, würde aber schnell die Antwort gefunden haben:

»In der Welt, in die ich geraten bin, kann ich von diesen Grundsätzen keinen Gebrauch machen. Im übrigen behalten sie für mich ihre alte Gültigkeit.«

Zu seiner Ehre muß man bemerken, daß er niemals den Versuch machte, von Mme. Sanders Geld zu borgen. Dazu waren die Irmas und Ellens da, und der Baron hielt streng die Grenzen der Stände ein; er wollte von jedem das Seine, von Mme. Sanders nur die Ehre ihres Umgangs. Es kam ihm darauf an, wenigstens hier in diesem Hause noch als Kavalier und zuverlässiger Mensch zu gelten.

Die Festtage in dem Leben der alten Dame waren es, wenn ihr ältester Enkel Kurt von Zeit zu Zeit ein paar Tage zu ihr kam. Aber zu ihm sprach sie nicht so offen über die beiden anderen Geschwister wie zu dem Baron, denn sie fürchtete die Härte seines Urteils. Es tat ihr wohler, wenn man ihre Enkel ein wenig zu entschuldigen suchte, und das versuchte Baron Erich hie und da auf eine geschickte Art.

Kurt hatte inzwischen die Assessorprüfung gemacht und sollte einen einträglichen Posten in der Industrie annehmen. Di« Großmutter bat ihn für einige Tage zu sich, um mit ihm eine wichtige Angelegenheit zu besprechen. Sie fühlte sich immer schwächer werden, und da ihr Dasein durchaus keinen Inhalt mehr besaß, der ihre Lebensgeister hätte anregen und erfrischen können, war sie mit dem Gedanken vertraut, und er war ihr nicht einmal unangenehm, daß ihre Flamme langsam verlöschen würde. Nun aber gab es noch einen Punkt, der sie aufs äußerste beunruhigte. Sie wußte, daß sie die Erbteile ihrer Enkel festlegen konnte, aber zugleich fürchtete sie deren Fluch und den Haß, der nach ihrem Tode entstehen würde, wenn sie den Inhalt eines Testamentes erfuhren, das sie nicht zu freien Eigentümern, sondern nur zu Nutznießern ihrer Erbteile machte.

Eines Abends saß sie mit Kurt bis spät in die Nacht hinein, ihre gichtigen, bleichen Finger breiteten auf dem Tisch Papiere und Dokumente aus. Kurt sah auch sehr viel älter aus. Sein blonder Schnurrbart war dicht geworden, das Haupthaar lichtete sich stark. Durch die Mitte der Stirn ging eine einzelne wagrechte Furche, die eine auf Kosten der Freude aufrechterhaltene Zähigkeit des Wollens verriet. Nun saß er bei ihr an demselben Tisch, wie einst, als sie dem jungen Studenten ihre weltweisen Ratschläge gab.

»Weißt du, Großmama,« sagte er, »ich nehme die Sache auf mich. Mögen sie glauben, ich hätte dir diesen Plan eingegeben oder wenigstens dich darin bestärkt, was ja auch die Wahrheit ist.«

»Aber mein Junge, sie werden dich für einen bösen, harten Menschen halten, und du hast dein ganzes Leben lang ihre Feindseligkeit zu tragen. Ah, c'est affreux.« In die alten roten, einst so lebendigen Augen, traten Tränen.

»Das ist gleichgültig,« erwiderte Kurt mit einem bitteren Lächeln, »ich bin daran gewöhnt. Ich habe inzwischen auch meine Erfahrungen gemacht. Mein Leben lang strebe ich nach Klarheit und Gerechtigkeit und versuche, richtig zu handeln; aber mit einem derartigen Charakter macht man sich in unserer Zeit, wo alles in nervöser Gefühlsduselei und Sympathie für die Charakterschwachen erstickt, nur unbeliebt.«

»Mais mon pauvre enfant,« sagte Mme. Sanders bewegt, »was hast du denn für Erfahrungen gemacht? So habe ich dich ja noch nie sprechen hören.« Sie legte ihre Hand auf die seine.

Es war Kurt plötzlich peinlich, daß er sich zu diesem Geständnis hatte hinreißen lassen. Schnell lenkte er ein:

»Aber um auf Amélie und Hermann zurückzukommen ... Ich werde, wenn du willst, das ganze Vermögen verwalten und den beiden allmonatlich ihre Rente auszahlen. Ich werde sie vor dem Bettelstab schützen, mögen sie mich dafür hassen.«

»Und du glaubst, daß ihr euch nie wieder versöhnen werdet?«

»Was heißt denn versöhnen, ich bin ihnen nicht böse, trage ihnen nichts nach. In dem Augenblick, wo sie die geringste Neigung zeigen, mit mir gut zu stehen, wo sie Hilfe oder Rat von mir haben wollen oder mich besuchen oder einladen, bin ich für sie der Bruder und stelle mich auf den Standpunkt, daß alle diese Mißverständnisse Episoden waren und begraben werden können. Ich bin an Mißverständnisse gewöhnt.«

»Mein Junge,« sagte Mme. Sanders teilnahmsvoll, »was mußt du alles durchgemacht haben! Ich habe immer geglaubt, daß du deinen Weg leicht und vergnügt durchs Leben gehst, gesellschaftliche Erfolge hast und einmal Karriere machen wirst.«

Kurt lächelte.

»Nun, das ist ja auch mehr oder weniger so.«

Mme. Sanders fühlte wieder Tränen in ihre Augen kommen.

»Eines möchte ich noch erleben,« sagte sie, »daß du einmal eine brave Frau findest, wie du sie verdienst, bonne, jolie et intelligente

Während Kurt in den nächsten Tagen mit der Testamentsangelegenheit beschäftigt war, erhielt er ein Telegramm aus München. Es war von Amélie und lautete:

»Hermann bedenklich erkrankt. Womöglich gleich herkommen. Großmama nichts mitteilen. Amélie.«

Kurt erschrak heftig, aber es gelang ihm, mit einem fast heiteren Gesicht bei der Großmutter einzutreten und ihr zu sagen, leider müsse sie ihn auf ein paar Tage beurlauben, man habe ihn plötzlich telegraphisch nach Berlin gerufen. Inzwischen sei die Angelegenheit bei dem Notar im Gang, er komme in wenigen Tagen zurück. Mme. Sanders beunruhigte sich. Als er sich von ihr verabschiedete, sagte sie:

»Mein Junge, ich will mich nicht in deine Angelegenheiten drängen, aber wenn du Rat und Hilfe brauchst, pense à ta vieille grandmère


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