Oscar A. H. Schmitz
Bürgerliche Bohème
Oscar A. H. Schmitz

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36

Etwa eine Woche lang mußte Cornelius zu Bett liegen und durfte keine Besuche empfangen. Oefters wurden Blumen für ihn abgegeben. Bei allen lag eine Visitenkarte mit einigen freundlichen Zeilen, nur »die blonde Dame«, wie die Schwester Amélie nannte, zog weiter vor, ihre Blumen ohne Namen hinaufzuschicken.

In der zweiten Woche durfte Cornelius kurze Besuche empfangen, einmal kam der Fürst mit Hermann. Cornelius mußte laut lachen, als der Fürst ihm erzählte, daß er nach seiner Genesung noch als Zeuge vernommen werden würde und Behrent vermutlich ein bis zwei Monate sitzen müsse. Körperverletzung werde in Bayern sehr milde bestraft.

Schon in der dritten Woche war Cornelius fast hergestellt. Man hielt ihn noch weiter vierzehn Tage im Krankenhaus zurück, da er in seinem Junggesellenheim nicht die nötige Ruhe und Regelmäßigkeit des Lebens gefunden hätte. In dieser Zeit wechselte er Briefe mit Amelie, und als er sie schließlich fragte, ob sie ihn nicht einmal besuchen wollte, kam sie.

Es war ein fast schwüler, sehnsüchtiger Frühlingstag mit silbergrauen Wolken an dem blaßblauen Himmel. Amelie trug zum ersten Male ein helles Sommerkleid und trat lachend und rosig zu Cornelius herein. Er saß in einem Sessel, man merkte ihm kaum mehr die überstandene Krankheit an. Die alte Lebhaftigkeit war in seine Züge zurückgekehrt, nur schienen die Augen noch etwas ernster geworden zu sein. Er ging Amelie freudig entgegen, hielt ihre Hand in seinen beiden Händen und dankte für ihren Besuch. Dann saßen sie sich gegenüber. Amélie war verlegen. Sie sah, daß er an der Stirn, direkt bei den Haarwurzeln, noch eine Beule hatte, über die er von Zeit zu Zeit eine Haarsträhne zog. Amélie fühlte, daß er es aus Eitelkeit tat und ihre Anwesenheit ihn dazu veranlaßte. Es machte ihr im geheimen ein unaussprechliches Vergnügen, das mit Zärtlichkeit gemischt war. Cornelius beobachtete sie mit einer Ruhe und Sicherheit, die sie an ihm lange nicht mehr gewohnt gewesen war. Dabei sprachen sie über gleichgültige Dinge, er ließ sich erzählen, was sie trieb, wen sie sah und was es Neues unter den Bekannten gab. Dann verabschiedete sie sich, und sie machten eine Verabredung für die nächste Woche aus. Bis dahin würde Cornelius wieder in seine Wohnung zurückgekehrt sein.

Als ihn Amélie verlassen hatte, saß Cornelius über eine Stunde sinnend in seinem Sessel und blickte hinaus in die Straßen, wo die Kastanienbäume im ersten Grün erschimmerten. Eine weiche Frühlingsluft strömte herein. Er staunte über sich selbst, über die Ruhe, mit der er nun Amélie gegenübergesessen und sie beobachtet hatte. Sie gefiel ihm gewiß noch ebensogut wie früher, und es wäre ihm unendlich traurig vorgekommen, wenn er sie nie hätte wiedersehen sollen, aber dieses ungestüme Verlangen nach ihr, dieses Sie-besitzen-wollen um jeden Preis, die Bereitschaft, sein ganzes Leben auf diese eine Karte zu setzen, das war nicht mehr ganz so stark. Er fragte sich selbst, ob es seinen Gefühlen an Tiefe gemangelt habe, oder ob sie erst jetzt zu jener heiteren Reife gelangt seien, von der aus eine Verbindung fürs Leben gewagt werden könne. Jedenfalls fühlte er sich leicht und froh, als er aufstand und sich aus dem Fenster lehnte.

Amélie hatte inzwischen fortgesetzt über das Gespräch mit der Baronin Wernitz nachgedacht. Sie wollte nun die Baronin in jeder Hinsicht nachahmen und ihre Lehren beherzigen, sich auch wieder mit der Großmutter versöhnen. Es leuchtete ihr ein, daß das ein viel überlegenerer Standpunkt war, als der alten Dame zu grollen, und so schrieb sie schon nach wenigen Tagen einen etwas merkwürdigen Brief an die Großmutter, in dem sie ihr die »Wiederaufnahme der alten Beziehungen« anbot und die Mitteilung machte, daß sie nun ihren eigenen Weg gefunden habe. Die alte Mißhelligkeit in der Familie könnte daher begraben werden und jeder den anderen von seinem Standpunkt aus achten und ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen. Nach einigen Tagen kam eine etwas befangene Antwort, aus der die Freude der alten Dame darüber hervorging, endlich wieder etwas von ihrer Enkelin gehört zu haben. Zwar verstünde sie nicht alles, was in dem Brief stand, sie entnehme ihm aber mit Freude, daß Amélie ihr doch nicht ganz entfremdet sei; sie möchte ihr doch nun öfters wieder schreiben und auch mitteilen, wie es Hermann ging. Amélie lächelte überlegen beim Lesen dieses Briefes.

Sie fühlte sich plötzlich nicht mehr recht wohl in dem »Tirol«. Das war doch eigentlich auch nur Bohème, dachte sie. Sie fühlte die Notwendigkeit, sich anders einzurichten, mehr in der Art, wie die Baronin, deren weiß-rot-goldenes Empfangszimmer ihr einen unauslöschlichen Eindruck gemacht hatte. Viel Kopfzerbrechen verursachte ihr die Frage, ob zu dem neuen Leben, das sie führen wolle, die Ehe mit Cornelius notwendig sei, oder ob sie besser als selbständige, unabhängige Künstlerin der Baronin nachstreben könne. Dies wurde freilich durch die Geldfrage erschwert, denn ihre kleine Rente würde zu einem solchen Dasein doch nicht hinreichen. Inzwischen war ja wohl eine Hypothek, die ihr und Hermann zusammen gehörte, flüssig gemacht worden, aber das Geld schmolz überraschend schnell zusammen. Wenn sie sich mit Cornelius verheiraten würde, dann wollte sie unter allen Umständen auch ein solches weiß-rot-goldenes Zimmer haben, wenn auch vielleicht in kleinerem Maßstab als das der Baronin. Dies war das einzige, was durchaus für sie feststand, sonst schwankte sie von einem Plan zu dem anderen, und der Gedanke war ihr nicht unangenehm, daß sie sich nicht gleich zu entscheiden brauchte, solange Cornelius noch im Krankenhaus bleiben mußte. Sie fühlte sich in diesen Tagen recht glücklich und schwebte in Sommerkleidern durch die von Frühlingslüften erfüllte Stadt in dem Gefühl, wieder ein starkes Innenleben mit sich herumzutragen. Leider war die Baronin kurz nach ihrem Besuch an die Riviera gereist, und so wurde es nicht möglich, jenen schönen Abend zu wiederholen. Amélie schrieb ihr in ihrer großen Steilschrift einen begeisterten Brief nach Cannes, voll von überquellender Dankbarkeit für ihre freundliche Teilnahme und die Ratschläge, die ihr die Augen geöffnet hätten. Sie sei seit jenem Abend ein ganz anderer Mensch geworden.


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