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Märchen

Vor dem Dorfe tausend Schritte,
Wo die grauen Weiden steh'n,
Sollen in des Sumpfes Mitte
Blaue Wunder noch gescheh'n.

Sitzend auf krystall'nem Stuhle,
Harrt die Unkenkönigin;
Küßt sie auf den Mund ein Buhle,
Häuft sie Glück und Gunst auf ihn.

Ihres Zauberreiches Grenzen
Dehnen sich im Erdenschooß,
Demant und Karfunkel glänzen,
Perlen leuchten, riesengroß.

All' der Mammon wird zu eigen
Jenem, der die Hexe minnt ...
Ei – noch soll der Held sich zeigen,
Der dazu den Muth gewinnt.

In des Sumpfes Schilfbereiche
Liegt des Schlosses düst'rer Bau,
Drinnen haust die alte, reiche,
Unkengleiche Edelfrau.

Dick und schlapp sind ihre Wangen,
Grau und schütter ist ihr Haar,
Ihr kokett geziertes Prangen
Mahnt an Schönheit, die einst war.

Wie Frau Fama weiß zu melden,
Hart und herrisch ist ihr Sinn,
Und doch zieht es viele Helden
Zu dem düst'ren Schlosse hin.

Denn in Kisten und in Kasten,
Im verschwiegenen Gemach
Die Dukaten müßig rasten,
Und die Thaler liegen brach.

All' die heldenhaften Recken,
Die als Freier treten auf,
Seh'n zum Sumpf hinab mit Schrecken,
Kühn zur Edelfrau hinauf.

Einstmals kam ein feiner Knabe
Vor das hohe Schloßportal,
Dargereicht ward süße Labe
Ihm im blanken Goldpokal.

Weich umfing man seine Glieder
Mit der Kleider Pracht und Zier,
Zu ihm sank die Dame nieder,
Und der Knabe blieb bei ihr.

Doch nach drei verfluchten Tagen
Hielt's der Arme nimmer aus,
Ohne Abschied wem zu sagen,
Lief er barfuß aus dem Haus.

Lief, von blinder Angst beklommen,
Bis er tief im Sumpfe stand,
Einem Greuel kaum entkommen,
Sich in neuen Nöthen fand.

An das Ufer kam die Herrin
Eilends mit der Diener Schaar,
Sinnlos schien sie, eine Närrin,
Da ihr Liebling in Gefahr.

Doch umsonst war alles Winken
Und nach Hilfe ihr Begehr;
Lieber wollte er versinken,
Als zurückgekehrt er wär'.

Von sich wies er jede Hilfe,
Und als bis zum Halse schon
Er versunken war im Schilfe,
Rief er noch mit lautem Ton:

»Besser tief in dem Moraste
Bei der Unken-Klerisei,
Als an Deinem Tisch zu Gaste
Bei der feinsten Schmauserei.

In der Zaub'rin Feenarmen
Soll mein Herz von Liebe sprüh'n,
Das bei Dir nicht mocht' erwarmen,
Das bei Dir nicht konnte glüh'n.«

Bleiern schloß sich, düster, dunkel,
Ueber seinem Haupt die Flut –
Da erhob sich ein Gefunkel
Röthlich wie Rubinenglut.

Da umgab ihn Quellgeriesel,
Bäche rauschten süß und weich,
Hüpfend über Silberkiesel –
Offen lag das Feenreich.

Hoch auf blumiger Terrasse,
Ganz von Goldbrokat umwallt,
Grüßte lächelnd eine blasse,
Wunderholde Frau'ngestalt.

Ihrer Haare blonde Flechten
Glänzten wie des Mondes Licht,
Das in hellen Sternennächten
Mild durch Flockenwölkchen bricht.

Aus dem süßen Augenpaare
Glomm es licht- und gnadenvoll,
Als vom Munde nun der klare
Strom der Rede perlend quoll:

»Armer Knabe, bist mit Bangen
Mir und meinem Reich genaht,
Weil mit Kröten und mit Schlangen
Du versperrt geglaubt den Pfad.

Solcher Graus und solche Proben
Drohen Deinesgleichen nicht,
Die zur Schande nicht da oben
Flittertand und Gold besticht.

Wer noch höher als das Leben
Liebt die Schönheit wahr und heiß,
Dem wird gern von mir gegeben,
Was ich nur zu geben weiß.

Ew'ge Jugend soll Dir blühen
In dem schönen Märchenland,
Poesie Dich voll durchglühen
Mit der Liebe Zauberbrand!«

Und dem Knaben, der zu träumen
In dem Rausch des Glückes glaubt,
Legt zum Segen ohne Säumen
Sie die Hände auf das Haupt.

Wonne fühlte ohne Ende,
Liebe ohne Reu' und Qual,
Wer gleich ihm den Eingang fände
In das Fabelreich einmal.

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