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Ein Schelmenlied

(Aus meines Vetters Tagebuch.)

Saß ich einst in jungen Jahren,
Wollt' ein Schelmenliedel dichten;
Ausgeflogen aber waren
Alle die Gedankenschaaren,
Und ich konnt's nicht richten.
Sonne, Mond und gold'ne Sterne,
Rosen, Liebe, Lenz und grüne Bäume,
Alles schwankte wirr durch meine Träume;
Doch es blieb der Reim mir ferne.

War darüber baß verdrossen,
Lief zur Schänke schnell entschlossen,
Weil gewöhnlich mir beim Wein
Fällt das Allerschönste ein.
Hielt der Wirthin Töchterlein
Lächelnd mir das Glas entgegen,
Weiß nicht, war's des Weines Segen,
War's der Schönheit Wunderkraft
Oder sonst verborg'ne Eigenschaft,
Gleich begann sich's froh zu regen,
Und auf jeden Zug und Schluck
Ward zum Reime Kuß und Händedruck.

Als die Wirthin kam heran,
Hub sie laut zu schelten an,
Daß ihr Schimpfen und Gezeter
Rasch mich trieb zur Thür hinaus,
Nur zur Thür, nicht aus dem Haus,
Weil ich wußte, daß mir später,
Um die Stunde der Gespenster,
Sich vom Kämmerlein ein Fenster
Aufthun würde im Geheimen,
Wo das liebe Mädchen mein
Recht behilflich wollte sein
Mir beim Dichten und beim Reimen.

Maiennacht und Sternenreigen,
Nachtigall auf Fliederzweigen,
Rasch im Schelten, Wirthin Du,
Dir fällt aller Tadel zu,
Wenn statt Schelmenliedern unbedacht
Wir ein Schelmenstück etwa gemacht.

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