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Der Sennerin Rache

Brüllend wie ein Ungeheuer
Fliegt der Sturmwind um die Alm,
Fröstelnd an dem trüben Feuer,
Blickt die Sennin in den Qualm.

Ob der Topf auch freundlich plaudert
Und das Wasser kochend summt,
Wenn der Sturm ein wenig zaudert,
Wie im Uebermaß der Wuth verstummt,

Einkehr hält kein Wohlbehagen
In den kalten Hüttenraum;
Der ist selbst an schönen Tagen
Heimlich nicht, ja wohnlich kaum.

Immer wieder an dem Hause
Rüttelt neu des Sturmes Macht,
Daß im tobenden Gebrause
Es durch alle Fugen kracht.

Und die Sennin stöbert schaudernd
In die dunkelrothe Gluth,
Murmelt, mit sich selber plaudernd:
»Just so roth war auch sein Blut.«

Plötzlich poltert's an der Hütte,
Rauhe Stimmen werden laut.
Schmuggler sind es, deren Schritte
Längst mit Nacht und Sturm vertraut.

Obdach nur zu kurzem Rasten
Suchen sie am Hüttenherd,
Sind die Rücken doch mit Lasten
Wie für Riesenkraft beschwert.

Mancher zieht des Specks ein Stückchen,
Schwarzes Brot auch aus dem Sack,
Den erfreut vom Schnaps ein Schlückchen
Und die Anderen Tabak.

Einer von der Wand herunter
Langt die alte Zither schnell,
Unter seinen Griffen munter
Sprudelt auf der Töne Quell.

Jauchzen läßt er jetzt die Saiten,
Greift dann einen Zornaccord,
Als ob Sturm und Zither streiten
Sollten um das letzte Wort.

Darnach wieder fließt die Weise
Wie ein Moosbach sanft und lind,
Wie zum Schlafen singet leise
Eine Mutter ihrem Kind.

Eine Seele schreibt die Sage
Zu dem kleinen Instrument,
Weil es Freudenruf und Klage,
Trauerton und Jubel kennt.

Manchem armen Alpensohne
Ist's der einz'ge Kamerad,
Den auf weiter Bergeszone
Er zum Zeitvertreibe hat.

Darum sind mit seinem Klange
Auch die Aelpler so vertraut,
Und sie lauschen gern und lange
Auf der Zither süßen Laut.

Aber endlich sind die Pfeifen
Aller Horcher ausgebrannt,
Wie die Lasten sie ergreifen,
Sind zum Geh'n sie rasch gewandt.

Noch des Abschieds kurze Pause,
Gruß und Handschlag dargebracht,
Und dann nimmt sie auf die grause,
Rabenschwarze Wetternacht.

An der Wand hängt stumm die Zither,
Die noch eben laut erklang,
Da ertönt sie gellend wieder,
Als ob eine Saite sprang.

Schüsse knallen fern, dann näher
Durch den Aufruhr der Natur.
Sicher haben wache Späher
Ausgeforscht der Schmuggler Spur.

Tollkühn, nicht des Schreckens Beute,
Stellen diese ihren Mann,
Es sind wildverweg'ne Leute,
Deren Blut schon oftmals rann.

Kecke Wild'rer sonst zu Zeiten,
Scheuen sie nicht Tod und Blut;
Zähe kämpfen sie und streiten
Um das unverzollte Gut.

Weither kommt der Lärm gezogen,
Bis er deutlich nah erschallt,
Dann wie in den Wind geflogen
Rasch und plötzlich ganz verhallt.

Starren Blicks, als säh' Gespenster
Sie, mit trüb umwölkter Stirn,
Steht und starrt am Hüttenfenster
Angstbeklemmt die Sennendirn.

Einer Wetternacht gedenken
Muß sie mit gequältem Sinn,
Alle die Gedanken lenken
Nach dem einen Schmerze hin,

Wie an ihrer Hüttenschwelle
Auffand sie den theuren Mann,
Dem das Blut, das purpurhelle,
Von der bleichen Stirne rann;

Wie gespäht sie nach dem Klopfen
Seines Pulses, der entflog
Mit den warmen, rothen Tropfen,
Die sie ihm vom Antlitz sog.

So wie heut' war's eine schlimme,
Wetterschwere Freitagsnacht,
Die in ihrem Schmerzensgrimme
Bei dem Todten sie durchwacht,

Betend erst, dem Mörder fluchend
Dann, träf' ihn des Gegners Blei,
Daß er, letzte Hilfe suchend,
Fern von allem Troste sei.

Horch, da wehen Schauertöne
Aus der Sturmesnacht herein,
Ein gepreßtes Schmerzgestöhne,
Laute jammervoller Pein.

Zagend tritt sie auf das freie
Rasenplätzchen vor der Thür,
Stürzt zurück mit einem Schreie;
Denn ein Todter liegt vor ihr.

Nein, kein Todter – noch zuckt Leben
Durch das bleiche Menschenbild,
Seine fahlen Lippen beben,
Seine Augen rollen wild.

»Hilf mir,« stöhnt er, »die Gensdarmen« –
»Müde bin ich ... sterbensmatt!«
Schnell gefaßt, mit starken Armen
Trägt sie ihn zur Lagerstatt,

Legt, des Blutes Lauf zu hindern,
Auf die Wunde den Verband,
Und die Fiebergluth zu lindern,
Kühlt die Stirn ihm ihre Hand.

Alles doch droht fehlzuschlagen;
Was sie immer unternimmt,
Es verstärkt nur seine Klagen,
Und sein Lebenslicht verglimmt.

Während sie ihn dienstbeflissen
Pflegt mit Sorgfalt und Geduld,
Wird zermartert sein Gewissen
Von dem Drucke alter Schuld.

Ihren Blick, der Mitleid kündend
Auf ihm ruht, erträgt er nicht,
Weil die Reue, endlich zündend,
Seinen starren Trotz durchbricht.

»Nanni,« stöhnt er, »lass' mich sterben,
Deine Gutheit hilft nicht mehr;
Völlig recht muß ich verderben,
Weil ich Dich gekränkt so schwer.«

»Meine Hand hat ihn erschlagen,
Deinen Hans, den Jäger, hier –
Wo den Lohn ich weggetragen ...
Wenn Du kannst, verzeihe mir.«

»Weil ich Jesus Christ verlassen,
Fiel auf mich der Zorn des Herrn;
Aber mußt Du mich auch hassen,
Gar so viel hatt' ich Dich gern.«

»Du?« – Ein Schrei ist's, schrill und schaurig,
Der die Stube zittern macht,
Dann unsicher klingt's und traurig:
»Du hast es zustand gebracht?«

Und sie stößt die bleichen Hände,
Die sich falten, fort mit Hast,
Wie von heißen Feuerbränden
Wilder Rachegier erfaßt.

Ganz in ihre Macht gegeben
Ist, den lange sie gesucht,
Ihr gehört des Mörders Leben,
Das sie fort und fort verflucht.

Soll das Messer sie ergreifen,
Das im Feuerscheine gleißt?
Wie, wenn sie den Linnenstreifen
Des Verbandes ihm entreißt?

»Nanni,« stöhnt der Todgetroff'ne,
»Fluche nicht – verzeihe mir!«
Und das aufgerissen off'ne
Auge starrt entsetzt nach ihr.

Bang in seinen Todesnöthen
Krümmt er wimmernd sich und fleht:
»Wehe! Vaterunser beten –
Nanni ... sag' mir ein Gebet!«

Mitleid und Verbitt'rung kämpfen
Um die Herrschaft lange Zeit,
Ströme heißer Thränen dämpfen
Halb nur ihren Widerstreit.

»Beten? – Nein; doch auch nicht fluchen,
Schwer genug ist Deine Pein.
Mußt den Himmel selbst Dir suchen,
Stirb – in Frieden – – doch allein!«

Sie enteilt. Der Sturm fährt brüllend
Ihr in das Gesicht. Die Nacht,
Wand und Hang und Schlucht verhüllend,
Dauert lang. Sie weint und wacht.

In der frischen Morgenhelle
Steigt sie dann in's Thal hinab,
Daß sie einen Sarg bestelle,
Eine Messe und ein Grab.

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