Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Tod als Mahner

Als ich jüngst mit bleichen Wangen
Thränen bitt'ren Harms vergoß,
Kam Gevatter Tod gegangen –
Angst und Schrecken waren groß.

»Neidest Du das bischen Leben
Mir, den Kummer stets bedrückt,
Bin ich schon Dir hingegeben,
Eh' noch Liebe mich beglückt?

Eh' noch diese Welt voll Blüthen
Eine auf mein Haupt gestreut,
Raffst Du aus dem dumpfen Brüten
Schon dahin mich Aermsten heut'?«

Also bebt' ich; doch gelassen
Wandt' er sich zu mir: »Du Thor,
Wen mit kalter Hand ich fassen
Soll, schreibt mir das Schicksal vor.

Heute noch an Dir vorüber
Führt mich die bestimmte Bahn:
Früher oder später, Lieber,
Rückt auch Deine Stunde an.

Darum, soll Dich's nicht verdrießen,
Wenn Du meine Macht erfahrst,
Daß Du säumend im Genießen
Und der Liebe abhold warst,

Nütze wohl die Zahl von Tagen,
Die Dir zugemessen ist,
Daß mit Seufzen nicht und Klagen
Dir verstreichen mag die Frist.

Ich, der Tod, weiß Dir zu sagen,
Daß erwünscht er niemals kommt,
Daß Entbehren und Entsagen
Für das Ende gar nichts frommt.

Hole Dir mit raschen Händen,
Was an Glück nur jede faßt;
Keine Macht kann Dir entwenden,
Was Du schon genossen hast.«

Und ich sah ihn weiterschwanken
Vor des nächsten Nachbars Thür'.
Seither trag' ich in Gedanken
Seine Mahnung für und für.

.


 << zurück weiter >>