Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Viertes Kapitel.

Unter dem stählernen Thore stand Georg vor der Greisin. Sie erzählte ihm von vielen Wundern und dem geheimen Walten der Kräfte in der Erde, und von allerlei Weisheit unter dem Himmel. Georg war ganz in ihre Worte versunken, auf einmal rief es neben ihnen: eviva Gesú.

Georg sah sich erschrocken um, und ein langer hagerer Mann in schwarzem Talare, mit einem eckigen Gesichte, das in Aschgrau und Gelb widerlich wechselte, und mit blitzenden Augen Georg musterte, stand lächelnd, und in gebückter Stellung hier.

Ich habe dich, Georg Venlot! begann dieser zu sprechen, schon zu verschiedenen Malen gesehen; einmal in Unteritalien in geistreicher, dann in Berlin in langweiliger, und früherhin als einen Knaben auf einem Dorfkirchthurme in gar keiner Gesellschaft.

Da du, entgegnete Georg, mich und mein Schicksal zu kennen scheinst, so darf ich dich gewiß bitten, mir den Weg dahin zu zeigen, wo Sie, Aquilina wohnt!

Wie eine Natter hob er seinen Kopf mit röthlich schillernden Augen empor, und sprach: wenn du dich getrautest, mit mir gleichen Schritt zu halten, so kannst du mir Gesellschaft leisten. Bis vor die Schwelle Ihres Schlosses geht mein Gebiet, und bis dahin möchte ich dieses Mal mich wohl ergehen. Morgen gegen Abend dürften wir dort anlangen. Allein ich mache etwas weite Schritte, und unterwegs mag ich mich nicht gern aufhalten. Daher lasse ich dir die Art und Weise, wie du mit mir fortkommen willst, ganz anheim gestellt. Sein Gesicht zog sich während dieser Worte zu tausend Fältchen zusammen, wie das einer Schildkröte.

Georg wußte sich vor Freude kaum zu fassen. Das dunkelgrausige Angesicht des Scirocco schien sich ihm gleich einem, zur Rose aufblühendem Distelkopfe zu verklären, indem er in die Täuschung eines Kindes verfiel, welches die Schlange für einen bunten, lebendigen Ring, und bewegliches Spielwerk zu halten geneigt ist.

Sie waren während dieser Unterhaltung in den Saal hineingetreten. Finster zog sich Scirocco in einen Winkel zurück, brachte eine Flöte heraus, schraubte sie zusammen, und fing an zu blasen in hirnverwirrenden Melodieen so schwermuthschaurig, und dann wieder so schneidend hell wie im Höllentriumphe.

Jetzt bebten die Töne wie zum Reigentanz der Elfenkinder. Die grünen Tage ferner Zeiten schmachteten zu Georg herüber, und flehten ihn wimmernd an: uns nicht verlassen! uns nicht verlassen! komme wieder zu uns herunter, wieder zu unseren Quellen, Thälern und Bergen, zu den rauschenden Tannenzweigen! Lachende Nixen mit funkelnden blauen Augen und mit brennend wunden Lippen schauten sehnsüchtig und weich in sein Gesicht, weinten vor Schmerz und Wollust und lachten und kicherten dann wieder wie liebeswahnsinnig – in den Tönen der Höllenflöte empor.

All die Fluren, welche ihn einst entzückt, mit ihren blühenden Apfelbäumen und summenden Bienen, alle die Kornfelder, im Blüthenrauche duftend, mit ihren blauen Blumensternen, alle die im Silberthaue und Morgenrothe schwimmenden Wiesen des Lenzes mit ihren rieselnden Quellen und Bächen, zauberte der Klang der Zauberflöte zu ihm heran. Weiße zarte Hände schienen heraufzulangen und träumerisch bittende Augen zu ihm emporzublicken.

Nach einer Weile steckte Scirocco ruhig seine Flöte wieder ein. Die Einsiedlerin fragte ihn, ob er Himbeersaft oder Limonade wünsche?

Bereite mir eine tüchtige Limonade zu, erwiederte er, denn ich bin matt, und mich dürstet sehr. Die Alte besorgte den Trank.

Wie ist dir, Venlot? fragte er diesen mit spähenden Augen. Wie einem, versetzte Georg, der gern schlafen möchte; übrigens bist du der wackerste Flötenspieler, den ich je gehört habe.

So? meinte Scirocco; wie die Welt doch klug wird! sonst wurde Alles rasend vor dem Klange meiner Flöte, ja! selbst Ratten und Mäuse sprangen tanzend hinterdrein; jetzt aber findet man die Sache erträglich; und Schlaf und Verdauung befördernd! Die Menschheit wird immer langweiliger, trocken wie ein Hauskalender, unbehaglich wie ein Nebelschauer, und klug wie eine Rechenmaschine, oder ich bin selbst nur noch ein abgetragener und verschossener Comödiant!

Er rührte mißmuthig mit einem hölzernen Löffel das mit Zitronensaft und Zucker versetzte Wasser, und schlürfte in kurzen kostenden Zügen den kühlen Trank.

Als sich endlich Georg schlaftrunken zur Ruhe begeben wollte, kicherte er: lege dich immer nieder, gefühlvoller Reisegefährte! Wenn es Zeit zur Abreise sein wird, will ich dich ermuntern.


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