Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Viertes Kapitel

Der König hatte seine Räthe um sich versammelt. Zornig fuhr er sie an: »ich sollte euch köpfen lassen; denn euer Rath war schlimm, und ihr habt mich und Oalla betrogen! ein unbekannter Fremdling, der uns nichts nützen kann, hat nunmehr gesiegt.«

Demüthig hockten auf ihren untergeschlagenen Fersen die Betroffenen um den zürnenden Herrn umher und machten lange Gesichter.

Endlich begann der Aelteste unter ihnen: »Herr, du hast zu gebieten über unser Gut und Blut, über Fuß und Haupt; dein Odem macht lebendig und todt! Es steht nur in deinem Willen, ob du dem Fremdling die erhabene Schönheit deiner Tochter überlassen willst, oder nicht!«

»Dies ist eine kluge Rede!« rief der König; »fahre fort!«

»So laß denn, Herr und König, die Freier vor dir kommen und geruhe, ihnen zu sagen: daß nur der den Sonnenabglanz deiner Tochter verdiene, welcher unter ihnen des Schönsten, was ihm eigen sei, sich zu rühmen und binnen drei Tagen die Wahrheit seiner Rede zu beweisen vermöchte.«

Dieser Rathschlag gefiel dem Könige ungemein. Er ließ die Fürsten, und mit ihnen Georg vor sich kommen und trug ihnen seinen Willen vor.

Alsbald begann der Eine seine schönen Schlösser, der Andere sein Roß, ein Dritter den Reichthum seiner Schatzkammer, und ein Anderer Anderes zu erheben. Nur Georg schwieg zu diesem Allen. Spöttisch fragte ihn endlich der Perserkönig, ob er denn gar keines Besitzes sich zu rühmen habe. Gleichgültig antwortete Georg: ich rühme mich meiner Dame; denn eine schönere giebt es in aller Welt nimmermehr.

»Zittere, Verwegener!« schrie der beleidigte König; »du sollst meine Tochter Amasia sehen und bekennen, daß, wie die Sonne den Mond an Glanz, nicht minder ihre Schönheit die gepriesene Dame übertrifft.«

Auf seinen Befehl ward die Fürstin in den Saal hereingebracht. Obgleich die zarte Gestalt verschleiert war, so konnte man dennoch den wonnigen Bau der Glieder erkennen, indem sie sich durch die Reihen der Männer hindurchbewegte.

Der König schlug den Schleier von ihrem Gesichte zurück.

Wie eine erblühende Rose, die mitten durch das dunkle Laub herausglüht, war die liebliche Jungfrau anzusehen. Magdelich schien sie vor holder Schaam in sich zusammen zu sinken. Schüchtern schlug sie die feurigen schwarzen Gazellenaugen zu Georg, leise erbebend, auf.

Gebieterisch sprach der König: »Verräther, bekenne, daß du ein Thor gewesen bist und entweiche beschämt von hinnen!«

Herrlich, wie der Stern der Liebe, lieblich wie die Orangenblüthe, blühend wie die Morgenröthe, versetzte Georg, steht die holde Amasia vor mir; allein was ich behauptete, beruht dennoch in der Wahrheit.

Der König hieß Amasia entfernen. »So schwöre ich denn beim Barte des Propheten,« rief er außer sich, »daß du sterben sollst, noch ehe die Sonne dreimal untergeht, wenn du nicht deine freche Behauptung wahr machst.«

Es gilt hier deinen und meinen Ruhm, Aquilina! sprach Georg für sich; – könntest du mir verzeihen, wenn ich dich ersuchte, meine Ehre zu retten? Gewiß, Geliebte! – du kannst mir verzeihen!

Seht, riefen Mehrere umher, wie der Prahler jetzt bestürzt ist! Bekenne, daß deine Dame gegen Amasia nur eine gemeine Magd ist, rief der König, so will ich dennoch mit deiner Thorheit Mitleid haben und dich ziehen lassen!

Dieses entschied über Georg. Er drehte den Ring und flüsterte: Aquilina! – Aber kaum hatte er den Bann vollzogen, so fuhr ein unbändiger Schmerz durch seine Brust, als wollte sein Herz sich von ihm lösen.

Die Thüre des Saales ging auf und herein kam eine schöne, in Gold und Seide gekleidete, Jungfrau. Sie trat vor den Thron des Königs hin und verneigte sich. Kaum vermochte der König sein Auge von dieser holden Gestalt hinwegzuwenden.

»Fremdling!« sprach er, »wenn diese deine Dame ist, so hast du nicht geprahlt.«

»Es ist nur ihre Botin, abgesandt, uns von ihrer Ankunft zu benachrichtigen;« entgegnete Georg.

Abermals ging die Thüre auf und eine andere, noch schönere Jungfrau kam herein.

Entzückt saßen alle die Fürsten umher; der König stand, von ihrer Schöne bezaubert auf, ihr entgegen zu gehen; Georg aber sprach: »bemüht euch nicht, es ist nur eine Dienerin meiner Dame.«

Jetzt ertönte eine Musik von Flöten und eine verschleierte Jungfrau kam langsam und wie im Schweben herein. Wie sie dem Könige gegenüber war, schlug sie die Schleier zurück. Vor dem Glanze ihres Antlitzes, welches zu unsterblichen Wonnen geformt und auf dem ein rosiges Leuchten geheimnißvoll zu schweben schien, erschracken alle die Männer umher.

»Verzeihe mir, höchste der Houris!« sprach huldigend der König. Seine Augen waren ihm geblendet.

Aquilina aber wandte sich zu Georg: »Armer!« flüsterte sie, »also mußtest du mich doch unglücklich machen? Nun muß ich auf ewig von dir scheiden! Du hast gränzenloses Herzeleid über mich gebracht, und dennoch bedauere ich dich, du Guter! – So lebe denn wohl, geliebter, böser Mann! Ade, auf ewig!« Thränen rollten über ihre erbleichenden Wangen.

Georg stand besinnungslos und in sich selbst vernichtet. Sie drückte seine Hände an ihr Herz, und legte sich im tiefen Seelenleide mit ihrem lockigen Haupte an seine Brust. Er sank in die Kniee.

Schmerzlich sah sie ihn noch einmal an, faßte sein Haupt, küßte seine Stirne, wandte sich und wandelte mit ihren Frauen zum Saale hinaus. Der unglückliche Georg stürzte ihr vergeblich nach. Er fand nirgends mehr von ihr eine Spur.

Als einziges Denkmal ihrer Liebe und seines Vergehens, war ihm nur der Fingerreif, dessen Stein sich aber unerklärlich getrübt hatte, und helle Thränen des Leides und der Reue geblieben.

So zog er von Schiras, wohin er im freudigen Stolze den Abend vorher gekommen war, arm, verlassen, und an Herz und Geist zerrüttet hinaus. Doctor Voland war nicht bei ihm.

Vergeblich hat er sich später bemüht, Ruhe und Frieden zu gewinnen. Einsam und traurig steht er in diesem Leben da. Kein Herz vermag ihn und sein Leid zu begreifen.

Bei seiner Heimkehr zur väterlichen Heimath, erfuhr er, wie seine Verwandten mütterlicher Seite sein Erbgut sich angemaßt, verkauft, und den Erlös davon unter sich getheilt hatten.

So brach mit dem Unglücke auch Armuth und Elend über ihn herein. Er soll sich jetzt dürftig und kümmerlich von Romanschriftstellerei nähren.


Heinrich schlug das Buch zu und sprach nachdenkend: so mährchenhaft auch das Ganze behandelt ist, so springt dennoch daraus eine so schneidende Wahrheit hervor, daß ich mich in meiner innersten Seele davon ergriffen fühle.

Ich wüßte nicht, was man Gescheites in diese Geschichte hineinerklären könnte, erwiederte Rudolph.

Lina erhob sich und sprach in holder Verwirrung: welcher Mensch fühlt nicht zur Stunde, wie er einst ein unnennbares Heil, das durch seine Schuld ihm verloren gegangen ist, besessen habe? Wem hat nicht in seiner Seele je eine Blume geblüht, welche auf ewig versunken scheint, und dennoch zuweilen wieder in sehnsüchtigen Träumen aufblitzt in hellen Farben und süßen Düften. Ohne eine solche gesteigerte Sehnsucht nach diesem verlornen Heile unserer Seele, kann ich mir gar kein Dichten denken.

Du hast aus meiner Seele gesprochen, Schwester! versetzte Heinrich. Jedem Menschen wird einmal der reine Blick der Seeligkeit, welcher alle Wonnenschauer der Ewigkeit ausschüttet, in Vorahnung und in der reinsten Stunde jugendlicher Unschuld zu Theil; aber ein jeglicher muß auch einmal diese tiefste Reinheit seiner Seele verlieren, um sie durch kräftiges Kämpfen wieder herrlicher zu erstreiten, und mit Kraft und Selbstbewußtsein zu bewahren. Ist dieses nicht endlich die Grundidee unserer Religion? Und ist nicht endlich diese Geschichte Venlots nur ein veränderter Mythos vom Sündenfalle?

Wer von euch das Wahre getroffen hat, weiß ich einfältiges Mädchen freilich nicht, versetzte die fröhliche Mathilde; so viel aber ist gewiß: wir sind immerhin dem Dichter Dank schuldig, daß uns bei seiner Novelle der Abend schneller und schöner vergangen ist, als es sonst der Fall gewesen wäre!

Die übrige Gesellschaft stimmte ihr bei. Man brach endlich auf und unter herzlichem Abschiednehmen und gegenseitigem Versprechen, bald wieder zusammen zu kommen, ging es fröhlich aus einander.

Nur zwei Seelen aus dieser Gesellschaft dachten noch fernerhin an diese wunderliche Geschichte.


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