Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Viertes Kapitel.

Als Georg über den Altenmarkt zu Dresden ging, kamen zwei Herren, welche durchaus in elegantes Krähenschwarz gekleidet waren, so daß nur eine wenig aufgeregte Phantasie dazu gehörte, sie für Gnomen und Tintengeister zu halten, ihm vorüber.

»Diese Beiden sprachen heftig genug mit einander, um ihre Unterredung verstehen zu können. »Mein Trauerspiel so herunter zu machen, Freund! – so nichtswürdig!« schrie der eine und ballte die Faust empor in die Luft.

Wir wollen ihn wieder heruntermachen, und tüchtig! – entgegnete der Andere. Genofeva, Octavian, den Phantasus – nichts will ich mehr verschonen! – Er soll die längste Zeit fünf Louisd'or für einen Bogen bekommen haben! –

Ach, Deutschland! seufzte Georg –ist das dein Salz, mit dem du salzen sollst?– Dieses Gewürm – Gott verdamm es! murmelte er in den Bart hinein. Eine freundliche Bürgersfrau, welche ihm entgegenkam, befragte er jetzt um die Wohnung des Hofraths Tieck.

»Dort rechter Hand,« sprach sie, im rothen Eckhause, eine Treppe hoch, vorn heraus! – und entfernte sich mit höflichem Knix.

Ich will Ihn sprechen! sagte Georg bei sich selbst; und ich will ihm auch mein Leid klagen, vielleicht weiß er mir erwünschteste Antwort zu sagen.

Er trat in das bezeichnete Haus ein.

Auf der Treppe begegnete er einem angenehmen Mädchen im grünseidenen Gewande! Wie es den sonderbaren Mann erblickte, erschrack es nicht wenig; doch wußte es sich bald zu fassen. Georg fragte, so zierlich er es vermochte: ob der Herr Hofrath zu Hause wäre? –Das Mädchen führte ihn zuvorkommend und höflich den Hausraum vor, und ließ ihn in ein Zimmer eintreten; indem es sich empfahl.

Ein nicht großer Herr mit einem geistreichen Gesichte, über welches tausend Schalkheiten einst, gelaufen' zu sein schienen, stand, in der Mitte des Zimmers so recht wie ein Geisterbeschwörer.

Georg fragte: habe ich die Ehre mit Herrn Hofrath Tieck zu sprechen?

»Der bin ich! Lassen Sie sich nieder!« – Der Hofrath setzte sich bequem in einen Armstuhl; Georg aber nahm einen Sitz ihm gegenüber ein.

Ich heiße Venlot, begann er, und hatte mich früher gänzlich der Muse gewidmet. Wie oft und lange habe ich gewünscht, mich einem Manne zu nähern, welchem die ganze gebildete Welt Bewunderung zollt.

Der Hofrath schien aufmerksamer zu werden, indem er die Beine übereinander schlug, und sich an die Stuhllehne mit dem Kopfe zurücklegte.

Bei Ihnen hoffe ich Rath und Trost zu finden – wollte Georg fortfahren; allein der Hofrath unterbrach ihn mit den Worten:

»ich will Ihnen aufrichtig meine Meinung sagen, indem ich selbst voraussetze, daß ein Dichtergenius, in Ihnen lebt. Wollen wir zunächst einen Standpunkt gewinnen, von welchem aus wir einen Ueberblick über deutsches Leben und Kunst gewinnen können! – Das deutsche Reich, mit ihm uralte Gewohnheiten, altes Adel- und Patrizierthum mit aufgestülpter französischer Perücke, lateinische Gelehrsamkeit und Pedanterie war ungestüm genug gebrochen worden. Kräftige Männer – wer denkt nicht an Lessing? – hatten bereits die scheintodte Poesie zu erwecken gesucht; aber kaum schlug sie die Augen auf, so begann sie an schwacher Empfindelei wieder hinzukränkeln. Ironie nur konnte helfen und retten. Unerhörte Kraftäußerungen lassen überall im Leben wie in der Kunst – denn eins geht aus dem anderen hervor! – Außerordentliches hoffen. Was wurde gewonnen? – Wir haben kein Volksleben, keinen Volksglauben, keine Volksfeste, keine Volkssitte sondern dafür – Verwischung jeglicher Individualität aller Stände, selbst der Gesichter, der Charaktere, der Häuser, der Trachten, mit einem Worte – allgemeine Verflachung jeglicher Gepräge! – Wer kann in einer solchen, mit weißem Kalke abgetünchten Zeit noch an ein Volkstheater denken? –

Die einzig denkbare Poesie läßt sich nur noch im Lohkasten der Ironie zu etwaiger Blüthe als exoterisches Gewächs emportreiben! – sowie wohl auch endlich das ironische Bewußtsein überhaupt, worinnen Alles untergehen muß, damit man sich allein und ganz genieße – des Lebens Letztes ist.«

»Es ist nicht anders!« fuhr der Hofrath fort, indem er eine kleine Wolke des Unwillens mit flacher Hand von der Stirne strich. »Wahr ist es: die Kunst wollte Mögliches thun, das deutsche Leben zu durchdringen; allein das Schlimmste war nur, daß gar kein deutsches Leben da war, weder in der Kirche noch auf den Rathhäusern und Märkten der Städte, weder in den Hütten, noch in den Pallästen!« –

»Und wie vereinsamt steht jetzt schon diese kurze Kunstepoche Deutschlands da, – schön und grün zwar, aber wunderbar, wie eine Oase in schrecklicher Sandwüste.«

»Selbst die Malerkunst, zwiefach erweckt, einmal durch das Studium der Antike – zur Zeit Winkelmanns, – dann wiederum durch ein zauberartiges Emporbannen der tiefgläubigen Kunst des Mittelalters, steht im Allgemeinen recht fremd der fremden Zeit mit ihren Werken gegenüber!«

»Wenn Sie, mein junger Freund! so recht im jetzigen Zeitsinne vor die Meisterwerke eines Cornelius treten, fühlen Sie nicht alsdann eine Art Geisterschauer, ohngefähr als stände eine auferstandene Leiche vor Ihnen?« –

O, ich habe diese Zeit ausgeschmeckt! seufzte Georg. Auch gestehe ich es ein, daß ich eben gekommen bin, Sie zu fragen: wo und wie ich, der Welt entflohen, eingehen mag in das ewigklare Wunderreich der Muse? – Sie halten mich gewiß nicht für wahnsinnig, wenn ich Ihnen eingestehe, daß die Fee Aquilina, die Muse – oder nennen Sie die Herrliche wie Sie mögen – einst mein, und ich bei Ihr in dem Reiche aller schönen Wunder war, – bei Ihr im crystallenen Schlosse! – Herr Hofrath, Sie lassen Ihren Zerbino doch endlich in das Land des guten Geschmacks kommen! Es wird kein anderes Reich sein, als was ich selbst suche. Zeigen Sie mir, ein begeisterter Seher den Weg dahin zurück!

Verwundert versetzte der Hofrath: »Sie scheinen in einem sonderbaren Irrthume zu schweben. So wenig das Spiegelbild materiell vorhanden ist, eben so wenig kann auch eine eigenthümliche Abspiegelung des Dichtergemüthes in der Wirklichkeit gegeben sein.«

Sie glauben also nicht – rief Georg – an die Wahrheit ihrer Welten, welche Sie schaffen? Nicht an den Prophetengeist in ihrer Brust? – Nicht an die Allwissenheit, wovon eine große Ahnung in der Dichterseele liegt?

Beinahe hätte der Hofrath bei diesem komischen Jammer laut auflachen mögen.

Und dennoch, fuhr Georg in wunderlicher Begeisterung fort, habe ich hier die Siebenmeilenstiefel an, worüber Sie ja fast selbst ein Buch geschrieben haben! Uebrigens – bereits um einige Meilen nach und nach abgelaufen, grundfalsch. Sie haben noch, immer die alte Tugend! – Sie können diesen Irrthum füglich bei der neuen Herausgabe Ihres »Phantasus« berichtigen! –

»Ich bin Ihnen – versetzte freundlich der Hofrath– für diese Mittheilung sehr verbunden!« –

Ich bin sehr unglücklich, Herr Hofrath! rief mit gerührter Stimme Georg – wenn ich unverrichteter Sache von Ihnen scheiden muß. Haben Sie denn nie, nie von der wunderbaren Fee Aquilina Etwas gehört? Und wissen Sie nichts darum, – wen soll, wen kann ich noch irgendwo fragen? – Alles Heilige, Ahnbare hat sich in mancherlei Sagen dem deutschen Volke geoffenbaret, und sollte Niemand von dieser Herrlichkeit wissen?

Um sich den scheinbar halbwahnsinnigen Menschen vom Halse zu bringen, versetzte der Hofrath: »wenden Sie sich doch an Jacob oder Wilhelm Grimm in Göttingen! Ueber Volkssagen und allerlei Wunderbares können Sie dort die sicherste Nachricht erhalten.«

Unter Versicherung herzlichen Dankes für diese Weisung, entfernte sich Georg.


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