Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Freund!

Wo du auch in diesem Augenblicke verweilen magst, ob im Räthsellande Aegypten an den Ufern des Nils, ob in jener Weltstadt am Tiberstrome, oder ob wieder an Deinem geliebten See in der Schweiz – auf heimathlichem Boden; – Dich sucht überall dieses Buch mit seinen Mährchen, um Dir zu sagen: daß ich Deiner fortwährend gedenken muß, daß ich die schönen Tage, welche wir in großer, weltgeschichtlicher Rückerinnerung verlebt, daß ich die Stunden, welche wir in heiterer Kunstanschauung genossen, – daß ich die Augenblicke, welche wir in edelster Begeisterung gleich farbigen, duftigen Blumen uns aufblühen gesehen, – daß ich die sternenhellen Nächte, welche wir unter Italiens Himmel Arm in Arm wachend durchträumt haben, – daß ich alles Dieses, was nur je zwei Menschenherzen an einander fesseln kann – gleich einer Reliquie im geweihten Schreine – heilig bewahrt habe.

Ich widme Dir dieses Buch. Es gehört Dir nicht minder an, als mir selbst; denn Du hast es ja großentheils mit mir durchlebt! – Was Dir fremd, seltsam, unangenehm und unkünstlerisch in diesem Bilde erscheinen möchte, das mag – wenigstens zum Theil – mein Geschick, welches seit unserer Trennung mir nicht wenig widerwärtig, und aller Förderung in Kunst und Wissen hinderlich war, – mir verantworten helfen. Während Du, ein freier Adler, über Land und See einherzogst, hielt mich das engste Leben im engsten Käfige gefangen. Indem Du die ganze Welt ruhig unter Dir sahst, und die Fäden der Völkerschicksale in einem Knoten vereinigt von Deinem Standpunkte herab bemerken mochtest, lag über mir schwer und unüberwindlich der Webebaum einer noch werdenden Geschichte – und zwar der meines Vaterlandes, und die Wehklage ihrer Stimme betäubte mich. – Dazu kam eigenes Bedrängniß, vielfache Noth und der Mangel am Gemeinsten.

Wenn Du von diesen Elementen dann und wann die Weltanschauung, welche gern in diesem Büchlein liegen möchte, getrübt siehst, so entschuldige mich bei Dir selbst; denn die Zeit und der Geist, welcher in ihr liegt, beherrscht einen Jeglichen mehr oder weniger, am meisten aber den Dichter. Ihm aber ist auch kein höheres Ziel gestellt, als die letzte Idee seines Volkes in der Weise, welche ihm gegeben ist, überall zu verklären.

So nimm denn diese Blätter freundlich hin! Gedenke meiner und lebe wohl! –

Leipzig, am 4. Mai 1831.

J. M.


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