Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Drittes Kapitel.

Eine kurze Zeit erst mochte Georg geschlafen haben, als ein sonderbares Klingen, welches die ganze Luft selbst im Saale in zitternde Bewegung brachte, sich zu seinem Ohre stahl und ihn aufweckte.

Er horchte auf. Auf ihn her drang ein herzentzückendes Tönen in langgezogenen anschwellenden Accorden so wunderlieblich, als sängen aus der Ferne herüber in unermeßlichen Wonnen die Chöre der Engelschaaren. Es war ihm, als müßte die ganze Welt vor Entzücken vergehen.

Wie so alle diese Harmonieen, bald fast unhörbar in den leisesten Tönen nur zu flüstern schienen, bald aber wieder aufquollen zu den höchsten Jubellauten, wollte sein Herz vor diesen geheimnißvollen Geisterstimmen brechen. Ihm war es, als müsse er nun auf ewig hinüberschlummern in diese seelige Tonwelt.

Er sprang auf, breitete seine Arme aus, und rief außer sich: ich komme schon! ich komme! Die Einsiedlerin aber erhob sich und rief ihm zu: laß dich nicht täuschen; es ist nur die Windharfe des Meister Ost, welcher über das Meer herüberzieht. Er wird bald selbst hier sein. –

Kaum hatte sie noch ausgesprochen, so trat ein hoher Mann in blauem, morgenländischem Gewande, eine goldstrahlende Harfe unter dem Arme zum Thore herein in die Halle.

Auf seiner hohen Stirne schien ein Heller Stern zu strahlen. Eine eigene Klarheit und Ruhe goß sich über sein edles Antlitz. In großen Locken fiel sein Haupthaar um den Nacken, und ein schöner, brauner Bart auf seine Brust herab.

Ich habe dich zeither jeden Morgen erwartet, sprach die Greisin; schon neun Tage lang bist du nicht gekommen!

Ich ging langsamer, als gewöhnlich, versetzte der Harfner, über die Erde. Der Jammer, welchen ich wie eine düstere Decke, wie eine sternenlose Nacht über die arme Menschheit gebreitet sah, machte mein Herz so schwer, daß ich kaum weiter vorwärts gehen konnte. Nur langsam schlich ich über die Berge und Thäler herüber, und so habe ich Zeit gehabt, manche glühende Stirne zu kühlen! – Du hast unterdessen einen Fremdling bei dir aufgenommen – einen Sterblichen? –

Die Sibylle antwortete: der alte Traum und Wandergeist läßt nimmermehr von den Deutschen ganz ab. Dieser hier will ins Land der Aquilina, und bei uns um den Weg dahin nachfragen.

Aquilina? die ewige Musa der Genien unter den Menschen? erwiederte der Harfner. Erst gestern zog ich an ihrem Schlosse vorüber. Gern wollte ich ihn dahin geleiten, wenn es mir gestattet wäre, auf demselben Wege heimzukehren. Warte doch, junger Träumer! sprach er zu Georg gewendet, bis der Scirocco hier anlangt. Der führt dich, wenn der Launige sonst mag, geradewegs hin; denn dem magnetischen Gegenpole zunächst wohnt die Herrliche!

Wie danke ich dir, Meister, für diese Nachricht! rief Georg. Du belebst mit deiner Kunde von Neuem meinen sterbenden Geist.

Aber – du sehnendes, schmachtendes Menschenkind! versetzte der Harfner, viele kräftige Geister wagten den hohen Gang zu ihr; aber fast nicht Einer hat die Prüfungen des Erdenlebens, welche bei jedem Schritte nach Vorwärts den Strebenden umlagern, also bestanden, daß er seinen sterblichen Theil, den Leib, zugleich mit in die Unsterblichkeit hinüberflüchtete. Wie so viele, sanken matt und verzweifelnd vor der vermehrten Last, welche sich über ihrem Haupte emporhäufte, in die Kniee! Gehört noch irgend dein Wesen dem Irdischen an, so wirst du vergeblich dich abmühen, zu ihrer Herrlichkeit einzugehen; denn nur ungern läßt der Erdgeist vom Genius ab; und tausendfältig sind seine Lockungen! –

Komm, Freund, und laß uns vor der Halle im bleichen Blumengarten ein wenig lustwandeln. Er nahm seine Harfe und ging mit dem träumenden Jünglinge hinaus.

All die Blätterblumen, all die Fächerbäume neigten sich vor dem Meister, in dessen Harfe leise Stimmen zu singen begannen.

Seit all den Jahrtausenden, daß ich über die Erde hinwandle, sprach der Harfner, bemerke ich dennoch, wie durch die Nacht des Irrthums der Geist der Menschheit sich immermehr zur Klarheit des Selbstbewußtseins trotz allem Kummer, den Ängsten und Thränen emporringt! Nur auf kurze Zeit möchte ich manchmal an mir selbst und an dem Treiben und ziellosen Thun der Menschheit irre werden. Wie so groß und herrlich ist es aber die Unendlichkeit zu denken! – Wie nun die ganze große Seele der Menschheit nur Ein Selbstbewußtsein endlich werden muß, so wird sie, so muß sie auch, ewiger Freiheit immer mehr hingenähert, immer weiter emporringen, bis so endlich die ganze Schöpfung, geistgeworden, sich mit dem Urgeiste einigend in unermeßlicher Seeligkeit des allerhöchsten Bewußtseins in nie gesagter, nie ausgedachter Glorie auftauchen kann! – Wie ist die allerhöchste Wahrheit so herzdurchzückend und allbeseeligend! –

So gingen die Beiden, wie Lehrer und Schüler zusammen. Diese Rede aber war für Georg wie eine Freundin, welche er früher oft aus der Ferne wieder erblickt, und nur erst jetzt mit aller ihrer Innigkeit vor sich stehen sah. Dennoch konnte er nicht sagen, ob er sich wohl oder wehe von ihr berührt fand; denn des Menschen Herz bleibt ein ewiges Räthsel! –

Es wird Zeit, daß ich scheide! sprach endlich der Harfner zu Georg. Seine Augen fingen sonnig an zu leuchten, und sein Gewand sich in Luft und Blau zu verwandeln.

Er reichte dem staunenden Georg die Hand zum Abschiede und sprach: ich sehe dich einst wieder.

Jetzt erhob er die strahlende Harfe, die Luft sauste hinein, ein geheimnißvoller Strom von Tönen drang mächtig hallend hervor.

Eine lichte Silberwolke schien den Tonmeister emporzuheben und hinwegzunehmen.

Noch aus der Ferne her glaubte Georg sein leuchtendes Gesicht mit den großen dunkelblauen Augen sich zugewendet zu sehen. Er starrte lange nach, bis ihm der letzte Schimmer dieser Gestalt und das letzte schwache Tönen der Harfe verschwand.

Alles, was er vom Meister aus Osten vernommen hatte, bei sich erwägend, glaubte er Himmel und Erde sich auf einmal näher gerückt, und fühlte über sich eine unnennbare Ruhe kommen.

In dieser Stimmung kehrte er zur Halle zurück.


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