Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Viertes Kapitel.

Georg zögerte nicht lange; er schritt aus. Wie flogen vorüber Berg, Wald, Thürme, Brücken und Städte gleich vielfarbigen Blitzen. Er stand, starrte und staunte.

Er sah sich in einer ganz neuen Gegend, vor sich eine wohlbekannte große Stadt. Dort war es, wo er in einer Stube, oder vielmehr in einem Käfige unter dem Dache, wie ein eingesperrter hungernder Kanarienvogel mehr nach Futter geschrieen, als gesungen hatte. Vorüber! –

Mit wenigen Schritten, welche er zurück that, stand er in seinem Geburtsorte, unfern des Rheins. Er zog die Stiefel aus und ging wie ein Büßender, in den Gottesacker hinein. Bald hatte er die Begräbnißstelle seiner Aeltern gefunden. Er knieete zwischen den beiden Gräbern nieder, und drückte wehmütig sein Haupt auf den dürren Rasen.

Noch einmal schaute er zum Kirchthurme empor, in dessen Glockenstuhle er so oft gesessen, in das Blaue stundenlang gestarrt und sich in die Ferne hinaus gesehnt hatte.

Wie war doch Alles umher so ganz das Alte geblieben; während in ihm Alles, Alles neu geworden war! Selbst die Rasenbank an der Gottesackermauer, worauf er so oft gesessen, selbst der große Hollunderstrauch, unter dessen überhängenden Aesten Plutarch die großen Helden der Griechen- und Römerwelt ihm heraufgezaubert hatte, stand noch da wie ehedem, und schüttelte jetzt vor Freude, den alten Bekannten in der Nähe zu wissen, alle seine falben Blätter ab.

Unterdessen kam von dem nahen Schulgebäude, ein junger, stattlicher Mann, mit einem einfachen Schlafrocke angethan, langsam den Kirchweg herunter. Bald erkannte ihn Georg; es war sein ehemaliger Jugendgespiele, der Sohn seines ersten Lehrers.

Er ging auf ihn zu und sprach: Wohlgemuth, kennst, du mich noch? Aber dieser, prallte mit einem Schrei des Entsetzens zurück, denn die nahe Stimme neben ihm konnte nur die eines Geistes sein, da er keinen Menschen vor sich sah.

Jetzt bemerkte erst Georg seine Uebereilung und die Tugend des Nebelmantels. Er nahm ihn ab und hing ihn, über den Arm. Kennst du mich noch nicht?

Bist du, stöhnte Wohlgemuth, Venlot's Geist? Kannst Du nun, wie sonst im Leben, auch jetzt nach deinem Tode, keine Ruhe und fröhliche Urstätt gewinnen?

Spaß beiseite! erwiederte Georg, ich bin gerade noch ein Mensch mit Fleisch und Bein, wie du, und freue mich, die endlich einmal wiederzusehen. Hättest mich mit deinem Versteckens Spielen beinahe zu todt erschreckt! Bist noch immer mein guter Phantast! Willkommen! und herein mit dir! rief Wohlgemuth.

Er zog Georg mit sich in seine Wohnung. Ein junges, hübsches Weib mit zwei wackeren Knaben kam ihnen freundlich entgegen.

Nun, Gretchen, rief Wohlgemuth, trag auf, was du in Küche und Keller hast! dieser brave Einarm (denn dieses schien jetzt Georg zu sein, da er darüber den Mantel geschlagen hatte), ist mein ältester und bester Bekannter. Ei, waren wir sonst Wildfänge mit einander!

Wo ist dein Vater? fragte Georg.

Der ruht nun schon seit fünf Jahren in Gott, versetzte dieser; ich bin sein Nachfolger im Amte geworden. Engbegrenzt ist meine Lebensweise; aber, was heut zu Tage viel sagen will, weiß es Gott im Himmel! ich kann nicht klagen; ich bin arm, aber von Haus aus glücklich.

Es ist zwar Sünde, daß ich es denke, meinen Schulkindern möchte ich es auch nicht sagen: ich bin gewiß noch glücklicher, als selbst Doctor Luther; er hatte zu viel auf sich.

Sieh dich um in dieser Stube, ist nicht Alles noch so, wie es sonst war zu meines Vaters Zeit? Wie wohl thut es, dort am Ofen auf dem Polster zu sitzen, die weiße Mütze über die Ohren heruntergezogen, mit der dampfenden Gipspfeife, gerade wie er, der Seelige, und meine Kinder um mich herum, so wie ich und meine Schwester sonst um ihn.

Dort steht auch noch das Bücherbret, das wir so oft früher mit einander durchstöbert haben; aber jetzt stehen freilich viele neue Werke dabei, welche ich vom Privatstundengelde mir erschwungen habe; denn mit der Zeit muß man doch fortgehen. Kennst du noch dieses Buch hier? Mit diesen Worten holte er die Uebersetzung von Virgil's Eclogen herbei! Er fuhr redseelig fort, indem er, zwischen Daumen und Zeigefinger das Buch vorüberblättern ließ; du hast gar so gern darinnen gelesen! Es liegen noch Baumblätter darinnen, welche du als Zeichen eingelegt hast! –

Aus dem Buche flatterte jetzt ein Blättchen Papier heraus. Wohlgemuth hob es auf und sprach mit gedämpfter Stimme: ein Gedicht von dir, Georg, auf meine verstorbene Schwester! – Ach, wie lieb hatte ich dich, als du, damals, wie du ihren Tod in der Stadt hörtest, so liebevoll der kleinen Vollendeten gedachtest!

Es war ein herzlichgutes Mädchen! versetzte Georg, und hat, wie früher unsere brüderlichste Liebe, so jetzt unsere Rückerinnerung an sie gewiß verdient! –

Was ist dieß für ein Gedicht, lieber Mann? fragte Wohlgemuths Frau und sah mit wißbegierigen Augen ihn an.

Wir können dir es wohl vorlesen! erwiederte Wohlgemuth, indem er ihren Leib mit dem einen Arme umschlang, mit dem anderen aber das Blatt emporhielt, daß auch sie hineinschauen konnte.

Laß es sein! sprach Georg; ich war damals noch jung. Wohlgemuth aber las mit recht gerührtem Herzen:

Wir Kinder wurden verständig
Und nannten uns Bräut'gam und Braut,
Wir liebten uns treu und beständig
Und haben uns selber getraut.

Wir saßen stille zusammen
Am Herde; wir ließen die Gluth
Durch unsere Händchen erflammen,
Durchsichtig im strahlenden Blut.

Wir saßen heimlich im Garten,
Die Knospen die bließen wir an;
Wir konnten es nimmer erwarten,
Bis selber das Blühen begann.

Maikäfer ließen wir fliegen
Als Boten in's Himmelsgezelt,
Die summeten, schnurrten und stiegen,
Und haben auch Alles bestellt.

Doch wie war plötzlich verstoben
Das Mährchen der goldenen Zeit;
Sie wandelt im Himmelssaal oben,
Ich unten voll Schwermuth und Leid.

Die junge Frau wischte sich mit ihrem weißen Schürzchen eine große Thräne aus dem Auge, und sah Georg so mildfreundlich und dankbar an mit einem tiefen erquicklichen Blicke, in welchen nur das Weib so recht ihre ganze Seele hineinzulegen vermag. Wohlgemuth aber reichte Georg die Hand und sprach: ja, so waren wir auch beisammen! Immer einträchtig, gut und froh! – Aber jetzt sage, mir ach, wie ist es dir seither gegangen? Du kommst gewiß weit her; man sieht es an deiner närrischen Tracht! – dich drücken gewiß die Stiefel, da du in Strümpfen gehst!

Das nicht! versetzte Georg; aber es ist ein Gelübde von mir, mit den Sohlen dieser Stiefel nur dann den Boden zu berühren, wenn ich fortgehe.

Da kann ich dir helfen! erwiederte Wohlgemut; ich habe hier ein Paar Ueberzugschuhe, welche über deine schönen Saffianstiefel passen werden.

Georg ließ sich den Vorschlag gefallen, zog die Stiefel an, und darüber die Schuhe. Nun konnte er, mit den Stiefeln an den Füßen, in kurzen Schritten auf und abgehen, wie jeder Andere.

Unterdessen hatte die freundliche Wirthin den Tisch gedeckt, und ein ländliches Frühstück vorgerichtet. Es fehlte nicht an Semmeln und Honig, großen Pflaumen und überhaupt an allerlei Obstsorten; eine Flasche Kirschsekt, umgeben von blankgeschliffenen Gläschen, wie der Planet des Jupiters von seinen Trabanten, stand erfreulich dazwischen.

Wie nun Georg das Allgemeinste seiner Schicksale erzählte, das Traurige mit dem Honige, den er aß, versüßend, und das Fröhliche seines Lebens mit Kirschwasser, welches er trank, anfrischend, bemerkte er endlich, wie die zwei Knaben seines Freundes so still und aufmerksam in einer fernen Ecke zu ihm hinüberlauschten mit großen, freundlichen, heimlichscheuen Rehaugen.

Kommt doch her zu mir, ihr wackeren Jungen! rief Georg. Wenn du uns nichts thun willst? erwiederte der ältere von ihnen. –

Seid hübsch artig, ihr Kinder! ermahnte die junge Mutter.

Die Knaben nahten sich, und Georg hob sie auf seinen Schooß, um mit ihnen zu plaudern. Wie sahen so aufrichtig die hellen Augen der Kinder empor in das Gesicht des kindlichen Mannes!

Herzerhebend wohl ist der Anblick so recht klarer frommer Kinderaugen, aus welchen noch ein ganzer Maienhimmel herausschaut; aber unendlich schöner und rührender ist es, wenn unter der Stirn eines Mannes noch die heiligen lichten Feuer der Kindheit, in aller Seelengesundheit, aus dem Auge ruhig und erhaben strahlen.

Wäre zu dieser Stunde eine Gemäldekenner in Wohlgemuths Stube getreten, und würde Georg mit den Kindern auf dem Schooße gesehen haben, so hätte ein solcher wohl glauben mögen, ein Altarbild »von Christus und den Kindlein«, von einem alten Meister ausgeführt, wäre hier vor ihm lebendig geworden.

Vater! sprach zu Wohlgemuth der eine Knabe: weiß denn auch dieser da so schöne Geschichten, wie du?

Ja wohl! noch schönere, entgegnete dieser lachend; bittet ihr nur darum, vielleicht macht er euch etwas vor.

Bitte! Bitte! riefen die Kinder mit einander. So geht es, meinte die junge Frau; giebt man sich einmal mit den Jungen ab, so weichen sie nicht mehr!

Georg aber zog die Kinder näher an sich, und sprach: wenn ihr aufmerken wollt, so will ich euch eine gar hübsche Geschichte von dem Knaben mit den goldenen Haaren erzählen. Die Kleinen getrauten sich kaum Odem zu holen.

Wohlgemuth hatte sein Kinn auf die Hand gestützt, und blickte gemächlich herüber. Neben ihm stand die glückliche junge Frau, ihren Arm um ihres Mannes Nacken gelegt, mit ihrem runden, freudigrothen Angesichte, und lächelte vor innerem Wohlsein, daß ihre kleinen Zähne zwischen den etwas aufgeworfenen Lippen schalkisch genug hervorschimmerten.

Georg begann:

Es war einmal ein frommer Knabe – Vater, es war einmal ein Knabe! riefen die Kinder – der lief, fuhr Georg fort, immer hinaus in den Wald vor dem Dorfe durch Dick und Dünn, und jagte sich mit den Vögeln und Eichhörnchen herum, wovon er gar so gern eins gefangen hätte. Einstmals sah er dort auf einem Baume einen Vogel sitzen, dessen Federn glänzten so hell und schön, blau und roth, und auch gelb und grün, daß er sich gar nicht satt daran sehen konnte. Er wollte ihn endlich fangen, denn das schien ihm ein Leichtes, da der Vogel so sehr, zahm und kirre that. Aber, wenn er schon dicht bei ihm war, und nur noch sein Mützchen darauf zu decken hatte, flog er wieder fort; und so ging es von Busch zu Busch, und immer weiter, und wenn der Knabe von der Jagd ablassen wollte, so schimmerte der Vogel doppelt so schön und sang noch einmal so gut, als vorher.

So kam es, daß sich der Knabe verirrte. Und als nun endlich der Vogel ganz verschwunden war, fing er bitterlich an zu weinen. Wie der Knabe nun so herumlief im Walde, sah er auf einmal durch die grünen Zweige ein großes Feuer schimmern. Er ging darauf zu, und wie er bald daran war, hörte er einen gar feinen, lieblichen Gesang.

Er schlich sich hinter einen Busch und lauschte durch die Blätter vor.

Zwölf Kinder in glitzernden Gewändern mit flatternden Bändern, Hand in Hand, tanzten um ein Feuer herum, das wie eine große, glühende Kugel anzusehen war.

Das eine von den Kindern hatte einen Kranz von Aepfelblüthen auf seinem Haupte, von welchem helle Locken sonnenstrahlenartig herunterfielen und sang in Einem fort:

Maienglöckchen heraus! heraus!
Singt ihr Vögel im grünen Haus!
Dili! Dili!

O, das ist prächtig! unterbrachen die beiden Knaben den Erzähler, und schlugen ihre Händchen verwundert zusammen.

Georg fuhr fort:

Das blitzte und funkelte überall! Mit allen den goldenen und silbernen Bändern, mit Blumen und Aehren, auch Edelsteinen geschmückt, waren diese Kinder gar hübsch anzusehen.

Als nun der Knabe sah, wie sie alle sehr freundlich thaten, faßte er sich ein Herz, kroch hervor, nahm sein Mützchen in die Hand und sagte: grüß euch Gott! Schön Dank! sagten die Kinder dagegen, ei! was machst denn du hier?

Ach! sprach weinend der Knabe, ich habe mich im Walde verlaufen, und wenn ich nun nicht bald heim komme, so wird mein Vater böse werden.

Die schönen Kinder hielten mit Tanzen ein und eins von ihnen, in ganz schneeweißen Mäntelchen, welches von Diamanten blitzte, fragte: ei, mein Kind, wie gefällt dir der Monat December?

O, antwortete der Knabe, der bringt das grüne Weihnachtsbäumchen, schöne Schlitten und Schnee dazu! dem bin ich gar gut. Dem weißen Kinde schien diese Rede zu gefallen.

Aber der garstige April, fragte ein anderes Kind in einem buntgestreiften Gewande mit schelmischen Augen, gefällt dir wohl gar nicht? Heute ist er so, morgen anders? Der April? entgegnete der Knabe, nun bringt er doch den Klapperstorch wieder auf das Dach, und schenkt der Gluckhenne gelbe Küchelchen, und den Wald- und Wiesenrainen Veilchen und Butterblumen! – Und spielt er auch manchmal Versteckens, so macht er es gerade so wie ich und meine Kameraden! den mag ich wohl leiden.

So fragten die zwölf Kinder, jedes einzeln nach einem besonderen Monat, und bei jedem wußte der Knabe etwas Schönes. Da schienen die Kinder mit ihm zufrieden zu sein, und wie sie an ihm vorbeitanzten, zupfte ihn ein jedes ein wenig bei den Haaren; aber das tat gar nicht weh – und sagten: nun verstehst du auch, was die Vögel, die Blumen, die Bäume, ja alle Wesen auf dem Felde und im Walde flüstern, sagen und singen! Das wird dich wohl immer glücklich machen; denn diese wissen gar mancherlei zu erzählen! Aber stehlen und fluchen darfst du nimmermehr, sonst ist Alles vorbei! – Grüße Vater und Mutter von uns! – Mit diesen Worten waren die schönen Kinder verschwunden.

Wie sich aber der Knabe umsah, stand vor ihm ein weißer Hirsch mit goldenem Geweihe, sammetnem Sattel und mit rothseidenen Schnüren gezäumt. Da setzte sich der Junge hinauf und sagte: willst du mich heimtragen? Das schöne Thier nickte mit dem Kopfe, und so recht gemächlich lief es mit ihm dahin durch den Wald. Da hörte der Knabe eine Nachtigall singen:

Hier sitz ich allein, allein,
Nun muß, ich traurig sein,
Im tief – tief – tiefsten Leid
Allezeit!
Bald, ja bald, bald,
Grün wird der Eichenwald.

Und die Büsche flüsterten heimlich unter einander, und am Bache sprach die Weide: siehst du den Knaben, lieber Bach? – Und es flüsterte aus den Wellen: ja, könnt' ich ihm nur nach, nur nach! –

Der weiße Hirsch aber hielt vor dem Dorfe, und kaum war der Knabe abgestiegen, so floh das flinke Thier wieder in den Wald zurück.

Als nun der Knabe heimkam, da freute sich Vater und Mutter sehr; denn da es schon Abend werden wollte, trugen sie Sorge um ihn; aber bei der Erzählung des Kunden, wie es ihm im Walde ergangen habe, kamen sie fast vor Verwunderung außer sich, und der Vater wollte es gar nicht glauben, bis die Mutter, auf einmal ausrief: ei, da hat der Junge ja gar goldene Glückshaare auf dem Kopfe! Und wie sie recht nachsahen, waren es gerade zwölf.

Der Knabe ging nun jeden Tag hinaus in den Garten, und setzte sich zu den hellen Blumen auf den Beeten. Da kamen auch bald der bunte Finke, der schimmernde Staar und der Plattmönch, sprachen und sangen zu ihm, und er verstand sie, und sie verstanden ihn.

Die wußten gar viel zu erzählen von fremden, schönen Ländern, von dunkelbraunen, frommen Menschen und von tausend anderen schönen Sachen! So kam es denn, daß der Knabe alle Tage klüger und verständiger wurde, und zugleich immer schöner und größer, und seine Aeltern ihre Freude an ihm hatten. Er war ganz glücklich.

Das dauerte mehrere Jahre lang, und der Schulmeister sagte: der Junge wäre der beste von allen Schülern weit und breit. –

Was zu dieser Zeit seine Aeltern anfingen, das glückte ihnen auch, und Niemand in der ganzen Umgegend baute so viel Getreide, so viel Obst und hatte so schönes Vieh im Stalle, als eben die Aeltern des Knaben.

Aber dieser hatte auch noch nie etwas gestohlen oder auch nur geflucht.

Als aber einmal das Kirchweihfest im Dorfe war, und er schon den Groschen, welchen ihm der Vater gegeben, in Pfefferkuchen vernascht hatte – Wohlgemuths beide Knaben machten große Augen und seufzten tief – Georg aber erzählte weiter: da nahm er heimlich den Schlüssel zum Geldkasten des Vaters und stahl sich einen Kreuzer.

Kaum hatte er aber das Geld in der Tasche, so wußte er sich vor Angst nicht zu lassen, und als nun endlich gar die Fliegen an der Wand summten: gemaust! gemaust! konnte er nicht länger in der Stube bleiben, und flüchtete sich hinaus in den Garten.

Aber alle die Nelken, Lilien, Rosen, selbst die Bohnenblüthen hingen wie verwelkt ihre Köpfe, und schienen heimlich zu weinen.

Der Finke aber setzte sich auf die Stacketen des Gartenzauns und schrie; du, du hast gestohlen! Ja, Sallatsaamen! rief der Knabe. Da wurde der Finke vor Schaam blutroth und flog fort.

Ein Spatz guckte aus dem Rosenstrauche und rief: lange Finger gemacht, lange Finger! – Langen Schnabel durchs Astloch in die Scheune! entgegnete der Knabe; da wurde der Sperling vor Schrecken aschgrau und flog auch fort.

Unfern davon saß aber auf dem Apfelbaume ein Plattmönch und hatte Alles mit angehört. Zornig that er sein schwarzes Käppchen auf den Kopf und das graue Mäntelchen um, flog herunter auf das Kreuz des Bohnengeländers und sprach mit ermahnender Stimme: ei! ei! muß ich denn das an dir erleben? Du hast gestohlen, ich sehe dir es an! – einen Kreuzer, einen Kreuzer! beichte! –

Ich brauche nicht zu beichten, sprach verstockt der Knabe, ich weiß gar nicht, was ihr wollt, ihr dummen Vögel! –

Wie heißt das siebente Gebot? fragte verwarnend wieder der Plattmönch.

Da verwünschte und verfluchte sich der schlimme Knabe, wenn er gestohlen hätte.

Aber auf einmal sprang eine garstige Kröte aus seiner Tasche, mit dem Gelde im Maule. Wehe! schrie der Plattmönch. Wehe! Wehe! flüsterte und wehte, wimmerte und klagte es durch den Garten, gestohlen, gelogen, geflucht, geschworen! – Wehe! Wehe! –

Die zwölf goldenen Haare zersprangen wie Glas auf seinem Kopfe; von den Bäumen, Stauden und Blumen jagte ein plötzlicher Sturmwind alle Blätter fort und der ganze Garten war auf einmal eine wüste Einöde.

Ohnmächtig stürzte der Knabe auf die Erde. Er hörte nun keinen Vogel mehr, sah keine Blume mehr. Alles war dahin. –

Ach! seufzten die Kinder auf Georgs Schooße und sprachen kleinlaut: wir wollen gewiß fromm bleiben! – Ihr guten Kinder, thut das! sagte Georg, indem er sie herunterließ.

Nun, Bruder, sprach Wohlgemuth, du hast dich müde gesprochen, iß und trink doch! – deine bunte Mährchengeschichte hat mir selbst den Kopf warm gemacht. Das ist noch so etwas aus unserer Knabenzeit, und ich erinnere mich noch recht wohl daran, wie du dem Gesange der Vögel so gerne Worte unterlegtest, und oft stundenlang mit den Waldfinken ein Wettpfeifen hieltest, daß oft selbst erwachsene Leute stehen blieben, und dir und den Vögeln zuhörten. Weißt du noch, wie wir im Mühlengrunde Zeisigstellen waren, und einmal der Lockvogel einen Schwarm nicht ansingen wollte; du aber endlich vor Eifer dich unter die Stange hocktest und so richtig zu locken anfingst, daß der ganze Schwarm auf die Leimruthen herunterstieß? –

Es waren schöne Zeiten, entgegnete gedankenvoll Georg, und ich bedauere den Menschen, welcher sich seiner Kindheit schämt, und zu vornehm geworden ist, das alte Bilderbuch dann und wann aufzuschlagen und mit gerührtem Herzen darinnen zu blättern. Ist doch alles Große und Gute, alles Verfehlte und Schlimme an uns, ja unser ganzes Schicksal wie die Wahrheit in der Fabel auch schon auf diesen Blättern zu lesen.

Wir sollten wohl häufiger, als es geschieht, über diese unsere Welt der traumseeligen Kindheit nachdenken, denn gar oft liegt noch dort eine große Aufgabe, welche wir noch mannhaft zu lösen haben, für uns aufgezeichnet, soll nicht endlich der Greis vor dem Richterstuhle seiner Kindheit beschämt und vernichtet stehen.

Und wir sind noch immer glückliche Kinder! sprach die junge Frau gerührt zu Wohlgemuth. – Wohl, bist du mein, und dieser mein Jugendfreund dazu! – sprach dieser. Beide faßten Georgs Hände, indem Wohlgemuth bittend sprach: bleibe bei uns, so lange du willst! Schreibe Bücher in meiner oberen Stube, so schön und lang du willst, und singe mit der Grasmücke, welche vor dem Fenster draußen im Hollunderbusche neben ihrem Netze sitzt, um die Wette! – Bleibe bei uns! –

So wollte sich noch einmal das beschränktere Menschensein warm und innig, wie eine Mutter, welcher der Sohn von langer Reise heimgekehrt ist, an seine Brust legen.

Er schüttelte lächelnd mit dem Kopfe. Er ließ sich Papier, Dinte und Feder geben und schrieb einige grüßende Zeilen an Heinrich Meier.

Wie er eben den Brief siegelte und überschrieb, stürzte ein Schwarm alter Weiber in die Stube, und vielfache Stimmen schrieen: so ist Er der kleine Venlot! wie ist Er unterdessen so hübsch geworden; wenn ihn seine seelige Mutter so sehen könnte, die gute Frau! Ach, was konnte die für gute Klöse backen!

Es ist schon gut, ihr Weiber! sagte Wohlgemuth beschwichtigend; Georg aber machte Anstalt zum Fortwandern.

Dringend bat ihn die angenehme Wirthin, ihrem Manne zu willfahren. Als er aber endlich betheuerte, daß er eine schöne, junge Braut irgendwo aufsuchen müsse, so ließ man ihn gewähren. Er nahm Abschied.


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