Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Zweites Kapitel.

Wer je irgendwo Gelegenheit gefunden hat, Gemählde vom Dominikaner Johann von Fiesole zu sehen, wird gewiß auf die einfachen ascetisch-frommen Gesichter seiner Heiligen um so länger seine Blicke geheftet haben, je seltener solche eigenthümlich charakteristische Physiognomien heutzutage sich dem aufmerksamen Beobachter zeigen mögen. Ein ähnliches Gesicht, eine ähnliche Gestalt zeigte sich aber jetzt dem Eintretenden.

Verzeihen Sie, mein Herr! redete Georg diesen Fremden an; ich glaubte Sie um Hilfe rufen zu hören; vermuthlich habe ich mich getäuscht, was mir sehr angenehm sein würde!

Der fremde Herr, welcher bei Georgs Eintritte etwas erschrocken sich von seinem Sitze erhoben hatte, faßte sich bei dieser höflichen Anrede bald, und entgegnete mit sehr sanfter Stimme: »ich danke Ihnen sehr Ihren menschenfreundlichen Sinn, mit welchem Sie Sich mir nähern, obgleich mir sonst nichts leiblich Widerwärtiges zugestoßen ist. Doch ist es mir angenehm, die Bekanntschaft mit einem lieben Stubennachbar zu machen. Beliebt es Ihnen sonst, mir auf ein Stündchen Gesellschaft zu leisten, so bitte ich Sie, Platz zu nehmen.«

Georg schloß aus dieser milden, ja mehr als gewöhnlich oratorischen Anrede, so wie aus der ganzen Weise, in welcher der Fremde ihm erschien, daß er einen evangelischen Prediger vor sich habe.

Sie sind ein Gelehrter? fragte der Fremde.

Ich habe früher studirt und heiße Venlot, entgegnete Georg.

Wohl sieht man sich in allen Enden um die Wahrheit um, fuhr der Fremde fort, indem er die weißen, mageren Hände auf seine Kniee legte, aber selten hat mir Einer gesagt: siehe da, ich habe gefunden! Aber was in unendlicher Ferne zu erjagen gesucht wird, das liegt gar nahe am Wege und ruft: Wanderer woher? Wanderer wohin? –

Georg wurde aufmerksam. Jener sprach weiter:

Gott war einst Gesetz für alles Geschaffene. Der Mensch in seiner Reinheit kannte keinen andern, als Gottes Willen. Als aber der Mensch, selbst sein Gott sein wollte, geschah der Sündenfall. Seitdem ist der Mensch ein anderer geworden; denn der Riß in seiner Seele dauert fort. So kam es, daß der Mensch vom Anbeginn mehr Teufel, als Engel ist. Um der Sünde Sühnung willen erschien unter uns der Gottmensch, um uns vor uns selbst zu retten in den Schooß des ewigen Vaters. Also ist das Christenthums Grundstein die Sünde, reuevoller Glaube an den Weltheiland die Strebepfeiler und des Gewölbes Schlußstein – die Versühnung. Das ist die Wahrheit, die verkannte, und dennoch ewig triumphirende! Das ist die Wahrheit, welche uns vom Lügengeiste erlöst! –

Georg war aufgestanden und sprach wie für sich: über dieses Gespenst der Erbsünde, das vampyrartig das beste Blut von jeher gesaugt hat, muß es denn ewig leben? Wessen erstes Gefühl wäre Schadenfreude, sähe er einen nackten Wandler zur harten Winterszeit? Hassen oder lieben wir Vater und Mutter von Kindesbeinen an? Fühlt nicht der Mensch, wie ihn schon hier der Odem der Glückseeligkeit ringsum anweht? –

Verkümmert mir nicht mit finsteren Zaubersprüchen den freudigen Lenz, welcher alle Saiten der Seele zum Wonnegefühl anstimmt! – Hängt mir nicht den düsteren Traumschleier über die blauen Himmelsräume, aus welchen noch immer das Paradies in seiner uralten Pracht herabtaucht zur Zeit und Stunde selbst dem verworrensten Gemüthe!

Georg schwieg. Der Fremde lächelte wehmüthig und mitleidig vor sich hin. Georg reichte ihm die Hand und sagte: lebe jeder seiner Ansicht, seinem Glauben! aus verschiedenen Klängen entsteht endlich Harmonie! Darf ich um Ihren Namen bitten? –

Der Fremde antwortete ausweichend: ich bin der Verfasser des Werkchens über die Lehre von der Sünde und vom Versöhner.

Jetzt rief der Wächter auf der Straße zehn Uhr aus, Georg empfahl sich, und ging auf sein Zimmer zurück.


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