Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Drittes Kapitel.

Georg sprach noch viele Worte des Trostes zu seinem unglücklichen Vater, welcher vor Herzeleid matt und zerschlagen endlich auf einen Stuhl zurückgesunken war. Nach einer Weile bemerkte er, wie ein sanfter Schlummer über die Augen des Unglücklichen ausgegossen war.

Ihm eine solche erquickende Ruhe zu gönnen, ging Georg hinunter in das Wohnzimmer. Hier fand er seine Mutter am Tische sitzend, und, das Haupt auf den gefalteten Händen über der aufgeschlagenen Bibel, eingeschlafen. Ihre Wangen waren noch von Thränen naß.

Er suchte sie aufzuwecken; aber alle seine Mühe war vergebens. Wohl öffnete sie die Augen; aber sogleich fielen sie matt wieder zu, und ihr schweres Haupt nieder auf ihre Arme.

Er ging in die Nebenstube; aber auch hier schliefen die Dienstleute einen wahren Todtenschlaf. Alles sein Rufen, sein Rütteln blieb erfolglos. Selbst der sonst so wachsame Wasserhund lag jetzt zu einem Knaul zusammengerollt regungslos und fühllos.

Jetzt wurde es ihm unheimlich zu Muthe. Er sprang hinauf in die Kammer, um seinen Vater zu wecken; allein auch hier war seine Mühe vergebens.

Er eilte wieder hinab in das Wohnzimmer; aber Alles schlief und blieb lebendigtodt und unaufweckbar.

So war er denn im grabesstillen Hause das einzige Wesen, welches wachte, während alles Lebendige in betäubendem Schlafe dahingestreckt lag.

Nirgends regte sich der geringste Laut; nur sein eignes banges Odemholen, und das dumpfe Picken der Wanduhr, deren Zeiger auf Zwölf zu krochen, drang zu seinem lauschenden Ohre.

Vergeblich bestrebte er sich zu beten; namenlose Angst raubte ihm die Besinnung. Er schrie einigemale laut auf; Nichts regte sich, außer dem Uhrperpendikel.

Die Wände schienen zusammenzurücken und ihn erdrücken zu wollen. Vor Entsetzen und Seelenqual stürzte er hinaus in die stürmische Nacht.

Vergebens suchte er im Dorfe ein wachendes Wesen anzutreffen; erfolglos pochte er an alle Nachbarshäuser an; Niemand hörte ihn.

Als müßte er vor sich selbst entfliehen, flüchtete er sich hinaus in das Freie. Jetzt erhob sich auf einmal ein Stürmen und Windesbrausen, als sollte die Erde untergehen.

Er raste durch den Sturm mit lautem Geschreie hindurch, klomm einen steilen Fels hinauf; und oben angelangt, bemerkte er, wie tief unten vor ihm der Rheinstrom brauste und über die Steinblöcke in wunderlichen Gestalten sprang und hüpfte.

Er sank nieder zur Erde, besiegt von der Mattigkeit der Glieder, und dem Abgrunde vor ihm. Herr Gott, erbarme dich über mich! betete seine Seele in heißer Inbrunst.

Ich komme schon Freundchen, rief eine schneidende Stimme von unten herauf; ich bin gleich bei dir! fürchte dich nicht! – sollst leben bei mir, wie ein Königskind, fürchte dich nicht!

Herr Gott, erbarme dich meiner! betete immerfort der Jüngling.

Lust und Wein, Tanz und Spiel, schöne Weiber sollen dein Herz erfreuen! Ueber Land und Meer sollst du mit mir ziehen, mein Söhnchen! rief es wiederum von unten herauf.

Und eine andere Stimme, leise, wie ein verschwimmender Flötenton, drang an das Ohr des bebenden Jünglings: ringe muthig, sei standhaft, bleibe dir treu! –

Ehre und Reichthum, Wissenschaft und Klugheit will ich dir geben, springe herunter zu mir! zu mir! albernes Kind! rief die versuchende Stimme.

Weiche von mir, Verruchter! heiliger Gott, rette meine arme Seele aus den Garnen des Versuchers! rief Georg.

Du mußt doch! bebte die Stimme wie ein grollender Donner auf ihn ein, du mußt! du bist mein! und ein gewaltiger Stoß schleuderte ihn empor, daß er wieder rücklings niederstürzte.

Aus der Ferne funkelte ein stechendes Auge auf ihn zu.

Unermeßliche Schauer und Entsetzen gingen über seine Seele.

Folgst du mir nicht, so muß im Giftschwaden noch heute dein Vater, auch deine Mutter sterben. Ueber ihr Leben habe ich Gewalt, denn Er gab mir sein Blut zu kosten. Du aber, Narr! sollst frei sein, – denn dich liebe ich vor allen Menschengeistern, – frei vor dem Himmel, und frei auf der Erde, und selbst dein Herr sein! – Zu mir! Zu mir! – sprach die Stimme herüber; während immer wieder der verhallende Flötenton sein Ohr traf: Georg, weiche nicht, zage nicht, ich bin dir nahe! ich bin immer bei dir!

Der Rheinstrom hob sich sausend empor, daß er bis zum Felsen herüberschlug, auf welchem Heinrich bebte und betete; der Boden unter ihm begann zu wanken, näher und näher funkelte das furchtbare Auge, welches ihn zu durchbohren und zu sprechen schien: ich bin so arg nicht! komme mit mir!

Jetzt schienen zwei ungeheure Hände nach ihm herübergreifen zu wollen; vor seinen Augen dunkelte es, und während ihm alle Sinne schwanden, glaubte er um seinen Nacken einen weichen Arm geschlungen zu fühlen, und vor den brechenden Augen schien es ihm als beuge ein frommes, zartes Jungfrauenangesicht sich lieblich leuchtend über ihn her, und wie zum Tode sank sein schweres Haupt zurück an ein schlagendes Herz.


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