Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Eilftes Buch.

Erstes Kapitel.

Es war wieder Winter. In einer Weinstube zu Berlin saß Georg, das gedankenschwere Haupt auf seine Hand gestützt. Ungenossen verduftete der Wein vor ihm.

Ohne daß er es bemerkte, war er der Gegenstand der Neugierde für die anwesende Menge geworden. Sein seltsames Aeußere, das romantische, spanische, abgetragene Gewand, der stattliche Schmuck seines Kinns, die langen blonden Haare, welche gescheitelt über seine Schultern herabfielen, mußten allerdings die Aufmerksamkeit besonders in dem an Soldatenfräcke gewöhnten Berlin gewaltig rege machen.

Ein junger feiner Mann, dem Anscheine nach ein Offizier im Civilrocke, konnte es sich vorzüglich nicht erklären, wie bei der Wachsamkeit der Berliner Polizei diese allzu abenteuerliche Figur in die Stadt hereingekommen sei.

Nachdem dieser sich beim Weinschenken fruchtlos über den fremden Gast erkundiget hatte, wandte er sich selbst an ihn.

Sie scheinen sich nicht zu amüsiren, sprach er Georg an, da sie so ernst hier sitzen? Sie sind gewiß aus Göttingen? oder sonst wo her?

Sie scheinen es errathen zu haben! entgegnete Georg etwas mißlaunisch, indem mehr Bitterkeit in seiner Stimme, als in den Worten selbst lag.

Der junge Mann aber ließ sich dadurch nicht stören, und fuhr fort: Sie sind ein Schriftsteller? In diesem Falle könnte ich ihnen, wenn Sie sonst hier Protection suchen, beiräthig und beithätig sein; denn ich maaße mir es an, selbst zuweilen Versuche meiner Muse drucken zu lassen. Haben sie meine »Lindenblüthen« gesehen und gelesen? – Müssen sie mir aber nicht gestehen, daß Tieck in Dresden unbestritten der größte Novelliste ist? –

Georg seufzte in seiner Seele über die unendliche Rhetorik des Dichters; vergeblich suchte er es sich zu erklären, wie und woran dieser es ihm angemerkt habe, wie auch er einst überschwängliche Verse gemacht habe. Die Aufklärung hierüber erfolgte einigermaaßen.

Der Dichter wischte seine Brille ab und rief: einen Becher Moselwein! – Mit ritterlichem biderben Wesen, welches jetzt aus ihm gleich einer possirlichen Puppe aus einer französischen Vexirdose heraussprang, warf er sich auf den Stuhl, faßte mit seiner zarten Faust des Weinglases dünne Taille und sprach: es lebe das Mittelalter! – Ja, wer so glücklich wäre, wie Sie, mein Herr! fuhr der Ritterliche fort, indem er sein feines Schnurrbärtchen kräuselte, und dürfte auch nach Außen hin sich als Apostel des Deutschthums bekennen! Es muß aber unsere Zeit wieder aufblühen mit kräftigem Ritterwesen und süßem Minnethum! Nicht vergebens haben unsere Dichter die Harfe ergriffen, nicht vergebens de la Motte Fouqué gesungen! –

Da Georg schwieg, so glaubte er diesen Mittelalterlichangethanen in Uebereinstimmung mit sich, und fuhr fort, und zwar nicht ohne Begeisterung: diese unheilbringenden Bestrebungen des Bürgerthums, die Bevorzugungen der Stände auszugleichen! Wer mag es läugnen, daß ein Adel in der ganzen Natur, selbst unter Pflanzen und Thieren sich ausprägt? – Die himmelanstrebende Eiche und der niedrige Wachholderstrauch gehören beiderseits zum Baumgeschlecht; aber sind sie ebenbürtig? – Das gemeine grobgegliederte Fuhrmannspferd, und das edle, mühsam gepflegte, aus bevorzugter Raçe herstammende arabische Roß, obwohl von einer Thierart, sind sie der Herkunft nach gleichblütig? – Und sollte bei der menschlichen Gesellschaft es anders sein? Vergeblich sucht man eine solche Bevorzugung in ihr zu vernichten. In Frankreich ist bereits diese Revolutionsidee vom Adel und der Geistlichkeit besiegt, und auch wir haben schon wieder unsere Turniere. Nur der Minnesänger – setzte jetzt der hoffnungsvolle Schriftsteller, um den merkbar werdenden Unwillen Georgs abzuleiten, noch hinzu – gehört keiner Menschenklasse an; seine Welt ist nicht diese. Und Sie, Verehrtester, sind gewiß, irre ich mich sonst nicht, ein solcher geisterfüllter Sänger? –

Georg wußte nicht was sagen. Ihm brannte vor Zorn das Herz im Leibe. Er suchte diese Aufwallung zu bekämpfen, und erwiederte lächelnd: ich wandere umher in der Welt, um das eigentliche Wunderbare zu entdecken; ich meine nämlich das wirkliche Land der Poesie, wo alle Straßen mit Ducaten gepflastert, die Häuser aus Marzipan gebaut und mit Nürnberger Pfefferkuchen gedeckt sind, wo die Leute in Sonetten und Stanzen sprechen und singen; endlich selbst die Gimpel in goldenen Käfigen vor den Fenstern hängen und Choräle rührend abpfeifen, mit einem Worte: wo es sich noch verlohnte, Poet zu sein. Man hat mich in die Mark gewiesen, und es fehlt nicht viel, so glaube ich, an Ort und Stelle zu sein. Können Sie mir vielleicht in dieser Hinsicht Bescheid sagen? –

Der Ritterliche fühlte sich beleidigt, so friedliebend er auch sonst war. Mein Herr! versetzte er mit schwacher Ironie, wenden Sie sich an unseren Philosophen Hegel. Seine Gedanken gehen in das Unermeßliche und er weiß über Alles Auskunft zu geben. Da es aber überhaupt scheint, als ob ein ausgezeichneter Witz in Ihrem Barte stecke, so möchte ich doch wissen, wo Sie diese Tour gekauft haben?

Georg legte den Kopf wieder in seine Hand und entgegnete so freundlich, als es möglich war: ich habe meinen Bart erhalten, wo Sie sich Witz holen können, von der Mutter Natur; doch gebe ich Ihnen zu, daß mein rauhes Kinn eben sowohl eines glatten Messers, als Ihre glatte Wange einer rauhen Hand bedürfte. –

Ein schallendes Gelächter erhob sich unter den Anwesenden; der Erzürnte aber nahm seinen Hut und entfernte sich, weil es eben Zeit war, in das Theater zu gehen.

Es giebt nichts so Ungereimtes, was nicht zur Stunde von einem Menschen gedacht oder unternommen worden wäre, zumal in einer großen Stadt, wie Berlin ist.

Georg in der verlassensten Lage, seine Brust voll tiefen Leides, saß hier wie ein Schiffbrüchiger an einem wüsten Eilande, geneigt auch dem schwächsten Schimmer der Hoffnung, irgend etwas von Aquilinens Wunderland zu erfahren, treuherzig wie ein Rheinländer nachzugehen.

Wie im Unglücke der Mensch abergläubig gern von dem Zufälligsten, was ihm in den Weg kommt, Hülfe erwartet, so stand auch jetzt der gepriesene Name »Hegel« vor seiner Seele, und unwillkührlich trieb es ihn an, bei diesem trefflichen Philosophen Rath zu suchen.

Wie auch seine ganze Besonnenheit ihm den Unsinn eines solchen Unterfangens vorstellen mochte, so spiegelte ihm dennoch die träumerische Hoffnung alle die außerordentlichen Ereignisse seines Lebens vor, indem sie zu fragen schien: und wäre es denn bei diesem Allen das Wunderbarste, wenn ein hochverständiger Mann dir den Weg zur Erfüllung deiner Wünsche jetzt zeigte? Was willst du sonst thun? –

Um in dieser verwickelten Lage doch etwas, und mochte es selbst eine Thorheit sein, – denn es ist immer besser, etwas Albernes, als gar nichts zu thun – vor der Hand wenigstens zu unternehmen, beschloß er endlich, dem Professor Hegel seine Aufwartung zu machen.


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