Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Einleitung.

Der Tag des blumigen Johannisfestes neigte sich dem Ende zu. Der letzte Strahl der untergehenden Sonne blitzte noch einmal über die Hügel hinüber, und schien sich nur ungern von der bräutlich geschmückten Erde zu trennen. Ueber die Thäler legte sich ein bläulicher Nebelflor, während ein linder Luftzug das blühende Getraide auf den langhingestreckten Feldflächen, und die duftenden Blumen auf den Rainen und Wiesen flüsternd bewegte. Das Geläute aus den umherliegenden Ortschaften tönte in der Luft mit dem Summen der Käfer zusammen.

An diesem Abende, der in Blumen und Blättergesäusel, mit allen seinen Blüthenwonnen und Düften zu Träumen und lieblichem Sehnen das Herz lockte, ergingen sich zwei Jungfrauen, still und freundlich, wie die sie umgebende Natur, auf einem rasigen Feldwege, welcher sich hinter dem Städtchen R....r durch die üppigste Flur hinzog. Kaum möchte ein glückliches Auge irgendwo zwei schönere Frauengestalten beisammen sehen.

Blühte auch die Eine von ihnen lieblich in frischer rosiger Gesundheit, in schöner Fülle schlanker Glieder, und hob sich auch zu unsäglicher Anmuth ihr dunkelumlocktes Haupt frei und edel im lieblichen jungfräulichen Trotze empor, so daß sich fast kaum ein höherer Liebreiz denken ließ, so möchte dennoch ihre Gefährtin neben ihr nicht mißfallen haben. – Es war eine hohe, königliche Gestalt, zart und etwas bleich ihr Antlitz, nichtsdestoweniger aber ihr Mund in heller frischer Röthe ausgewoben. In ihren klaren, blauen Augen, welche sie aus Gewohnheit fast immer niederschlug, schien ein geheimes, wonniges Träumen zu schweben. So leicht hinwandelnd im bläulichen Gewande, schien sie wie eine Feenerscheinung in der Luft zerfließen zu wollen.

Von allen Gespielinnen, welche mit besonderer Zuneigung sich ihr angeschlossen hatten, war ihr die heitere Mathilde, welche eben jetzt ihre Gefährtin war, die Theuerste.

Lina aber selbst war in gewöhnlicher Weise in Gedanken, wobei ein leises Lächeln um ihren Mund spielte, schweigsam versunken.

Lina, Freundin! hänge doch nicht immer also deinen alten Träumen nach; ermahnte sie Mathilde.

Ich muß dir gestehen, versetzte Lina, daß dieser Frühlingsabend mit aller Macht das Siegel in meiner Seele zu lösen sucht, worunter das Geheimniß meiner Jugendtage schlummert. Wie ist mir doch? – ein schönes hohes Schloß, durchsichtig wie Glas, und ein Garten rings mit großen seltsamen Bäumen und Blumen will sich in meiner Erinnerung gestalten! – und dann, Mathilde, fühle ich, wie sich tief unten in meinem Herzen ein ungemessenes Leid zugleich losringen will.

Du träumst wieder einmal! erwiederte Mathilde; doch, schaue auf! es wird düster, laß uns hineingehen. Unsere Freundinnen werden auf uns warten, und dein Bruder wird vollauf zu thun haben, ihnen die Zeit zu vertreiben. Ich kann es mir denken, wie sie vor dem Hause auf der Bank neben deiner Pflegemutter sitzen, die Köpfe zusammenstecken, um nichts Heimliches zu flüstern. Beinahe gram bin ich ihnen, so angenehm mir es auch sonst ist, daß sie uns allein gehen ließen. Bestes Herz, setzte Mathilde aufgeregter hinzu, so lieb, wie dich, habe ich niemand mehr!

Unter diesen und ähnlichen Gesprächen kamen die beiden Mädchen zwischen den Gärten hindurch in die belebte Straße des Städtchens. Erleuchtet waren bereits die stillen Gemächer, und die gelben Johannisblumen, womit nach altem Brauche die Fenster besteckt waren, gaben den Häusern ein festliches Ansehen. Männer, Frauen und Kinder saßen in traulichen Gruppen vor den Hausthüren, um die erquickliche Abendluft zu genießen. Wo nur die Beiden vorüberkamen an den fröhlichen Menschenschaaren, wurden sie freundlich gegrüßt, und manche Matrone sprach: glücklich müssen die Männer sein, welche diese als Frauen heimführen! –

Schon von Weitem kam Ihnen die Schaar ihrer Freundinnen entgegen, und zog sie im fröhlichen Tumulte hinein in die Stube des alten Herrn Meiers, Lina's Pflegevaters.

So bequem und behaglich der alte Herr sich auch in seinem Armstuhle fühlte, so stand er doch vom Anblick der Schönen verjüngt auf, und begrüßte umständlich die Freundinnen seiner Lina.

Bald erschien auch Heinrich, Lina's Pflegebruder, in seinem gewöhnlichen Ernste; etwas später Rudolph, Mathildens Bruder, mit noch einem Freunde.

Bald saß die Gesellschaft in munterem Kreise um den glänzend gebohnten Tisch herum. Lina stellte darauf porzellänene Blumentöpfe mit frischen Sträußern, Mutter Meier aber setzte geschäftig und freundlich allerlei Naschereien und Erfrischungen dazwischen hin.

Wie schön ist Auge und Zunge bedacht, sprach scherzend Mathilde; aber lieber düsterer Heinrich, ich weiß es im Voraus, du sorgst auch dafür, daß wir sonst noch mit Ohr und Seele uns ergötzen! Ich bitte dich als Gesandtschafterin der hier versammelten hohen Häupter recht sehr um die Erzählung einer Geschichte, und wenn es nur so ein unglaubliches Mährchen, wie neulich wäre, womit du uns einen ganzen Abend unterhalten hast.

Ah! sieh den Schalk, da packt er ja schon ein Buch aus! rief Karoline, Heinrichs Nachbarin.

Ich habe heute erst von einem Freunde aus der Hauptstadt diese Sache hier überschickt erhalten, erwiederte Heinrich. Da ich nun selbst noch nicht darinnen gelesen habe, so kann ich freilich nicht wissen, ob sie eine solche schöne Gesellschaft schön genug unterhalten kann.

Wir machen keine großen Ansprüche, Heinrich! versetzte Mathilde; und laß uns nicht länger schmachten; denn eine solche noch unvorgelesene Geschichte hat einen besonderen Reiz.

Heinrich schlug das Buch auf und begann die Vorlesung. Die Gesellschaft hörte gespannt und aufmerksam zu.


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