Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Zwölftes Buch.

Erstes Kapitel.

Auf einer Anhöhe, dicht an der Heerstraße, unter einer mächtigen Eiche, welche in ihrer weißangereiften Verästelung wie mit tausend Händen und Fingern hinaus in das Blaue zu greifen schien, stand Georg in trübem Hinbrüten versunken. Leise bebten seine Lippen und krampfhaft waren seine Hände auf der Brust zusammengepreßt.

Ich bin wahnwitzig! – stöhnte er vor sich hin; denn außerdem müßte doch irgendwer mich verstehen und begreifen. Vermag doch weder Philosophie, noch Poesie mir des Lebens Räthsel zu lösen! O, wie ist es noch möglich, daß ich mich rette vor dem Irrwahne? – Ist alles das, was mich bis jetzt mit Schmerz und Lust erfüllt, mit Qualen und Wonnen durch mein Herz sich gewoben hat – nur ein Irrthum, so bin ich auf ewig verloren; denn polypenartig ist mein ganzes Wesen davon durchwachsen! – Wehe mir! dem Unsinne ganz anheim fallen? nichts sein, als ein Tollhäusler? – O, du bebende Menschheit in meiner Brust, was ist es mit dir, – bist du todtkrank oder fortwährend genesend? – Mein Gott! Mein Gott!

Er schwieg wieder. Unaussprechbare Gedanken blühten traumartig, blumenhaft in seiner Seele auf, vergingen und wuchsen in wunderlichen Arabeskenverschlingungen durcheinander. – Also starb und lebte und webte wieder im Nervengeflechte die Seele in fortwährender Zeugung ihrer selbst.

O du schmerzdurchzücktes, gramumdüstertes Dichterhaupt! die Wunderwelt, welche in dir lebt, kann kein Wahnsinn sein! und wäre es Wahnsinn, so müßte selbst die Gottheit sich weinend aus den Wolken über dich herabbeugen vor herzzerschneidendem Mitleide! –

Es ist kein Trug, was in dir sich emporhebt in unermeßlicher Fülle, selbst noch unentwickelt, gottähnlich.

Sowie im gesäeten Blumenkerne die Pflanze sich geheimnißvoll und heimlich regt und dehnt, sich an Licht und Luft drängt, und ihre Kraft sich fort und fort entwickelt, bis sie endlich zur leuchtenden, duftenden Blumenkrone emporschießt – ein vollkommenes, herrliches Gewächs; – so muß auch dieses Räthsel in der Menschenseele mit seinem Drängen und Treiben endlich vortreten in die Farben des Tages – zur seeligen Wahrheit.

Nicht die brennenden Augen zu Boden gesenkt, verzagender, träumender Mann! – Vertraue dir selbst und gehe ruhig dem rothen Faden nach, welchen die Vorsehung – eine milde Ariadne – dir in die Hände gegeben, und an deinem Wege hingespannt hat! –

Aber in Georgs Herz wollte die Ruhe nicht kommen! – Er stand und wurde trüber und trüber. –

Ein Waldtaubenpaar, wundersam zahm, girrte zu seinen Füßen und suchte im niedergetretenen Schnee vergebens nach Futter. Wie es kommen mochte? – Ihm wurde, da er diese harmlosen Geschöpfe vor sich sah, so weich um das Herz, daß eine Thräne hinunterfiel in den Schnee; vergeblich fuhren die Tauben darnach – es war nur eine Menschenthräne, kein Körnchen werth.

Wie so oft vermag ein geringfügiger Gegenstand unserer nächsten Umgebung, das herbste Leid aus unserem Herzen und von der Stirne zu jagen! –

Wie ein Kind bei neuem Spielzeuge frühere Leiden und Freuden vergißt, so wurde auch Georg, indem er dem Laufen, Flattern, Suchen und Picken der blauen Täubchen zu seinen Füßen zusah, unvermerkt wieder in das äußere Leben herausgelockt.

Noch mehr geschah dieß durch einen Landprediger, welcher eben jetzt breitschultrig, mit einem festen Knotenstocke in der Hand, die Straße einhergeschritten kam. Die Tauben flatterten verschüchtert davon.

Wie er herankam, blieb er stehen, warf den Kopf zurück – wie Leute zu thun pflegen, welche Andern gern eine gewisse ehrerbietige Scheu einstoßen möchten – und sprach mit gesetzter, wohlgeründeter Stimme: guten Tag, mein Herr! –

Nach erfolgtem höflichen Gegengruß, nahm der Landprediger das Wort auf, indem er den Ueberrock über den weidlichen Leichnam fester knöpfte: wenn es im Winter nicht so kalt wäre, oder wenigstens das Filialpredigen ausgesetzt würde, so möchte er immer noch zu ertragen sein! –

Sie sind Prediger? versetzte fragend Georg und schritt neben ihm rüstig einher. Es muß ein großes Gefühl sein, den Glauben des Christentums zu verkündigen der heilbedürftigen Menschheit! –

Der Prediger sah Georg mit einem scharfen Blicke an, und sagte in so innerer Zufriedenheit mit sich selbst: Glauben? Ueberzeugung ist das wahre Wort. Wovon sich die Vernunft keine klare Vorstellung machen kann, das ist ein Irrthum. Die Bibel enthält viel Brauchbares; aber man hat redlich zu thun, um sie reinzufegen von der Spreu. Die Offenbarung haben wir – Gott und Röhr in Weimar sei gedankt! – glücklich todtgemacht! – Wir machen Alles begreiflich, wie es einem Vernünftigen ansteht! – Allein nichts destoweniger anerkennen wir dennoch in dem Manne von Nazareth »den richtigen Takt für Edles und Würdiges, den trefflichen Witz, die oratorische Darstellungsweise, – welche er freilich nur den Rabbinern abgelernt hat.« Zu läugnen steht freilich nicht, daß er »lediglich ein Produkt seines Zeitalters ist.« Seine Aussage: »daß er Gottes Sohn sei, ist eben so eine Redensart, welche wir ihm seiner Verdienste halber zu gute halten müssen.« –

Georg hatte bis jetzt das eigene Glück genossen, kaum von Weitem einen solchen neumodischen Prediger, wie sie vor einiger Zeit gleich Sperlingen im protestantischen Deutschlande herumflogen, kennen zu lernen.

Was Wunder daher! wenn er jetzt mit etwas verwunderlichen Augen einen solchen theologischen Sansculotte anschaute. Volltönender und hitziger, als er sonst zu reden pflegte, sprach er zu dem Pfarrherrn, welcher eben mit zurückgeworfenem Kopfe und aufgeblasenen Nasenlöchern auf dem Wege stehen blieb:

Die Welt ist also nur so groß, als euere Schneckenhörner reichen? Ihr glaubt also an nichts, außer an die Untrüglichkeit eueres Maulwurfsblicks? Hochehrwürdiger! mich wundert es nur, daß du noch einen Darm im Leibe hast, der du so reinweg auspurgirt bist. Begreifst du mit deiner göttlichen Vernunft die Kraft, welche die hundertblätterige Rose mit Düften und Morgenroth füllt? Begreifst du das Geheimniß deiner unsterblichen Seele, – das Wunder deiner eigenen Entstehung und deiner Geburt? – O, der vermessene Wurm, der nach der Schneiderselle den Unendlichen, Unerforschlichen ausmessen will!

Georg stand vor dem Erstaunten hoch aufgerichtet und hatte ihm die drei ersten Finger seiner rechten Hand auf die Brust gelegt, als hätte er diese seine Worte ihm in das Herz drücken wollen. Er fuhr aber fort:

Verzeiht, mein Herr! wenn ihr keine beseligendere Wahrheit dem Menschen zu geben wisset, so schweiget lieber; denn er lebt seeliger selbst im Dämmerlichte des Wahns auf den bunten Auen der Mährchenwelt, als auf eueren äthiopischen Sandwüsten! Laßt ihm seine Träume vom harfendurchklungenen Himmel, und den lobpreisenden Engelschaaren darinnen! – Laßt ihm den Weltheiland, den Dornengekrönten mit seinen blutroth strahlenden Wunden! – vor Allem aber die allerbarmende Gottheit, welche sich fort und fort der armen, bedrängten Menschheit in unergründlichen Wundern offenbaret.

Georg schwieg jetzt; der Pfarrherr sprang einige Schritte zurück, und sprach nach einer Weile erschrocken genug: aha! so Einer? – Mit diesen Worten entfernte er sich, den Knotenstock unter dem Arme, indem er einen Seitenweg, welcher zu seiner Behausung führen mochte, mit hastigen Schritten einschlug.


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